Die neue Karriere der CO2-Steuer
Oder wie eine begrenzte Forderung ohne Konzept popularisiert wird: Es dürfte nicht nur der Wahlkampf sein, der gegenwärtig die Forderung nach einer CO2-Steuer so in den Vordergrund spült. Neben den Abfragen in diversen Wahlprüfsteinen ist das Thema einer CO2-Bepreisung Gegenstand aktueller Studien und Statements von Parteien und Verbänden. Sogar ein Verein CO2 Abgabe e.V. hat sich Anfang 2017 gegründet. Woher kommt diese Konzentration auf ein Thema, das alles andere als neu ist? Seit 2005 gibt es CO2-Zertifikate im Rahmen des europäischen Emissionsrechtehandel ETS (emissions trading system), doch sie gelten als Flop. Seit langem dümpelt ihr Preis bei rund 6 Euro pro Tonne Kohlenstoffdioxid. Mindestens 40 bis 60 Euro wären nötig, um eine Wirkung für den Klimaschutz zu entfalten. Das aber hat die Politik zu verhindern gewusst. Trotzdem spricht der Vorschlag eines Preisaufschlages auf das Klimagas viele Menschen an. Die Tatsache, dass die Verursacher der globalen Klimakrise sich über opulente Subventionen freuen dürfen, die Schäden ihrer Emissionen aus Kraftwerken, Heizungsanlagen und Verbrennungsmotoren ihnen aber nicht in Rechnung gestellt werden, empfinden viele Menschen als falsch. Zumal die Reparaturkosten für Umwelt und Gesundheit anschließend dem Steuerzahler in Rechnung gestellt werden. Sie werden externalisiert, wie es im Politdeutsch heißt.
Nun sind Umweltschäden kein neues Thema. Ein kurzer Blick in die Geschichte der Umweltbewegung der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zeigt, auch damals ging es um Luft- und Wasserverschmutzung, um Gesundheitsschäden bei Mensch und Tier. Die klassische Umweltbewegung konnte mit der Anhebung bzw. Einführung von Schadstoffgrenzwerten, mit einem System der Überwachung und Strafandrohung durchaus Erfolge erzielen. Schon damals spielte die Diskussion um das Verursacherprinzip eine große Rolle, auch wenn es sich nicht voll durchsetzen lies. Der Unterschied zur heutigen Situation besteht darin, dass der Planet Erde, eine Generation später, erkennbar an seine Grenzen gekommen ist mit Folgen, die weder ökonomisch noch klimatisch erfreulich sind. Hatte diese erste Umweltbewegung ihren Ausklang darin gefunden, dass alternative Energien in den Blick kamen und in der Vision, eine Energiewende sei möglich gipfelte, so stecken wir nun mitten drin im Prozess der Transformation. Heute sind Umwelt- und Klimathemen verknüpft mit der Frage, wie eine Solarisierung von Wirtschaft und Gesellschaft schnellstmöglich vollzogen werden könne. Zumal anhand der Photovoltaik bewiesen wurde, wie schnell und erfolgreich sich die Solartechnologie zu einer leistungsfähigen und ökonomischen Alternative entwickeln lies.
Überraschend breiter Konsens
Zu den Erfahrungen gehört aber auch, dass die Energiewende kein Selbstläufer ist. Immer deutlicher stellte es sich, gewissermaßen parallel zu den Erfolgen der Ökostromer, heraus, dass die ökonomischen Verhältnisse auch politische Kräfteverhältnisse sind, die jenseits der parlamentarischen Mehrheiten einwirken. Die mächtigsten Industriegruppen, die im Zeitalter der Industrialisierung entstanden waren, sind Kinder der fossilen Brennstoffe und der Verbrennungstechnologien. Darauf bauten sie ihre Weltgeltung, ihre Macht und ihren Reichtum auf. Geändert hat sich daran bis heute nichts, sie spielen immer noch die erste Geige. Die nach den Erfolgen von PV und Wind so optimistische Energiewendebewegung hat seit 2011 schmerzhaft erfahren müssen, wie politisch machtlos sie noch ist - und wie machtvoll das fossile Imperium immer noch agiert. Jetzt, nachdem die Merkel-Regierung die Geschütze der mächtigen alten Industrien in Stellung gebracht und die weitere Entwicklung der Erneuerbaren in Deutschland und Europa harsch abgebremst hat, wird so manchem Solarfreund bewusst, dass im Überschwang der Gefühle auch ein gerüttet Maß an politischer Naivität mit im Spiel war. Es fällt noch immer schwer sich klar zu machen, dass die Mächtigen der Energie- und Mobilitätsbranche nicht im Traum daran denken, von ihren Positionen abzugehen und im globalen Klimawandel sogar eine Chance sehen, die bekannten oder noch zu findenden fossilen Ressourcen bzw. Reserven aus dem Boden zu holen. Sie sehen das 21. Jahrhundert tatsächlich nicht als Jahrhundert der Erneuerbaren, sondern der Fossilen.
Dafür mögen momentan US-Präsident Trump und die amerikanischen Konzerne samt ihrer Fracking-Offensive stehen. Man soll sich aber nicht einbilden, dass Russlands Putin und die europäischen Konzerne samt ihrer Politikerkaste das grundsätzlich anders sehen möchten. Letztere sagen es nur nicht so laut. Man schaue sich das "Weiter so" des Berliner Dieselgipfels an. Und welch anderem Zweck sollen die neuen Pipelineprojekte in der Ostsee und im Mittelmeer dienen? Warum versuchen die Amerikaner mit verflüssigtem Erdgas (LNG) ins europäische Geschäft von Gazprom einzubrechen? Sicher nicht um die Solarisierung der Welt voranzutreiben. Ausgerechnet in dieser Gemengelage, die sich überraschend dynamisch entwickelt und deren Ergebnis sich auch in der kommenden neuen Bundesregierung bzw. ihrem Koalitionsvertrag widerspiegeln wird, gewinnt die Forderung nach einer CO2-Steuer an Popularität. Sie ist erkennbar eine sehr emotionale Ansage, die Gerechtigkeit einfordert, was viele Befürworter, auch außerhalb der Energiewendebewegung, vereint. Das macht die Stärke dieser Forderung aus. In ihr lässt sich die Empörung über die Ignoranz und Unnachgiebigkeit der Fossilen ausdrücken sowie auch der Wille, dass man sich das eigentlich nicht gefallen lassen möchte. So gesehen ist sie richtig und gerecht.
Sie offenbart aber auch Schwächen. Nimmt man die Einschätzung der politischen Kräfteverhältnisse ernst, muss man eingestehen, so schnell wird sich keine politische Konstellation finden, die einer CO2-Steuer zur Realisierung verhilft. Sie stellt eher den zweiten Schritt vor dem ersten dar. Alleine das macht sie nicht falsch. Aber die auf den ersten Blick so einleuchtende Forderung hat weitere Schwachpunkte. Steigt man in die Diskussion mit unterschiedlichen Protagonisten ein, offenbart sich, dass unterschiedliche Inhalte und Ziele damit verbunden werden. So sieht der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) in einer CO2-Steuer für Strom ein Gegenmodell und Ersatz für die Stromsteuer. Über eine Ausdehnung auf den Wärme- und Mobilitätsbereich ist er sich noch nicht im Klaren. Der Verein CO2-Abgabe e.V. will damit den Ungerechtigkeiten bei der Finanzierung der Energiewende zu Leibe rücken. Deswegen empfiehlt er auch keine Steuer, sondern eine CO2-Abgabe. Juristisch ist das insofern ein Unterschied, als eine Abgabe zweckgebunden sein kann, eine Steuer hingegen nicht.
Kein Konzept vorhanden
Mit dem scheinbaren Vorteil, dass sie alle fossilen Energieträger gleichermaßen besteuern könnte, verbinden viele Befürworter einer CO2-Bepreisung die Hoffnung, den Dschungel von Umlagen, Steuern und Entgelten (USE) lichten zu können. Inwiefern es realistisch ist, eine CO2-Steuer als Ersatz und Kompensation für die Vielzahl und Komplexität der USE einzuführen, mag dahingestellt bleiben. Und außerdem, wurde in Deutschland jemals eine wichtige Steuer abgeschafft? Allein am Beispiel des Strombereiches zeigt sich, wie unterschiedlich die jeweiligen USE wirken und wie unterschiedlich auch die Profiteure oder Begünstigten sind. Die Vorstellung einer Vereinheitlichung bzw. einer Vereinfachung fällt schwer. Auch wenn es attraktiv erscheint, die Befreiungen von der EEG-Umlage abzuschaffen und stattdessen eine CO2-Steuer zu verordnen, so sich eine Parlamentsmehrheit dazu findet. Anders verhält es sich etwa mit den Netzentgelten, die zwar, ärgerlich genug, einer Lizenz zum Gelddrucken für die Übertragungsnetzbetreiber gleich kommen, aber mit der Bereitstellung einer Leistung verknüpft sind. Die Umverteilungs-und Privilegierungseffekte des EEG im Stromsektor auf einen Schlag per CO2-Steuer beseitigen zu wollen, scheint reizvoll, aber unrealistisch. Da spielt die populäre Forderung wohl eher die Rolle der eierlegenden Woll-Milch-Sau. Die Metapher von der CO2-Bepreisung scheint sich zum Wunderding zu entwickeln, zum Schlüssel für die Lösung fast aller Probleme der Energiewende. Beim Verein CO2-Abgabe schwärmt man sogar von einer Win-win-Situation für alle. Das müsse und könne man vor allem mittelständigen Unternehmern klar machen.
Die Überschätzung der Wirkung einer Forderung, und sei sie noch so richtig, drückt sich auch in einem anderen Zusammenhang aus. Im Zuge des Neoliberalismus ist es modern geworden, alles den Märkten zu überlassen. Es gelte nur, die richtigen Anreiz- und Steuerungsmechanismen zu finden, um die gewünschte Marktergebnisse zu erzielen. Das gelte auch für die Durchsetzung der Erneuerbaren. In diesem Zusammenhang wird die CO2-Bepreisung als adäquater Marktmechanismus gepriesen, etwa durch Ökonomen wie Prof. Ottmar Edenhofer vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change GmbH. Dass die Realität der politischen Einflussnahme sich einen Dreck um die Theorien der Marktmechanismen kümmert, lassen Ökonomen gern unter den Tisch fallen. Die CO2-Bepreisung wirke dem "Überangebot" fossiler Energieträger entgegen, so Edenhofer. Wegen niedriger Preise der fossilen Energieträger müsste die Klimapolitik ohne CO2-Bepreisung ständig gegen die Marktkräfte ankämpfen. Das mache auch den Ausstieg aus der Kohleverstromung so schwierig. Wieso die Klimapolitik gegen die "Marktkräfte" ankämpfen muss, wird bei Edenhofer interessanterweise gar nicht mal verschleiert. "Die fossilen Energieträger werden jährlich mit rund 150 €/t CO2 subventioniert". Dass dies eine politische Beeinflussung zu Gunsten der mächtigen Marktakteure und kein Marktmechanismus ist, spricht Edenhofer an dieser Stelle nicht aus. Stattdessen postuliert er, aus diesen "negativen CO2-Preisen müssen positive Preise werden". Doch wie ein "klimagerechter Energiemarkt" entstehen soll, sagt er nicht.
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Klaus Oberzig