Projekt „Babelbee“ — ein ganzheitliches Konzept
Die Netzintegration von Elektrofahrzeugen, Teil 9: Im Rahmen dieser Artikelserie wurden viele Aspekte der Netzintegration von Elektrofahrzeugen analysiert, und es wurde auch einige der heute verfolgten Ansätze kritisiert. Die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie hat klare Vorstellungen von einer Ladeinfrastruktur, insbesondere wenn es sich um kommunale Ladepunkte handeln soll, welche die DGS als Stromstellen bezeichnet.
Die Anforderungen sind naheliegend:
- kostengünstige Umsetzung, damit viele Netzzugangspunkte entstehen,
- einfache Handhabung, damit die Fahrzeuge möglichst oft und gerne mit dem Netz verbunden werden,
- optimiertes Zusammenspiel mit den Erneuerbaren Energien.
In Kooperation mit dem Bundesverband Solare Mobilität (BSM) und einer kleinen Gruppe von Partnern aus der Industrie haben wir nun unsere Vorstellungen exemplarisch umgesetzt und erstmalig auf dem Challenge Bibendum 2011 Mitte Mai in Berlin der Fachwelt vorgestellt (siehe Bild 1).
Während gängige Produkte rund um das Thema der Netzintegration in der Regel immer nur einen Teilaspekt lösen und für den Rest auf sogenannte, mehr oder minder brauchbare „Standards“ zurückgreifen, haben wir uns die Freiheit genommen, eigene Wege zu gehen. Wir haben einen ganzheitlichen Systemansatz gewählt (Bild 2), der viele Ideen aus unterschiedlichsten Branchen zusammenführt. Die drei großen Bausteine sind:
- Ein Anschlusskasten, der die Technik für das Verwalten der Stromstellen beinhaltet und so die Kosten senkt.
- Die Stromstellen mit einer ergonomischen Steckvorrichtung auf der Basis von selbstfindender Magnettechnik.
- Das Lademangement auf der Basis unserer flexiblen Babelbee-Technik.
Der AnschlusskastenGrau und unauffällig ist das zentrale Hauptelement. In einem handelsüblichen Anschlusskasten wurde die Technologie für die Verwaltung der Stromstellen zusammengefasst. Wir haben hierbei auf das Wissen und die Produkte des in Zwickau ansässigen Unternehmens Raritan zurückgegriffen. Raritan baut seit vielen Jahren Geräte für das Strommanagement in großen Rechenzentren. Auch dort wird es immer wichtiger, genau zu wissen, wie viel Energie wann und wo gerade verbraucht wird, um so die Überlastung von einzelnen Kabelsträngen zu verhindern. Die Probleme im Bereich des Lademanagements sind nahezu identisch.
Das von uns verbaute System der Firma Raritan kann zwölf unabhängige Stromverbraucher (einphasig bis 3,7 kW) überwachen (messen und schalten). In Summe könnte man damit eine Ladeleistung von bis zu 44 kW verwalten. Doch in der Regel wird der bestehende Netzanschluss Grenzen aufweisen, die deutlich früher zu einem Problem führen würden.
Da niemals überall alles perfekt sein wird, geht unser System davon aus, dass es immer Leistungsgrenzen geben wird, die man akzeptieren muss. Diese gilt es dafür möglichst optimal auszunutzen. Genau hierin besteht ein wesentlicher Aspekt der Kostenreduktion (siehe auch Teil 8 dieser Serie). Durch das Bündeln der Technik zur Verwaltung möglichst vieler Stromstellen an einem Ort, können wir die Kosten für das intelligente Management auf 100 bis 200 Euro je Ladepunkt senken. Dies ist etwa ein zehntel der heute gängigen Preise.
Stromstelle mit Magnetstecker
Da die Elektronik bereits im Anschlusskasten gebündelt ist, besteht die eigentliche Stromstelle nur aus drei Teilen: dem Montagefuss, der Säule und der integrierten „Steckdose“.
Die Konstruktion ist ein einfaches Edelstahlrohr, dessen oberes Ende halbkreisförmig gebogen ist. Aufgrund dieser Formgebung tropfen Wasser und Schnee problemlos ab und können nicht in die Steckverbindung gelangen. Gleichzeitig entsteht ein sehr unauffälliges Gebilde, dass auch in großen Stückzahlen auf einem Parkplatz oder in einem Straßenzug nicht allzu störend auffällt. Selbstverständlich sind auch andere Formen von Stromstellen vorstellbar.
Zentral für die Umsetzung ist jedoch der magnetische, selbstfindende Ladestecker der Firma Rosenberger. In Anlehnung an die im Fahrrad und Computerbereich bekannten, magnetischen Steckverbindungen wurde hier in einem ersten Konzeptentwurf eine Lösung für dreiphasigen Wechselstrom mit 11 kW oder eventuell auch 22 kW geschaffen.
Die Bedienung von Steckverbindungen in diesen Leistungsklassen ist heute selbst für geübte Bauarbeiter kein Vergnügen. Diese und weitere Probleme der heutigen Ladestecker wurden bereits im Teil 3 unserer Serie ausführlich dargestellt.
Das magnetische System von Rosenberger ist aber nicht nur extrem einfach in der Handhabung, sondern es stellt auch automatisch eine klar definierte Sollbruchstelle in der Verkabelung dar. Bleibt ein Radfahrer oder Fußgänger an dem Ladekabel hängen, so kommt es nicht zu einer unkontrollierten Zerstörung der Kabelverbindung, sondern zu einer sicheren Trennung des Steckers von der Stromstelle. Mehrere Mechanismen sorgen hierbei für die Sicherheit:
- Die stromführenden Kontakte der Ladebuchse werden magnetisch eingezogen, sobald kein Stecker mehr auf der Buchse sitzt.
- Eine Trennung der zusätzlichen Datenkommunikationskontakte führt im Anschlusskasten zu einer Abschaltung der Stromverbindung?
Da das Kontaktierungssystem bereits den Wetter- und Berührungsschutz integriert, müssen hier keine zusätzlichen Klappen oder sonstige Bauteile um die Steckdosen herum gebaut werden. Dies senkt natürlich die Kosten, weshalb unsere Stromstelle für unter 200 Euro je Ladepunkt realisiert werden könnte (zuzüglich der Managementtechnik im Anschlusskasten und den Installationskosten). Da alles, was nicht vorhanden ist, auch nicht kaputt gehen kann, sollte dieses Konzept langfristig auch im Unterhalt und bei der Wartung deutlich günstiger sein, als die meisten heute üblichen Ansätze.
Betriebs- und Geschäftsmodelle
In den Teilen 4 bis 7 dieser Serie haben wir uns den unterschiedlichen Aspekten des Lademanagements gewidmet. Im Kern geht es beim Lademanagement immer darum, zu welcher Zeit, wie viel Energie zwischen Auto und Stromnetz ausgetauscht wird. Man könnte, in einer Analogie zum Wassernetz sagen, dass es darum geht, wann der Wasserhahn auf- und wann er zugedreht wird.
Es wäre aber auch wichtig zu klären, warum am „Wasserhahn“ gedreht wird. Wir unterscheiden hier grob zwischen zwei Ansätzen: den Betriebs- und Geschäftsmodellen.
Betriebsmodelle verfolgen technische Ziele. Hierzu zählt zum Beispiel die Vorgabe, dass man Stromnetze nicht stärker belasten darf, als es die Absicherung der jeweiligen Stromleitung erlaubt. Auch innerhalb von Fahrzeugen werden vor allem die Spielregeln von Betriebsmodellen umgesetzt. Beispielsweise gilt es beim Überschreiten einer bestimmten Akkutemperatur die Ladeleistung zu reduzieren.
Geschäftsmodelle verfolgen ökonomische Ziele. Elektroautos sollen dann laden, wenn der Stromversorger die Energie möglichst billig eingekauft hat und sich damit maximalen Gewinn verspricht. Oder eine Batterie muss möglichst oft genutzt werden, bevor der unaufhaltsame chemische Zerfallsprozess sie unbrauchbar gemacht hat. Auch hier steht der optimale Geldvorteil im Vordergrund.
Ein weiteres zentrales Problem ist hierbei auch, dass jede an der Elektromobilität beteiligte Komponente und Branche einen eigenen zeitlichen Takt hat und keiner der drei Sektoren sich seine Innovationszyklen von einem der anderen vorschreiben lassen wird.
- 20 bis 50 Jahre sind die Lebenszyklen in der Energiewirtschaft. Kraftwerke, Stromleitungen und auch die anderen Betriebsmittel werden nur selten erneuert.
- 5 bis 15 Jahre sind die Planungs- und Produktzyklen der Automobilindustrie.
- 1 bis 5 Jahre sind die Zeitscheiben der Informations- und Kommunikationstechnik. Computer werden jedes Jahr deutlich leistungsfähiger und billiger. Software und (Sicherheits-)Algorithmen sind meist nach 5 Jahren überholt.
Die Technik der Akteure entwickelt sich also auf verschiedenen Zeitachsen und jeder verfolgt zudem unterschiedliche Ziele. Interessenskonflikte sind hier vorprogrammiert. Sagt etwa ein Geschäftsmodell „Laden“, so sagt das andere womöglich „nicht oder nur langsam Laden“. Was dem Eigenstromverbrauch eines PV-Anlagenbesitzers hilft, schadet eventuell der Vermarktung von überschüssigem Windstrom.
Im Prinzip sind alle heutigen Lademanagementsysteme Insellösungen, da sie meist ein bestimmtes Geschäftsmodell (z.B. ein Abrechnungssystem) zugrundelegen und darauf die Technik der Ladesäulen und der Fahrzeuge zuschneiden. Da die Computerwelt aber nur das beschreiben kann, was sie kennt, ist es auch unmöglich eine technische Lösung zu finden, die alle heutigen und alle in der Zukunft neu entstehenden Handlungsmodelle perfekt abbilden kann.
Das Babelbee-Konzept
Ähnlich dem aus der Science-Fiction Literatur bekannten Babelfisch verfolgt das Babelbee-System den Ansatz, die vielgestalte Kommunikation beliebiger Gesprächsteilnehmer zu ermöglichen und zwischen den Welten zu „übersetzen“. Es geht nicht darum zu entscheiden, welches Betriebs- oder Geschäftsmodell das Richtige ist, sondern es geht darum, eine Grundlage zu schaffen, damit sich alle Akteure zumindest verstehen.
Zur Veranschaulichung soll folgender Exkurs dienen: Früher gab es Computerbildschirme, denen man sagen konnte, dass sie einen „Kreis“ malen sollten. Das Konzept der Farbpunkte (Pixel) ist dagegen weniger ausdrucksstark, aber dennoch mächtiger, da es deutlich mehr Optionen offen lässt und mit weniger festen Vereinbarungen auskommt. Letztlich hat sich für die Ansteuerung von Bildschirmen der „Pixel“-Ansatz durchgesetzt, auch wenn parallel dazu auf einer anderen Ebene Standards für die Beschreibung von „Kreisen“ entstanden sind (z.B. PDF, SVG etc.).
Ähnliche Ansätze gibt es bei der Umsetzung von Geschäfts- und Betriebsmodellen im Bereich der Elektromobilität. Die direkte Verbindung und mächtige Kommunikation zwischen zwei Akteuren ist in der Regel vergleichsweise einfach umzusetzen. Doch macht eine direkte Kopplung ein System meist unflexibel, da die neutrale, generische Abstraktionsebene fehlt. Derzeit werden in der E-Mobilität, im Sinne der obigen Analogie, vor allem „Kreise gemalt“. Babelbee überlässt es anderen Systemen zu entscheiden „wie ein Kreis aussieht“ und versucht lediglich einen gemeinsamen „Pixel“ zu definieren.
Eine Veranschaulichung der Grundstruktur des Babelbee-Systems ist in Bild?7 skizziert. Auf der Seite des Stromnetzes wird eine Powerbee integriert. Diese kapselt im vorliegenden Beispiel die Interessen (das Betriebsmodell) eines Netzbetreibers. Auf der Fahrzeugseite übernimmt eine Autobee die Integration und Kommunikation mit der Fahrzeugelektronik und schirmt so das Betriebsmodell des Autos von der Aussenwelt ab. Babelbee-Module sitzen genau dazwischen.
Powerbee- und Autobee-Module sind typischerweise eng mit einem bestimmten Produkt verknüpft und werden auch meist direkt (z.B. auf der gleichen Platine wie die Ladeelektronik) integriert. Demgegenüber sind Babelbee-Module produktneutral und zudem per Definition austauschbar („Plug & Play“). Durch ein Babelbee-Modul kann somit in jedes System neben einem neuen Algorithmus (Betriebs- oder Geschäftsmodell) auch neue Hardware (z.B. ein Rundsteuersignal-Empfänger, das neuste PLC-Modem, etc.) eingebracht werden. Man kann also in einem klar definierten Rahmen auch partielle Hardware-Upgrades durchführen.
Das Kommunikationsprinzip des Babelbee-Systems wird bewusst extrem klein gehalten. Zwischen den Modulen, von denen prinzipiell beliebig viele in Reihe geschaltet werden können, werden nur die physikalischen Grenzen der Energieübertragung ausgetauscht. Hierbei gibt es harte (in Bild 8 die roten Linien) und weiche Grenzen (türkis). Die Überschreitung harter Grenzen führt zum sofortigen Abbruch der Energieübertragung. Weiche Grenzen sind hingegen nur als Hinweis gedacht. Die Kommunikation überträgt, anschaulich gesprochen, das Funktionsprinzip eines Wasserhahns in das Stromnetz.
Aspekte der Abrechnung oder Zugangsberechtigung werden auf Babelbee-Ebene ganz bewusst nicht behandelt, dennoch — oder besser, gerade deshalb — erlaubt der Babelbee-Ansatz eine beliebig komplexe Verkettung von Geschäftsmodellen. Sollten die in einer bestehenden Kette involvierten Module zusätzliche Informationen benötigen (z.B. den „State of Charge“ des Akkus, Strompreise, etc.), so müssen sie diese außerhalb der Babelbee-Kommunikation in Erfahrung bringen bzw. untereinander austauschen. Das Babelbee-Konzept sieht hierzu lediglich eine klar definierte Brücke in die normale IPv6-Internetwelt vor.
Es ist nach unseren Analysen problemlos möglich, jedes beliebige Betriebs- oder Geschäftsmodell auf den Babelbee-Ansatz abzubilden. Denn letztlich dreht jedes von ihnen lediglich den eigenen „Wasserhahn“ etwas weiter auf oder zu.
Die drei Ebenen der Entkopplung
Babelbee ist auf der untersten Ebene ein Konzept für die Art der Kommunikation zwischen virtuellen „Strom-Wasserhähnen“. Der Babelbee-Ansatz wählt damit einen Abstraktionsgrad, der zwischen den heute gängigen Normen liegt; deutlich detaillierter als die IEC 61851 und viel generischer als die ISO/IEC 15118 (mehr dazu im nächsten Teil).
Darüber hinaus ist es der Versuch, einen „Plug & Play“-Standard für Geschäftsmodelle zu etablieren, indem eine konkrete, physikalische Ausprägung der Bauform und der technischen Umsetzung definiert wird. Jedes Unternehmen kann damit sein Geschäftsmodell in einem eigenen Babelbee-Modul realisieren. Jedes Modul ist faktisch eine „Blackbox“, deren innere Logik und Bauweise nicht offengelegt werden muss. So können beliebige Geschäftsmodelle in jedem Fahrzeug mit einem entsprechenden Steckplatz eingebunden werden. FINE Mobile als auch die Firma German E-Cars haben jeweils einen Montagesockel für ein Babelbee-Modul in eines ihrer Versuchsfahrzeuge integrieren. Im nächsten Schritt steht nun die direkte Integration mit der Ladeelektronik bevor. Babelbee-Module können aber genauso auf der Seite der Infrastruktur zum Einsatz kommen.
Der dritte Aspekt ist das Babelbee-Referenzmodul (der transparente Baustein in Bild 6), an dessen Umsetzung die Firmen Raritan und INA mitgeholfen haben. Das generische, kompakte Basismodul beinhaltet eine sehr präzise Messtechnik für ein dreiphasiges Stromnetz (derzeit für bis zu 16 Ampere je Phase) kombiniert mit einer hohen Rechenleistung (ARM9 CPU mit Embedded Linux Betriebssystem). Auf dieser Basis können bereits viele Geschäfts- und Betriebsmodelle umgesetzt werden. Die DGS interessiert sich hierbei vor allem für dezentrale Ansätze (siehe Teil 7 dieser Serie), die auch ohne kostspielige Kommunikation funktionieren und zur Stabilität eines erneuerbaren Stromnetzes beitragen können.
Ausblick
Ob die Industrie und die Politik unsere Vorschläge und Anregungen aufgreifen werden, bleibt derzeit abzuwarten.
Wir glauben, mit unseren Ideen einen konstruktiven Beitrag zur Debatte um die zukünftige Ladeinfrastruktur geleistet zu haben. Gemeinsam mit einer Gruppe von Partnern aus der Industrie und Forschung haben wir uns um eine Förderung zur weiteren Erprobung und exemplarischen Umsetzung des Babelbee-Systems beworben und werden spätestens auf der eCarTec-Messe im Oktober 2011 über die weiteren Entwicklungen informieren.
Der nächste Teil diese Serie wird dann die technischen Details des Babelbee-Systems ausführlich erläutern.
Tomi Engel