Nachhaltige städtische Taxi-Transportsysteme
UN-Expertenkonferenz in Rio de Janeiro: Am 18. und 19. Mai fand in der Bank für soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten in Rio de Janeiro eine internationale UN-Expertenkonferenz zum Thema „Nachhaltige städtische Transportsysteme“ statt. Der regionale Schwerpunkt des Expertentreffens lag auf den „politischen Einflussmöglichkeiten zur Modernisierung und Ökologisierung der Taxiflotten in Lateinamerikanischen Städten“. Die DGS war in Person des Vorsitzenden des Landesverbandes Franken, Michael Vogtmann, vertreten. Er repräsentierte als einziger europäischer Teilnehmer zudem die Solarinitiative der Stadt Nürnberg sowie das Unternehmen „Solares Velotaxi Nürnberg“.
Hohe Emissionen durch Individualverkehr
Im Gegensatz zu Europa, wo Taxis gleichwertig neben den privaten und öffentlichen Transportmöglichkeiten wie U-Bahn, S-Bahn, Bus und Straßenbahn stehen, bilden PKW- und Kleintransportertaxis in den meisten lateinamerikanischen Ballungsräumen den wesentlichen Bestandteil des innerstädtischen Nicht-Individualverkehrs. Damit tragen sie einen wesentlichen Teil der großen Verkehrs- und Umweltbelastungen. So entstehen dort hohe Abgasbelastungen im vorherrschenden Stop-and-Go-Verkehr, nicht nur wegen der zahlreichen Fahrzeuge, sondern auch durch ständige Leerfahrten zur Kundenakquise – eine Problematik, die jedoch nicht nur die fossilbetriebenen Taxiflotten in Lateinamerika betrifft.
Rio + 20
Das von der „Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen (DESA UN)“ und der „Federal University of Rio de Janeiro, Fachbereich Transportwesen“ eingeladene internationale Expertengremium setzte sich aus Regierungsvertretern, Verkehrswissenschaftlern, kommunalen Verkehrspolitikern sowie Betreibern ausgewählter Taxiflotten zusammen. Michael Vogtmann war als Vertreter der weltweit ersten solarelektrisch unterstützten „Taxiflotte“ eingeladen worden. Ziel der Expertenkonferenz war, Handlungsempfehlungen für die im nächsten Jahr anstehende globale UN-Nachhaltigkeitskonferenz „Rio + 20“ in Rio de Janeiro zu liefern, welche unter Anderem auch Ziele und Maßnahmenbündel hin zu nachhaltigeren Verkehrsmitteln und Verkehrsregulierungsmöglichkeiten definieren soll.
Das Spektrum der Präsentationen reichte dabei von den hochentwickelten und modernen fahrzeug- und personenbezogenen Sicherheitsanforderungen und Kontrollmechanismen der städtisch betreuten Taxis in der modernen brasilianischen Stadt Belo Horizonte bis zu den akuten sozialen und strukturellen Herausforderungen, denen sich die Taxibetreiber in Bolivien oder Cuba stellen. In Bolivien sind Taxifahrer bereits „zufrieden“, wenn sie nicht ausgeraubt, tätlich angegriffen oder gar ermordet (und dann ausgeraubt) werden. In Cuba bringt die Treibstoffknappheit manche Taxibetreiber außerhalb der Hauptstadt Havanna sogar zwangsweise wieder hin zu emissionsfreien Pferdekutschen oder Fahrradrikschataxis.
Treibstoff aus Erneuerbaren Energien?
Mit der verstärkten und effizienten Nutzung von Treibstoffen aus EE-Quellen beschäftigten sich vor allem die Präsentationen der öffentlichen Universität Rio de Janeiro, der halbstaatlichen Betreiberfirma des öffentlichen und privaten Personennahverkehrs im chinesischen Shengzen, der südkoreanischen halbstaatlichen KEMCO Energy Management Corporation (Hauptsponsor des UN-Meetings) und nicht zuletzt die der Solarinitiative Nürnberg bzw. der DGS.
Südkorea ist weltweit der zehntgrößte Energieverbraucher, 96% der Energie wurden mit einem volkswirtschaftlichem Kostenaufwand von 121 Milliarden US$ alleine im Jahr 2010 importiert. Bereits seit der zweiten Ölkrise 1979 setzt das Land auf verstärkte Effizienz bei der Energienutzung. Im Transportsektor bedeutet dies z.B., dass eine der aktuellen politischen Effizienzsteigerungsmaßnahmen darin besteht, Fahrzeughersteller zu verpflichten, für den Käufer deutlich sichtbare Effizienzlabels auf die Autoscheiben anbringen zu lassen. Die Effizienzlabels gibt es seit 2010 in fünf Kategorien und reichen von Kategorie 1 („Energiesparauto“: mindestens 15?km Reichweite pro Liter Benzin/Diesel) bis hinzu Kategorie 5 („Energiefresser“: höchstens 8,3 km pro Liter Treibstoff). Alle Fahrzeugflotten müssen bis 2015 Kategorie 1 erbringen, andernfalls drohen Strafzahlungen. Diese Ziele decken sich nahezu mit den EU-Zielen bis 2015. Erwähnenswert ist jedoch der Öffentlichkeitscharakter des „Label-bedingten“ Anprangerns von Spritfressern, was wohl die Nachfrage nach energiesparenden Autos verstärken wird.
Elektrotaxis in Shenzhen
Mit höherer fossiler Treibstoffeffizienz ist jedoch noch kein entscheidender Schritt weg von den fossilen Treibstoffen, hin zu den erneuerbaren Treibstoffen gemacht. Da ist man mit Blick auf die technischen Fahrzeugvoraussetzungen im aufstrebenden China mancherorts schon weiter. So laufen in der südlichen Provinz Shenzhen seitens des größten Bus- und Taxibetreibers „Shenzhen Bus Group“ von insgesamt 5.000 Fahrzeugen heute bereits 20% rein auf Elektro- oder Hybrid-Elektrobasis. Bis zum Jahr 2015 wird nahezu die gesamte Flotte umgestellt sein.
Ein wichtiges Ziel beim Einsatz der 300 rein elektrisch betriebenen Personentaxis chinesischer Herstellung mit dem Produkttypnamen „E6“ war eine möglichst vergleichbare tägliche Einsatzdauer mit fast genauso vielen Personenbeförderungskilometern im Vergleich zu den Fossil-Taxis. Möglich wurde dies durch ein Schnellladesystem, mit dem die 800?kg schweren Lithium Akkus innerhalb von 1,5 h nachgeladen werden können. Auch durch ein gut verteiltes Netz an Ladestationen schafft ein reines Elektrotaxi mit 200 km Reichweite dank der kurzen Nachladezwangspausen immerhin schon 10.000 Personenkilometer (Pkm) pro Monat und steht seinem Fossiltaxi mit 13.000 Pkm nicht übermäßig nach. Dank zahlreicher staatlicher Vergünstigungen und Sonderrechte für E-Fahrzeuge ist die Profitabilität für den Taxibetreiber heute schon höher als bei den vom Kaufpreis her betrachtet wesentlich billigeren herkömmlichen Taxis. Allerdings wird dies mit 2,3 Tonnen Leergewicht, incl. 800?kg Akkus noch recht aufwendig erkauft. Bei dem Kompaktauto „E6“ der unteren Mittelklasse bedeutet das 29 kWh Stromverbrauch auf 100 km, um insgesamt 200 km Stadt- und Landverkehr ohne Nachladen zu schaffen. Vom angestrebten Energieeffizienzgedanken ist man damit sicherlich noch ein ganzes Stück weit entfernt. Wenn man dazu noch berücksichtigt, dass man sich in China, mit der mittlerweile größten Photovoltaikindustrie, noch keine großen Gedanken macht, woher der Strom für die am Ort emissionsfreien E-Taxis kommen soll. Ob aus Kohlekraftwerken, den zahlreichen existierenden und geplanten Kernkraftwerken oder aus Erneuerbarer Energie.
CO2-freie Elektromobilität in Nordostbrasilien
Eine differenziertere und engagiertere Vision in Richtung C02-freier Strom für emissionsfreie Elektroautos zeigten dagegen die Vertreter der staatlichen Universität von Rio de Janeiro. Von der Regierung wurde als Ziel formuliert, die momentan installierte Windkraftleistung im windreichen Nordostbrasilien von 1?GW auf insgesamt 11 GW aufzustocken, um dort bewusst lokalen Strom und temporäre Überschüsse zu erzeugen. Gemeinsam mit anderen Stromerzeugungstechnologien soll eine Leistung von 17 GW zur Verfügung stehen (Zum Vergleich: Die in Deutschland installierte Windkraftleistung liegt momentan bei knapp 30?GW). In der Modellregion Nordostbrasilien sollen damit im Jahr 2030 insgesamt 1,65?Mio. Fahrzeuge auf elektrischer oder hybridelektrischer Basis im Plug In smartgrid vehicle Modus (siehe Serie : „Die Netzintegration von Elektrofahrzeugen“ in der SONNENENERGIE), also zum Zweck des Netzstrombezugs und bedarfsmäßiger Rückspeisung betrieben werden.
Die Erkenntnis, dass das Beschleunigen und Fortbewegen einer akkumulatorbedingt schwereren Fahrzeugmasse zu einem überproportionalen Anstieg des km-spezifischen Stromnachladebedarfs führt, und natürlich die Tatsache, dass fast alle Autos und Nutzfahrzeuge in Brasilien heute auf Basis von Zuckerrohrethanols oder immer stärker auf Basis von komprimierten Erdgas (CNG) laufen, bestärkte die Regierung in der Zukunft auf PHEV mit überwiegend „nur“ 50 km autonomer Reichweite zu setzen: Bei 50?km autonomer Reichweite benötigt man knapp 5,5 kWh Stromnachladung, bei 200 km (und entsprechend knapp 800 kg statt 150 kg Batterien) wird mit 33?kWh Gesamtnachladung schon die sechsfache Energiemenge benötigt, 400 km Reichweite führen gar zu einem 12-fach hohen Bedarf. Eine achtfache Reichweite wird somit mit zwölffachen Stromverbrauch erkauft.
Ziel für Nordostbrasilien sollte es also sein, Fahrzeuge auf Basis von Strom aus Windkraft und auf CNG-Basis in den Markt einzuführen. Mit dem überschüssigen Windstrom aus 11 GW Windleistung können dann 1,65 Millionen SmartGrid Fahrzeuge (Basis 50 km autonome Fahrweise) versorgt werden.
Das Konzept der CO2-freien Erzeugung hat allerdings noch einen Haken. Die noch fehlenden 6 GW sollen mit sechs neu zu errichtenden Atomkraftwerken erzeugt werden. Dieser Hinweis war den Vertretern der Uni durchaus peinlich. Die alternativen Varianten, die insgesamt benötigten 17 GW mithilfe von Windkraft zu erzeugen oder auch die Herstellung von „Windgas“ mittels H2-Elektrolysegewinnung und anschließender Methanisierung durch CO2-Zugabe, wurden seitens der Regierung nicht berücksichtigt. Dabei würde gerade der Einsatz regenerativ erzeugten Methans durchaus zu den Millionen CNG Autos in Brasilien passen.
Solare Kleinmobilität
Nach all den Präsentationen über Gigawatts an erneuerbarer, fossiler und atomarer Stromproduktion, den zig-Tonnen Gewichtsdiskussionen zu verschiedenen Fahrzeugarten und Speicherkonzepten, wirkte die Präsentation der Solarinitiative Nürnberg/DGS Franken über die „Einführung von elektrischen Fahrradtaxis in europäischen Städten“ wie ein „downsizing“ über mehrere Dimensionen. Nun war von Watt und Kilowatt die Rede, von Horse- und Pony-Power, von frischer Luft und guter (Schönwetter-)Laune.
Nach dem ersten Betriebsjahr der solaren Velotaxis in Nürnberg kann zusammengefasst festgestellt werden, dass die hier erstmals eingesetzten halbtransparenten Solarmodule mit 65?WP den Velotaxis eine Reichweitenverlängerung von bis zu 30% verliehen. Bei der weltweit ersten Solar-Velotaxiflotte wurden Fahrzeuge mit einem Eigengewicht von 130 kg eingesetzt. Mit einem Fahrer und zwei Passagieren werden damit bis zu 400 Kilogramm Gesamtgewicht bewegt. Die Gangschaltung beim Fahren sowie im Stand wird ermöglicht durch eine 14?Gang Nabenschaltung. Ein modulierend bis zu 250 Watt Leistung erbringender elektrischer Zusatzantrieb ist im Vorderrad integriert. Im Heck sitzt eine 20 Kilogramm schwere 36 Volt Blei-Gel Batterie mit gesamt 0,6 kWh Kapazität. Bis zu 250 Watt Muskelkraft und bis zu 250 Watt elektrische Antriebsleistung erbringen insgesamt 500 Watt „Bordgesamtleistung“. Dies entspricht 0,7 Pferdestärken oder einer „Pony-Stärke“. Nachdem die Akkus auf 30% Restkapazität leergefahren sind, können sie mit ein paar Handgriffen durch frisch geladene austauscht werden. Somit kann die Reichweite auf ca. 30 km verdoppelt bzw. die Arbeitszeit der Fahrer auf bis zu 8 Stunden pro Tag verlängert werden. Fünf Velotaxis legten von Mai bis Oktober ungefähr 20.000 Kilometer zurück. Dabei beförderten sie 5000?Personen, zu zwei Drittel Touristen und Einheimische, die ihre eigene Stadt anders kennenlernen wollten und zu einem Drittel Fahrgäste, die den eigentlichen Taxi-Service in Anspruch nehmen wollten. Das nächtliche Nachladen der Akkus betrug insgesamt 230 kWh „grünen Strom“ (PurNatur Wasserkraftstrom des regionalen Energieversorgers), was ungefähr 23 Liter Benzin entsprach. Der Energieverbrauch pro km war umgerechnet 1?ml herkömmlicher Treibstoff, das ergibt 0,1 Liter auf 100 Kilometer. Verglichen mit fossil angetriebenen gewöhnlichen Taxis konnten 1.500 Liter Treibstoff vermieden werden, was eine Ersparnis von mehr als 3 Tonnen Kohlendioxid bedeutet.