Schon wieder blühende Landschaften
Rhetorik allein macht noch keinen Überzeugungstäter: Es ist gar nicht so lange her, da gab es einmal eine Kanzlerin, die reiste ans Ende der Welt und inszenierte sich fortan als Klimakanzlerin. Es war der Sommer 2007, Frau Merkel in grellroter Jacke, im Hintergrund der Eqi-Gletscher in Grönland. Es war die Zeit, als auf dem Klimagipfel in Kopenhagen die Entschlossenheit und Vorreiterrolle deutscher Umweltpolitik deutlich werden sollte. Die ganze Welt verstand offensichtlich, was die Stunde geschlagen hatte. Die acht größten Industrienationen verpflichteten sich auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm zur Emissionsreduzierung. Dann kam die Finanzkrise und der Spuk war wieder vorbei.
Eine wilde Zeit, kaum ein Entscheidungsträger der sich nicht vom Bedenkenträger zum Vordenker wandelte. Der Populismus in Sachen Umweltschutz war plötzlich „en vogue“, man konnte sich gar nicht weit genug aus dem Fenster herauslehnen. Es kam zu den skurrilsten Vorschlägen mit meist geringen Halbwertszeiten. Übrig geblieben ist wenig, das Verbot der Glühbirne zunächst in „Down-Under“ und schließlich auch in der EU ist ein Überbleibsel aus der Zeit. Schon damals gab es zahlreiche Appelle, den Stromtarif auf saubere Energie umzustellen, genutzt hat das nicht viel. Die Finanzkrise änderte alles schnell wieder, zudem gab es durch die Penetranz der Berichterstattung und unendlich vieler Sonntagsreden letztendlich auch eine mediale Übersättigung. Das Thema verschwand von den Titelseiten und fristete sein Dasein fortan wieder in Themenabenden auf Fernsehkanälen.
Nachdem das Geld auf den Märkten wieder sprudelte, das Desaster an den Finanzmärkten wieder abebbte, hatte man längst die zuvor einhellig beschworene Dringlichkeit wieder vergessen. Zwar kämpft noch so manche Volkswirtschaft mit den Auswirkungen der Spielsucht ihrer Finanzfachleute, aber im Großen und Ganzen scheint man wieder bei Null angekommen zu sein. Wirtschaftswachstum beherrscht wieder unser Denken, eine zweite Klimaschutz-Hysterie ist nicht in Sicht.
Wird jetzt alles grün?
So wenig glaubwürdig sich Politik und Wirtschaft rückblickend präsentierten, so kritisch sollte man mit dem aktuell geäußerten umgehen. Den selten erlebten gesellschaftsübergreifenden Schulterschluss gilt es zu nutzen. Dabei hilft im Übrigen nur Hartnäckigkeit: heute verkündete Grundsätze müssen auf ihre Ernsthaftigkeit hin überprüft werden. Ein Moratorium, welches vornehmlich dem Aussitzen und weniger dem Aussetzen von Entscheidungen dienen soll, ist dabei ein gutes Beispiel. Die Frage, ob tatsächlich eine Zäsur im Handeln stattfindet oder es sich, so erscheint es leider offensichtlich, lediglich um ein Nacheifern des Zeitgeistes handelt, darüber kann man erst in einigen Monaten ein erstes Urteil fällen. Bei der aktuellen Debatte ist es deshalb wichtig, genau hinzuhören und auf eine unumkehrbare Umsetzung der Vorschläge zu drängen.
Die Ruhe vor dem Sturm
Dass sich die Besitzer der bereits abgeschriebenen Kernkraftwerke so schnell und ohne Widerrede mit der Situation abfinden werden, ist kaum zu erwarten, die Aktionäre werden die horrenden Einnahmenverlust nicht klaglos hinnehmen. Dazu kommt noch, dass wir im Grunde genommen eigentlich alles beim alten belassen möchten. Ein reines Gewissen und eine weiße Weste, das ist uns wichtig. Wir möchten weiterhin unbeschwert leben und wohnen und uns den alltäglichen Luxus nicht verbieten lassen – Leben ohne Reue. Es sollte für uns bitteschön weiterhin bequem bleiben. Das längst fällige Hinterfragen unseres Lebenswandels wäre für viele undenkbar.
Schnell kann die Stimmung wieder kippen. Sind die Katastrophenmeiler erst mal aus dem Blickfeld verschwunden, kann unsere Bequemlichkeit und das allzeit beliebte Sankt-Florians-Prinzip schnell wieder zur Umkehr vom Ausstieg des Ausstiegs genutzt werden. Denn der Atomausstieg könnte viel teurer werden als gedacht – genau wie damals die deutsche Einheit. Es ist zu befürchten, dass das fossile System noch ein paar Jahre weiter existieren darf und der allzu notwendige Wechsel ausbleibt. Bleibt zu hoffen, dass dieses Schlüsselerlebnis nachhaltiger wirkt als Tschernobyl.
Matthias Hüttmann