Gibt es ein Grundrecht auf billige Energie?
Grundrechte sind ein hohes Gut: Werte wie das Recht auf Menschenwürde und auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Leben, auf Eigentum und freie Wahl von Beruf und Aufenthaltsort sind in den Verfassungen oder anderen Gesetzen der europäischen Länder verankert. Ein Grundrecht auf Energie, zumal „billige Energie“, findet sich wörtlich nirgends.
Mangelnde Energie gefährdet Grundrechte
Und doch sind Grundrechte schnell berührt, wenn es an Energie mangelt. Eine funktionierende Heizung und Warmwasser bedeuten beispielsweise nicht nur gesundes, behagliches Wohnen und Hygiene, sondern im Extremfall Überleben: Während der Kältewelle Anfang 2012 erfroren Hunderte von Menschen, zumeist in Osteuropa. Einige aber auch mitten in Deutschland.
Und wer keinen Strom hat, hat auch kein Telefon und kein Internet, bald keine saubere Wäsche mehr und auch kein warmes Essen. Neben der Informationsfreiheit kämen schnell die grundlegendsten Bedürfnisse nach Sauberkeit und Gesundheit zu kurz. Bei einem langfristigen Stromausfall könnte sich glücklich preisen, wer noch einen Holz- und Kohlenherd sein eigen nennt und einen Wäscheofen.
Energie ist Teilhabe
Früher wäre dieser Kommentar mit Hilfe von Printmedien recherchiert und auf einer mechanischen Schreibmaschine getippt worden. Heute geht kaum mehr etwas ohne elektronische Medien; genauso, wie viele Menschen im (Berufs)Alltag nicht auf das Auto verzichten können. Steigende Kraftstoffpreise treffen sie empfindlich. Das kommt einem Eingriff in die Freiheit der Berufswahl nahe und schränkt das Recht am Eigentum, dem Auto, ein. Und ist es nicht auch eine Frage der Menschenwürde, ob ein Hartz-IV-Empfänger wieder ins Arbeitsleben zurückfindet? Ohne Auto kann das auf dem Land schon fast unmöglich sein. Ein Teufelskreislauf: Ohne Mobiliät kein Job, ohne Job kein Geld für ein Auto, für Diesel oder Benzin. Und ist es nicht kurios, dass, wer sich ökologisch fortbewegen und ernähren will, am besten in die Stadt zieht? Nur hier sind Schulen und Bibliotheken, Ausbildungsstellen und Jobs, Arztpraxen und Einkaufsmöglichkeiten zu Fuß, per Fahrrad oder zumindest mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Energie ist die Voraussetzung für Teilhabe am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben.
Hat der Staat die Pflicht, für Energie zu sorgen?
„Billige Energie“ hat ihren Preis: Atomunfälle und Endlagerproblematik, die Jagd nach Ressourcen an immer entlegeneren Orten der Welt und Kriege für Öl bedrohen unsere Lebensgrundlagen; die konventionellen Energien gehen zur Neige. Immerhin zählen Energieversorgungssicherheit und Energiewende mittlerweile zu den Hauptzielen der EU-Energiepolitik. Generell ist der Staat gegenüber seinem Volk zur Daseinsvorsorge verpflichtet. Dabei brauchen wir nicht per se „billige Energie“, sehr wohl aber eine Reihe von Dingen, die gemeinhin mit Energie ermöglicht werden. Der Ruf nach billigem Benzin oder Heizöl ist da viel zu kurz gegriffen; vielmehr ist nachhaltige Energie gefragt – und die Bereitstellung von Alternativen. Mobilität zum Beispiel heißt für mich nicht billig Tanken, sondern dass es ein konkurrenzfähiges öffentliches Verkehrsnetz gibt, auch im ländlichen Raum. Das erhöht gleichzeitig die Chancen derer, die sich kein eigenes Auto leisten können – oder noch zu jung zum Fahren sind. Die Förderung von regenerativen Energien wie Solarthermie hilft ebenso die Grundversorgung sichern. Sie ist dezentral einsetzbar und gibt einzelnen Haushalten ein Stückchen Unabhängigkeit zurück.
Mit Energie in die Zukunft
Zu einer guten Altersvorsorge gehört auch, sich gegen steigende Energiepreise zu wappnen – nicht nur für die gern zitierte Zukunft unserer Kinder, sondern für die eigene. Denn was nützt das Eigenheim oder die Eigentumswohnung, wenn Energie- und Nebenkosten die Höhe einer Miete annehmen, die man sich eigentlich sparen wollte? Eigenheimbesitzende tun gut daran, rechtzeitig in die energetische Sanierung zu investieren und dabei Erneuerbare Energien zu setzen – zum Beispiel mit einer Solarthermieanlage. Denn das Heizen mit der Sonne macht langfristig unabhängig(er). Wer kein Wohneigentum hat, kann zumindest nach einer Mietwohnung mit Niedrigenergiestandard Ausschau halten oder sich einer Wohnungsgenossenschaft anschließen.
An der Stelle eines Grundrechts auf billige Energie steht die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen, nachhaltige Energien nachzufragen und zu nutzen – damit Energie auf Dauer verfügbar und erschwinglich bleibt.
Der Kommentar erschien am 29.08.2012 in verkürzter Form auf dem Blog www.ecoquent-positions.com
Kommentar von Eva Rädisch