Mehrfachnutzen durch Freiflächensolarwärme
Ausgereifte Technologie mit überragender Flächeneffizienz und riesigem Klima- und Artenschutzpotential: Wann entfesseln wir die dringend benötigte Freiflächen-Solarthermie mit einem Booster-Programm? Angesichts kollabierender Wetter- und Ökosysteme hat sich die Notwendigkeit das Verbrennen fossiler Brennstoffe zu beenden dramatisch erhöht. Eine brennstofffreie Technologie, die seit Jahrzehnten eine zu wenig beachtete Rolle spielt, ist die Solarthermie. Im Einfamilienhaussegment ist sie die stille, fast schon langweilig zuverlässige Ergänzung zur Heizungsanlage. Beinahe unbemerkt hat sich in den letzten Jahren das Segment für solarthermische Großanlagen entwickelt. Zunächst in Dänemark, nun weltweit, werden Hochleistungssolarkollektoren in Megawatt Freiflächenanlagen installiert. Nach anfänglicher Zurückhaltung werden immer mehr und immer größere Anlagen auch in Deutschland geplant und gebaut. Solare Fern- und Prozesswärme hat ein gewaltiges Potential, das sofort naturverträglich genutzt werden kann, sobald geistige und regulatorische Handbremsen gelöst werden.
Warum die Vorteile nicht einfach kombinieren?
Ein offensichtlicher Vorteil von Freiflächen-Solarthermieanlagen liegt in der Möglichkeit, Skaleneffekte zu nutzen und sehr große Mengen Wärme zu einem sehr attraktiven Preis zu produzieren. Diese brennstofffrei erzeugte gesunde Wärme kann für kommunale Fernwärmenetze oder industrielle Prozesswärme genutzt werden. Von Frühjahr bis Herbst können große Solarthermieanlagen erheblich dazu beitragen, den Wärmebedarf in Wärmenetzen zu decken und somit die Abhängigkeit von fossilen und biogenen Brennstoffen zu verringern. Selbst im Winter ist dies möglich, wenn die Anlagen nur mutig groß genug geplant und gebaut werden. Kombinationen mit großen Heißwasserspeichern, die solare Überschüsse aus dem Sommer bis in die Heizperiode bereithalten, und Großwärmepumpen holen aus dem ausgeklügelten Zusammenspiel mehrerer Technologien mehr heraus, als wenn jede einzeln genützt würde. Der Nutzen der großen Anlagen für die lokale Fauna und Flora als artenreiches Trittsteinbiotop einer ganzen Region besteht davon unabhängig das ganze Jahr über.
Naturverträglichkeit und Naturdienlichkeit
Ein bisher kaum genutzter Vorteil ist, Freiflächen mehrfach zu nutzen. So können zum Beispiel – wie von der PV bereits vorgemacht - Schaf- oder Hühnerhaltung, Imkerei, Anbau von Beeren oder Röhricht auf den unversiegelten und nicht gedüngten Böden unter und zwischen den Kollektoren stattfinden. So werden nicht nur Wärmeerträge generiert, sondern auch wertvolle Nist-, Balz- und Arbeitsplätze geschaffen. Eine derart kombinierte Flächennutzung trägt also ganz nebenbei zur Steigerung der Biodiversität bei. Und nicht zuletzt steigen die Zustimmungswerte in der Bevölkerung, wenn die Möglichkeit zu einer wirtschaftlichen Beteiligung an „ihrer“ Anlage angeboten wird.
Durch die Verschattung der Fläche unter den Solarkollektoren wird zudem die Bodenverdunstung reduziert. Ein feuchterer Boden erlaubt der Vegetation sich besser zu entwickeln und erhält Tieren, Pflanzen und Pilzen einen Lebensraum, der anderweitig durch Monokulturen oder Versiegelung verloren gehen würde. Dies trägt dazu bei, den Grundwasserspiegel vor einem Absinken zu schützen und den Wasserhaushalt in der Region zu stabilisieren. Konsequent weitergedacht bedeutet das, dass auch Moore wiedervernässt, zu Wasserbüffelhaltung und Rohrkolbenanbau genutzt werden können (Paludikultur), alles unter hoch montierten, unterfahrbaren Solarkollektoren.
Nicht zuletzt liegt ein weiterer Vorteil von Freiflächen-Solarthermieanlagen in ihrer Flexibilität. Megawatt-Anlagen können innerhalb eines Jahres aufgebaut werden und sind unabhängig von kleinräumigen und nur teuer erschließbaren Dachflächen. Sie können leicht erweitert oder zurückgebaut werden. Das ermöglicht eine schnelle Anpassung an den Wärmebedarf und eine leichte Integration in bestehende Wärmesysteme – egal mit welchen anderen Wärmeerzeugern.
Es bleibt richtig: Die Sonne schreibt keine Rechnung
Ökologische sind auch ökonomische Vorteile. So tragen sie dazu bei, die Abhängigkeit von Brennstoffpreisschwankungen oder Brennstoffverfügbarkeit zu verringern und den Wärmepreis langfristig und vorhersagbar zu stabilisieren.
Es ist höchste Zeit, uns einzugestehen, dass wir uns mit der fossilen Infrastruktur in eine Sackgasse manövriert haben. Wir können uns nicht mit einem mehr desgleichen, mit einer linear gedachten Weltanschauung dort herausentwickeln. Wir müssen die Dinge zusammendenken. Jede Baumaßnahme zur Wärmewende muss Zusatznutzen erbringen. Solarthermie-Freiflächenanlagen bieten eine Vielzahl von Vorteilen, die nicht nur dem Klima- und Artenschutz dienen, sondern auch zur nachhaltigen regionalen Wertschöpfung beitragen.
Wann wird Solarthermie im LNG-Terminal- oder PV-Tempo ausgebaut?
Es ist mehr als ärgerlich, dass wir in Deutschland immer noch auf Hemmnisse aus Unwissen, Mutlosigkeit und im Wortsinne fossilen Regularien stoßen, die eine schnelle Genehmigung und Umsetzung von Freiflächen-Solarthermieanlagen zugunsten des Gemeinwohls verhindern. Trotz des Bedarfs an sofortiger Dekarbonisierung gibt es in Deutschland nur eine Handvoll erfahrene Fachplaner und Anbieter für schlüsselfertige Megawatt-Solarthermieanlagen. Geradezu unfassbar ist es, dass auf der politischen Entscheiderebene Solarstrom und Solarwärme allzu oft immer noch nicht unterschieden werden können. Diese erschreckende Unkenntnis trägt erheblich zu der Fixierung auf den „all-electric“ Ansatz bei. Dessen Verfechter glauben, dass Strom die Lösung für alles ist: Mobilität, Licht, Kraft, und eben auch Heizen. Was dabei übersehen wird sind Flächenbedarfe für die Stromproduktion, Pfadabhängigkeiten, Gestehungskosten – und Jahreszeiten. Denn in den Wintermonaten wird Strom zum Heizen sehr lange sehr teuer bleiben.
Wenn wir also wirksam Klimawandel bekämpfen und Artensterben beenden wollen, müssen wir dringend unser Vorgehen ändern und den Ausbau von Solarthermie-Freiflächenanlagen, die kaum Strom benötigen und im Sommerhalbjahr billig Wärmevorräte für den Winter produzieren können, massiv beschleunigen.
Wenn klar und grundgesetzlich gedeckt ist, dass Erneuerbare Energien von überragendem öffentlichem Interesse und ein Element der nationalen Sicherheit sind, sollten wir uns fragen, warum wir Ausschreibungsverfahren und Genehmigungsprozesse nicht für fünf Jahre aussetzen, um Tempo beim Bau von Anlagen zu bekommen, und sichere Anreize für den Ausbau der Fertigungskapazitäten zu setzen. Wir müssen die strukturellen Konflikte zwischen bisheriger Nutzung der Flächen für z.B. Futtermittelanbau und Solarthermie zugunsten einer nachhaltigen, also ökologischen Mehrfachnutzung der Flächen lösen. Menschgemachte Gegensätze zwischen Umweltschutz und Landwirtschaft sind vor allem das: menschgemacht. Lasst uns das ändern! Wir brauchen Landwirte, die große Flächen mit großem Gerät bewirtschaften können, und die dafür bezahlt werden das Richtige zu tun. Dazu gehört die Pflege der Hecken, die statt Zäunen um die Anlagen herum errichtet werden.
Unterstützung benötigen auch Verfassungsrechtler wie Jens Kersten1), die zu kurz greifende Reformversuche ablehnen und stattdessen eine revolutionäre Grundgesetzänderung vorschlagen, um die notwendigen Änderungen durchzuführen. Nichts weniger braucht es mittlerweile.
Vom Kopf auf die Füße: Nicht mehr kleckern, sondern klotzen
Eine Freiflächen-Solarthermieanlage hat einen Planungsaufwand, der von ihrer Größe fast unabhängig ist. Eine Anlage mit 2.000 m2 Kollektorfläche braucht ähnlich viel Aufwand für Konzeption, Entwurf, Genehmigung und Ausführung wie eine 20.000 oder 100.000 m2 Anlage. Ein Planungsteam kann sich also ein Jahr lang mit vielleicht 10 kleinen Anlagen beschäftigen - oder mit 10 großen. Für den deutschen und weltweiten Klimaschutz macht es aber einen gewaltigen Unterschied, ob in einem Jahr 20.000 m2 Kollektorfläche mit 14 MW oder 1 Million m2 Kollektorfläche mit 700 MW thermischer Leistung das Verbrennen von Kohlenstoff verhindern! Und da wir nur sehr wenige Planungsteams in Deutschland und weltweit haben, sollten wir ihre wertvolle Zeit und Kompetenz für klimawirksame Großanlagen nutzen. Diesen Ansatz verfolgt der Vorschlag eines „Sonderprogramms 16/26“, der 2022 dem Bundeswirtschaftsministerium vorgelegt wurde.
Für die Solarthermie fordert dies den Bau sehr großer Freiflächenanlagen, beispielsweise ab 30 MW installierter Leistung. Idealerweise werden diese mit großen saisonalen Multifunktions-Wärmespeichern und Mehrfachnutzungen der Flächen wie oben beschrieben kombiniert. Fernwärme, industrielle Prozesswärme, und die lokale Biodiversität werden hiervon sehr schnell profitieren können.
Das Sonderprogramm soll in 16 Bundesländern bis 2026 die jeweils am schnellsten realisierte Anlage ab 30 MW mit einer Extraförderung belohnen. Diese kann so erfolgen, dass pro kWh erzeugter Wärme 1 ct/Jahr über die Laufzeit von 25 Jahren angesetzt wird. Damit käme eine Zusatzförderung von 25 ct/kWh Ertrag als investitionsdämpfende Einmalzahlung zu Beginn des Anlagenbetriebs hinzu.
Mit dem Booster-Programm 16/26 würden Fachunternehmen klotzen und sich auf sehr große und damit schnell klima- und artenschutzwirksame Anlagen konzentrieren. Zusätzlich wird den Herstellern und Planern ein Signal gegeben, in den Standort Deutschland mit Personal und Fertigungskapazität zu investieren. Die deutsche Fernwärme und Prozesswärme würde damit eine europäische Vorreiterrolle mit großen Exportchancen einnehmen. Dies würde auch die Stromnetze entlasten, weil Wärme aus Wärme und nicht aus kostbarem Strom bereitgestellt wird.
Unabhängig davon ist eine jährlich anwachsende Quote „grüner Wärme“ für Fern- und Prozesswärmenetzbetreiber ordnungsrechtlich einzuführen. Denn allein auf Basis von Anreizmechanismen werden weder die Energiewende im Fernwärmesektor noch der Umbau der Landwirtschaft weg von Fleischproduktion hin zu nachhaltiger Kreislaufwirtschaft schnell genug gelingen.
Worauf warten wir?
Ein bedeutsamer Hinderungsfaktor für die Errichtung von Solarthermieanlagen der Megawattklasse ist die Verfügbarkeit geeigneter siedlungsnaher Flächen. Zur Erleichterung der Standortsuche und Genehmigungsverfahren muss deshalb eine Privilegierung gemäß § 35 Baugesetzbuch erfolgen, wie sie z.B. für die PV bereits geregelt ist. Dies würde bedeuten, dass die Planer zwar immer noch eine Baugenehmigung brauchen, aber vorher kein aufwändiges Bebauungsplan-Verfahren durchführen müssen.
Wir haben viel Zeit verloren. Sie ist uns gestohlen worden von der Klimaschmutzlobby und den von ihr unterstützen Parlamentariern. Jetzt ist es Zeit, auf den Einsatz der sofort verfügbaren großen Solarthermie, und vor allem auf den Schutz unserer Lebensgrundlagen für mehr Resilienz zu bestehen. Wir müssen den Ausbau von Solarthermie-Freiflächenanlagen massiv beschleunigen und Themen wie Landwirtschaft, Gartenbau, Moorbewirtschaftung, Verbesserung der Artenvielfalt, und Abbau fossiler Subventionen zusammendenken. Lasst uns heute damit beginnen. Denn es könnte alles so schön sein. Oder anders formuliert: „Wir haben keinen Platz“ sagt, wer Lösungen nicht finden will.
Fußnote: 1) www.deutschlandfunk.de/neues-recht-fuer-eine-neue-epoche-100.html
Torsten Lütten