Feiern mit der Sonne
Rolf Dischs Solarsiedlung in Freiburg wird zehn Jahre alt: Es war im Jahr 2000, als die ersten Bewohner im neuen Freiburger Stadtteil Vauban einzogen. Ein ehemaliges Kasernengelände sollte nach Abzug der französischen Armee umgenutzt werden. Die Stadt Freiburg hatte hierzu ehrgeizige städtebauliche Ziele entwickelt: Sowohl sozial, als auch ökologisch sollte ein Vorzeigequartier entstehen. Wie weit die Bürgerbeteiligung, einmal angeregt, dann tatsächlich gehen würde und dass gerade dadurch die Grenzen des nachhaltig Machbaren weit über die ursprünglichen Pläne hinaus verschoben würden, das war anfangs kaum zu ahnen. Und ebenso wenig, dass eine ganze Reihe von Architekten mit großartigen, später vielfach preisgekrönten Lösungen und Ideen aufwarten würden, die dem Quartier bis heute weltweite Beachtung zuteil werden lassen. Medien, Fachpublikum, Ökotouristen: kein Tag vergeht ohne Führungen oder Fernsehaufnahmen. Und zurzeit präsentiert die Stadt Freiburg das Quartier sogar auf der EXPO in Shanghai.
Solarsiedlung, Sonnenschiff und Heliotrop
Auf dem ehemaligen Sportplatz des Kasernengeländes entstand die Solarsiedlung: 50 Reihen- und neun Penthäuser, dazu das Gewerbe- und Bürogebäude Sonnenschiff. Nachdem dem Architekturbüro von Rolf Disch 1995 mit dem Experimentalbau Heliotrop® zum ersten Mal weltweit ein Gebäude gelang, das nicht nur außerordentlich energieeffizient war, sondern darüber hinaus einen erheblichen Überschuss an Energie produziert, wurden diese Erfahrungen auf den Siedlungsbau übertragen, auf Häuser, die für „ganz normale“ Hausbauer erschwinglich sein sollten.
Mindestens 30 cm Mineralstoffdämmung, perfekte Abdichtung, Lüftung mit effizienter Wärmerückgewinnung sorgen dafür, dass die Energie im Haus bleibt. Die konsequente Südausrichtung der Gebäude, der Sonne zugewandte, fast vollständig verglaste Südfassaden erlauben die passive Nutzung der Sonnenenergie: Dreifach verglaste, raumhohe Fenster und Fenstertüren, die zur besseren Isolierung mit dem Edelgas Argon befüllt sind und nach innen Infrarotstrahlung reflektieren, lassen viel Licht herein und kaum Wärmestrahlung hinaus. Erschließung, Küche, Bad, im Obergeschoss auch Schlafzimmer liegen nach Norden, die Wohnbereiche im Süden sind lichtdurchflutet, mit fließenden Übergängen in den Garten und auf den Südbalkon. Während das Heliotrop® als drehbares Haus konzipiert war und so entweder zum Energie-Tanken sich mit der verglasten Seite mit der Sonne dreht oder aber zum Schutz vor Überhitzung im Sommer mit seiner weitgehend geschlossenen, isolierten Seite zur Sonne stehen kann, musste für die Siedlungshäuser eine andere Lösung für die Verschattung gefunden werden: Die nach Süden liegenden Dachüberstände und Balkone sind so berechnet, dass die hoch stehende Sommersonne abgeschirmt wird, während die tiefer stehende Wintersonne bis in den letzten Winkel der Räume fallen kann.
Nachgewiesener Energieüberschuss
Eine Studie der Universität Wuppertal hat es inzwischen bestätigt: Die Häuser der Solarsiedlung verbrauchen nicht nur wenig Energie, sie erzeugen einen deutlichen Überschuss von im Schnitt 36 kWh pro Quadratmeter und Jahr (Primärenergie). Dabei sind alle Energieverbräuche eingerechnet: Heizung und Warmwasser, Haushalts- und Anlagenstrom, nicht nur, wie sonst oft üblich, die Heizenergie. Auch handelt es sich um empirisch erhobene Werte, nicht um eine Bedarfskalkulation. Zum Vergleich: Der Gebäudebestand in Deutschland liegt im Schnitt bei 435 kWh, der gesetzlich vorgeschriebene Standard (EnEV 2009) bei 260 kWh, selbst das Passivhaus darf bis zu 120 kWh verbrauchen. Wohlgemerkt: Hier geht es um Verbrauch. Das Plusenergiehaus deckt seinen Verbrauch und erzeugt die 36 kWh noch obenauf.
Wie kann das funktionieren? Prof. Dr. Karsten Voss und Dipl. Ing. Mira Heinze erklären dies in ihrer Studie: Sie gehen dabei von dem Durchschnitt aller Häuser der Solarsiedlung aus: Drei Bewohner nutzen 137 m2 Wohnfläche. Stellt man sich nun genau das gleiche Haus vor, nach dem derzeitigen Mindeststandard der Energieeinsparverordnung (EnEV) gebaut, so würde es pro Quadratmeter und Jahr 185 kWh verbrauchen. Man kann jedoch noch so gut gedämmte Häuser bauen – es spielt immer auch eine Rolle, wie sich die Bewohner verhalten, welche Elektrogeräte sie betreiben usw. Deswegen wird ein energiesparender Haushalt veranschlagt, wie in der Solarsiedlung ermittelt, es verbleiben noch 165 kWh/m2. Nun ist das Gebäude aber im Passivhaus-Dämmstandard errichtet. Damit kommt man auf einen Verbrauch von nur noch 98 kWh/m2. Auch kommt es darauf an, woher die verbrauchte Energie stammt. So ist es effizienter, wenn man z.B. im hauseigenen Mini-BHKW Holzpellets aus der Region einsetzt, als in einen Uralt-Kessel Erdöl zu verheizen. Um den Primärenergieeinsatz zu bewerten verwendet man sogenannte Schlüsselmultiplikatoren. Durch das Nahwärmenetz mit anteiliger Holzverbrennung kommen wir in Freiburg auf einen Verbrauch von 79 kWh/m2 an Primärenergie. Dem gegenüber steht ein Energiegewinn durch die Photovoltaikanlage von 115 kWh, umgerechnet auf den Quadratmeter Wohnfläche. So ergibt sich das Plus von 36 kWh. Energieeinsparung und Energiegewinn der Solarsiedlung insgesamt liegt so bei umgerechnet 200.000 l Öl – oder 500 t CO2 pro Jahr. Zum zehnjährigen Bestehen sind also 2 Mio Liter Öl eingespart.
Wirtschaftliche Architektur
Das ist nicht allein gut für die Umwelt. Vielmehr ist es ein wirtschaftlicher Faktor von großem Gewicht für die Hausbesitzer. Natürlich liegen die Baukosten ein wenig höher als die eines vergleichbaren konventionellen Hauses. Die Zusatzinvestition für die Solarsiedlungshäuser ist allerdings deutlich niedriger, als oftmals angenommen wird: Etwa 10 Prozent über den Kosten für ein vergleichbares Haus, das lediglich die Mindeststandards der Energie-Einspar-Verordnung (EnEV) erfüllt, waren aufzubringen. Statt mindestens 2.000 Euro Heizkosten pro Jahr fallen im Plusenergiehaus®, so der Erfahrungswert nach zehn Jahren, nur noch ca. 150 Euro an, die Zusatzinvestition hat sich also für die Besitzer bereits amortisiert. Zusätzlich mussten noch die Photovoltaik-Anlagen welche bei den Häusern der Solarsiedlung das komplette Süddach bilden finanziert werden. Dass diese sich aus der Einspeisevergütung selbst tragen und nach einigen Jahren dann nur noch Gewinn abwerfen, ist eine Erfahrung, die ja nicht nur in Freiburg, sondern in ganz Deutschland gemacht wurde.
Investoren statt Banken
Als jedoch die Solarsiedlung Ende der 90er Jahre geplant wurde, gab es diese Erfahrungen noch nicht. Die Skepsis war groß, ob eine Siedlung aus Plusenergiehäusern technisch und wirtschaftlich ein Erfolg werden könnte. Keine Bank war bereit, das Risiko einzugehen und das Projekt zu finanzieren. Das Kapital kam stattdessen von einem engagierten Unternehmer, Herrn Alfred T. Ritter, und seiner Schwester Marli Hoppe-Ritter. Ebenso ließ sich kein Bauträger finden, der an das Projekt glauben mochte, und so gründeten die Ritters und Rolf Disch kurzerhand eine eigene Bauträger-Gesellschaft, um das Pionierprojekt aus eigener Kraft zu realisieren und zu vermarkten.
Zum Teil wurden die Siedlungshäuser an Eigennutzer verkauft, zum Teil an Investoren, die sie dann vermieteten. Ein weiterer Teil aber wurde über geschlossene Immobilienfonds refinanziert. Die Idee dahinter war, ethisch und ökologisch akzeptable Anlagemöglichkeiten zu schaffen, an denen sich viele Menschen beteiligen konnten, denen es wichtig war, genau zu wissen, wohin ihr Geld fließt. Denn der ökologische Umbau der Gesellschaft, so Rolf Disch, sei auch ein Prozess des Umleitens von Kapital aus zerstörerischen Segmenten der Wirtschaft hinein in „grüne“ Projekte. Das Sonnenschiff wurde fast vollständig auf diesem Weg refinanziert, und ca. ein Drittel der Gesamtsumme kam von ganz unterschiedlichen gemeinnützigen Stiftungen – wohlgemerkt: als Kapitalanlage, nicht als Förderung. Denn natürlich sind solche Institutionen häufig besonders sensibel dafür, wohin sie ihr Geld geben.
Aussicht
Wie aber geht es weiter, nach zehn Jahren, mit dem Plusenergiehaus®? Es gibt ein EU-Gesetz, nach dem ab 2019 alle Neubauten ihre Energie selbst generieren müssen. Ob das konsequent von Portugal bis Litauen, von Skandinavien bis zum Mittelmeer umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Aber damit ist die Richtung deutlich angezeigt. Auch Bundesbauminister Ramsauer äußerte anlässlich der Eröffnung des „Solar Decathlon“-Gewinner-Hauses – ein studentisches Plusenergie-Projekt der Universität Darmstadt, die inzwischen schon zweimal diesen weltweiten Wettbewerb um das nachhaltigste Gebäude für sich entscheiden konnte – sinngemäß, im Plusenergiehaus® liege eine große Zukunft und das Ministerium werde sich hier engagieren. Insbesondere stellt er sich vor, dass zukünftig das Solardach zur Tankstelle für das Elektroauto wird. Und die Stadt München plant, im Zuge der Bewerbung um die Olympischen Winterspiele mit einem Plusenergie-Olympiadorf ins Rennen zu gehen.
Dass all diese Vorhaben keine unrealistische Zukunftsmusik sind, das zeigt die Solarsiedlung in Freiburg seit zehn Jahren. Wenn das kein Grund zum Feiern ist ...
Das Veranstaltungsprogramm zum zehnjährigen Bestehen des Quartier Vauban finden Sie unter: www.quartiersarbeit-vauban.de
Dr. Tobias Bube