Der (Feuer)Teufel steckt im Detail
Welchen Abstand müssen Photovoltaikanlagen zu Brandwänden einhalten? Kurze Frage, lange Antwort. Dies ist in gewisser Weise das Update zu dem in der Ausgabe 1|20 erschienenen Artikel „Solaranlagen: Gefahr für den Brandschutz?“. Dort wurde mit folgender Frage eingeleitet: „Welchen Abstand muss eine Solaranlage zu einer Brandwand haben?“ Genau darum dreht es sich immer noch. Daher sei eine kurze Wiederholung gestattet.
Die Musterbauordnung (MBO) ist eine Standard- bzw. Mindestbauordnung, die den Bundesländern als Grundlage für deren jeweilige Landesbauordnungen (LBO) dient. Bindend sind die LBOs der jeweiligen Bundesländer in Kombination mit deren Ausführungsverordnungen.
Auf www.bauordnungen.de findet man die Landesbauordnungen aller Bundesländer, sowie die Musterbauordnung.
Grundsatz: Bedachung ist ausreichend lang widerstandsfähig
Beim Abstand einer Solaranlage zu einer Brandwand geht es darum, dass Feuer nicht auf andere Gebäudeteile übertragen werden darf. Der Grundsatz lautet nach MBO § 32 Abs. (1) „Bedachungen müssen gegen eine Brandbeanspruchung von außen durch Flugfeuer und strahlende Wärme ausreichend lang widerstandsfähig sein (harte Bedachung).“ Brandwand und harte Bedachung sollen verhindern, dass im Falle eines Brandes auf der „einen Seite“ Flugfeuer und strahlende Wärme auf der „anderen Seite“ einen Brand entfachen.
Abstand von Dachaufbauten zu Brandwänden
Da Dächer nicht nur aus ihrer Bedachung bestehen, sondern in der Regel eine ganze Reihe von Aufbauten und dergleichen denkbar sind, fordert die MBO in § 32 Abs. (5), dass Dachaufbauten und explizit auch „Solaranlagen“ so auszuführen sind, dass Feuer nicht im obigen Sinne auf andere Gebäudeteile übertragen werden kann. Wenn eben diese „Solaranlagen“ – aus brennbarenDIN Baustoffen bestehen, müssen Sie mindestens 1,25 m von Brandwänden entfernt bleiben. Es sei denn die Solaranlage ist durch eine entsprechend ausgeführte Brandwand gegen Brandübertragung geschützt.
brennbarDIN bzw. nichtbrennbarDIN mit dem tiefgestellten „DIN“ soll im vorliegenden Artikel die entsprechende Klassifizierung nach der deutschen DIN 4102 Teil 1 bzw. der europäischen DIN EN 13501 Teil 1 verdeutlichen. Zum Verständnis ist wichtig, dass dort, wo diese Begriffe im Artikel bzw. in der MBO oder den LBOs auftauchen eine Klassifizierung nach diesen Normen gemeint ist.
Musterbauordnung und deren Änderung, Synopse
Die Fachkommission Bauaufsicht hat in der 328. Sitzung am 6./7.12.2021 einen Entwurf einer Änderung der MBO zur Anpassung des Abstandsflächenrechts und Brandschutzes aufgesetzt. Zu diesem Entwurf hat sie die beteiligten Kreise schriftlich angehört, d.h. Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. BSW1), DGS2) und LEE NRW3) haben eine gemeinsame Stellungnahme4) abgegeben (auf die in Auszügen noch eingegangen wird). In der Synopse5) kann man lesen, dass MBO § 32 Abs. (5) in Zukunft folgendermaßen lauten könnte:
(5) Dachüberstände, Dachgesimse und Dachaufbauten, lichtdurchlässige Bedachungen, Dachflächenfenster, Lichtkuppeln, Oberlichte und Solaranlagen sind so anzuordnen und herzustellen, dass Feuer nicht auf andere Gebäudeteile und Nachbargrundstücke übertragen werden kann. Von Brandwänden und von Wänden, die anstelle von Brandwänden zulässig sind, müssen 1. mindestens 1,25 m entfernt sein a) Dachflächenfenster, Oberlichte, Lichtkuppeln und Öffnungen in der Bedachung, wenn diese Wände nicht mindestens 30 cm über die Bedachung geführt sind b) Photovoltaikanlagen, Dachgauben und ähnliche Dachaufbauten aus brennbarenDIN Baustoffen, wenn sie nicht durch diese Wände gegen Brandübertragung geschützt sind 2. mindestens 0,50 m entfernt sein a) Photovoltaikanlagen, deren Außenseiten und Unterkonstruktion aus nichtbrennbarenDIN Baustoffen bestehen und b) Solarthermieanlagen.
Für ein tieferes Verständnis dieser Zeilen muss weit ausgeholt werden. Und tatsächlich genügt nicht einmal dieser ganze Artikel, denn auf die Differenzierung zwischen Brandwänden und Wänden, die anstelle von Brandwänden zulässig sind wird hier verzichtet. Ebenso wird darauf verzichtet zu erläutern, wie es bewerkstelligt werden kann, dass Solaranlagen „durch diese Wände gegen Brandübertragung geschützt sind“.
Feuer darf nicht übertragen werden.
Zum Ersten: Indachsysteme
Solaranlagen, die in die Bedachung integriert sind, bzw. deren Funktion übernehmen, nennt man Indachsysteme. Sie sind keine „Solaranlagen“ oder „(ähnliche) Dachaufbauten“ im Sinne von MBO-Entwurf § 32 Abs. (5), sondern Bestandteil der Dachhaut. Eine Dachhaut muss nach MBO § 32 Abs. (1) die Anforderungen an eine „harte Bedachung“ erfüllen. Indachsysteme werden vom Hersteller also entsprechend zertifiziert. Das Zertifikat sollte beim Hersteller immer leicht erhältlich sein. Und dann ist kein Abstand zu Brandwänden erforderlich. Indachsysteme haben keine weite Verbreitung. Wie sieht es also bei Aufdach-Solaranlagen aus, im speziellen bei Aufdach-PV-Anlagen?
Zum Zweiten: Brandklasse nach ANSI/UL 790
Es heißt: (Aufdach-)Solaranlagen sind so herzustellen, dass Feuer nicht übertragen werden kann. Was bringen PV-Module diesbezüglich schon mit? PV-Module sind international gehandelte Elektroprodukte und weisen unter anderem eine Zertifizierung nach IEC 61730 auf. In dieser (elektrischen) Sicherheitsqualifikation für Module steht im aktuellen Entwurf DIN EN IEC 61730-2:2022-05 nach wie vor, dass Brandprüfungen lokalen Bestimmungen unterliegen. Wir haben in Deutschland solche lokalen Bestimmungen, die gilt es noch anzusehen, siehe unten. Über die deutsche Bauprodukteverordnung bleiben PV-Module immer brennbarDIN und haben daher nach den meisten LBOs 1,25 m Abstand zur Brandwand einzuhalten. Aber wo solche lokalen Bestimmungen nicht vorliegen, können die im informativen Anhang B der IEC 61730 aufgeführten Normen und Prüfungen zur Anwendung kommen. Und hier insbesondere die auf der amerikanischen Brandprüfung für Bedachungen basierende ANSI/UL 790. Die bringen die meisten Module mit! Sie nennt drei Klassifikationen:
- A: hohe Anforderung
- B: mittlere Anforderung und
- C: geringe Anforderung an den Feuerwiderstand.
Es werden drei Brandtests in der UL 790 beschrieben und über die IEC 61730 für PV-Module angewendet.
- Test 1: Spread of Flame Test: Beflammung mit Gasflamme auf der Oberseite und zwischen Dacheindeckung und PV-Modulen unter Wind.
- Test 2: Burning Brand Test: Brandsatz mit Holzkrippe auf den PV-Modulen unter Wind.
- Test 3: Intermittent Flame Test: Wiederholte Beflammung mit Gasflamme unter Wind.
Die Tests gelten jeweils als bestanden, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- kein Auftreten von Flammen an der Unterseite
- kein Weiterbrennen oder Glühen
- kein brennendes Abtropfen, Abfallen oder Durchbrennen der PV-Module
Mit einer direkten oder über eine Ausführungsverordnungen indirekten bauaufsichtlichen Anerkennung der in der IEC 61730 genannten und etablierten ANSI/UL 790 können aus Sicht von BSW, DGS und LEE NRW die Abstandsregeln von Solaranlagen zu Brandwänden über die nach diesen Normen erreichten Brandklassen C, B oder A festgelegt werden. Dies würde einerseits sicherheitsrelevante Aspekte ausreichend berücksichtigen, andererseits den beschleunigten Ausbau der Photovoltaik unterstützen. Denn alle Module auf dem deutschen Markt sind nach IEC 61730 zertifiziert. Und die meisten weisen auch eine (ANSI/UL 790-)Brandklasse auf ihrem Datenblatt aus. Es böte sich an mit dieser zu arbeiten oder zumindest arbeiten zu dürfen.
Leider wird eine im Rahmen einer IEC 61730 Zertifizierung erreichte (ANSI/UL 790-)Brandklasse nicht bauaufsichtlich anerkannt. Bauaufsichtlich gilt nur die deutsche Bauprodukteverordnung.
Bauprodukteverordnung, brennbare/nichtbrennbare Baustoffe
Siehe MBO-Entwurf § 32 Abs. (5): Dachaufbauten aus brennbarenDIN Baustoffen müssen Abstände einhalten, solche aus nichtbrennbarenDIN Baustoffen dürfen bis an Brandwände heran gebaut werden. Bauprodukte werden ganz grob zwischen nichtbrennbarDIN und brennbarDIN unterscheiden. Die Klassifizierung erfolgt entweder nach deutscher DIN 4102 Teil 1 oder nach europäischer DIN EN 13501 Teil 1.
Standardmodule sind als Glas-Folie-Module mit umlaufendem Aluminiumrahmen folgendermaßen aufgebaut: Deckglas, Laminat, Zellebene, Laminat, Rückseitenfolie. Auf dem Markt sind auch Glas-Glas-Module verfügbar, bei denen die Rückseitenfolie durch ein weiteres Glas ersetzt wird.
Die Verbundkunststoffe sind – wie bei Verbundglas oder Verbundsicherheitsglas – brennbarDIN, sie stellen also eine geringe Brandlast dar. Dies gilt für sämtliche am Markt verfügbaren Modularten. Daraus folgt, und das ist für das weitere Verständnis wichtig, PV-Module sind nie nichtbrennbarDIN. Es gibt keine nichtbrennbarenDIN PV-Module am Markt und es zeichnet sich auch in keiner Weise ab, dass sich dies (jemals) ändern wird. (Es gibt vernachlässigbare Ausnahmen.)
Hinweis am Rande: PV-Module verfügen weiterhin über Modulanschlussdosen, Anschlussleitungen und Stecker. Diese bestehen aus Kunststoff bzw. chemisch vernetzten Polymerstrukturen als elektrische Isolierung. Diese können bauordnungsgemäß als Kleinteile ohne tragende Funktion gelten, die nicht zur Brandausbreitung beitragen.
Eine IEC 61730 Zertifizierung samt (ANSI/UL 790-)Brandklasse bringen viele Module mit, eine nach DIN 4102 oder DIN EN 13501 nur manche und wenn dann erreichen sie dort erwartungsgemäß „B2 normalentflammbar“. Zwischen den über die IEC 61730 ermittelten aufsteigenden (ANSI/UL 790-)Brandklassen C, B und A kann keine Entsprechung zu den Baustoffklassen der DIN EN 13501 bzw. DIN 4102 abgeleitet werden. Auch ein Modul mit der höchsten Brandklasse, Klasse A, nach ANSI/UL 790 ist nicht nichtbrennbarDIN. Und nur nichtbrennbareDIN Baustoffe dürften ohne weitere Maßnahmen bis an eine Brandwand herangeführt werden. Und so kommt es, dass nach deutscher Bauprodukteverordnung PV-Module auf Abstand bleiben.
Nichtbrennbare Außenseiten und Unterkonstruktion
Das dürfte auch den Teilnehmer:innen der Bauministerkonferenz bewusst gewesen sein, denn sie schreiben in ihrer Begründung zum neuen § 32 Abs. (5) 2. „Die Umstrukturierung des Absatzes 5 Satz 2 erfolgt mit dem Ziel, für Photovoltaikanlagen einen geringeren Abstand zu Brandwänden vorzuschreiben, wenn dies aus Brandschutzgründen gerechtfertigt werden kann.“ Und da PV-Module nie nichtbrennbarDIN sind und man offensichtlich auch nicht auf die (ANSI/UL 790-)Brandklassen aus der IEC 61730 zurückgreifen kann, oder will, konnte man einen geringeren Abstand anscheinend nur über die Baustoffe der Außenseiten und Unterkonstruktion der PV-Anlagen, sprich der PV-Module, regeln. Glas und Aluminium sind eindeutig nichtbrennbareDIN Stoffe.
Ein Bärendienst? Geringere Abstände als 1,25 m sind jetzt möglich, jedoch nur mit Glas-Glas-Modulen. Die sind zwar am Markt verfügbar aber sicherlich nicht der Standard. Und sie sind (in der Regel) teurer. Dies wird z.B. bei Reihenhäusern, wo die Platzverhältnisse per se stark eingeschränkt sind, die Wirtschaftlichkeit oft kippen. Also mehr Text in der MBO, eine wohlgemeinte aber weitestgehend unbrauchbare Ausnahmeregelung für 50 cm Abstand, denn hinter dieser stehen zu wenig kaufbare Produkte, kaum ein Markt, reduzierte Wirtschaftlichkeit, Verwirrung beim Laien und folglich keine zielführende Lösung. Also doch ein Bärendienst.
Zwischenergebnis
DGS, BSW und LEE NRW halten den Formulierungsvorschlag in MBO Abs. (5) Satz 2 für nicht ausreichend, um die Ausbauziele der Bundesregierung zu erreichen. Denn die faktische Beschränkung auf gerahmte Glas-Glas-Module verhindert die wirtschaftliche Nutzung vieler Flächen z.B. auf Reihen-/Doppelhäusern. Glas-Glas-Module führen zu höheren Investitionskosten, gerade im Bereich der kleinen Anlagen. Aus keiner Studie oder Fachveröffentlichung konnten die Verbände Gründe finden, warum zwischen den Modularten unterschieden werden müsste. In der Schweiz, wo für diese Vorschriften die Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF) zuständig ist, wird nicht zwischen verschiedenen Modularten unterschieden.
Mit einer entsprechend gearteten bauaufsichtlichen Anerkennung der über die IEC 61730 etablierten ANSI/UL 790 können die Abstandsregeln zu Brandwänden über die Brandklassen C, B oder A festgelegt werden. Dies würde sicherheitsrelevante Aspekte ausreichend berücksichtigen und den beschleunigten Ausbau der Photovoltaik unterstützen.
Zum Dritten: Verbändevorschlag für den MBO-Entwurf
Noch mal zurück zur Frage von oben: Was bringen PV-Anlagen mit? Und jetzt erweitert auf das Umfeld also PV-Module, und ihre Installationsart, ihre Unterkonstruktion und die Bedachung. Eigentlich reicht es nicht sich nur über die Außenseiten von PV-Modulen Gedanken zu machen. Man könnte Abstriche bei den Außenseiten machen, wenn die Dachhaut nichtbrennbarDIN ist, also zum Beispiel aus Betondachsteinen besteht. Und man könnte ganz unabhängig von der Bedachung Module mit der höchsten Anforderung, also einer nachgewiesenen (ANSI/UL 790-)Brandklasse A, so behandeln wie man es bereits jetzt mit Verbundsicherheitsglas macht. Also eine Installation bis an Brandwände heran zulassen. Aus Sicht von BSW, DGS und LEE NRW spricht nichts dagegen und daher schlagen die Verbände folgende, hier gekürzt wiedergegebene Formulierung für eine überarbeitete MBO vor (siehe auch gemeinsame Stellungnahme):
§ 32 Dächer Abs. (5) […] Von der Außenfläche von Brandwänden […] müssen […]
1. mindestens 1,25 m entfernt sein […]
c) Photovoltaikanlagen mit PV-Modulen ohne ausgewiesene Brandklasse nach IEC 61730.
2. mindestens 0,50 m entfernt sein
a) Photovoltaikanlagen mit PV-Modulen ohne ausgewiesene Brandklasse nach IEC 61730, die oberhalb einer nichtbrennbaren Dachhaut installiert sind,
b) Photovoltaikanlagen mit PV-Modulen mit der Brandklasse C nach IEC 61730,
sofern ihre Unterkonstruktionen aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen.
Geringere Abstände, bis hin zu 0,00 m, können unter Abwägung der lokalen Verhältnisse gewährt werden
a) bei Einsatz von PV-Modulen mit der Brandklasse A nach IEC 61730,
b) bei Anlagen, deren Außenseiten aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen,
sofern ihre Unterkonstruktionen aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen.
Hinweis: Der Begriff „Brandklasse nach IEC 61730“ ist verkürzt und steht für: „ANSI/UL 790-Brandklasse gemäß Anhang B der IEC 61730“.
Der letzte Absatz mit den Abständen bis hin zu 0,00 m könnte in einer Ausführungsverordnung geregelt werden falls die relativ offene Formulierung für eine MBO/LBO ungeeignet erscheint.
Die LBOs der Bundesländer
Soweit zur Theorie denn die MBO ist eine Standardbauordnung, bindend sind die LBOs der jeweiligen Bundesländer. Und jetzt wird es spannend: Die LBO von Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt geben keine Abstandregelung für Solaranlagen an. Somit wird es den Planern überlassen, wie diese die allgemeinen Brandschutzanforderungen umsetzen. Nach der LBO Rheinland-Pfalz müssen nur aufgeständerte Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie bei Gebäuden der Gebäudeklassen 3 bis 5 die 1,25 m Abstand einhalten und das auch nur, wenn sie nicht durch Brandwände oder sonstige geeignete Vorkehrungen gegen Brandübertragung geschützt sind. Bayern hat eine ähnliche Reglung wie Nordrhein-Westfalen getroffen. Nach der LBO Bayern § 32 Abs. (5) müssen „2. mindestens 0,50 m entfernt sein a) dachparallel installierte Photovoltaikanlagen, deren Außenseiten und Unterkonstruktion aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen.“ Das Wort „dachparallel“ ist nur in der bayerischen LBO enthalten und damit kommen zum Beispiel aufgeständerte Glas-Glas-Module auf Flachdächern nicht in den Genuss näher an die Brandwand heran zu dürfen und müssen 1,25 m Abstand halten, wenn sie nicht durch Brandwände geschützt werden. Die LBO aus NRW hat „dachparallel“ nicht im Text und daher ist es nicht eindeutig, ob diese Module dort mit 50 cm Abstand montiert werden dürfen. Die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen beschränken sich auf die MBO und die in § 32 Abs. (5) genannte Abstandsregelung von Solaranlagen von 1,25 m (wenn sie nicht durch Brandwände geschützt werden).
Da sich die LBOs stetig entwickeln muss man betonen, dass diese Aufzählung lediglich den Stand Januar 2022 darstellt. So hat etwa Bremen mit einem Erlass vom 21.03.2022 die 50 cm Abstandsregelung für PV-Anlagen, deren Außenseiten und Unterkonstruktion aus nichtbrennbarenDIN Baustoffen bestehen als Vorgriff vor dem Inkrafttreten eines Änderungsgesetzes hinzugefügt. Und während Baden-Württemberg in einer Ausführungsverordnung generell klarstellt, dass Photovoltaikanlagen keine Dachaufbauten sind, die einen Mindestabstand zu Brandwänden einhalten müssen, berief sich Niedersachsen in einem Mailwechsel auf eine Durchführungsverordnung aus dem Jahr 2012 und begründet mit dieser ausnahmslos 1,25 m Abstand. Und das vor dem Hintergrund, dass die niedersächsische LBO keine Abstandsregelung nennt und einer neu eingeführten Solarpflicht für Gewerbedächer ab 2023. Man erkennt, dass die Unterschiede in den Abstandsregelungen politisch motiviert sind. Jedoch verhalten sich Brände technisch, chemisch und physikalisch in allen Bundesländern gleich, ganz im Gegensatz zu den Landesbauordnungen und den dort definierten Abstandsregelungen.
MBO § 67 Abweichungen
Wie kann jemand, der nicht zufällig in Baden-Württemberg lebt, eine Photovoltaikanlage mit geringerem Abstand zu einer Brandwand bauen als es laut LBO seines Bundeslandes zulässig ist?
In der MBO ist es § 67 Abs. (1), in anderen Bundesländern variiert die Nummer des Paragrafen, die Inhalte bleiben gleich: „Die Bauaufsichtsbehörde kann Abweichungen von Anforderungen dieses Gesetzes […] zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des § 3 Satz 1 vereinbar ist. (§ 3 Abs. (1) Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden.)
Es steht jedem Errichter einer Photovoltaikanlage frei, einen „Antrag auf Abweichung“ bei seinem zuständigen kommunalen Bauaufsichtsamt zu stellen. Viele Bauaufsichtsämter wissen aber nichts über die Nutzung dieser „Anträge auf Abweichung“ in Hinblick auf PV-Anlagen und müssen oft erst aufgeklärt werden. Darüberhinaus hängen sowohl die Vorgehensweise bei der Bearbeitung, die Bearbeitungsdauer, die Antragskosten und nicht zuletzt die Chancen auf einen gewünschten Ausgang des Antrags vom Bundesland und der Kommune ab.
Antragbeispiel 1: Bayern, gescheitert
In Unterschleißheim wurde ein Antrag gestellt eine PV-Anlage bestehend aus Glas-Glas-Modulen mit (ANSI/UL 790-)Brandklasse A mit 30 cm Abstand zum Reihenhausnachbarn zu bauen. Das Landratsamt München antwortete: „Ein Unterschreiten des Mindestabstandes zum Nachbarn von 0,50 m kann nicht zugelassen werden. In der Regel müssen Solaranlagen einen Abstand von 1,25 m zur Brandwand aufweisen. Mit der Novellierung der BayBO hat der Gesetzgeber bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 30 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 a) und b) BayBO ein weiteres Heranrücken auf 0,50 m zur Brandwand zugelassen. Es müssen also Kompensationsmaßnahmen erfüllt werden, um den Regelabstand von 1,25 m unterschreiten zu dürfen. Eine weitere Unterschreitung des Mindestabstandes sieht der Gesetzgeber nicht vor und kann aus Gründen des vorbeugenden Brandschutzes auch nicht zugelassen werden.“
DGS und BSW sehen dies zwar anders, von solchen Modulen oberhalb einer nichtbrennbarenDIN Dacheindeckung geht keine nachgewiesene Gefahr einer Brandweiterleitung aus, dies dürfte im Landratsamt aber nur schwer zu vermitteln sein. Ein Sachverständiger könnte mit einer gesonderten brandschutztechnischen Bewertung weiterhelfen, dies dürfte dann allerdings mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden sein. Energiewende geht anders.
Antragbeispiel 2: NRW, stattgegeben
In Düsseldorf wurde folgender Antrag gestellt: „Zur Installation einer wirtschaftlich sinnvollen PV-Anlage (Glas/Glas-Module), möchte ich den nach § 32 der LBO NRW vorgeschriebenen Mindestabstand von 50 cm zu Nachbardächern auf 20 cm unterschreiten. Hintergrund: Bei meinem schmalen Reihenmittelhaus könnten auf diese Weise 12 statt nur 6 Standardmodule installiert werden. Die geplanten Glas/Glas-Module entsprechen dabei den höchsten Brandschutzanforderungen und stellen somit keine erhöhte Gefahr dar.“ Dem Antrag wurde stattgegeben. Es bestanden keine Bedenken. Allerdings wurden für Bearbeitung und die Bewilligung 400 EUR aufgerufen.
Die Beispiele machen deutlich, warum jedem Interessierten empfohlen wird, sich zunächst beim zuständigen Bauaufsichtsamt über Dauer, Kosten und Erfolgschancen zu informieren. Dieser Umstand zeigt auch wie wichtig eine bundeseinheitliche Regelung ist und wie hilfreich klärende Ausführungsverordnungen sein können.
Wir ermutigen Interessierte Anträge zu stellen. Anträge müssen bearbeitet werden. Ohne Antrag bleiben die Ämter bei ihren Vorgaben aus ihren LBOs. Wir unterstützen Sie und Ihren Antrag durch Informationen4). Teilen Sie Ihre Erfahrungen mit uns. Wir sammeln und bündeln diese als Argumentationshilfe für weitere Anträge.
Eine gesonderte brandschutztechnische Bewertung durch einen Sachverständigen mit positiver Bewertung sollte von Bauaufsichtsämtern auch zur Umsetzung geringerer Abstände akzeptiert werden. Hierzu liegen der DGS Franken jedoch noch keine Erfahrungen vor.
Noch ein Wort zur Brandgefahr
In diesem Artikel ging es um die Gefahr der Brandweiterleitung wenn es auf der einen Seite einer Brandwand brennt und es auf der anderen Seite der Brandwand nicht zu einem Brand kommen soll. Es geht explizit nicht um Gefahren eines Brandrisikos auf dem eigenen Gebäude durch den Betrieb einer Photovoltaikanlage. Letztere werden z.B. vom Fraunhofer ISE benannt. In der Fassung vom 04.02.2022 heißt es: „Die Einhaltung der bestehenden Regeln durch qualifizierte Fachkräfte ist der beste Brandschutz. 0,006 Prozent der Photovoltaikanlagen verursachten bisher einen Brand mit größerem Schaden.“ Und „Photovoltaikanlagen stellen im Vergleich mit anderen technischen Anlagen kein besonders erhöhtes Brandrisiko dar.“ Auch der Pressesprecher der Feuerwehr Karlsruhe sieht durch Installation und Betrieb von PV-Anlagen keine erhöhten Brandgefahren. Eine regelmäßige Wartung erhält diese Sicherheit dauerhaft. Für alle Komponenten bis hin zur Installation wurden normative Vorgaben entwickelt, die diese Gefahren minimieren, sowohl auf nationaler Ebene (VDE-Normen) als auch auf internationaler Ebene (EN, IEC-Normen).
Zur Einordnung: In Deutschland gibt es etwa 180.000 Brände pro Jahr. Und bei 6 Bränden war die Photovoltaikanlage der Auslöser. Das entspricht einer Quote von 0,003 %.
Fazit
Da ein erheblicher Anstieg der Zubauraten notwendig ist, um die klimapolitischen Ziele zu erreichen, müssten die öffentlich-rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden, natürlich unter Berücksichtigung sicherheitsrelevanter Aspekte. Die Regelungen zur Einhaltung von Mindestabständen zu Brandwänden sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und vor allem politisch motiviert. Insbesondere bei Reihenhäusern stoßen die aktuellen Regeln auf Unverständnis und Verwirrung. Wer eine PV-Anlage errichten und die Abstandsregelungen seines Bundeslandes unterschreiten will, kann dies beantragen. Interessierte möchten wir motivieren, entsprechende Anträge zu stellen und unterstützen sie durch Informationen.4)
Fußnoten
1) Bundesverband Solarwirtschaft e. V. (BSW), Maria Roos
2) Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS), Herr Björn Hemmann, Herr Ralf Haselhuhn
3) Landesverband Erneuerbare Energien NRW e.V. (LEE NRW), Herr Philipp Hawlitzky
4) Anhörung zur Änderung der Musterbauordnung (MBO) – Stellungnahme, Download: www.dgs-franken.de/service/pv-undbrandwaende/
5) www.bauministerkonferenz.de
Björn Hemmann