Solares Heizen im Land des Permafrosts
Solararchitektur im Südosten Russlands: Im Südosten Russlands könnte sich eine Kombination von Solar- und Passivhaus in weniger als sieben Jahren amortisieren, hat Professor Pavel Kazantsev ausgerechnet. Doch es fehlt am Vertrauen in die Technik, am politischen Willen – und natürlich am Geld.
Mehr als 1.000 Kilometer nordöstlich von Peking, auf dem selben Breitengrad wie Florenz und gerade einmal 150 km nördlich der koreanischen Grenze liegt die russische Hafenstadt Vladivostok. Sie ist die Hauptstadt der Region Primorje. Dort, an der Fernöstlichen Staatlichen Universität, lehrt Professor Pavel Kazantsev seine Architekturstudenten, wie man energieeffiziente und solar beheizte Häuser baut.
Energieeffizienz ist in Ostrussland nahezu ein Fremdwort. Dennoch sind Solaranlagen angesagt bei den Reichen der Stadt. Kazantsev schätzt, dass in manchen Vororten etwa fünf Prozent der Häuser mit Sonnenkollektoren ausgestattet sind. Oftmals kommen diese nicht aus dem benachbarten China, sondern aus Deutschland. Eine Solaranlage aus Westeuropa als Statussymbol – von einem solchen Image kann die Branche hierzulande nur träumen. „Aber was hilft die Solaranlage, wenn man gleichzeitig einen nach Norden ausgerichteten Wintergarten baut?“, fragt sich Kazantsev. Wo Geld keine Rolle spielt, ist Energieeffizienz leider oft eine Frage der Mode.
Ineffizienter Bestand und Neubau
Ganz anders sieht der Alltag der Durchnittsverdiener aus. Viele der Plattenbauten in der Region entstanden, als die Sowjetregierung schnell billige Unterkünfte schaffen wollte, um Siedler in diesen Zipfel Russlands zu locken. Die Plattenbauten sind nicht gedämmt. Dabei liegt die winterliche Durchschnittstemperatur in der Region, sobald man sich ein Stück von der Küste entfernt, bei –14°C. In manchen Gebieten gibt es Permafrostböden. Der Wind ist eisig, und pfeift besonders stark durch die Straßenschluchten zwischen den Plattenbauten. Wer eine Wohnung hat, die nach Norden ausgerichtet ist, muss bisweilen damit leben, dass es in seinem Wohnzimmer im Winter nicht wärmer als +14°C wird, obwohl in den Zentralheizungen Massen von Öl und sibirischer Kohle verbrannt werden. Das durchschnittliche Einkommen in Vladivostok beträgt umgerechnet 570 Euro. Etwa 140 Euro muss man ausgeben, um eine Zweizimmerwohnung zu beheizen, dazu kommen etwa 15 Euro für Strom. Die Bewohner der Plattenbauten schützen sich vor dem kalten Wind, so gut sie können. Sie pflanzen Bäume und bauen Balkone zu Wintergärten um. Einige Gebäude wurden mittlerweile gedämmt. Doch es sieht nicht so aus, als ob man aus den Problemen gelernt hätte. „Die russische Regierung ist dabei, eine neue Besiedlungswelle anzuschieben“, erzählt Kazantsev. Daran, dass die neuen Gebäude energieeffizienter sind als die alten, haben die Verantwortlichen aber kein Interesse. „Politiker und Unternehmen verdienen gut an den Pipelines und den Ölprojekten im Pazifik, vor allem bei den gestiegenen Energiepreisen“.
Solarhaus für die Mittelschicht
Pavel Kazantsev hat ein Haus entworfen, das weitgehend mit Sonnenenergie beheizt wird, und das trotzdem auch für normale Familien erschwinglich sein soll. Dafür haben ihm die Österreicher der Organisation Energy Globe Foundation gerade einen Preis verliehen.
Das russische Sonnenhaus heißt Solar-5 und besteht aus einer Konstruktion von Holzrahmen. „Es ist kein Meisterwerk, sondern ein normales Haus für normale Vororte“, sagt Kazantsev. Dennoch kostet das Solarhaus umgerechnet etwa 180.000 Euro. Das sind 15 bis 25 Prozent mehr als eines der üblichen Holzhäuser. Für viele Bewohner Vladivostoks liegt auch ein solches Haus weit außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Bisher hat Kazantsev erst einen privaten Kunden für sein Solarhaus gefunden. Das Haus befindet sich gerade im Bau.
Die Mehrkosten machen sich nach Kazantsevs Berechnungen innerhalb von fünf bis sieben Jahren bezahlt. Dabei sind die Solarhäuser auch im Winter leicht auf gemütliche 23°C zu heizen. Hinzu kommt, dass man bei den konventionellen Häusern oft einen Stapel Brennholz, etwa so groß wie das Haus, braucht, um über den Winter zu kommen. Deutsche Häuslebauer würden bei solchen Bedingungen nicht lange zögern. Anders dagegen in Primorje. Denn die meisten der typischen Holzhäuser in den Vororten werden gar nicht von Privatleuten gebaut. Viele Projekte laufen über die russische Regierung. Die versucht, Siedler aus dem Westen Russlands ans Ostende zu locken und baut auch Häuser für Angehörige des Militärs. Zudem schieben große Banken Bauprojekte an. Gemeinsam ist ihnen das geringe Interesse an Energieeffizienz. Die Devise lautet „Hauptsache billig“. Dokumentiert wird wenig, über die Gebäude wie über die Arbeiter. „Die Investoren bauen Häuser und verkaufen sie. Aber wie es weitergeht, wenn die Käufer darin leben, interessiert sie nicht,“ sagt Kazantsev.
Auch die wenigen privaten Bauherren tun sich schwer, in ein Sonnenhaus zu investieren. Obwohl Sonnenkollektoren als schick gelten, ist Solar- und Passivhausarchitektur nicht sehr verbreitet. Man traut ihnen nicht zu, ein ganzes Haus warm zu halten. Die Zinsen für Baukredite sind hoch, bei etwa zehn bis 15 Prozent – da verlässt man sich umso weniger auf etwas, was man nicht kennt.
Design an die Region angepasst
Die meisten Prinzipien von Solar-5 sind altbekannte Grundsätze des energieeffizienten Bauens. Nach Norden hin besitzt das Haus zum Beispiel kaum Fenster. Die Räume auf der Nordseite bekommen Tageslicht durch ein schräg nach Süden ausgerichtetes Oberlicht. Speziell für die Region angepasst hat Kazantsev das Norddach. Es ist so geneigt, dass es dem Wind wenig Widerstand bietet. Zusätzlich dienen mehrere kleine Traufe an der Nordwand als Windbrecher, sodass der Wind weniger Wärme davonträgt. Zusätzlich empfiehlt Kazantsev, auf der Nordseite immergrüne Hecken oder Bäume zu pflanzen oder auch einen Erdwall aufzuschütten. Eine weitere Besonderheit, die der Region geschuldet ist, sind die Stelzen, auf denen das Haus gebaut wird. In einigen Gegenden der Primorje gibt es Permafrostböden. Ohne Stelzen würde der Boden unter dem Haus trotz der Bodenisolierung tauen und das Haus würde absacken.
Die Wände des Solarhauses sind mit einer 20 cm dicken Schicht aus Mineralwolle gedämmt. Insgesamt verliert das Haus mit 94 Quadratmetern Wohnfläche selbst an sehr kalten Wintertagen mit –24°C Außentemperatur nur 7,6 Kilowatt Wärmeleistung an die Umgebung. Selbst an solchen Tagen deckt die Sonnenwärme die Hälfte des Wärmebedarfs. Über die großen Fenster an der Südseite gelangt viel Sonnenlicht ins Innere. Diese passive Solarenergienutzung trägt den größten Teil bei. Die 15 Quadratmeter Sonnenkollektoren sorgen vor allem für warmes Wasser. Wählt man anstelle von Flachkollektoren Vakuumröhren, reicht es auch, um die Heizung zu unterstützen. Das muss nicht unbedingt teurer sein: China, das Heimatland der Röhrenkollektoren, liegt schließlich direkt nebenan. Eine komplette Solaranlage mit vier Marken-Flachkollektoren aus Deutschland kostet mit gut 11.000 Euro in Vladivostok ähnlich viel wie in Europa. Für Marken-Röhrenkollektoren muss man knapp 500 Euro das Stück bezahlen.
Die Kollektoren am Solar-5-Haus sind in einem Winkel von 58° aufgestellt, so dass sie die schräge Wintersonne gut nutzen können. Der flache Teil des Daches bietet Platz für 30 Quadratmeter Photovoltaikmodule mit einer Neigung von 30°. Wer keinen eigenen Solarstrom produzieren will, deckt diesen Teil des Dachs mit galvanisiertem Eisenblech, das schräg auftreffendes Sonnenlicht auf die steil aufgestellten Kollektoren reflektiert. Die Sonnenwärme wird in einem 750-Liter-Tank gespeichert. Reichen Sonne und Speicher nicht aus, um das Haus warm zu halten, hilft ein elektrischer Heizstab mit einer Leistung von sechs Kilowatt. Mit Strompreisen von umgerechnet etwa 4 Cent pro Kilowattstunde ist das in Russland erschwinglich. Dass überhaupt nachgeheizt werden muss, ist allerdings recht selten der Fall. Denn auch wenn in Primorje im Winter ein kalter Wind bläst, scheint die Sonne doch kräftig und verlässlich. Zwischen November und März gibt es normalerweise nur 10 bis 12 wolkige Tage, und im Laufe des Jahres kann man in Primorje mit 1.900 bis 2.400 Sonnenstunden rechnen – deutlich mehr, als man in den meisten Orten in Deutschland erwarten darf. So lassen sich gemäß der Simulation übers Jahr gerechnet 58 Prozent des Wärmebedarfs allein mit der passiven Sonnenenergienutzung decken. Die Kollektoren tragen weitere 23 Prozent bei. Insgesamt stammen also 81 Prozent der Wärme des Hauses Solar-5 von der Sonne.
Solar-5: Mehr als 20 Jahre Entwicklung
Wie der Name erahnen lässt, ist Solar-5 nicht das erste Solarhaus, das Pavel Kazantsev entworfen hat. Er beschäftigt sich bereits seit den 1990-ern damit, energieeffiziente und nachhaltige Gebäude für seine Heimatregion zu planen. Auf die Idee brachten ihn seine Dozenten Olga Obertas und Nicolay Rabov in den 1980-ern. Kazantsevs erstes selbst entworfenes Solarhaus-Projekt Solar-1 ging allerdings in den politischen und wirtschaftlichen Wirren der frühen 90-er Jahre unter. Kazantsevs Engagement tat das keinen Abbruch. Nachdem er 1993 sein Postgraduiertenstudium am Moscow Architectural Institute abgeschlossen hatte, begann er, neben Solarhäusern auch Lehrangebote zu entwerfen. Seit 1999 gibt es an der Universität in Vladivostok Kurse in nachhaltigem Gebäudedesign. Das erste Projekt, das tatsächlich umgesetzt wurde, war ein Supermarkt im Jahr 2005. „Dabei wurde allerdings nur zum Teil Tageslicht, aktive Sonnenenergie und natürliche Belüftung genutzt“, schränkt Kazantsev ein. Im vorigen Jahr wurde mit dem Bau des mehrgeschossigen Solarhauses Solar-Astra begonnen. „Wahrscheinlich wird es das erste fertige Solarhaus sein“, sagt Kazantsev. Die Universität ist gerade dabei, eine Art Modellhaus namens Solar-5M zu errichten. Die Fertigstellung zieht sich allerdings hin, denn das Geld für das aktive Solarsystem ist noch nicht bewilligt.
Für ein ähnliches Haus eines privaten Auftraggebers sind die Fundamente gelegt. Gerne würden Kazantsev und sein Team ein Musterhaus bauen, das interessierte Bauherren besichtigen können. Ein paar mögliche Grundstücke gibt es schon. Aber noch hat sich kein Investor durchringen können, das Projekt zu finanzieren.
Eva Augsten