Buchbesprechung: Öldämmerung
Jörg Schindler: Öldämmerung – Deepwater Horizon und das Ende des Ölzeitalters
Der Untergang der Ölplattform Deepwater Horizon im April 2010 verursachte die bislang größte Ölkatastrophe in der Geschichte der Menschheit. Das Desaster im Golf von Mexiko zeigt, wie aufwändig und risikoreich eine Ölförderung in der Tiefsee ist, die angeblich die Zukunft der Ölversorgung sichert. Auch wenn das Ereignis inzwischen von den Titelseiten der Weltpresse verdrängt ist, die Diskussion über die Zukunft der Ölversorgung läuft angesichts steigender Öl- und Benzinpreise weiter. Es wird diskutiert, ob die Risiken der Ölgewinnung in der Tiefsee überhaupt zu verantworten sind, welche Rolle die Regierungen spielen, vor allem wie und ob sie die Ölindustrie kontrollieren und wer die Verantwortung für solche Katastrophen wie auch für die Ölpreisentwicklung trägt. Die eine Frage, die aber entscheidend ist, wird bislang viel zu leise gestellt: Kann es überhaupt so weiter gehen?
Der Autor Jörg Schindler sagt ein klares und fundiertes Nein. Der Höhepunkt der weltweiten Ölförderung – Peak Oil – sei längst erreicht, jener Punkt also, ab dem die Ölfördermengen nicht mehr gesteigert werden können, auch nicht durch noch so risikoreiche Tiefseebohrungen. Die durch die Endlichkeit des Öls gesetzte Grenze sei spürbar und wirksam, lange vor der Förderung des sprichwörtlich letzten Tropfens. Schindler weiß wovon er schreibt. Er forscht und publiziert seit vielen Jahren über die Entwicklung der Energienachfrage und die Ressourcenverfügbarkeit. Er ist der Spezialist für dieses Thema. Bis Ende 2008 war er Geschäftsführer der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH, war Mitglied der Enquetekommission des Bayerischen Landtages „Neue Energie für das neue Jahrtausend“ und ist Gründungsmitglied der ASPO (Association for the Study of Peak Oil and Gas) Deutschland und bis heute in deren Vorstand.
Schindler sieht im Untergang der Deepwater Horizon den letzten Weckruf für eine vom Öl abhängige Welt. Im unsinnigen Ringen um Tiefseeöl sieht er „die letzten verbleibenden Züge im Endspiel des Ölzeitalters“. Er zeichnet in seinem Buch zunächst die Havarie im Golf von Mexiko und ihre Hintergründe noch einmal detailliert nach. In seiner Analyse kommt er zu dem Schluss, dass die Zeiten billiger fossiler Energie endgültig vorbei sind und der Welt ein tiefgreifender Umbruch bevorsteht. Er belegt dies mit detaillierten Forschungsergebnissen über die Verfügbarkeit des Erdöls. Rund 60 Prozent der konventionellen Vorkommen in Höhe von 1.800 Gigabarrel (1 Gb = 1 Milliarde Barrel) sind gefördert und die rund 80 Gb Öl in der tiefen Tiefsee und in polaren Regionen, sowie die Teersände in Kanada oder extraschwere Öle in Venezuela werden daran nichts mehr ändern. Denn 90 Prozent oder mehr des insgesamt vorhandenen Öls auf dem Planeten habe man bereits entdeckt.
Nach Peak Oil, das Schindler um das Jahr 2005 datiert, sei eine Ausweitung der Förderung nicht mehr zu erwarten. Auch die Verdoppelung des Ölpreises in den Jahren zwischen 2005 und 2008 habe dies schon nicht mehr bewirken können. Folglich werde auch der Ölverbrauch nicht weiter steigen, wie es die Internationale Energieagentur IEA bis vor kurzem noch für das Jahr 2030 für möglich gehalten hatte. Eine weitere wichtige Erkenntnis betrifft den Verlauf der Ölförderung in der Folge des Peak. Nachdem die weltweite Ölförderung in den vergangenen sieben Jahren mit knapp über 72.000 Tsd. Barrel pro Tag in etwa konstant geblieben sei – Schindler spricht vom aktuellen Plateau – könne der Abstieg jederzeit beginnen, spätestens jedoch 2012/13. Der Rückgang werde sich im Verlauf der Jahre zunächst beschleunigen, um sich 2030, also in nur zwei Jahrzehnten, zu halbieren. Das sei eine Entwicklung, die im Gegensatz zu allen offiziellen Szenarien steht und auf die niemand vorbereitet sei.
Wie dramatisch die Lage längst ist, arbeitet Schindler an einem weiteren Aspekt heraus: da die Zahl der erdölexportierenden Länder zurück geht, die Zahl der importierenden aber zunimmt, werde die Menge des auf dem Weltmarkt verfügbaren Öls schrumpfen. Diese Entwicklung werde sich in wenigen Jahren beschleunigen. Die simple Extrapolation des bisherigen Wachstumstrends des heimischen Verbrauchs der Öl exportierenden Länder in Verbindung mit der Erwartung einer zurückgehenden Ölförderung führe zu dem Ergebnis, so Schindler, dass es schon ab etwa 2025 auf dem Weltmarkt nichts mehr zu exportieren gibt. Damit stünden die fast völlig auf Ölimporte angewiesen europäischen Länder schnell vor größten Problemen.
Schindlers kleines Buch (knapp 120 Seiten), das mit der Aussage ein „Weiter so“ könne es nicht geben, beginnt, entpuppt sich als Sprengstoff für eine dröge vor sich hin dümpelnde Debatte über eine Energiewende. Die Zeiträume, so weißt er nach, sind enger, viel enger, als die meisten Protagonisten dies erwartet haben mögen. Scheint in der Klimadebatte ein Kommpromis zwischen zwei Grad globaler Klimaerwärmung oder mehr hinnehmbar, so tickt die wirtschaftliche Zeitbombe unerbittlich. Die fossil befeuerte Ökonomie betreibt ihren eigenen Untergang, der Ausgang des „Endspiels“ bleibt offen.
Klaus Oberzig