Reversible Elektrochemische Speicher
Teil 1: Speichertechnologien für 100% Erneuerbare Energien: Die Verankerung und der schnelle Ausbau Erneuerbarer Energien braucht Speichertechnologien, insbesondere elektrochemische Speicher. Diese müssen allen vorhersehbaren Anforderungen an Leistung und Energiemengen von stark fluktuierenden Zuflüssen gerecht werden. Für diese Bedürfnisse stehen technische Lösungen bereit, die aber als solche in der Erneuerbaren-Energien-Szene noch nicht ausreichend wahrgenommen werden. In diesem Artikel werden Annäherungen an verfügbare Lösungen diskutiert, die sich nicht ausschließlich auf die fachwissenschaftlichen oder rein technischen Zugangsmöglichkeiten beschränken. Diesem Einstieg sollen weitere Artikel folgen, die sich mit bereits etablierten Technologien wie Lithium-Ionen-Speichern aber auch den noch weniger bekannten Systemen der RedOx-Flow-Batterien und Hochtemperatur-Systemen befassen werden.
Frühzeitige Weichenstellungen erkennen
Die flächendeckende Einführung von reversiblen elektrochemischen Energiespeichern zur Speicherung, Pufferung und zum Transport der stark schwankenden Zuflüsse von Strommengen aus erneuerbaren Energiequellen ist unvermeidbar und längst überfällig. Bei der Betrachtung vieler öffentlicher und szenetypischer Debatten fällt auf, dass es noch kein breit verankertes Wissen bezüglich der Möglichkeiten zu geben scheint. Geeignete volkswirtschaftliche und technisch-politische Instrumentarien zur schnellen und vollständigen Deckung der Bedürfnisse, die den steigenden Zufluss von Strommengen aus Erneuerbaren Energien begleiten, werden noch ohne eine enge Koppelung an die wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten diskutiert.
Eine erweiterte Rezeption der Zusammenhänge erscheint umso wichtiger, als in den Reaktionen der konventionellen Energieindustrien auf die atomare Katastrophe in Japan bereits neue Versuche erkennbar sind, die Weichen der Debatte über den Umbau der Energiewirtschaft zu kontrollieren. Es mag hilfreich sein, zentrale Thesen als „Wasserzeichen“ herauszuarbeiten und sich daran zu orientieren, so wie es uns exemplarisch von Hermann Scheer vorgelebt worden ist. Andere Betrachter mögen andere Hintergründe setzen [1,2]. Es liegt jedoch nahe, dass die Realisierung elektrochemischer Speicher nicht als Voraussetzung für die Einführung regenerativer Energien, sondern als deren notwendige Folge zu betrachten ist.
Die Verfügbarkeit der kurz- und mittelfristig erreichbaren technischen Lösungen wird nicht über das Ob, sondern über das Wie einer regenerativen Energiewirtschaft entscheiden. Wie beeinflussen elementare Details der jeweiligen Speichertechnologien die Weichenstellungen des strukturellen volkswirtschaftlichen Umbaus? Welche dieser Details verstehen wir – und welche Optionen haben wir wirklich?
Die tatsächlichen Optionsbreiten wahrnehmen
Batterien lassen sich in ihrer technologischen Vielfalt nach physikochemischen Grundlagen ordnen. Regenerative Energien und insbesondere regenerativ erzeugte elektrische Energie, verlangen nach reversiblen, verlustarmen, effizienten und ökonomischen Speichern mit hoher Zyklenzahl und Langzeitstabilität auf hohem Niveau. Es bleibt dabei bis auf weiteres offen, ob in Zukunft die bekannten Primärbatterien, wie zum Beispiel Metall-Luft-Batterien, durch Anbindung an geeignete Kreisprozesse zu reversiblen Systemen ausgebaut werden können. Sekundärbatterien werden als Akkumulatoren und in unserem Kontext als reversible elektrochemische Speicher bezeichnet. Die Spannweite der damit nutzbaren Energiebereiche überstreicht Consumer-Anwendungen von einigen Miliwattstunden (mWh) bis hin zu grossen stationären Anlagen von einigen zehn Megawattstunden (MWh). Die Spanne der benötigten Speicherleistungen und Energiemengen im Alltag der Erneuerbaren Energien überstreicht ungefähr den gleichen Bereich. Diese Größenordnungen sind nicht mit dem Speicherbedarf für konventionelle Netzstrukturen zu verwechseln, welche ohne weiteres den Gigawattstundenbereich überstreichen.Für die Bewältigung solcher Dimension könnte niemand den Rückzug auf wenige oder gar eine zentrale Technologie verlangen.
Reversible elektrochemische Speicher sollen Energiemengen innerhalb von wenigen Millisekunden bis hin zu mehreren Tagen verfügbar machen, sei es in einzelnen Modulen oder größeren Verbundsystemen. Diesem Nutzbedarf stehen prinzipiell bekannte und technisch ausgearbeitete Lösungen gegenüber. Die Vielfalt der bisher bekannt gewordenen technischen Optionen ist dabei noch nicht erschöpft, weil in den meisten Kategorien noch keine materialwissenschaftlichen Weiterentwicklungen der Grundprinzipien vollzogen sind. Die Mannigfaltigkeit der technischen Lösungen sollten deshalb zunächst als „konventionelle“ oder „nicht-konventionelle“ Systeme eingeordnet werden. Welche exemplarischen Lösungsansätze fallen bereits bei dieser Art der Betrachtung besonders auf?
Konventionell
Als Beispiele für konventionelle Ansätze können Blei-Säure-Speicher, Nickel-Metallhydrid-Speicher und Lithium-Ionen-Speicher betrachtet werden. Deren historische Entwicklung bietet Einblicke in Hinblick auf technische Potentiale wie auch Grenzen. Das hervorstechende Prinzip dieser Klasse sind zyklisch wiederkehrende Stoffumwandlungen an Elektroden und anderen Komponenten und die damit verbundenen, unvermeidbaren Ermüdungs- und Degradationsprozesse. Die Anwendung von modernen Forschungsergebnissen der chemischen Nanotechnologie und der Materialwissenschaften hat hier bereits viel ermöglicht. Die Betrachtung der Ressourceneffizienz, der technisch-wirtschaftlichen Stoffströme in vor- und nachgelagerten Produktketten und nicht zuletzt die Umwelt-Toxizität von Metallen wie Nickel, Cadmium und Blei, verknüpfen solche Produkte mit Fragen der gesellschaftlichen und individuellen Energieautonomie. Die Optionen haben sich hier durch Forschung und Entwicklung eindeutig verbreitern lassen. Zumindest für Blei-Säure-Speicher und Lithium-Ionen-Speicher zeichnen sich Zugänge zu höheren Lebensdauern und wirklich großen, modular aufgebauten Speicherpaketen ab.
Nicht Konventionell
Die Versuche, solche Grenzen zu verschieben und neue Dimensionen zu erschließen, führten zu neuen, nicht-konventionellen Speichersystemen. Deren Qualitäten werden bei der Betrachtung von Durchfluss- oder „RedOx-Flow-Batterien“ begreifbar. Dazu zählen aufgrund ihrer Betriebsbedingungen auch die Hochtemperatursysteme wie Natrium-Schwefel-, Natrium-Nickelchlorid- und Flüssigmetall-Speicher, mit Arbeitstemperaturen zwischen 250 bis 750° Celsius. Insbesondere die letztgenannten Speicher bergen Potenziale zur Überwindung von systemischen Barrieren der bis heute dominierenden konventionellen Energiewirtschaft.
Die möglichen Folgen
Auch hier wird gelten: Natur schenkt nicht die Tugend. Manche der neuen Rohstoffe, wie zum Beispiel Lithium, Vanadium oder Cer und die so genannten Seltenen Erdmetalle, haben längst Begehrlichkeiten der traditionellen Rohstoff- und Energieindustrien geweckt. So wird es auch in diesem Bereich zu spekulationsgetriebenen Preisbildungen und der Verwandlung von Landschaften durch Abbau von Lagerstätten kommen.
Zudem können große elektrochemische Speicherinstallationen beachtliche Energiedichten bergen. Noch hat niemand Multimegawatt-Speichernlagen, basierend auf Tausenden Litern Vanadium-Elektrolyten, oder Lithium-Ionen- und Flüssigmetall-Hochtemperatur-Speichern im Multi-Tonnen-Maßstab in Szenarien ordinärer technischer Fehlerverkettungen oder unter dem Einfluss von Naturkatastrophen erlebt. Die erkennbaren Risiken, unter dem Vorbehalt zukünftiger Ereignisse, scheinen jedoch bis auf weiteres eingrenzbar. Mega-Systeme sind hier keine schicksalhafte Muss- sondern eine Kann-Option, so dass Nachfrage und Bedürfnisse dezentral angepasster Nutzer schnell und in deren Dimensionen beherrschbar bedient werden können.
Systemintegration konsequent voranbringen
Energiegewinnung, Energieumwandlung und Energiespeicherung müssen in integrierten technischen Systemen zusammengeführt werden. Bisher scheinen nur wenige Fachszenen und Akteure über die Netzanbindung von elektrochemischen Speichern nachzudenken. Das Wissen um die Auslegung von Wechselrichtern für Photovoltaikmodule in allen möglichen Dimensionen ist verbreitet und abgesichert. Wie mit der Integration von elektrochemischen Speichern umzugehen wäre, hat noch keine vergleichbare Verbreitung gefunden. Immerhin gibt es, als Ergebnis einiger beharrlicher Entwicklungsinitiativen, nun marktfähige Speichersysteme, welche bereits in die Leistungsklassen von Großwechselrichtern hineinragen [5].
Wie geht man mit Speichertechnologien um, die zwar als kleine Module aus dem bisherigen Anwendungsfeld bekannt sind, aber beim Aufbau großer modularer Pakete auch die Probleme der sensorischen und regeltechnischen Erfassung vervielfältigen? Ist es damit getan, kleine elektrochemische Zellen zu größeren Modulen zu fügen und diese wiederum in große Container zu stellen? Viele der bereits bekannten elementaren Begrenzungen, zum Beispiel von Lithium-Ionen-Speichern, lassen Zweifel aufkommen, ob die bisher bekannten und praktizierten Batterie-Management-Systeme den Erfordernissen langlebiger netzgekoppelter Speichersysteme gerecht werden können. Sowohl konventionelle als auch nicht-konventionelle Systeme müssen von einer hierarchischen Instanz in optimalen Betriebsbereichen gefahren werden, damit sie die maximal mögliche Zyklenlebensdauer erreichen. Die dafür notwendigen Informationen über den Gütezustand der kleinsten funktionellen Einheit sind mitunter ausschlaggebend für die Einhaltung eines wirtschaftlichen und sicheren Betriebs von größeren Modulen und Leistungsblöcken, gerade in netzgekoppelten Verbundsystemen. Am Beispiel der Blei-Säure-Speicher hat man entsprechende Sensoren erst innerhalb der letzten Dekade gefunden, entgegen der Skepsis der Fachszenen [4]. Vergleichbare Erleichterungen für große Lithium-Ionen-Speicher sind noch nicht bekannt.
Auch unter Gesichtspunkten einer wünschenswerten Kostenreduktion wird die Kombination von elektrochemischen Speichern mit Wechselrichtern ein spannendes Feld bleiben. Die bei der Photovoltaik bereits offenkundigen Defizite der Integration in Systembauprodukte zeichnen sich schon heute auch bei den am Markt verfügbaren Speichersystemen ab. Wie lange sich ein nachfragedominierter Markt eine zwangsläufig kostenintensive Vereinzelung in Produktkomponenten gefallen lassen wird, bleibt zu beobachten.
Stationäre Speicher mit elektromobiler Nutzung koppeln
Abseits der konventionellen elektrochemischen Niedertemperatur-Speicher, die derzeit in den Vorentwicklungen oder kurz vor der Markteinführung für Hybrid- und reine Elektromobile sind, zeichnet sich ein fundamental neues Koppelglied für die Verkettung regenerativer Energien mit der solaren Elektromobilität ab. Diese Möglichkeit eröffnet sich dank der Verbesserung von Vanadium-RedOx-Flowbatterien (VRB’s) und insbesondere deren Elektrolytformulierungen. Hier wird die Energie in flüssigen Elektrolyten gespeichert und kann zwischen stationären Reservoiren und den Tanks entsprechend ausgestatteter Elektromobile überführt werden. Die Diskussion dieser Möglichkeiten muss einer späteren Darstellung vorbehalten bleiben.
Unabhängig von der Verbreitung spezifischer elektrochemischer Speicher in Elektromobilen sollten sich die Einführung netzgekoppelter stationärer elektrochemischer Speicher in Solartankstellen und die Verbreitung der solaren Elektromobilität wechselseitig befördern. Ob es zu einer weiteren Verbreitung des nicht-konventionellen Hochtemperatur-Systems Natrium-Nickelchlorid („ZEBRA-Batterie“) kommen wird, ist noch nicht entschieden.
Elektrochemische Energiespeicher passen zu den veränderlichen Größen der Erneuerbaren Energien
Wir wissen nicht sicher, welchen Einfluss elektrochemische Speicher auf das Eintreten der Netzparität solarer Energien und deren großflächige Verankerung hätte, da die wenigen bekannten, marktfähigen technischen Lösungen noch nicht in aussagefähigem Umfang verbreitet worden sind. Es ist also notwendigerweise spekulativ, über die Dynamiken und Anpassungsfähigkeiten der Speichersysteme nachzudenken. Trotzdem sollten nahe liegende Aspekte oder auch nur Ideen über wünschenswerte Eigenschaften nicht eilfertig ausgeblendet werden. Wichtig bleibt, auch die zeitliche und räumliche Flexibilität zu beachten. Wo Speichersysteme nicht mehr gebraucht werden, könnten sie einfacher demontierbar sein als Systemkomponenten der konventionellen Energieversorgung.
Auf welche Merkmale wäre ab jetzt zu achten
Bei der Recherche und der Diskussion über spezifische elektrochemische Speichertechnologien sollte stetig überprüft werden, wie die wichtigsten Merkmale definiert und erfasst werden. Sind Skalierbarkeit und Anpassungsfähigkeit an bereits absehbare Größenordnungen die zentralen Kriterien? Ist es die Flexibilität von Energie und Leistung, auch und gerade in den Produktionswelten oder spielt Betriebslogistik in dezentralen Aufstellungen eine wichtigere Rolle? Wo nötig und sinnvoll, sollte die Ausschöpfung der Potenziale auch für megaskalige Ausführungen untersucht werden.
Die soziale Verträglichkeit muss einen Stellenwert erhalten; die Fragen der Akzeptanz von technischen Lösungen durch die unmittelbar betroffenen Menschen und Gruppen dürfen nicht ausgeblendet werden. Zukünftig wichtig sind alle rational planbaren oder zumindest vorstellbaren technologische Qualitätssprünge. Möglicherweise finden wir gute Gründe für einen technik-optimistischen Ansatz, möglicherweise entstehen die Zukunft und die Dynamik für 100% Erneuerbare Energien in den Momenten, wo wir auch vermeintlich ausgereizte Konzepte in Analogien weiterdenken. Das könnte zum Beispiel im Austausch von anorganischen redox-aktiven Komponenten durch organische oder hybride elektrochemische Systeme geschehen oder mittels des Ersatzes anorganischer Funktionskomponenten durch stabile organische Verbindungen erfolgen. Die Verwendung kohlenstoffbasierter, niedermolekularer Verbindungen und Materialien könnte möglicherweise neue Visionen der Einkoppelung von Kohlenstoff aus fossilen Emissionen in die elektrochemischen Speicherkreisläufe eröffnen.
Literatur, Links und Anmerkungen
- International Renewable Energy Storage Conference, IRES:www.wcre.de
- „Der Energethische Imperativ“, von Hermann Scheer. Kunstmann, München, 2010 (ISBN 987-3-88897-683-4)
- „Energy Storage“, von Robert A. Huggins, Springer, New York, 2010 (ISBN 978-1-4419-1023-3)
- „Batterien und Akkumulatoren“, von Lucien F. Trueb und Paul Rüetschi, Springer, Heidelberg, 1998 (ISBN 3-540-62997-1). Nach dem Elektrochemiker Paul Rüetschi ist eine mittlerweile kommerziell eingeführte elektrochemische Sonde benannt, welche den Betriebszustand einzelner Zellen eines Blei-Säure-Akkumulators abbilden kann
- Bemerkenswert erscheint hier die Initiative von Cellstrom mit dem Erfolg technischer Lösungen:www.cellstrom.com
Dr. Marcus Wolf