Sozialverträgliche Energiewende?
Die Transformation umweltfreundlich, wirtschaftlich und sozialverträglich gestalten durch eine gerechte Verteilung der Einkommen und Lasten. Eine Übersicht und Bilanz der in den Jahren 2011 und 2012 geführten Auseinandersetzungen. Teil 2: Kosten, die den Erneuerbaren angelastet werden
Der erste Teil in Heft 1/2013, behandelte die notwendigen Maßnahmen zur Bewältigung der Generationenaufgabe „Energiewende“, die Kosten der konventionellen Energien und die Irreführungen bei den Themen „Stromlücken“ und „Hohe Strompreise“. Der folgende zweite Teil berichtet über Kosten, die nicht den Erneuerbaren Energien zuzurechnen sind, und den damit verbundenen Versäumnissen, Unredlichkeiten und Missbräuchen sowie von Klientelpolitik.
Kosten, die den Erneuerbaren angelastet werden
Dem Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) gebührt das Verdienst, die Diskussion um die vermeintlich hohen Kosten der EEG-Umlage zu versachlichen. Er machte die Kostenstruktur der Umlage einmal transparent. Danach betreffen von den im Jahr 2013 erhobenen 5,3 ct/kWh nur 2,3 ct/kWh die eigentlichen Erneuerbaren Energien; das sind 43 %. Mehr als die Hälfte hängt mit den Erneuerbaren gar nicht zusammen.
Der Anstieg der Umlage von 3,6 ct/kWh im Jahr 2012 auf 5,3 ct/kWh im Jahr 2013 beträgt 1,7 ct/kWh. Davon betreffen nur 0,2 ct/kWh (2,1 auf 2,3) die Erneuerbaren. Das sind gerade einmal 12 % des Preisanstiegs von 2012 auf 2013. Dieser geringe Betrag entspricht nur einem halben Euro pro Monat und Haushalt – eine äußerst profitable Investition in die Zukunft.
Die Umlage ist also künstlich durch artfremde Kosten aufgebläht, sie wird aber den Erneuerbaren Energien, insbesondere der Photovoltaik, komplett angelastet. Auf der Energieversorgerseite beruhen diese Kosten auf Versäumnissen, Unredlichkeit, Missbräuchen und überzogenen Gewinnansprüchen und auf der Regierungsseite auf staatlich gewollten Rabatten und Vergünstigungen für die Energieversorger und die stromintensive Industrie.
Kosten seitens der Energieversorger
Versäumnis: Netzausbau
Das Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) gibt es bereits seit zwölf Jahren. Die Entwicklung hin zu einer umweltverträglicheren Energieversorgung hätte also bekannt sein müssen. Die Verantwortlichen haben aber nicht an das Wachstum der Erneuerbaren geglaubt. Sie haben lange die Entwicklung ignoriert, obwohl bereits in den Anfangsjahren Wind und Sonne den Konventionellen jährlich 1 bis 2 %-Punkte am Stromverbrauch abgejagt hatten.
Darüber hinaus gab es laut der Bundesnetzagentur schlimme Missstände: Die Netzbetreiber rechneten anfallende Kosten doppelt und dreifach ab. Die Netzagentur hat zwar die zulässigen Netzentgelte ständig gesenkt, was dabei aber gespart wurde, haben die Netzbetreiber vor allem beim Vertrieb, den die Agentur nicht regulieren darf, wieder drauf geknallt.
Während der ersten Dekade dieses Jahrhunderts, also schon zur Zeit der Liberalisierung, haben die Energieversorger die Stromnetze nur in einem unbedingt notwendigen Maße ertüchtigt und ausgebaut. Manche sagen sogar: Sie haben von der Substanz gelebt. Die dadurch anfallenden Gewinne gingen an die Anteilseigner statt in einen zukunftsorientierten Netzausbau. Die Folgen: Immer öfter müssen Ökostromkraftwerke in windstarken und sonnenreichen Zeiten abgeregelt werden, weil die Netzkapazität nicht mehr ausreicht. Die dazu erforderlichen Ausgleichszahlen müssen nicht etwa diejenigen übernehmen, die den Netzausbau versäumt haben, sondern erneut die Endkunden.
In den nächsten Jahrzehnten sind deshalb 20 Mrd. Euro für einen Netzausbau notwendig, eine vergleichsweise kleine Summe, die einer Preiserhöhung von 0,36 ct/kWh entspricht (BEE).
Unredlichkeit: Kosten für Endverbraucher
Trotz des Abschaltens von acht Atomkraftwerken fallen die Strompreise an der Leipziger Börse. Der Grund: Die Erneuerbaren Energien ersetzen zunehmend teuren Spitzenstrom. Davon profitieren die stromintensiven Betriebe gleich zweimal: Zum einen durch den Einkauf billigen Ökostroms an der Börse, zum anderen durch eine Entlastung von Netzentgelten und der Ökosteuer. Das Paradoxon dabei: Je mehr der Börsenpreis bedingt durch die Erneuerbaren fällt, desto höher ist die EEG-Umlage (Differenzkosten zwischen dem Börsen- und Ökostrom). Hier besteht dringend ein Änderungsbedarf.
Während sich die Industrie über fallende Stromkosten von 6 auf unter 5 ct/kWh im Jahr 2012 freut, steigen die Kosten bei den Kleinverbrauchern stetig an. Das liegt an der unredlichen Vorgehensweise der Energieversorger, Preiserhöhungen gleich weiter zu gegeben, Preissenkungen dagegen nur zum Teil oder vielfach gar nicht.
Laut eines Gutachtens für DIE GRÜNEN verlangen die Energieversorger allein im Jahr 2012 drei Mrd. Euro zu viel! Der Strompreis könnte also um 2 ct/kWh niedriger liegen entsprechend einem Betrag von 3,30 € pro Monat und Haushalt.
Missbrauch: Verschmutzungszertifikate
Hier geht es um die bisher kostenlose Abgabe von Verschmutzungsrechten für die Energieerzeuger, die einem Gegenwert von jährlich mehr 5 Mrd. Euro entsprechen. Die könnten eigentlich die Stromsteuer um 2 ct/kWh senken (Hess. Wirtschaftsminister Riehl). Die Stromer stellten die gar nicht anfallenden Kosten aber trotzdem in Rechnung (sog. Opportunitätskosten). Das ist so als wenn jemand eine Tafel Schokolade geschenkt bekommt und sie dann an seinen Freund verkauft.
„Die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten war und ist ein schwerer politischer Fehler, der eine gigantische Umverteilung von den Stromkunden zu den Stromproduzenten verursacht hat. Das ist zutiefst unsozial“, so Riehl. Kritik kam auch vom Bund der Energieverbraucher: „Die Stromkonzerne haben den Preis der Emissionszertifikate auf den Strompreis aufgeschlagen, obwohl sie diese Zertifikate vom Staat geschenkt bekamen. Das ist Wahnsinn mit System, das darf einfach nicht wahr sein.“
Gewinnforderungen: Überzogen
Auch im Jahre 2012 fahren die Energieversorger RWE mit 3,6 Mrd. Euro und Eon mit 3,3 Mrd. Euro wieder satte Gewinne ein. Diese sind inzwischen höher als die EEG-Umlage (Franz Alt).
Dieses Zulangen ist kein neues Problem, nur gab es früher noch andere Gründe. So monierte z.B. das Mitglied des Bundestages, Ulrich Kleber, bereits 2006, dass die vier großen Stromversorger Eon, RWE, EnBW und Vattenfall ihre Gewinne innerhalb von nur drei Jahren von 4,6 Mrd. Euro auf 13,5 Mrd. Euro pro Jahr erhöht hätten. „Die Kunden werden abgezockt und alles Mögliche vorgeschoben: Steuern, Weltmarktpreise und Emissionshandel. Die Wahrheit sieht man beim Blick in die Konzernbilanzen.“, so Kleber. Ähnlich wie bei Banken sind jährliche Kapitalrenditen von um die 20 % einfach notwendig. Von solchen überzogenen Gewinnansprüchen, die auch den Strompreis nach oben treiben, können der Mittelstand und die Kleinunternehmer nur träumen.
Kosten seitens der Bundesregierung
Neben den Energieversorgern hat auch die Bundesregierungen ihren Anteil an den Strompreiserhöhungen, die nicht mit den Kosten der Erneuerbaren Energien zusammen hängen. Sie packt in die EEG-Umlage und den Strompreis rein, was gar nicht rein gehört, „bläht die Umlage auf, um sie politisch zu diskreditieren und abzuschaffen“ (BEE). Hier zwei Beispiele:
Sozialisierung privater Risiken und Verluste
Während Windkraftanlagen an Land inzwischen mit 9 ct/kWh zu den preiswertesten Erneuerbaren Energien gehören, ist bei den Anlagen nördlich der deutschen Küste mit 15 bis 19 ct/kWh zu rechnen. Die notwendigen Investitionen und Unwägbarkeiten sind so gewaltig, dass der holländische Netzbetreiber Tennet (kaufte das Netz von Eon) sie alleine nicht mehr stemmen kann. Was liegt da näher als allen Stromkunden eine Haftungsumlage aufzuerlegen. Das ist ein technischer und organisatorischer Risikozuschlag für die Anbindung von Windkraftanlagen in der Nord- und Ostsee an das Festland. Es geht um 1 Mrd. Euro oder +0,25 ct/kWh. Diese Risiken übernimmt aber nicht etwa das Unternehmen selbst, sondern wieder die Gemeinschaft. Das erinnert fatal an die Vorgehensweise bei der Atomkraft und den Banken: Die Gewinne werden privatisiert und die Risiken und Verluste sozialisiert.
Zu diesem Thema gehört auch die Bereitstellung von Notfall-Kraftwerken im Winterhalbjahr, um die Stromversorgung sicher zu stellen. Bisher war das eigentlich eine selbstverständliche Pflicht im Rahmen des Energie-Wirtschaftsgesetzes gewesen. Doch die Kosten dazu zahlen zukünftig nicht mehr die Energieversorger selbst – das würde ja den Gewinn schmälern – sondern wieder die Kleinverbraucher!
Im Hinblick auf die Photovoltaik sagen die Bundesumwelt- und Wirtschaftsminister: „Die Verbraucher dürfen nicht weiter belastet werden.“ Wenn es aber um große Projekte wie die Windkraft auf See geht, die eigentlich nur die Energiekonzerne bewältigen können, dann gilt diese Aussage nicht mehr. Unabhängig davon stuft das Kartellamt die Privilegien für die teuren Meeres-Windkraftanlagen als ordnungspolitisch bedenklich ein.
Entlastung stromintensiver Unternehmen
Die Entlastung der stromintensiven Industrie sorgt am meisten für Unmut, hat sie doch weder etwas mit der EEG-Umlage noch mit dem Strompreis für die Kleinverbraucher zu tun. Diese umstrittene Privilegierung treibt nicht nur die Kosten für die kleinen Endverbraucher in Höhe, sondern verringert bei den Großbetrieben auch den Anreiz zum Einsparen von Energie.
Der Sinn ist, stromintensive Unternehmen, die existenzgefährdet sein könnten und mit einer Abwanderung drohen, die Ökosteuer und Netzentgelte entweder ganz oder fast ganz zu erlassen. Diesen begünstigten Kreis hat die Regierung von Jahr zu Jahr ausgeweitet. Im Jahre 2013 werden es über 2.000 Betriebe sein, die sich bis 2022 aus der Solidargemeinschaft verabschieden. In Ausnahmefällen mag das gerechtfertigt sein, doch viele Firmen sind gar nicht wettbewerbsgefährdet und können gar nicht mit einem Abzug ins Ausland drohen. Zu den privilegierten Strombeziehern gehören nämlich auch Verkehrsbetriebe, Wasserwerke, Molkereien, Brauereien, Geflügelzüchter, Hotels, Gaststätten und selbst Golfplätze und der Deutsche Wetterdienst. Von gefährdeten Industriebetrieben kann da längst keine Rede mehr sein.
Laut Bundesnetzagentur verbrauchen die begünstigten Betriebe 18 % des Stroms, zahlen aber nur 0,3 % der EEG-Umlage. Die Subventionen sind inzwischen schon auf 5 Mrd. Euro entsprechend 1,3 ct/kWh angestiegen (UBA/BEE). Die Lasten tragen zu 33 % die Stromkunden des unteren Mittelstandes und der Haushalte und zu 67 % der Steuerzahler (Arepo-Consult). Dagegen klagen zurzeit zwei Netzbetreiber.
Das Kartellamt bezeichnet die ausufernde Befreiungsregelung stromintensiver Betriebe „als einen ordnungspolitisch schwierigen Weg“ und fordert den Abbau der Subventionen. Es sinke der Anreiz, eine erhöhte Energieeffizienz anzustreben. Einige ließen sogar schon die Maschinen über das Wochenende laufen, um mit dem erhöhten Stromverbrauch in die Privilegierung oder eine höhere Begünstigungsstufe zu kommen und damit die Kosten zu senken, wie Greenpeace berichtet.
Ein beachtlicher Teil der großen Stromverbraucher hat sich bereits aus dem Solidarprinzip verabschiedet. Und es werden immer mehr. Das ist erneut ein Beispiel unsozialen Handelns. Auch Klaus Töpfer, ehemaliger Bundesumweltminister, sieht das so. Er bezweifelt, ob die zahlreichen Vergünstigungen für Unternehmen berechtigt sind: „Das treibt den Strompreis nach oben und gefährdet die Akzeptanz der Energiewende.“ Holger Krawinkel, oberster Verbraucherschützer in Berlin ist deutlicher: „Das ist eine Dreistigkeit ohne Beispiel. Die Last verteilt sich auf immer weniger Schultern.“
Schlussbemerkungen
Was bleibt ist eine Unredlichkeit der Politiker auf der einen Seite, nämlich ständig größere Anstrengungen zu fordern, den Anstieg der Erderwärmung auf 2°C zu begrenzen mit dem Hinweis, dass die derzeitigen Maßnahmen unzureichend sind (Peterberger Klimadialog/Altmeier und UN-Klimakonferenz Katar), und auf der anderen Seite den Ausbau der Erneuerbaren Energien schlecht zu reden, ja auszubremsen, indem man ihnen immer neue, artfremde Lasten aufbürdet.
Warum thematisieren nur so wenige auch die Chancen der Erneuerbaren und deren Nutzen? Warum werden die Kosten der Energiewende nicht auf alle Schultern verteilt? Die Energiewende könnte dann sehr wohl sozialverträglich bewältigt werden.
Dr. Falk Auer