Was tun 2020
Solarfreunde und Klimarebellen: Neue Konzepte gegen die Rekarbonisierung wollen erarbeitet sein. Was machen wir denn nun mit diesem Klimapaket?“, fragte ein Solarfreund und es klang wie ein Aufstöhnen. Die Wochen und Monate nach der Europawahl 2019 hatten für viele Solarfreunde und Klimaschützer ein Wechselbad der Gefühle erzeugt. Direkt nach der Wahl im Mai schienen Klimaschutz, Erneuerbare Energien und die Erfüllung des Pariser Abkommens auch in Deutschland einem Durchbruch nahe. Jetzt, da die Bundesregierung ihr Klimapaket vorgelegt hat und an dessen Umsetzung strickt, ist Nüchternheit eingekehrt. Dieser Ausdruck erfasst aber wohl nicht ganz das, was eine Mehrheit der Aktiven in der Solar-, Klima- und Anti-AKW-Bewegung empfindet. Es ist die Fassungslosigkeit ob der Kaltschnäuzigkeit, mit der die GroKo-Politiker agieren. Sie verkünden ihre Bereitschaft, die Klimakrise zu bekämpfen und benutzen wie selbstverständlich uns geläufige Begrifflichkeiten. Sie sagen, das Land und die Wirtschaft sollten bis 2050 „klimaneutral“ werden.
Aber abgesehen davon, dass in Sachen Klima nichts und niemand irgendwie neutral sein kann und ein solcher Zeitrahmen eh daneben ist, orientieren sie ihr Handeln an ganz anderen Zielen. Hinter dem Vorhang ihres neuen Politiksprechs erscheint nicht nur ein „weiter so“, sondern eine Verschärfung des Kurses gegen Erneuerbare Energien. Altmaier und die Gasindustrie propagieren ein Ende der „All Electric Society“ und meinen damit die direkte Nutzung der Primärenergie von Sonne und Wind. Stattdessen präferieren sie Technologien, die auf einer zusätzlichen Wandlungsstufe basieren, versprechen aber, dies seien nur „Zwischenschritte“. Jüngstes Beispiel ist die „Wasserstoffstrategie“. Sie wäre zu Beginn „blau“ und würde mit der Zeit durch Windstrom „grün“. Es macht viele der Aktiven sprachlos, wenn Merkel und Altmaier beteuern, man brauche die Windenergie, während sie gleichzeitig die Windanlagenbauer an den Rand der Existenz drängen.
Beim Gebäudeenergiegesetz (GEG), dessen Entwurf angeblich noch in diesem Jahr ins Parlament kommen soll, passiert Vergleichbares. Unter der Hochglanzformel der Energieeffizienz wird im Wärmebereich nicht den Erneuerbaren Energien, sondern dem Erdgas Tor und Tür geöffnet. Wir erleben den Aufbau einer überbordenden und komprimierten Regelungsmaschinerie, die ohne nennenswerte Beeinflussung durch die Energiewendebewegung in Gesetzesform gegossen wird, so wie das von den vielen „Reformierungen“ des EEG bekannt ist. Das begann vor 20 Jahren mit sechs klaren und verständlichen Seiten Gesetzestext und hat sich inzwischen zu einem Verhinderungsdschungel von fast 200 Seiten ausgewachsen. Dieses monströse Volumen hat der GEG-Entwurf inzwischen auch erreicht. Ein Durchsetzungsinstrument für Erdgas mit vielen Stolpersteinen für die Erneuerbaren Energien.
Kaltschnäuzigkeit der GroKo
Das Reden mit gespaltener Zunge, um dann anders zu handeln, haben viele Menschen im Land sehr wohl realisiert. Die Wahlergebnisse zeigen das. Selbst die Debatten um die Fortführung der GroKo offenbaren, dass die Bürger der Lügen überdrüssig sind, dass ihnen der giftige Mehltau, den die parlamentarische Mehrheit über das Land gelegt hat, zum Halse heraus hängt. Natürlich speist sich diese Enttäuschung über die Regierung und die sie tragenden Parteien nicht alleine aus deren Klimapolitik. Der Groll gilt ebenso der Sozialpolitik, den Zuständen im Gesundheitswesen, der Bildungspolitik oder dem Verkehrswesen. Und es sind auch die Gesichter und Charaktermasken der Regierungs- und Parteipolitiker, die kaum noch zu ertragen sind, schon bevor sie den Mund aufmachen. Die GroKo hat abgewirtschaftet und immer mehr Bürger wollen sie loswerden.
Mit einer Abdankung der Merkel-Koalition werden die Probleme aber nicht gelöst sein. Gerade in der Energiepolitik ist deutlich geworden, dass die Methoden der Durchsetzung einer Rekarbonisierung in Deutschland undemokratisch waren und es aktuell mehr denn je sind. Dabei sind nicht Lüge und Volksbetrug an sich undemokratisch. Alleine die Gepflogenheit, Umwelt- und Solarverbänden Stellungnahmen zu Gesetzesvorlagen mit Ein- bis Dreitagesfristen abzuverlangen, spricht Bände über das Demokratieverständnis der Regierenden. Die Grenzen der repräsentativen Demokratie zeigen sich da, wo eine mächtige, in einer jahrzehntelangen Sektorenkopplung miteinander verschweißte Industrie der Regierung das Handeln diktiert. Das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber dieser Phalanx, die mit ihrer Entschlossenheit und Geschlossenheit in Europa einmalig sein dürfte, prägt die aktuellen Befindlichkeiten in der Energiewende- und Klimaschutzbewegung.
Das rüttelt an den Grundfesten gerade der traditionellen Energiewendebewegung, die in ihren Anfängen von der Begeisterung für eine faszinierende Technologie getragen war. Sie hielten Ökostrom für einen Fortschritt und mussten lernen, dass die Geschäftsmodelle großer Konzerne völlig anders funktionieren. Inzwischen haben sich die Solarfreunde zu Klimaschützern entwickelt. Ihnen ist bewusst geworden, dass die schnellstmögliche Durchsetzung von 100% Erneuerbaren Energien ein zentraler Rettungsanker in der Klimakrise ist. Gerade weil über Erneuerbare Energien eigentlich alles gesagt ist, sie in der Bevölkerung positiv konnotiert sind und sich jahrzehntelang in der Praxis bewährt haben, nun aber an den Interessen der kohlenstoffbasierten Industrien zu scheitern drohen, ist die Lage so schwierig. Alte Überzeugungen wie die, dass unsere Regierung das mit der Energiewende und dem Klimaschutz schon lösen werde, verändern sich nur langsam. Wieder einmal greift Orientierungslosigkeit um sich.
Über die Erneuerbaren ist alles gesagt
Erneuerbare Energien sind längst ausgereift und Stand der Technik. Sie sind demokratischer und wirtschaftlicher zu betreiben als alle fossilen Großtechnologien, mit ihnen kann Versorgungssicherheit besser als mit fossilen Brennstoffen garantiert werden; sie bieten volkswirtschaftlich exorbitante Vorteile gegenüber den Kosten von Kohle, Öl, Gas und Uran, die aus anderen Ländern und Regionen bezogen werden müssen. Und sie sind gegenüber Umwelt und Klima relativ problemlos, während die fossilen Brennstoffe und die kohlenstoffbasierten Industrie- und Landwirtschaftsprodukte Mensch und Natur immer schneller zerstören.
Das alles ist bekannt, auch wenn Klimaleugner und Fossilfreaks immer noch dagegen anzustinken versuchen. Was also tun, wenn trotz klarer Erkenntnisse über das, was der Menschheit bevorzustehen scheint, die politische Durchsetzungsfähigkeit für einen zukunftssichernden Kurs fehlt? Das gilt sowohl für Deutschland wie global, auch wenn gerade hierzulande die hartnäckigsten Vertreter der Rekarbonisierung agieren. Die Demokratie und ihre Institutionen, so wie wir sie gegenwärtig haben, reichen offenbar nicht aus, um dem Klimanotstand zu begegnen. Zumal von rechter Seite versucht wird, Parlamente und Institutionen für eine Klimaleugnung und gegen den Klimaschutz zu instrumentalisieren. Das Bewusstsein, dass die Nutzung von Sonne und Wind zu den demokratischen Freiheitsrechten der Bürger gehört, ist bei vielen Energiewendefreunden bislang nicht besonders ausgeprägt.
Die Frage nach anderen oder erweiterten Demokratiemodellen wird vor allem von den jungen Organisationen der Fridays for Future (FfF) und Extinction Rebellion (XR) aufgeworfen. Diese fordern nicht nur „sagt die Wahrheit und belügt uns nicht“ und „handelt jetzt“, sondern thematisieren z.B. Bürgerversammlungen zu jeweils herausragenden Themen. Bei XR wird von „deliberater Demokratie“ gesprochen. Dadurch wollen sie das Demokratiegeschäft nicht alleine den professionellen Parlamentariern und Parteien überlassen. Dahinter steckt der Glaube an die Kraft demokratischer Bewegungen, also ein basisdemokratischer Ansatz, wie er in der alten Bundesrepublik zu Zeiten der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung verbreitet war. Seit dem Beginn von Helmut Kohls „geistig-moralischer Wende“ ist dieser Glaube mehr und mehr zurückgedrängt worden und fast verloren gegangen.
Dass die jungen Organisationen kein nostalgisches Remake aus der alten Bundesrepublik darstellen oder eine „Retortengeburt“, wie es einige altlinke Politiker missliebig formulierten, zeigt sich an ihrem grundlegend anderen Politikverständnis. Die „Jungen“ kennen die Details der Erneuerbaren Energien nicht aus der eigenen Anschauung, in der Mehrheit wollen sie sich damit auch (noch) nicht auseinandersetzen. Sie legen ihren Schwerpunkt darauf, die Regierenden mit den Erkenntnissen der Klimawissenschaften zu konfrontieren und den Schutz und die Sicherung der Existenz der menschlichen Spezies einzufordern. Dabei setzen sie auf zunehmenden organisierten Druck, gewaltfreien Widerstand und zivilen Ungehorsam. Ihr Vorbild ist Mahatma Gandhi.
Unterschiedliche Politikkonzepte kreativ umsetzen
Die „Alten“ aus den traditionellen Solarorganisationen haben die Erneuerbaren Energien durchdrungen, sind Spezialisten, die wissen, wie diese einzusetzen sind und erklären der Gesellschaft und den Regierenden, wie das idealerweise zu geschehen habe. Doch sie müssen sich auch eingestehen, dass außer dem Strombereich die Energiewende im Wärmebereich wie in der Mobilität steckengeblieben ist bzw. noch gar nicht wirklich begonnen hat. Daran werden auch Elektroautos nichts ändern. Oder, wie es ein junger Klimarebell formulierte, „was habt Ihr in den letzten dreißig Jahren zustande gekriegt?“ Das sollte man nicht als vordergründige Polemik verstehen, sondern als Aufforderung, sich ehrlich zu machen. Es sollte aber auch nicht dahingehend missverstanden werden, dass die „Alten“ sich nun hingebungsvoll den „Jungen Rebellen“ anschließen sollten.
Notwendig ist es stattdessen, den Kontakt miteinander zu intensivieren und zu klären, ob und wie dieses unterschiedliche Politikverständnis zusammenpasst. Dazu gehört neben Geduld die Bereitschaft, voneinander lernen und eventuell gemeinsam neue Wege finden zu wollen. Und diese bewusst zu Feldern einer Zusammenarbeit auszubauen. Das mag abstrakt klingen, aber in einer Situation, in der die neuen Organisationen sich erst finden und die alten neue Orientierung aufbauen müssen, kann das durchaus fruchtbar sein bzw. werden. Dazu müssen die Fridays for Future keine Solarspezialisten werden und die Solarfreunde keine Rebellen. Oder doch?
Längst hat die Diskussion das Thema „anders leben“ erreicht, auch wenn dies in der Gesellschaft bislang nicht als festgefügte Strömung greifbar ist. Am ehesten findet sich das bei Vegetariern und Veganern, die die Produkte einer kapitalistischen Nahrungsmittelproduktion nicht mehr konsumieren wollen. Aus einer anfänglichen Verweigerungshaltung ist inzwischen eine selbstbewusste und zielbewusste Position geworden, die nicht mehr wegzudenken ist. Auch die ersten zarten Diskussionen über Kapitalismus und Klimakrise bewegen sich in diese Richtung. Sind Diskussionen über einen Green New Deal vergebene Liebesmüh angesichts einer sich immer schneller drehenden, globalen Kapitalzirkulation, welche die Grundlage des Wachstumsfetischismus bildet?
In Deutschland besteht auch noch 30 Jahre nach dem Ende des real existierenden Sozialismus die Scheu vor dem Wort Revolution oder Überwindung des Kapitalismus. Das ist nicht nur verständlich, es basiert auch auf dem Wissen, dass Geschichte nicht generalstabsmäßig gemacht und schon gar nicht mit Gesetzen, Gewalt und Stacheldraht verordnet werden kann. Eine Revolution werden weder Veganer noch Klimaschützer und Solarfreunde machen. Aber sie werden Konzepte für die Überwindung der gegenwärtigen Produktionsverhältnisse hervorbringen, die ein Überleben in der Klimakrise wenigstens in Aussicht stellen. Dazu müssen sie aber zusammenkommen und kooperieren. Das ist keine hilflose Fantasie sondern eine ernsthafte Vision. So richtet sich die Erinnerung an das Ende des real existierenden Sozialismus vor allem an diejenigen, die die erstarrten, kohlenstoffbasierten Verhältnisse mit Lug und Trug und durch mit Strafandrohung belegten Gesetzen aufrecht erhalten wollen. Man könnte Gorbatschow zitieren, aber lassen wir das.
Literatur
Luisa Neubauer, Alexander Repenning, Vom Ende der Klimakrise: Eine Geschichte unserer Zukunft, Oktober 2019, Tropen Sachbuch, Preis 18.- Euro
Michael Timmermann, Sina Kamala Kaufmann, et al., Wann wenn nicht wir*: Ein Extinction Rebellion, Handbuch, Verlag S. Fischer September 2019, Preis 12.- Euro
Klaus Oberzig