Digitalisierung und Klimaschutz
Um es gleich mal vorweg zu sagen: ohne Digitalisierung würden wir über den rasanten Klimawandel heute lange nicht so viel wissen. Auch wenn wir mit unseren Datendichten die komplexen globalen Systeme nur grob abbilden können, ist es dennoch möglich, bessere Vorhersagen über die Konsequenzen unseres Handelns vorzunehmen und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. Es gibt also gute Gründe, nicht in die rein analoge Welt zurückzuspringen. Aber jeder Fortschritt muss natürlich kritisch begleitet werden, reine Fortschrittsgläubigkeit war schon immer fatal.
Die Digitalisierung der Energieversorgung als Voraussetzung für 100 Prozent Ökostrom ist so ein Beispiel. Um die volatilen Erneuerbaren mit Speichern und Verbrauchern zu vernetzen, zu optimieren und zu steuern wird der Energiemarkt immer mehr zur IT-Plattform. Digitale Lösungen sollen dazu beitragen, fossile Energieträger durch klimafreundliche Erneuerbare Energien zu ersetzen. So das Versprechen von Bundesregierung und Energiekonzernen.
Die Frage die man jedoch stellen sollte ist, in welcher Geschwindigkeit das geschieht und - das ist entscheidend - mit welchen Begleiterscheinungen und unter wessen Regie der Wandel vollzogen wird. Schnell werden Bedenken beiseite geschoben und als Technologiefeindlichkeit abgekanzelt. Jedoch gehen technologische Innovationen meist mit einem immensen Energie- und Rohstoffverbrauch einher und tragen nicht automatisch zu einer nachhaltigen Gesellschaft bei. Und nur wenn die Digitalisierung kein Mehr an fossilen Energieträgern benötigt, bzw. zu weniger Energie- und Ressourcenverbrauch führt, ist uns geholfen. Eine digitale Suffizienz könnte als Leitkonzept einer lebenswerten und digitalen Zukunft dienen. In ihr würden technische Produkte und Datenströme begrenzt werden, um Umwelt- und Klimafolgen zu reduzieren. Das ganze verbunden mit konsequentem Datenschutz und einer Orientierung zum Gemeinwohl wäre nachhaltig.
Das steht jedoch im deutlichen Widerspruch zu den Wachstumsversprechungen der Digitalisierung, die noch eine ganz andere Komponente haben: den Verlust von Arbeitsplätzen nicht nur im Niedriglohnsektor und eine damit einhergehende Verstärkung der ungleichen Verteilung von Reichtum in der Gesellschaft. Digitalisierung berge die Gefahr, einen "digitalen Neo-Feudalismus zu erschaffen in dem sich wenige Reiche den digitalen Kuchen aufteilen und die große Mehrheit zu Verlierern wird", so Tilmann Santarius, Autor des Buches "Smarte Grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit".
Es ist also die Frage, wie die zur Abwendung der Klimakatastrophe notwendigen Transformationen, hier vor allem der Energieerzeugung und -versorgung, sozial umgesetzt werden. Eine reine Disruption hat zunächst keine Moral. Versuchen wir den Umbau hin zu einer dekarbonisierten Energieversorgung rein nach neoliberalen Grundsätzen zu vollziehen, wird das nicht gut gehen. Die Vision muss auch auf anderen Ebenen Fortschritt bringen. Denn auch Klimaschutz ist nicht per se sozial. Das Grundrecht auf Sonne ist ein Versuch, die Problematik zu thematisieren. In Sachen Digitalisierung bedeutet es, dass Menschen diese aktiv mitgestalten, sie für sich nutzen können und auch soziale Akteure freien Zugang zu Daten, natürlich unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte, bekommen.
Die Digitalisierung bietet Möglichkeiten den Klimaschutz voranzubringen, sie ist aber kein Allheilmittel. Denn wenn der Mensch im selbstfahrenden digitalisierten Auto mehr Zeit zum Konsumieren hat und auch 7- und 90jährige mit dem eigenen Fahrzeug unterwegs sind und die Straßen noch mehr verstopfen, kommt es zu klassischen Reboundeffekten. Nicht zuletzt darf mit der Digitalisierung die bislang erreichte Anwendervielfalt nicht reduziert, sondern muss weiter ausgebaut werden. Das Ideal des Prosumers und der Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften ist das Gegenmodell zu den Monopolstrukturen, welches die fossile Energieerzeugung hervorgebracht hat.
Matthias Hüttmann