Fossile Heizungen - Wie lange noch?
Das Ableben einer überholten Technologie verzögert sich: Heizungswechsel zum Hammerpreis!“ Unter dieser Headline bieten BILD und Viessmann, der bekannte Hersteller von Heiztechnik-Systemen, seit Mitte Oktober 2011 den Gas-Brennwertkessel Vitodens 200-W (4,8–19 kW) an. Für 5.740 Euro Komplettpreis (inkl. Einbau) abzüglich Effizienzprämie von 1.250 Euro, also 4.499 Euro, wird das Dumpingangebot als „Modernisierungspaket“ bejubelt: „Diese Heizung hat richtig was auf dem Kasten!“ Vor einem Millionenpublikum lässt der Heizungsbauer seine überholte Technik von der Springer-Presse mit dem Etikett „modern“ und „effizient“ aufpeppen. Kein Wort über den Verbrauch des Ladenhüters, also die steigenden Betriebskosten beim Erdgas, die bei einer ganzheitlichen Life-Cycle-Kostenbetrachtung zu Buche schlagen. Kein Wort über wirtschaftliche Kombination mit einer Solaranlage. Und kein Wort über die Emissionen. Die BILD-Viessmann Connection nennt dies stattdessen „Modernisierungsoffensive“. Ein genialer Marketing Act oder ein Trauerspiel? Auf alle Fälle ein exemplarisches Stück bundesdeutscher Wirklichkeit.
Es bleibt erst mal (fast) alles beim Alten
Fossile Heizungsanlagen sind immer noch die Hauptakteure bei Raumheizung und der Warmwassererzeugung und dank solch rückwärtsgewandter Verkaufaktionen werden sie es noch lange bleiben. Wie sagte ein bekannter Branchenvertreter auf der letzten VDI-Fachtagung Solarthermie so schön? „Ein Heizkessel ohne Kombination mit einer Solaranlage ist unterlassene Hilfeleistung!“ Er kam übrigens auch von der mit BILD liierten Firma. Doch blicken wir von der Marketingbühne auf die Fakten. Fossile Heizungsanlagen inklusive Fernwärme verheizen über 87 Prozent der Energie, die wir in unseren Wohngebäuden verbrauchen. Und sie haben eine Lebensdauer von rund 20 Jahren. Ihre Bedeutung bleibt auch deswegen über die kommenden Jahrzehnte ungebrochen, obgleich die Bewegung hin zu den Erneuerbaren unübersehbar ist. Die These, dass die Tage der Fossilen gezählt sind, mag zwar richtig sein, bleibt zugleich aber diffus. Zu unsicher sind die Umstände, unter denen sich Investoren und Hausbesitzer zukünftig von der Verbrennungstechnik zum Zwecke der Wärmeerzeugung abwenden werden, zu unklar die Zeitlinien, in denen dies geschehen könnte und welche Kämpfe mit den CO2-Mafiosos noch auszufechten sind.
In Deutschland gibt es rund 18 Millionen Wohngebäude mit knapp 40 Millionen Wohneinheiten. Auch wenn bis 2010 rund 1.5 Millionen Solaranlagen, 400.000 Heizwärmepumpen, 150.000 Pelletheizungen und 30.000 Blockheizkraftwerke, zusätzlich zu den klassischen Holzheizungen, installiert worden sind, bleibt das Bild eindeutig: weit über 95 Prozent der bundesdeutschen Wohngebäude werden, in der einen oder anderen Art, fossil beheizt. Oder anders ausgedrückt: Noch sind es nur 4,3 Millionen Haushalte in Deutschland, die ihren Wärmebedarf zumindest teilweise aus regenerativen Quellen decken. Das sind rund gerechnet magere 10 Prozent.
Auch wenn der Anteil monovalenter Anlagen abnehmen wird, in Kombination mit Solar oder als Fernwärme bleibt die fossile Wärmeerzeugung trotzdem für eine lange Übergangszeit präsent. Man sollte nicht vergessen, das Hammerangebot von BILD-Viessmann wird auch im Jahr 2030 noch die Luft verpesten. Eine Schlussfolgerung bei der Betrachtung der geringen Fortschrittszahlen liegt auf der Hand: die mächtigen Konglomerate der Energie- und Mineralölindustrie haben es bis heute geschafft, dass das Fenster zur regenerativen Wärmeerzeugung nur einen Spalt breit geöffnet wurde.
So wird der Klimaschutz scheitern
Erdgeschichtlich betrachtet sind die Karrieren der fossilen Heizungen recht kurz. Für sie gilt, was auch auf die Verbrennungsmotoren im Mobilitätsbereich zutrifft: im Vergleich zu den Jahrtausenden, in denen die Menschheit die Heizung ihrer Behausungen und die Fortbewegung mit natürlichen Mitteln bewerkstelligt hat, ist das fossile Zeitalter nicht mehr als ein Wimpernschlag. Allerdings einer mit dramatischen Klimafolgen. Gegenwärtig vernutzt die Menschheit pro Jahr diejenige Menge an fossilen Brennstoffen, für deren Erzeugung die Natur fünf Millionen Jahre gebraucht hat. Gehen die Verbrennung fossiler Stoffe ungehemmt weiter, wird das Ziel der 2°C-Klimaschutzleitplanke (planetary boundaries) verfehlt und das globale CO2-Emissionsbudget brachial überzogen, warnt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderung (WBGU). Das Ökosystem Erde gerät gefährlich ins Trudeln. Die fossilen Heizungen sind ein Teil des Problems. Wenn sie wollten, könnten sich die Heizungsanlagenbauer hilfreicher verhalten.
Heizöl – ein kurzes Intermezzo?
Die Nutzung fossiler Energien war eine treibende Kraft bei der Industrialisierung. Lag in den Agrargesellschaften der Energieverbrauch bei etwa 600 W pro Person, so stieg er in den hochindustrialisierten Gesellschaften auf 4.750 W. Der private Anteil zum Zwecke der Heizung war anfangs bescheiden, der Umstieg von Biomasse auf Kohle verlief schleppend. Diese blieb rund ein Jahrhundert mit der Individual- bzw. Einzelheizung verbunden. Erst in den späten fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann Öl die Kohle und die Einzelfeuerung abzulösen. Nach dem kurzen Zwischenspiel der Ölöfen verbreitete sich die Zentral- oder Sammelheizung in deutschen Häusern. Aus einer zentralen Heizstelle versorgt sie über Wasser (flüssig oder dampfförmig) als Trägermedium das ganze Gebäude.
Der große Vorteil des Öls bestand darin, dass die Anlagen während der ganzen Heizperiode automatisch betrieben werden konnten, inklusive der Warmwasserversorgung. Für Großanlagen bedeutete dies auch Personaleinsparung. Nur die Älteren werden sich erinnern, dass man in Etagenwohnungen die Kohle aus dem Keller holen und nachlegen, spricht in den Brennraum befördern musste. Auch in Einfamilienhäusern mit Kohle-Zentralheizung musste sich der Haushaltsvorstand darum kümmern, dass der Stoff in die Feuerung kam. Der flüssige Brennstoff und die neue Technik hingegen waren billig und praktisch. Die Zentralheizung passte, wie das Automobil, zum scheinbar ungebremsten Wachstum der Nachkriegsgesellschaften, auch wenn sie im Vergleich zu diesem eher eine Spätgeburt war.
Am Sieg der neuen Technik konnten auch die Ölkrisen 1973/74 und 1979/80 nichts ändern. Der Erfolg lies sich weder im Einfamilienhaus noch im Mehrfamilienhaus stoppen. Aus der Anfangszeit stammt auch die Philosophie des „viel hilft viel“. Automatisch laufende Anlagen stießen anfangs auf Skepsis, da war es besser sie ausreichend zu dimensionieren – man wusste ja nie, wie kalt der bevorstehenden Winter werden würde. Eine Überdimensionierung wurde nicht als schlecht empfunden, sondern als Leistungsreserve, als Ausdruck klugen Planens und Wirtschaftens. Die Mineralölindustrie und die Heizungsbauer hatten nichts dagegen. Die Technik der fossilen Wärmeerzeugungsanlagen wurde als gesellschaftlicher Fortschritt beworben, schon damals hatten „diese Heizungen richtig was auf dem Kasten“.
Öl dominierte nicht lange. Seit den 1980ern hat der Anteil der Gasheizungen, beginnend mit den Gasetagenheizungen, zugenommen; zu Lasten der Ölheizungen. Spätestens mit der Jahrtausendwende erwuchs im Erdgas ein mächtiger Konkurrent, der sie inzwischen an den Rand drängt. Zum einen war Erdgas als leitungsgebundene Energieart noch praktischer als Öl, das in regelmäßigen Abständen geordert und geliefert werden musste. Und es war „sauberer“ nicht nur in stofflicher Hinsicht, sondern auch was die Emissionen anging. Hier spielte das aufkommende Umweltbewusstsein eine Rolle – es lies sich aber auch hervorragend als Argumentationshilfe nutzen. Trotz der Anbindung der Gaspreise an die des Erdöls konnte sich Erdgas in die Rolle der billigeren und saubereren Alternative vorarbeiten. Parallel dazu entwickelte sich in den großen Ballungszentren, in der DDR auch darüber hinaus, die Fernwärme, die als leitungsgebundene Energie mit den gleichen Vorteilen punkten konnte.
Die steigenden Preise und die Konkurrenz bei den fossilen Energien führte aber auch dazu, dass die anfangs simplen Aggregate besser und sparsamer wurden. Seit Beginn der 90er Jahre etablierte sich die Brennwerttechnik, erst bei Öl-, dann bei Erdgasheizungen. Während konventionelle Anlagen die heißen Abgase einfach zum Schornstein hinauspusten, wird bei der modernen Brennwerttechnik dem Abgas auch die im Wasserdampf gebundene Kondensationswärme entzogen und dem Heizsystem zugeführt. Diese Entwicklung entstand nicht nur unter dem Druck steigender Preise. Auch die gesellschaftliche Diskussion um erneuerbare Energien, verbunden mit den ersten solarthermischen Anlagen, spielten eine Rolle.
Unzählige, verschwenderische Altanlagen
Als Erblast aus der Zeit des billigen Öls bzw. Erdgases existieren heute dennoch Millionen von Heizungsanlagen, die regelungstechnisch nicht angepasst, überdimensioniert, fehlerhaft konfiguriert, fehlerhaft ausgeführt, nicht oder mangelhaft gewartet, defekt bzw. technisch völlig überaltert sind. Da in der gesamten Heizungstechnik bis heute energetisch nicht gemessen bzw. bilanziert wird, verbleibt dies als riesige Grauzone. Nach Schätzungen betrifft dies rund fünf Millionen alte und zehn Millionen neuere Heizungsanlagen, von denen mehr als 80% nicht im technischen Optimum arbeiten. Sie sind wenig beachtete Kellerkinder und Energiefresser, verantwortlich für hohe Betriebskosten sowie erhöhte CO2-Emissionen. Erhöhte Wartungskosten, Konflikte zwischen Vermietern und Mietern oder auch den Energiedienstleistern sind die bekannten Nebenkriegsschauplätze. Und trotzdem werden sie nur schleppend ausrangiert. Obwohl seit mehr als einem Jahrzehnt über energetische Sanierung gefachsimpelt und das Publikum mit einer Achterbahnfahrt der Förderpolitik schwindlig gefahren wird, bleibt alles beim alten. Die Sanierungsquote von weniger als einem Prozent scheint fast wie eine bundesrepublikanische Konstante.
Unerledigte Hausaufgaben
Längst sind die technische Alternativen für einen bivalenten Heizungsbetrieb in Form von solarthermischen Anlagen verfügbar. Sie könnten den Fossilen wenigsten einen Teil der CO2-Emissionen austreiben. Aber da sich die Gilde der Solarthermiker allzu engstirnig auf Kleinanlagen für Ein- oder Zweigfamilienhäuser konzentriert – oder sollen wir sagen: beschränkt – hat, bleibt die Dominanz der fossilen Heizungen im Geschosswohnungsbau unangetastet. Ungeachtet dieser Tatsache tobt die verbale Schlacht um die Energieeffizienz. Leider verbinden die Protagonisten damit völlig unterschiedliche Vorstellungen. Eine Fraktion, die sich um Energiedienstleister und Verbände der Wohnungswirtschaft gruppiert, propagieren die Einsparung durch geringinvestive Maßnahmen. Über eine Datenerfassung soll der Betriebszustand, vor allem großer Anlagen transparent gemacht und optimiert werden. Also kümmern und verbessern, lautet deren Devise.
Die Anderen, die sich Erlösung von der Kombination der konventionellen Heiztechnik mit einer solarthermischen Anlage versprechen, wischen die detailorientierten Vorschläge der Gegenseite allzu leicht vom Tisch. Denn auch bei modernen solarthermischen Hybridsystemen – gleichgültig ob sie die Sonnenwärme mit Öl, Gas, Pellet oder Fernwärme verbinden – ist die hohe Kunst der Regelungstechnik des Gesamtsystems in Verbindung mit einer sorgfältig geplanten Hydraulik gefragt. Nicht von ungefähr wird in den zuständigen VDI-Gremien über das „Geheimnis des kalten Rücklaufs“ diskutiert. Also nur so viel Wärme ins System bringen, wie unbedingt nötig, sprich wirklich verbraucht wird. Auch bei solarthermischen Anlagen wirken oftmals alte Philosophien in den Köpfen nach. So gelten hohe Solarerträge und viele Quadratmeter Kollektorfläche auf dem Dach als Ausweis von Qualität und Wirtschaftlichkeit. Hohe Betriebstemperaturen beim Trinkwasser sind nicht nur den entsprechenden Vorschriften zum Legionellenschutz geschuldet, sondern zeugen angeblich von einer leistungsfähigen Anlage. Es gibt genügend bivalente Anlagen in deutschen Einfamilienhäusern, deren schlechte Betriebsergebnisse nur deshalb nicht manifest werden, weil es keine Messung gibt.
Fazit
Neben der Kritik am Verkauf rein fossil betriebener Anlagen, deren Umwandlungsverluste auch bei Anlagenoptimierung nicht mehr hinnehmbar sind – PV, Wind und Sonnenwärme sind Primärenergien, diese Tatsache kann nicht oft genug wiederholt werden – bleibt der Wermutstropfen, dass die regenerativen Systeme noch längst keine Renner beim Publikum sind. Daran ändert auch eine Schelte der BILD-Viessmann-Connection nichts. Es liegt nicht an den Hausbesitzern und Investoren, sondern an der noch jungen Industrie und Technik der Erneuerbaren. Sie sind unterm Strich einfach noch nicht gut genug – da wo sie technisch gut sind, scheitern sie noch an der Kunst des Verkaufens. Auch nach einem scheinbar erfolgreichen Jahrzehnt können sie den Fossilen noch nicht das Wasser reichen, das breite Publikum vertraut immer noch der althergebrachten Verbrennungstechnik bzw. ist von deren drohendem wirtschaftlichen Sturzflug nicht wirklich überzeugt. Eine wirkliche Gefahr für die fossilen Heizanlagen entsteht erst dann, wenn rein regenerative Systeme – zum Beispiel auch Kombinationen wie die von Solar und Wärmepumpe mit Frischwasserstation – auf breiter Front in den Markt eindringen und sich in einer mehrjährigen Lernkurve dem Publikum als wirtschaftlich und ökologisch unschlagbare Alternative beweisen. So lange werden fossile Anlagen ihre dominierende Rolle verteidigen können, bevor ausschließlich mit Solarthermie, Umweltwärme oder mit E-Methan geheizt wird. Erst dann geraten auch solche Hammeraktionen im Schlepptau von BILD zur wirklichen Blamage. Denn dann will keiner die Fossilen mehr.
Klaus Oberzig