Wenn Gutachter nur die Hälfte prüfen
Prüfer verlassen sich auf Aussagen eines Betreibers und bestätigen physikalisch „unmöglichen“ Wirkungsgrad
Das deutsche Gutachterwesen genießt weltweit guten Ruf. Ein dabei immer wieder gehörter Name: TÜV. Viele Menschen verknüpfen mit den drei Buchstaben Seriosität, Unbestechlichkeit, Überparteilichkeit, Genauigkeit. Denn sie kennen die Akribie, mit denen TÜV-Sachverständige alle zwei Jahre ihr Privatauto unter die Lupe nehmen und kleinste Mängel groß herausstellen. Auch die Dekra hat sich inzwischen auf diesem Sektor einen Namen gemacht.
Doch durch Testate für die GFE-Group Nürnberg kratzen Gutachter des TÜV Süd Czech und der Dekra Industrial kräftig am guten Image. GFE steht seit Ende 2010 unter schwerem Betrugsverdacht. Über 20 Verdächtige sollen Anleger um mindestens 29 Mio. Euro betrogen haben, behauptet die Staatsanwaltschaft: Potemkinsche Pflanzenöl-Blockheizkraftwerke (BHKW) waren das Mittel zum möglichen Betrugszweck.
Gegenüber TÜV Süd und Dekra gab es von Seiten der Staatsanwaltschaft dagegen bislang keine Vorwürfe. Dabei testierte ein TÜV-Süd-Team diesem BHKW: Eine Kilowattstunde Strom werde aus 105,1 Gramm Rapsöl erzeugt – umgerechnet ein Wirkungsgrad von 91 Prozent. Und die Dekra-Leute schrieben diesen Wert („82,8 bis 91%“) sogar direkt in ihr „Messprotokoll“ hinein.
Logisch, dass der Auftraggeber GFE mit solchen „Gutachten“ herumwedelt und Renditen von 30% jährlich verspricht; eine Anwältin von einem TÜV- und Dekra-„zertifizierten wirtschaftlichen Perpetuum Mobile“ schwärmt. Und auch verständlich, wenn Gewinnfixierte dem BHKW-Anbieter GFE die Bude einrennen. Etwa 1.000 Investoren sollen jene hochwirtschaftlich testierten Kraftwerke bestellt haben. Wie viele Aufträge allein wegen des testierten 91%-Wirkungsgrads zustande kamen, ist nicht festzustellen.
Von sich seriös gebenden, wie der TÜV Süd gar weltweit agierenden Gutachterkonzernen sollte man in jedem Fall qualitativ hochstehende Arbeit erwarten können und nicht halbe Sachen. Das waren die GFE-Zertifikate aber. Wer also glaubt, der Begriff „Gutachten“ bedeute immer, jemand habe ganz genau auf etwas geachtet und die Ergebnisse detailliert und qualifiziert beschrieben, der irrt.
Wer weiter denkt bekommt es gar mit der Angst. Denn TÜV Süd begutachtet auch Kernkraftwerke – meist im Auftrag der Aufsichtsbehörden. Jüngst wurde bekannt: Im Atommeiler Grafenrheinfeld, wenige Kilometer vom fränkischen Schweinfurt entfernt, wurde an einer Reaktor-Rohrleitung eine 2,7 Millimeter breite Delle entdeckt.
Doch bei einer Revision im Frühjahr 2010 hätten alle unternehmenseigenen Experten und solche des TÜV Süd, der bayerischen Atomaufsicht und der Reaktor-Sicherheitskommission die Ergebnisse einer Ultraschallanzeige als „sicherheitstechnisch unbedenklich“ bewertet, teilte Kraftwerksbetreiber Eon mit. Beruhigend?
Sich wie bei GFE auf Angaben des Auftraggebers zu verlassen, statt selbst zu messen: Das geht nicht an! Mit verschleiernden Fußnoten, wie beim GFE-Gutachten, oder Hinweisen auf Auftraggeber-Vorgaben darf sich vor allem der TÜV Süd nicht aus der Verantwortung stehlen. Damit untergräbt er die Glaubwürdigkeit von Gutachte(r)n. Nicht nur bei Pflanzenöl-BHKW‘s. Und nicht nur jene von Experten und Expertisen aus dem eigenen Haus: Auch Konkurrenten wie TÜV Rheinland oder TÜV Nord bekommen Dellen ab.
Heinz Wraneschitz