Die Energiewende in der Krise?
Essay in drei Teilen, Teil 1: Über die gegenwärtige Phase, in der sich die Energiewende befindet. Von ihren Gegnern wird die Energiewende als kostspieliges Unterfangen diffamiert. Die Zahlen – etwa die Billion Euro, von Minister Altmaier in die Welt gesetzt – sind frei erfunden, ein Bashing ganz unverfrorener Art. Die Strompreisbremse, von Umwelt- und Wirtschaftsminister kreiert, basiert nicht nur auf einem Zerrbild der Erneuerbaren, sie erzeugten ein Trommelfeuer von Krisengerede und Untergangsszenarien. Und mittendrin, der Minister Altmaier als rettender Engel, der unablässig versichert, er wolle die Energiewende unbedingt durchsetzen. Welche Energiewende er damit meint, wird bei seinen unzähligen öffentlichen Auftritten kaum gefragt. Wenn Regierung und große Teile der Massenmedien von der Energiewende sprechen, geht es ausschließlich um den Stromsektor. Sie versuchen an aktuellen Problemen mit dem von ihnen verstümmelten EEG, siehe Umlage oder Stromsteuer, anzudocken und nutzen dies für eine Diffamierung der Erneuerbaren in voller Breite. Das gilt übrigens auch für die in der letzten Zeit so hochgelobte Denkfabrik Agora 1), deren zwölf Thesen zur Energiewende sich nur im Kleingedruckten als „Diskussionsbeitrag zu den wichtigsten Herausforderungen im Strommarkt“ zu erkennen gibt. Dagegen scheint es notwendig ins kollektive Bewusstsein zu rufen, es geht nicht nur um die großen deutschen Strommonopole. Auch die internationalen Öl- und Gaskonzerne sind involviert, doch von Exxon oder Gazprom wird in diesem Zusammenhang kaum gesprochen.
Bereit für den Wettbewerb?
Worin besteht nun die vielbeschworene „Krise der Energiewende“? Existiert sie tatsächlich oder erleben wir nur eine der Schlachten im großen Krieg, um mit dem Militärtheoretiker Clausewitz zu sprechen? Die Klärung dieser Frage lässt sich aus zwei gegensätzlichen Perspektiven angehen. Aus Sicht der großen Platzhirsche im Energiesystem, inklusive der Öl- und Gasversorger, oder aus Sicht der Befürworter eines entmonopolisierten, bürgernahen und klimaangepassten Energiesystems, also letztlich der Mehrheit der Bürger in diesem Land. Ganz offensichtlich hat nach rund einem Jahrzehnt EEG die regenerative Stromerzeugung ein Ausmaß angenommen, das für die einst unangefochtenen Monopole existenzbedrohend geworden ist. So meldeten die Agenturen auch Ende März wieder neue Rekorde der Stromerzeugung aus Wind, Sonne und Biomasse. Und diejenigen, die sich vom Krisengerede nicht haben anstecken lassen, verbinden dies mit der nüchternen Feststellung, „dass die Erneuerbaren längst ihre Nische verlassen haben, dass es Zeit wird, sich über Speicher und Netzmanagement Gedanken zu machen und dass die trägen Braunkohle- und Atomkraftwerke wirklich ein Problem bekommen“. Kein Wunder, dass die Vertreter der alten Energiewirtschaft ihre Streitkräfte mobilisieren und großen Druck für ein Rollback machen, verstärkt von den Medien, die in weiten Bereichen nur noch die Rolle der devoten Hofberichterstatter spielen.
Sind die neoliberalen Modelle ausgereizt?
Aus Sicht der Bürger stellt sich die Sache anders dar. Die Jahrzehnte bestehende Einbahnstraße der zentralen Stromerzeugung vom Großkraftwerk zum Verbraucher, mit dem Bürger als Nur-Konsumenten, ist aufgebrochen. Durch das EEG wurden über eine Million Menschen, Gruppen und Institutionen ihrerseits zum Stromproduzenten. Längst macht das Wort vom „Prosumer“ die Runde. Doch das Modell EEG ist gleichzeitig in die Jahre gekommen. Der Verkauf von PV-, Wind- oder Biogasanlagen ging im Wesentlichen als Kapitalanlage vonstatten. Das war sehr erfolgreich und hat den Newcomer-Industrien der regenerativen Stromerzeugung den Start in die Energiewende ermöglicht. Eine Win-win-Situation für die Beteiligten. Unter dem Strich lässt sich sagen, das EEG ist eine Schöpfung des Neoliberalismus, die erfolgreich auf dieser Welle gesurft hat. Über die Förderung von PV-, Wind- und Biomasseanlagen hat man, gewollt oder ungewollt, zusätzliche und konkurrierende Erzeugungskapazitäten geschaffen, die natürlich irgendwann zum Konflikt mit den alteingesessenen Platzhirschen der konventionellen Stromerzeugung führen mussten. Das hat eine technische Seite in Sachen Netzstabilität, aber auch eine wirtschaftliche hinsichtlich der Rentabilität großer, Grundlast fahrender, Kraftwerke - also den Standardanlagen der Konzerne. Da hilft weder ein Kleinreden und Verharmlosen noch der Verweis auf neue Netze oder Speicher. In einer Situation steigender Überproduktion – Deutschland ist in Sachen Stromerzeugung ein Exportland, ähnlich wie in der Automobilproduktion – tritt der Grundkonflikt zu Tage: die beiden Systeme passen nicht zusammen. Dass die Stromkonzerne von dieser Überproduktion via Strombörse profitieren und dass sie diesen Verdrängungswettbewerb in die Nachbarländer verlagern, diese Konsequenz des EEG in seiner jetzigen Form sollte man nicht verschweigen.
Energiewende nur für wenige
Nachdem diese erste Phase der Energiewende erkennbar ihren Zweck erfüllt hat und der Stromsektor eine Art Vorreiter gespielt hat, steht eine neue Phase an und wird zum Gegenstand harter Auseinandersetzungen. Auch dazu zwei Einsichten. Einerseits war die Teilhabe der Bürger an dieser ersten Phase der Energiewende letztlich nur denjenigen vergönnt, die über entsprechende Mittel für eine Geldanlage verfügten. Die große Masse der Besitzlosen und vor allem derjenigen, die im gleichen Zeitraum in prekäre Beschäftigungsverhältnisse abgedrängt wurden, hatte – trotz großer Sympathien – wenig bis nichts damit zu tun. Zum anderen ist das Reservoir derer, die eine grüne Geldanlage suchen, begrenzt. Der Eigenverbrauch muss, technisch wie regulatorisch entwickelt und präferiert werden. Es scheint ein wenig wie bei der Peak-Oil Problematik: Hat man den Gipfel erreicht, lässt der Druck nach und man muss einen gewissen Aufwand betreiben, um das Ziel doch noch zu erreichen. Aber gleichzeitig sollte man die Suche nach neuen Wegen aufnehmen. So gesehen wirft das die Frage nach dem Inhalt einer Reformierung des EEG auf. Reicht eine Fortschreibung aus und kann mit ihr das Megathema Eigenverbrauch verbunden werden? Muss eine neue Phase, eine Energiewende 2.0, nicht auch weitere Energieformen erschließen und vor allem weitere Bevölkerungsschichten in den Genuss einer Verbilligung der Energie bringen? Sie gewissermaßen exergetisch anpassen sowie sozial verbreitern? Sie muss, wenn sie nicht auf halber Strecke an Erschöpfung zusammenbrechen will.
Wachstum versus Einsparung
Wir müssen uns eingestehen, die bisherige Herangehensweise an die Energiewende hat in Kauf genommen, dass der viel größere Bereich der Wärme- und Kälteerzeugung unterentwickelt blieb. Um es klar zu sagen: EEG-Strom als renditesichere Geldanlage befand sich in Übereinstimmung mit der herrschenden Wirtschaftslehre, bestimmt von dem Glauben, der Markt würde alles voranbringen, „solange die Rendite stimmt“. Das Konstrukt Einspeisevergütung und Abnahmegarantie für den zusätzlich produzierten Strom, die wie ein großer Fond mit gesetzlicher Absicherung wirkte, Degression als Entwicklungsstimulanz inbegriffen, war durchaus genial. Doch wie lies bzw. lässt sich der Aspekt der Energieeinsparung und der Energieeffizienz mit einem solchen Modell verbinden? Lässt sich Energieersparnis als Renditemodell verkaufen? Wie es aussieht gar nicht. Trotz unzähliger Debatten um Klimaschutz, trotz EEWärmeG und einer logischerweise wetterwendischen Förderpolitik entstand am Ende des Tages eine höchst widersprüchliche Situation: EEG-Strom, gepuscht als Kapitalanlage, generiert Wachstum. Einspartechnologien, oder sagen wir Einsparversuche, hingegen nicht, sieht man von den Investitionen bei der Herstellung ab. Energiesparen dämpft Wachstum vor allem für die Kohle-, Öl- und Gasversorger. Dass Energieeinspartechnologien wie etwa solare Wärme, aber auch Motor-BHKW nicht sexy sind, um einen Spruch von Berlins Wowereit anzuwenden, sondern ausgesprochen negativ für die Wachstumsfetischisten. Das ist keine Polemik, sondern traurige Realität, die sich an den Verkaufszahlen der entsprechenden Hersteller ablesen lässt. Auch wenn man bei der Solarthermie gerne vom schlafenden Riesen fabuliert, ist sie nicht zufällig der kleine Bruder der PV geblieben, der vor sich hin darbt. Stattdessen werden Gasbrennwertgeräte nach wie vor mit großem Aufwand erfolgreich in den Markt gepresst.
Ohne Wärme wird nichts mehr voran gehen
Versucht man dies auf Zielgruppen umzubrechen, wird die Problematik noch deutlicher. Der großen Masse der Mieter, die in schlecht gedämmten Gebäuden mit veralteten Wärmeerzeugungsanlagen wohnen, würde eine Senkung der Heiz- und Warmwasserkosten gut tun. Für viele wäre dies nachgerade eine soziale Wohltat, um das Loch in den Geldbeuteln zu schließen oder zumindest nicht noch größer werden zu lassen. Aber all das passiert kaum bzw. muss sich gegen große Widerstände durchsetzen. Auch wenn die EnEV im Laufe der Jahre verschärft wurde, lässt sich dabei kaum von einem wirksamen ordnungsrechtlichen Rahmen sprechen, der vor allem in der Breite für erneuerbare Wärmetechnik gewirkt hätte. Im Gegenteil. Die Konzentration auf den numerisch unbedeutenden Neubau verrät eine politische Absicht. Die niedrige Modernisierungsrate, die inzwischen auf unter einem Prozent liegt, ist nicht einfach „bad governance“. Sparen passt ebenso wenig zum neoliberalen Glaubenskanon wie Lohnerhöhungen, steigende Bildungs- oder Sozialleistungen. Im Laufe der Zeit ist die Grundüberzeugung, dass die Erneuerbaren billiger sind als die Fossilen, weggequatscht worden. Dass eine warmmietenneutrale Modernisierung mit Erneuerbaren im Bestand problemlos möglich ist, ebenso.
Im gegenwärtigen Stadium der Energiewende ist diese also auch von sozialen Gegensätzen geprägt. Vor allem diejenigen, die die Energiewende zur Verbesserung ihrer sozialen Lage bräuchten und diese Hoffnung ja zum Teil bis heute im Herzen tragen, werden in ihrer Erwartungshaltung noch immer alleine gelassen. Stattdessen versuchen die Väter des Energiewende-Bashing diejenigen, die von den Erneuerbaren erkennbar nicht profitiert haben gegen jene ins Feld zu schicken, die sich bereits auf diesen Weg begeben haben. Nach altbekannter Manier wird versucht zu spalten, den mittelständische Geldanleger (der Zahnarzt am Starnberger See) gegen sozial Schwache (Hartz IV Empfänger im Ruhrpott) auszuspielen, um so vom eigentlichen Problem, den Monopolstrukturen im Energiesystem und im Kohle-, Öl- und Gasgeschäft abzulenken. Das schüchtert Anhänger und Aktivisten der Energiewende ein, zum Teil ist auch Ratlosigkeit zu spüren. Nicht erstaunlich angesichts einer Lage, in der der zukünftige Weg der Energiewende noch ohne klare Kontur ist. Fährt Schwarz-Gelb und die Phalanx der RWE, Exxon, Gazprom und Co. die Energiewende gegen die Wand bzw. funktionalisiert sie zu ihren Gunsten wieder um? Schaffen es die Monopolisten, ihre ehemals beherrschende Marktstellung durch neue Geschäfts- und Marktmodelle zu rekonstruieren, die dann eben mit regenerativen Kraftwerken arbeiten oder lässt sich das verhindern?
Energiesparen und Effizienz sind die neuen Prämissen
Dies ist vor allem eine Frage der Perspektive. Denn die destruktive Politik der Bundesregierung reicht nicht so weit, wie manche befürchten. Betrachtet man die ständig stärker werdenden Aktivitäten der 100?% EE-Regionen in Deutschland oder auch die Pläne einiger Landesregierungen, so zeigt sich ein differenziertes Bild. Es ist längst eine Bewegung entstanden, die weniger marktverliebten Theorien nachläuft, sondern nüchtern nach Einspareffekten und Energieeffizienz sucht. Dementsprechend spielt das Thema Wärme- und Kälteerzeugung eine wesentlich größere Rolle. Aber auch der Gedanke der Wertschöpfung innerhalb der eigenen Region, der Arbeitsplätze sowie der sozialen Auswirkungen einer Einführung der Erneuerbaren vor Ort, in den Kommunen und Regionen bekommt einen größeren Stellenwert. Mehr als die Frage der Geldanlagen. Hört man genau hin, so tut sich gerade hier ein politischer Widerspruch auf, von dem offenbar alle politischen Parteien betroffen sind. Nicht dass man von einer Abkehr vom Neoliberalismus sprechen könnte, aber den Nimbus als Wunderwaffe haben die Marktradikalen längst verloren. Skepsis und Ernüchterung sind eingekehrt. Kommunalpolitiker selbst der CDU begründen ihr Engagement für die eigene 100?% EE-Region damit, dass sie darin ein Beschäftigungsförderungsprogramm sehen. Manch einer, wie etwa der Landrat des Rhein-Hunsrück-Keises, Betram Fleck (CDU), bekennt sich zu einer keynsianischen Sichtweise, und räumt ein, dass er damit keine Freunde in seiner Parteizentrale findet.
Energiepolitik selbst gemacht
Unabhängig davon wie die Bundestagswahl im September ausgehen wird, ist klar, die Apologeten des Neoliberalismus werden genauso wenig verschwunden sein wie die Macht der Energiemonopole, auch wenn einige angeschlagen sind. Aber alle zukünftigen Regelungen, seien es Gesetze, Verordnungen oder auch Förderungen, werden der regenerativen Wärme und dem Aspekt der Energieeinsparung mehr und mehr Vorrang einräumen müssen. Ob damit eine Renaissance anderer Wirtschafts- oder Gesellschaftstheorien verbunden sein wird, bleibt dahingestellt. Letztlich kann jeder Bürger eine eigene Begründung für seine Präferenzen entwickeln. Aber der Sparzwang auf den unteren Ebenen des Staates, vor allem aber auch in verarmenden Teilen der Gesellschaft, hat diese Rolle der Erneuerbaren längst wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Die Sonne schickt keine Rechnung, so das Ceterum censio von Franz Alt, und er hat Recht. Die Energiewende als Teil einer Bürgerbewegung in unserer Zivilgesellschaft erlebt gegenwärtig eine Renaissance, auch wenn manche dies noch gar nicht wahrgenommen haben. Sie erfordert nicht nur neue Bündnisse, diese sind schon längst dabei, sich zu bilden bzw. arbeiten längst erfolgreich. So haben sich die 100?% EE-Regionen bereits auf 20 Prozent des Bundesgebietes ausgedehnt, die Bewegung der Stadtwerke hat schon längst die deutschen Metropolen erreicht, siehe Hamburg oder Berlin. Sie propagieren Konzepte, die nicht mit den riesigen Stromautobahnen und den Windparks auf See zusammenpassen, sondern ihre regionalen und dezentralen Verknüpfungen, auch die von Strom und Wärme, ins Zentrum ihres Wirkens setzen. Ihr Interesse an Speichern und Netzen ist komplett anders ausgerichtet, dezentral und kleinteiliger, auch wenn Konzepte wie das des dänischen Smart District Heating ohne Fossile noch nicht so weit fortgeschritten sind. In Dänemark werden sogar Öl- und Gaskessel in Neubauten verboten, eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die in Deutschland noch undenkbar ist. Noch!
Das alles bedeutet aber auch, dass sich die Auseinandersetzungen um eine Energiewende verschärfen werden. Der Impetus vieler Bürger, wenn „die da oben Energiewende nicht wollen oder nicht können, dann tun wir sie eben selber“, wird mit den Interessenswaltern der Energiemonopole zusammenprallen. Als Bürgerbewegung – wohlverstanden im Sinne von Citoyen, nicht von Bourgeois – wird das den Charakter der Energiewendebewegung in Zukunft noch stärker prägen. Energieerzeugung in Bürgerhand, vom eigenen Haushalt bis zur Region, dezentral, effizient, sozial und klimafreundlich, das muss erst noch erkämpft werden. Jeremy Rifkin, amerikanischer Ökonom und Vordenker einer Transformation des Energiesystems, hat dies kürzlich in einer Videobotschaft an die Energy Storage Konferenz mit der IT-Revolution verglichen. Die fing mit zentralen Großrechnern an (wer kennt die noch?) und besteht heute aus vielen Millionen von vernetzten PCs. Eine neue Etappe, die Energiewende 2.0, steht an, nichts mehr und nichts weniger.
Fußnote
1) Im Rat der Agora sitzen Bundes- und Landespolitiker, Unternehmens- und Gewerkschaftsvertreter, die Präsidenten von Bundesnetzagentur und Umweltbundesamt, Energiemanager wie Verbraucherschützer, Vertreter von stromintensiven Unternehmen genauso wie die der Erneuerbaren. Man verfügt für den Zeitraum 2012 bis 2017 über ein Budget von rund zwölf Millionen Euro.
Klaus Oberzig