Energiewende auf den Kapverden
Die kapverdischen Inseln sind bisher extrem abhängig von teuren Dieselimporten. Doch nun soll ein neuer Windpark die Energiewende und damit mehr unabhängigkeit für das Archipel herbeiführen.
An jedem neuen Morgen das gleiche Ritual: Francisco Lopes geht, nur in Badehose gekleidet und mit Schwimmbrille ausgerüstet, den kurzen Weg von seinem Hotel zum kleinen Bootsanleger von Santa Maria. Nach einem small-talk mit einheimischen Fischern und einem kurzen Strecken und Dehnen springt der fitte Mittfünfziger kopfüber in die Fluten des Atlantiks. Zwischen Fischerbooten und dem Sandstrand krault Lopes seine Bahnen. „Gestern Abend war ich auf einer Hochzeit, da habe ich viel gefeiert, deshalb bin ich heute ein bisschen schneller als gewöhnlich aus dem Wasser“, sagt der Hotelbesitzer lächelnd, ja fast entschuldigend, als er sich nach seinem morgendlichen Bad im frischen Meer unter die Dusche stellt, die sich neben dem Pool im Innenhof seines Hotels Nha Terra befindet.
Erste, wenige Solaranlagen
Warmes Wasser schießt aus dem Duschkopf. Die Wärme kommt direkt vom Hoteldach, auf dem der Hotelier vor Kurzem eine solarthermische Anlage aus Portugal errichtet hat. Sie erzeugt so viel Wärme, dass er für gewöhnlich den Warmwasserbedarf seines 25-Zimmer-Hotels decken kann. Lopes ist zufrieden mit seiner 35.000 Euro teuren Investition. Spart er doch hohe Stromkosten, die er früher durch den Betrieb eines Durchlauferhitzers bezahlen musste. „Der Strom hier auf der Insel Sal ist sehr teuer“, erzählt der Hotelier, „wir zahlen an den staatlichen Versorger Electra pro Kilowattstunde umgerechnet rund 25 Eurocent.“ Die Stromtarife liegen damit trotz niedriger Einkommen deutlich über dem europäischen Durchschnittsniveau.
Dennoch steckt die private Nutzung der Solarthermie auf Sal wie auf allen anderen kapverdischen Inseln noch in den Kinderschuhen. Dies beweist der Blick vom Hoteldach über die Dächer von Santa Maria. Nur eine Handvoll Gebäude fangen auf dem sonnenverwöhnten Ort die Sonnenstrahlen ein. Photovoltaikanlagen gibt es keine. Doch ist sich Lopes sicher, dass sich das angesichts weiter steigender Strompreise schon bald ändern wird. Zum einen steigt der Energie- und Wasserbedarf in Santa Maria unaufhörlich, das sich im Übrigen innerhalb zweier Jahrzehnte vom verschlafenen Fischerort mit knapp 2.000 Seelen zu einem Ferienort mit 17.000 Einwohnern entwickelt hat. Außerhalb des Ortes haben europäische Hotelketten zwei große Hotelkomplexe hingesetzt; zudem zeugen viele Baukräne von weiteren touristischen Projekten, wovon allerdings einigen die Puste ausgegangen ist. „Die internationale Finanzkrise ist an uns nicht spurlos vorbeigegangen“, sagt Lopes und verweist auf das große Gelände direkt vor seinem Hotel. Dort sollte ein großer Ferienkomplex mit Hotels, Einkaufsmeilen und Pools entstehen, doch machten die Investoren Pleite, bevor überhaupt das erste Fundament gegossen wurde. Zum anderen basiert die Energieversorgung auf der trocken-heißen Insel 500 Kilometer vor der Küste Westafrikas noch weitestgehend auf den Betrieb von Dieselgeneratore; unverständlich daher, dass die neuen Hotelkomplexe noch nicht einmal mit Solarthermie ausgestattet sind.
Trinkwasser für die Touristen
Je mehr Feriengäste, desto mehr Wasserverbrauch. Da auf Sal keine Süßwasserreservoirs existieren, müssen die Insulaner in Entsalzungsanlagen Meerwasser zu Trinkwasser aufbereiten. Das ist ein sehr energieintensiver Prozess. Immerhin gibt es seit letztem Jahr eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 2,5?MW, die seitdem grünen Strom für die Entsalzung beisteuert. Umso bemerkenswerter ist deshalb die Tatsache, dass zwei Mitte der neunziger Jahre aufgestellte Windenergieanlagen seit geraumer Zeit außer Betrieb sind. Nördlich der kleinen Hafenstadt Palmeira, wo Fischer an der Hafenkante ihren Tagesfang ausnehmen und in Kisten verladen und wo Tanker Diesel, Flüssiggas und Flugbenzin für den internationalen Flughafen auf Sal in große Tanks abpumpen, stehen zwei 450 kW-Anlagen still und verwaist in der wüstenartigen Landschaft. Das Meer ist nur einige hundert Meter entfernt und eine steife Brise weht über die karge Ebene. Das Wind-Tandem gibt kein optimistisches Bild ab: Während die Flügel bei der einen Anlage still stehen, liegt bei der zweiten der Rotorstern untätig auf dem steinigem Boden. In Zeiten niedriger Ölpreise zeigte der staatliche Versorger Electra offenbar nur wenig Interesse daran, die eigenen Maschinen, die einst über ein Entwicklungshilfeprojekt kamen, wieder ans Netz zu bringen. Auf zwei weiteren Inseln sind ebenso stillstehende Anlagen zu sehen.
Das kapverdische Stromeinspeisegesetz
Doch zwingen die dramatisch gestiegenen Importpreise für fossile Brennstoffe jetzt zum radikalen Umdenken. So hat sich die kapverdische Regierung das ambitionierte Ziel gesetzt, bis 2015 rund 25 Prozent und bis 2020 sogar die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen zu produzieren. Um das zu erreichen, hat das kapverdische Parlament nun ein Gesetz verabschiedet, das den staatlichen Versorger Electra verpflichtet, den Strom aus erneuerbaren Energieanlagen in jedem Fall abzunehmen. Allerdings fehlen fixe Einspeisevergütungen. Während privaten PV-Anlagenbetreibern ihr ins Netz eingespeister Strom zum Teil bei der Stromrechnung gutgeschrieben wird, müssen gewerbliche Betreiber die Vergütung ihrer Kraftwerke von Fall zu Fall mit dem Versorger aushandeln. Dennoch verleiht das neue Gesetz potentiellen Investoren größere Sicherheit.
Windkraftanlagen im zweiten Anlauf
Und in der Tat soll noch in diesem Jahr mit dem Windenergieprojekt Cabeolica eine Leistung von 28 Megawatt ans Netz gebracht werden. Und zwar auf den Inseln Santiago (10 MW), Sal (8?MW) Sao Vicente (6 MW) und Boa Vista (4 MW). „Die Fundamentarbeiten haben auf der Insel Santiago schon begonnen“, erzählt Martin Lugmayr. Es werden zwölf 850?KW-Turbinen zum Einsatz kommen. „Die Wahl fiel auf diese kleineren Anlagen, da es auf den Kapverden an Spezialkränen fehlt und die Transportwege für die Multimegawattklasse nicht geeignet sind“, so Lugmayr weiter. Der Österreicher, der früher das Energieprogramm der Österreichischen Entwicklungshilfeagentur Austrian Development Agency (ADA) leitete, arbeitet im Auftrag der United Nation Industrial Development Organization (UNIDO) als technischer Experte beim ECOWAS Regional Centre for Renewable Energy and Energy Efficiency (ECREEE). Das Zentrum ist von der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, in der 15 Staaten vereint sind, mit Unterstützung von Österreich, Spanien und UNIDO aufgebaut worden. Die ECREE hat die große Aufgabe, in ganz Westafrika erneuerbare Energievorhaben und Maßnahmen im Bereich der Energieeffizienz voranzutreiben. Außerdem ist ein Ausbildungszentrum für den Einsatz von effizienten Technologien geplant. „Die Kapverden sind für die Agentur ein idealer Standort. Das Land ist politisch stabil, hat gute Internetverbindungen und erlebt durch den Tourismus einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die hohen Stromgestehungskosten und das politische Bekenntnis sind hier ein guter Boden, um die Energiewende zügig umzusetzen“, blickt ECREEE-Mitarbeiter Lugmayr optimistisch in die Zukunft.
„Die kapverdische Stromversorgung hing bis vor Kurzem noch zu über 90 Prozent von Diesel und Schweröl ab“, klagt Lugmayr. Deshalb habe der staatliche Versorger Electra in den vergangenen Jahren ständig neue Defizite eingefahren, die vom Staat, der selbst keine Reserven hat, beglichen werden mussten. Nun bricht eine neue Ära an. Mit mehreren Solar- und Windenergieprojekten zugleich verfolgen die Inseln jetzt einen nachhaltigen Pfad. „Dabei ist das Windparkprojekt Cabeolica der wichtigste Schritt, hierzulande von fossilen Brennstoffimporten unabhängiger zu werden“, misst Lugmayr dem Bau der rund 65 Millionen Euro teuren Investition eine hohe nationale Bedeutung bei. Die Windkonditionen sind auf den kapverdischen Inseln geradezu traumhaft: Die durchschnittliche Windgeschwindigkeit beträgt offshoreverdächtige zehn Meter pro Sekunde. Aber nicht nur viel Wind weht auf den landschaftlich reizvollen Inseln, es scheint dort auch viel Sonne: Beispielsweise wird auf der Insel Santiago die durchschnittliche tägliche Solarstrahlung auf 6,25 kWh/m2 beziffert. Trotzdem ist Photovoltaik – wie in Santa Maria auf Sal – im Bereich privater Nutzung noch eine absolute Randerscheinung. Dagegen beweist eine weitere 5 MW große Photovoltaikanlage auf Santiago, das auch diese vergleichweise kostenintensive Technik seinen Beitrag für eine zukünftige fossilfreie Energieversorgung auf den Kapverden leisten kann.
Für die gegenwärtige Windenergieoffensive ist der in London ansässige Projektentwickler Infraco verantwortlich. Er hat in Kooperation mit der kapverdischen Regierung ein in ganz Westafrika bisher einmaliges private-public-partnership Modell aus dem Boden gestampft. Infraco bringt über die Private Infrastructure Development Group (PIDG) – ein internationales Geberkonsortium – eigene Finanzmittel ein und hat nach jahrelangem Ringen diverse Kredite aus verschiedenen Töpfen, unter anderem der Afrikanischen Entwicklungsbank und der Europäischen Investitionsbank (EIB), locker machen können. „Mit diesem Projekt übernehmen die Kapverden eine Vorreiterrolle in der Erzeugung von Erneuerbaren Energien in ganz Westafrika. Unsere Kooperationsstruktur zwischen Staat und Privatwirtschaft wird derzeit aufmerksam studiert und wird schon bald Ableger in der westafrikanischen Region finden“, ist der Projektmanager von Cabeolica, Fabio D. Borba, überzeugt. Zwar sind die Windparks noch nicht am Netz, doch eilt dem Vorhaben schon jetzt eine große Resonanz voraus: Cabeolica erhielt im März in Johannesburg den Africa Energy Award 2011.
Inselnetz nach europäischem Vorbild
Obgleich man den Abend nicht vor dem Tag loben sollte, werden die Kapverden mit diesen 28 Megawatt einen erheblichen Anteil ihrer bisherigen Energiekosten langfristig einsparen. Allerdings wird mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien das zukünftige Management des Netzes die zentrale Herausforderung für die insulare Energiewirtschaft werden. Zumal schon heute im heißen Sommer das Netz immer wieder zusammenbricht. Doch können die Insulaner im Atlantik auf vielfältige Erfahrungen einer ganzen Reihe von europäischen Inseln zurückgreifen. So haben die Eco-Islands, zu denen unter anderem Elba, Pellworm und Hiiumaa gehören, schon in den Neunziger Jahren energieautarke Energiekonzepte mit Sonne, Wind und Biomasse entwickelt. Und auch das von der EU geförderte Islenet, in dem sich mehr als 60 europäische Inseln für mehr nachhaltiges Wirtschaften vernetzen, kann sicherlich ein guter Ratgeber sein.
Denn die Touristen verhalten sich auf europäischen Inseln ähnlich wie auf den kapverdischen: Sie duschen alle zur gleicher Zeit. Entweder nach einem langen Strandtag abends und oder, wie im Fall des Hoteliers Lopes, am frühen Morgen. So gibt es hohe Verbrauchspitzen in relativ kurzen Zeiten. Deshalb muss die Windenergieoffensive, so Lugmayr, „parallel einhergehen mit einer energieeffizienten Modernisierung bestehender Wärme- und Kälteapparate.“ Oder man macht es so wie Lopes. Investiert in Solarthermie und entkoppelt sich vom Strom.
Kapverden
Das Inselarchipel liegt rund 500 Kilometer westlich vor dem afrikanischen Kontinent. Die rund 500.000 Einwohner leben auf zehn der insgesamt zwölf Inseln. Die größte ist Santiago, auf der sich die Hauptstadt Praia befindet.
Die Kapverden errangen 1975 ihre Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Portugal. Aufgrund der klimageografischen und geophysischen Lage verfügen die Kapverden über nur geringe landwirtschaftliche Ressourcen. Zudem werden die Fischerei-Potentiale nur mäßig genutzt. So müssen rund 80 Prozent aller Nahrungsmittel importiert werden. Trotzdem leben rund 40 Prozent der Menschen im ländlichen Raum. Erschwerend kommt hinzu, dass auf vielen Inseln akuter Wassermangel herrscht, dem man durch Meerwasserentsalzungsanlagen zu entgegnen versucht. Die Wirtschaft ist sehr dienstleistungsorientiert. Handel, Transport, Tourismus und der öffentliche Service bestreiten Dreiviertel des Bruttosozialprodukts. Trotzdem weisen die Statistiken ein Wachstum aus. Im letzten Jahr wuchs die kapverdianische Wirtschaft um 4,5 Prozent, nicht zuletzt deshalb, weil sich die kapverdische Regierung in den letzten Jahren konsequent bemüht, ausländische Investoren anzulocken. Im Zuge dessen steigen auch die Nettoeinkommen der Kapverdianer, obwohl das durchschnittliche Jahreseinkommen pro Kopf bei niedrigen 3.700 Dollar liegt.
Dierk Jensen