Sisyphos oder die Oberste Direktive
Es gibt Utopien, die sind telegen und massentauglich, auch wenn sie in ihrem Kern deutlich unserer Realität entgegenstehen. Viellicht aber eben auch genau deshalb beschreiben sie eine Welt, wie sie sein könnte und wie sie hier und heute nicht ist.
Wenn etwa im "Star Trek Universum" gezeigt wird "where no man has gone before", dann ist das zunächst nicht viel anderes, als die Geschichte vom Untertanmachen der Erde durch uns. Aber genauer betrachtet, geht es dort nicht um Eroberung, sondern nur um Entdeckung und Kartographierung sowie um eine intellektuelle Weiterentwicklung unserer Spezies. Über allem steht dabei die "Oberste Direktive". Diese führt zwar immer wieder zu internen Konflikten und bisweilen wird sie auch übergangen, ihr Kern ist aber, auf heute bezogen, durchaus interessant. Bei den ersten Folgen der amerikanischen Fernsehserie, die damals auch durch das harmonische Zusammenleben ethnischer Gruppen auffiel, gab es diese Direktive noch gar nicht, sie wurde erst später eingeführt. Die auch als Hauptdirektive oder Erste Direktive genannte Regel ist die wichtigste ethische Grundlage der "Sternenflotte". Im Kern ist sie ein Ausdruck des Prinzips der Nichteinmischung. So untersagt sie, sich in die Entwicklung anderer Spezies einzumischen und regelt die Kontaktaufnahme zu anderen Völkern.
Nichteinmischung, auch wenn es schwerfällt
Würde man sie auch auf dem Planeten Erde anwenden, würde das viele unserer Konflikte vermeiden. Heruntergebrochen auf unser Tun, wäre es jedoch mindestens genauso interessant, sich eine Art ethisch-ökologische "Direktive" aufzuerlegen. Diese könnte uns dazu bringen, so gut wie keinen, oder nur einen sehr kleinen, ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Im Alltag kann man sehr gut selbst ausprobieren: Versuchen Sie einmal, an den Orten der eigenen Heimsuchung, so gut wie keine Spur Ihres Daseins zu hinterlassen - so als wären Sie nie dort gewesen.
Bezogen auf den Planeten könnte dann auch die Maßgabe gelten, nicht überall manipulativ einzugreifen. Das ist die weitaus größere Herausforderung, will der Mensch doch oft nur helfen und meint es dabei meist nur gut. Aber gut gemeint ist oftmals das Gegenteil von gut. So greifen wir ein, wenn wir nicht mit ansehen können, wenn eine Kreatur leidet, speziell wenn sie eine gewisse Niedlichkeit und Eleganz besitzt. Die Zeiträume unserer Betrachtungen von Ungleichgewichten und vermeintlichen Fehlern in der Natur sind jedoch meist auf unsere Lebensperspektive und Zeitspanne beschränkt, ebenso der Blick auf die Zusammenhänge von Flora und Fauna. Was heute gut zu sein scheint, kann schnell langfristige Probleme verursachen. Oft merken wir das jedoch zu spät oder erst nach Generationen.
Kulturwandel
Um sich als Zivilisation tatsächlich weiterzuentwickeln, sollten wir versuchen zu begreifen, dass wir nicht für alles verantwortlich sind und dass auch ohne uns durchaus was geht. Das kennt man ja auch aus dem Alltag. Diejenigen, die glauben, dass sie besser alles selbst machen sollten, tun sich schwer in ihrer Entwicklung und bei der Aufnahme neuer Impulse. Das gilt auch für die Welt in der wir leben. Es ist schwer zu begreifen und auch unangenehm, dass die Natur sich auch manchmal nicht helfen lassen will. Zwischen Selbstbewusstsein und Überheblichkeit ist leider nur ein schmaler. Oder anders ausgedrückt: bevor wir darüber nachdenken, wo genau wir am besten korrigieren sollten, wäre es oft besser wir würden uns mehr in Zurückhaltung üben und Räume schaffen, auf die wir so wenig Einfluss wie nur möglich nehmen. Denn die Interaktionen die wir auslösen, sind immer wieder zu komplex, um sie umfassend einschätzen zu können. Dieser bewusste Kontrollverlust durch eine solche Doktrin würde uns, auch wenn das nur partiell und räumlich begrenzt erfolgen würde, gut zu Gesichte stehen. Schließlich sind wir nicht die Herren der Welt, sondern lediglich Besucher wie andere Arten auch. Es steht uns deshalb auch nicht zu über das Wohl Aller zu entscheiden und noch dramatischer, anderen ein Schicksal zu verwehren.
Sysiphos
Zu Beginn des menschlichen Daseins haben wir Werkzeuge entwickelt, und damit mehr Möglichkeiten erlangt, unsere Umgebung zu erschließen und persönlich Nutzen daraus zu erhalten. Diese Entwicklungen waren meist fließend, das eine resultierte aus dem anderen. Das mit der Weiterentwicklung ist so eine Sache. Es stellt sich immer häufiger die Frage, welche Fortschritte nur noch dazu dienen, unsere eigenen Fehler auszubügeln. Ganz nach dem Motto: Wir können Probleme lösen, die es ohne uns gar nicht gegeben hätte! Wir versuchen technologisch auf die menschengemachte Havarie der Klimakatastrophe zu reagieren. In der Folge bauen wir noch mehr Rohstoffe ab, um die durch den Raubbau an der Erde verursachten Probleme zu bekämpfen, die Schlange hat sich hier längst in den eigenen Schwanz gebissen, ohne es zu merken.
Wie Sysiphos befinden wir uns in einer Endlosschleife und reagieren anstatt zu agieren. Kommen wir der Lösung näher merken wir zu spät, dass unser Lösungsansatz ein neues Problem verursacht hat. Es muss etwas Grundlegendes geändert werden. Beispiel Konsum: Er gaukelt vor, wir können uns durch ihn selbst verwirklichen. In Wirklichkeit ist das keine Freiheit, sondern nur Pseudo-Individualismus. Ich kaufe was und wo ich will, ich konsumiere also bin ich. Nicht kaufen und konsumieren ist dagegen ein Makel. In diesem Käfig eingesperrt sehen wir die Möglichkeiten des Wandels immer weniger. Dabei verzichten wir noch ganz nebenbei auf die uns so wichtige Freiheit und Individualität.
Matthias Hüttmann