Wer ist hier eigentlich radikal?
Sich für Klimaschutz und somit für eine Zukunft von uns Menschen auf diesem Planeten einzusetzen, wird ob der Forderungen, schnell als radikal angesehen. Dabei ist es genau unsere Lebensweise, die am besten mit dem Begriff radikal umschrieben werden kann.
Es sind nicht zuletzt neo-liberale Kräfte mit ihrem ausgeprägt marktradikalen Denken, die sich gegen die geforderte Kurswende unserer Lebens- und Wirtschaftsweise zur Wehr setzen. Die dabei eingesetzten Mittel zeugen allerdings schon von einer gewissen Ratlosigkeit angesichts der immer breiter werdenden Bewegung. Von vielen Seiten, nicht nur bei den fantastischen Freitagsdemos, stellen sich Menschen einer Politik entgegen, die Klimaschutz mit genau den Mitteln ausüben will, die letztendlich für die Katastrophe verantwortlich sind. Um nicht zu sehr angreifbar zu sein, wird - taktisch klug - nur in geringem Maß versucht zu verharmlosen. Auch wenn es die leugnenden Kräfte durchaus gibt und sie auch bei uns an Bedeutung gewinnen könnten, steht vielmehr ein Framing im Vordergrund, mit dem gezielt versucht wird, sozusagen von hinten in die Köpfe der Menschen einzudringen. Das ist keine neue Strategie, erst vor kurzem wurde sie von reaktionären Kräften angewandt, als Wortschöpfungen wie Asyltourismus bewusst eingesetzt, die Runde machten.
Wider die Vernunft
Wenn immer häufiger Wortschöpfungen wie Klimaradikale, Klimareligion, Klimafanatiker, Klimafetischisten oder Klimapopulisten eingestreut werden, soll das dazu führen, im Gehirn Muster aufzurufen, die uns von dem eigentlichen Thema wegführen. Es geht darum, die besorgten Klimaschutzbürger zu diskreditieren. Dazu versucht man etwas in unserem Kopf zu hinterlegen, dass uns argwöhnen lässt, die Klimadebatte ist etwas Extremes und vor allem Irrationales. Diejenigen, die sich mit ihren Forderungen an die Politik und die Öffentlichkeit wenden, sollen für uns zu einer Bedrohung werden, gegen die man sich, zumindest gedanklich, abschotten sollte.
Am deutlichsten zeigt sich die Strategie des Framings in der Verwendung des Wortes Klimareligion. Hier wird suggeriert, dass der menschengemachte, beschleunigte Klimawandel vor allem eine Glaubensfrage ist. Das Ganze erinnert an den Kampf Galileis, der zwar die Erkenntnis auf seiner Seite hatte, dem jedoch eine mächtige Kirche entgegenstand, die ihre eigenen alternativen Fakten mit Gewalt durchzusetzen wusste. Auch wenn der Kniff mit den bewusst gestreuten Falschaussagen im heutigen Informationszeitalter auf vielen Ebenen noch sehr gut funktioniert und eine nicht unbedeutende Menge an Anhängern versorgt, so argumentieren diese unter Ermangelung von Tatsachen zunehmend aggressiv. Es besteht ganz offensichtlich ein weitgehender Konsens darüber, dass es sich bei der Klimakatastrophe um die Realität handelt, da gibt es nichts zu glauben.
Verführte Jugend
Wenn das mit der Religion allein nicht hilft, muss tiefer in die Trickkiste gegriffen werden. Zunächst werden die Jugendlichen für unreif erklärt und ihre Motive bezweifelt. Schräg wird es, wenn man die Aktivisten einerseits als Schulschwänzer bezeichnet, aber gleichzeitig von ihnen konkrete Handlungsanweisungen einfordert. Da wird der Überbringer der schlechten Botschaft schnell mal zum Schuldigen erklärt. Dummerweise sind es aber gar nicht die FFF-Kids die sagen, dass die Welt eine Rettung nötig hat, sondern die Wissenschaft. Die zeigt auf, dass viele der Schäden irreparabel sind und das 6. Artensterben schon in vollem Gange ist. Aber das sind ja nur Details. Um diese, wie auch alle anderen Unterstützer zu verleumden, werden sie schnell mal zu Klimafanatikern oder auch Klimafetischisten ernannt. Somit ist klar, so jemanden kann man nicht ernst nehmen, da er übertreibt und nicht mehr ganz bei Sinnen ist. Letztendlich sind ja Fanatiker immer gefährlich, schließlich - hier kommt der Begriff des Klimapopulisten ins Spiel - werden sie von anderen gesteuert. Hier kommen dann auch schnell die alten Klischees zum Tragen, dass es den Klimaradikalen nur darum geht, das Ruder zu übernehmen und eine Ökodiktatur mit Verboten einzuführen.
Wer sorgt sich um was genau?
Eigentlich ist das Ganze leicht zu durchschauen, aber es funktioniert trotzdem immer wieder. Ob sich damit auch so eine breite Bewegung zurückweisen lässt, ist allerdings fraglich. Denn die Problematik lässt sich eben nicht mehr herunterspielen. Auch ist die Verzögerungstaktik längst entlarvt worden. Um dennoch zu punkten, bedient man sich der Freiheit, die es zu verteidigen gilt, auch wenn diese hinterrücks längst ausgehöhlt und den Göttern der Digitalisierung und Inhumanität geopfert wurde. Dabei geht es bei ordnungspolitischen Maßnahmen gar nicht darum, der breiten Bevölkerung etwas wegzunehmen, sondern vielmehr uns allen etwas von dem Erreichten zu erhalten. Das Problem: Würden wir umsteuern, ginge es auch um unser global ausbeuterisches Wirtschaftssystem, in dem wenige viel besitzen und davon nichts abgeben wollen. Denn an einem mangelt es global sicherlich nicht: An finanziellem Volumen um eine klimafreundliche Transformation zu erreichen. Beten wir weiterhin das Wachstum an, werden die Leidtragenden einer verfehlten, vor allem einer ungebremsten Marktpolitik, in der breiten Masse zu finden sein.
Klimaschutz kommt von innen
Es geht letztendlich um uns selbst, die wir wieder zu uns finden müssen. Um unsere Lage selbst einschätzen zu können, gilt es sich zu wehren, gegen all die Marktradikalen, Wirtschaftsfetischisten und ihre willigen Populisten, die lediglich von ihrer Verantwortung ablenken wollen. Denn solange das Künstliche stetig zunimmt, merken wir womöglich gar nicht, dass die Artenvielfalt um uns herum abnimmt.
Wir können beim Klimaschutz nur gewinnen. Das gelingt auch, indem wir unser Aufmerksamkeitsdefizit bekämpfen und längere Gedankengänge zulassen. Auch auf die Gefahr hin, dass wir uns wieder mehr mit uns selbst beschäftigen muss. Oder anders ausgedrückt: Erwartet das Unerwartete!
Matthias Hüttmann