Zeitenwende
Als ich vor zwei Jahren das Editorial für die SONNENENERGIE 4|20 verfasste, hagelte es anschließend von einigen Seiten heftige Kritik. Denn ich hatte es in meinem Text gewagt, darauf hinzuweisen, dass mit 2021 das letzte Jahr von Bundeskanzlerin Angela Merkel anbreche, und dass wir froh sein könnten, diese energie- und klimapolitische Versagerin samt ihrer politischen Entourage per Wahl loszuwerden. Für viele meiner Kritiker war das zu klar und zu scharf formuliert; ihnen fehlte es bei mir am subalternen Ton gegenüber der hochmögenden Bundeskanzlerin.
Darüber sind nun zwei Jahre ins Land gegangen. Inzwischen hat nicht nur das Bundesverfassungsgericht im März 2021 ein „Grundrecht auf eine menschenwürdige Zukunft“ postuliert und in diesem Sinne die Zukunftsblindheit des Merkelschen Bundes-Klimaschutzgesetzes kassiert, sondern der Ukraine-Krieg hat auch einen Schlusspunkt unter Jahrzehnte einseitig von Russland abhängiger fossiler Energiepolitik gesetzt. Weitere deutsche Abhängigkeiten Merkelscher Provenienz wie die vom immer autoritärer werdenden China oder von den coronafragilen internationalen Lieferketten treten inzwischen deutlich hervor. Anfang Oktober diesen Jahres betitelte die Spiegel-Redakteurin Susanne Beyer ihr Essay mit „Ein Jahr nach ihrer letzten Bundestagswahl: Warum vermisst eigentlich niemand Angela Merkel?“ Tja, warum wohl ...
Ein Grund ist sicherlich die Zeitenwende insbesondere in der Energiepolitik, brandbeschleunigt durch Putins Krieg, aber auch in der Ampelkoalition gewollt, insbesondere vom Grün geführten BMWK. Und es hat sich einiges getan, viele Politbremsen der Erneuerbaren Energien im letzten Jahrzehnt wurden deutlich gelockert: Im EEG 2023 wird den Erneuerbaren endlich Vorrangigkeit im öffentlichen Interesse zugebilligt; dem Abstandsfetischismus bezüglich der Windenergieanlagen – besonders in Bayern – wurden Grenzen gesetzt; das Abwürgen der kleinen Wasserkraft durch den Pseudo-Naturschutz wurde gestoppt. Zweifellos hat die neue Bundesregierung die Herausforderung der Transformation des Energiesystems im Sinne seiner Dekarbonisierung entschlossen angenommen, auch wenn u. a. das FDP-geführte Verkehrsministerium noch wenig diesbezügliche Betriebsamkeit zeigt.
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten, und diesen Schatten werfen die neuen großen LNG-Terminals. Klar, die Ampel fürchtet die drohende Energiekrise und den Volkszorn über einen Dicker-Pulli-Winter – der deutsche Spießer wird ja immer dann hochaktiv, wenn seine eigene Bequemlichkeit bedroht ist. Andererseits ist gerade LNG unter den Erdgasen ein hochgradiger Klimakiller, und Deutschland ist nicht mal bei seinem selbstgesetzten, schwachen Ziel „Klimaneutralität 2045“ auf dem richtigen Pfad. Doch die wirklichen Klimaziele werden nicht vom Parlament, sondern von der Physik gesetzt. Und danach bleiben uns keine sieben Jahre mehr, um die Pariser 1,5°-Latte nicht zu reißen. Wenn wir aber eine überlebenssichere „Klimaneutralität 2030“ wollen, müssen wir ab heute deutlich schneller handeln.
Was aber tun? Wie wäre es, wenn man endlich die Erneuerbaren Energien von ihren ganzen Fesseln befreite? Also: Balkonkraftwerke unterhalb einer Bagatellgrenze von 600 W generell anmeldefrei machen und ein unbürokratisches Net-Metering einführen sowie auf Wieland-Stecker verzichten! Ein Recht auf Wasserkraftnutzung für alle Grundbesitzer eines ehemaligen Mühlenstandorts/Mühlenrechts. Und bei den bisweilen sich 7 Jahre hinziehenden Genehmigungsverfahren von Windkraftanlagen könnte man ähnlich vorgehen wie bei den Gerichtsverfahren gegen Untersuchungshäftlinge: wenn das Verfahren nicht in einer angemessenen Frist (etwa 2 Jahre) abgeschlossen ist, ist der Gefangene frei bzw. die Anlage genehmigt. Dies sind nur einige wenige unter vielen Möglichkeiten. Aber diese Möglichkeiten jetzt Wirklichkeiten werden zu lassen, sie schnell umzusetzen, ist heute (überlebens-)wichtiger denn je.
Dr. Götz Warnke