Der große Run auf die Biomasse
Lebensmittel - Energieträger - Spekulationsobjekt: Biomasse ist in aller Munde – nicht nur beim Essen. Warum ist Biomasse zum Thema geworden? Warum wird Biomasse, wie Lebensmittel und Maissilage immer teurer? Warum hungern so viele Menschen und gleichzeitig nimmt in Schwellenländern der Fleischverbrauch zu?
Biomasse ist in aller Munde – nicht nur beim Essen. Warum ist Biomasse zum Thema geworden? Warum wird Biomasse, wie Lebensmittel und Maissilage immer teurer? Warum hungern so viele Menschen und gleichzeitig nimmt in Schwellenländern der Fleischverbrauch zu?
Der Artikel soll kaleidoskopartig die vielen Fragestellungen zum Thema Biomasse beleuchten. Aus verschiedenen Blickwinkeln: Biomasse als Lebensmittel, Biomasse als Energieträger oder Biomasse als Spekulationsobjekt. Manche Aspekte erscheinen möglicherweise etwas provokativ, jedoch basieren sie auf Fakten, es sollen damit keine Einzelpersonen oder Gruppen provoziert oder bewertet werden.
Biomasse: gestern – heute
Wir gehen jeden damit Tag um. Wir essen sie. Wir sitzen darauf, wenn es Holzstühle sind. Sie erwärmt uns in Form von Pellets oder Hackschnitzel. Wir verbringen unsere Freizeit mit ihr – mit Pferden, Hunden oder Katzen. Wir sind mit Biomasse verheiratet oder liiert, als Ehemann, Ehefrau, als Freund und Freundin. Uns ist oft nicht bewusst, dass wir so viel mit Biomasse zu tun haben. Biomasse hat viele Ausprägungen. Reduziert auf das chemisch Wesentliche ist Biomasse immer eine Ansammlung von Kohlenstoff in Kohlenstoffketten. Das ist das Stichwort: Kohlenstoff.
Bis vor hundert Jahren war das Leben noch deutlich stärker durch den Umgang mit Biomasse geprägt. Die Menschen haben gegessen, was in ihrer Gegend produziert wurde. Pferde wurden mit Heu, Gras und Hafer gefüttert, damit sie ihre Zugleistungen bringen konnten. Möbel waren überwiegend aus Holz. Die Menschen kleideten sich mit Biomasse ein: Die „Gewänder“ wurden aus Wolle, Baumwolle und Leinen hergestellt. Geheizt wurde mit Holz als auch mit Kohle. Auch Kohle war vor Millionen von Jahren Biomasse. Mit Biomasse wurde sparsam umgegangen, da sie begrenzt zur Verfügung stand, es musste Zeit und Arbeit investiert werden. Somit war Biomasse eine teure Ressource.
Erdöl statt Biomasse
Dann kam das Erdöl. Erdöl war „unbegrenzt“ vorhanden und konnte beliebig gefördert werden. Es musste nicht wie bei der Biomasse üblich auf die Ernte gewartet werden, man konnte beliebige Mengen Energie jederzeit einfahren. Zeit und Arbeit war für die Produktion nicht aufzuwenden. Erdöl konnte aufgrund seiner hohen Energiedichte günstig transportiert werden. Da es flüssig ist, konnte es über lange Strecken gepumpt werden. Und es waren – mehr oder weniger im Vergleich zu Holz – nackte Kohlenstoffketten, die ohne großen Energieaufwand verarbeitet und raffiniert werden konnten. Wie in einem Sturm fegte das Erdöl die alte Biomasse vom Markt. Statt Holz- und Kohleheizungen wurden Ölheizungen verkauft; statt Seiden- oder Wollstrümpfe trug Frau jetzt Nylonstrümpfe. Bald so billig, dass man sie jeden Tag wegwerfen konnte. Weil Öl und seine daraus gemachten Produkte so erschwinglich waren, begann die Phase des Mehrverbrauchs und des Wegwerfens. Die meisten Menschen in Deutschland, mit Ausnahme der vor dem 2. Weltkrieg geborenen, kennen die Situation, als Biomasse teuer war, nicht mehr. Die Meisten wurden in die Phase des Verbrauchens und Wegwerfens hineingeboren.
Erdöl: Vom Überschuss zur Knappheit
Nun wird das Erdöl knapp. Nicht nur, weil es eine endliche Ressource ist, von der schon viel verbraucht wurde, sondern auch, weil immer mehr Menschen Erdöl nutzen wollen. So nimmt der Verbrauch in Schwellenländer wie China oder Indien stetig zu. Sollten nur 30% der Inder denselben Lebensstandard wie die Europäer erreichen, würde sich der Verbrauch von Erdöl rasch verdoppeln. Die heute Armen in China, Indien, Afrika und dem Rest der Welt möchten verständlicherweise ihren Lebensstandard dem der Industrienationen angleichen. Das funktioniert jedoch schon rein rechnerisch mit Erdöl nicht. Als die Erdölnutzung im großen Stile begonnen hat, lebten ca. zwei Milliarden Menschen, jetzt, am Ende des Erdölzeitalters angekommen, leben fast sieben Milliarden Menschen auf unserem Planeten.
Wird ein Wirtschaftsgut wie Erdöl knapper, steigen die Preise. Andere Kohlenstoffketten, wie Holz und pflanzliche Agrarprodukte, werden wieder konkurrenzfähig. Mit Hackschnitzel zu heizen, ist in vielen Fällen schon billiger als mit Erdöl. Der große Unterschied von heute zu gestern ist, dass wir nicht mehr aus einem großen Vorratslager mit Energie schöpfen können, sondern dass die Biomasse jährlich aus begrenzten Flächen nachwachsen muss. Alleine das Wachstum von Pflanzen ist heute wieder ein begrenzender Faktor, so wie es auch früher war.
Fakten zur Nutzung von Biomasse – Kurioses, Erschreckendes und Borniertes
- Alle Hunde in Deutschland fressen rein rechnerisch das Fleisch, das in Baden-Württemberg von den Bauern produziert wird. 1)
- Alle Katzen in Deutschland fressen rein rechnerisch das Fleisch, das in Hessen von den Bauern produziert wird. 2)
- 30–50% der Lebensmittel landen auf dem Müll, schreibt der WWF. 3)
- Eine Milliarde Menschen hungern. Gleichzeitig sind mehr als eine Milliarde Menschen übergewichtig oder sogar adipös 4).
Wie viele Lebensmittel mussten gegessen werden, um das ganze Übergewicht zu produzieren? Umrechnungsfaktoren siehe unter Fleischproduktion. - Die Produktion von Fleisch ist ein Paradebeispiel der Verschwendung:
Statt einem Steak kann man 5 Laibe Brot produzieren. Einst war Fleisch lediglich Beilage, auch in der Oberschicht. Brot war immer schon für die Armen.
Teller – Trog – Tank
Das sind nur einige wenige Beispiele, wie verschwenderisch wir mit Lebensmitteln umgehen. Biomasse ist im Überfluss vorhanden. Es kommt darauf an, was man damit macht und wie man sie verteilt. Damit sind wir bei einem Stammtischthema. Es reden viele mit, wenige kennen die Fakten und kaum einer kennt die Zusammenhänge.
Beispiel Biogas
Vertreter von kirchlichen und karitativen Organisationen setzten sich dafür ein, dass kein Essen, wie Getreide und Mais, in die Biogasanlagen kommt. 6) Lebensmittel sollen den Hungernden auf der Welt zur Verfügung stehen. Getreide in Biogasanlagen erhöhen die Lebensmittelpreise weltweit und Hungernde können sich die Lebensmittel nicht mehr leisten. In der Tat steigen die Lebensmittelpreise weltweit. Unter anderem, da in China und Indien mittlerweile eine größere Mittelschicht die finanziellen Möglichkeiten besitzt, Fleisch kaufen zu können. Und – wie beschrieben – benötigt die Fleischproduktion riesige Mengen an Getreide. Damit wird Getreide knapper und logischerweise teurer. Ein zusätzlicher Aspekt ist, dass knappe Produkte und Ressourcen Spekulanten auf den Plan rufen. Spekulanten treiben die Preise noch mehr in die Höhe.
Das so viele Afrikaner hungern, liegt nicht nur an der aktuellen Dürre in Ostafrika. Bauern der EU und USA haben über Jahrzehnte zu viel Lebensmittel produziert. Weil das direkte Vernichten zu teuer war und die Empörung bei der Bevölkerung zu groß gewesen wäre, wurden Subventionen für Agrarexporte bezahlt. Die Überschüsse wurden nach Afrika verfrachtet. Die Folge: Tomaten in Dosen aus Europa waren aufgrund von Subventionen billiger als die eigenen, frischen Tomaten. Milchpulver aus der EU war billiger als frische Milch vom lokalen Markt. Geflügelcarcassen 7) wurden billiger als ein frisches Hähnchen. Aufgrund der Marktlogik haben die Afrikaner die billigen Agrarprodukte aus der EU gekauft und nicht die „teuren“ Produkte der lokalen Bauern. Viele afrikanische Bauern gingen Pleite, wanderten in die Großstädte ab und vegetieren nun in den Slums. Wenn eine Hungersnot kommt, gibt es jetzt keine funktionierenden landwirtschaftlichen Produktionsstrukturen mehr. Wäre es nicht besser, in Europa mehr Biogasanlagen bauen, damit die EU keine Überschüsse mehr erzeugt und damit Afrika die Chance erhält, wieder eigene landwirtschaftliche Produktionsstrukturen aufzubauen?
Biomasse als Ressource der Zukunft – ein teures Vergnügen
Biomasse ist ein Energieträger. Deshalb essen wir sie ja, verbrennen sie und fahren damit Auto. Biomasse als Rohstoff wird jedoch noch interessanter, wenn Erdöl knapp wird. Keiner wird auf die Annehmlichkeiten von Kunststoff in der Zukunft verzichten wollen. Wenn das Erdöl zu teuer wird, dann wird Biomasse der Grundstoff für Plastik. Dann wird Biomasse wirklich knapp werden.
Heute leisten wir uns den Luxus, dass wir Maissilage in Biogasanlagen über 24 Stunden füttern und damit Strom erzeugen, den in der Nacht keiner benötigt. Bei der Einführung des EEG 2004 war das sicherlich noch sinnvoll. Aber fast 10 Jahre später sollten wir solchen Unsinn lassen und gegensteuern. Strom aus Biogas ist eine hervorragende Regelenergie. Mit ihr ist es möglich, Schwankungen auszugleichen, die durch die Stromproduktion von Solarstrom und Windenergie entstehen. Spätestens in 20 Jahren werden wir genügend Speicher- und Konversionstechnologien haben, um diese Schwankungen ohne Biogasstrom ausgleichen zu können.
Übergangstechnologien
Biogas ist eine Übergangstechnologie hinsichtlich einer nachhaltigen Stromproduktion. Diese Ansicht wird in der Biogas-Branche nicht gerne vernommen, jedoch kann man sich so mancher Tatsachen nicht verschließen. Seit 2003 fordert die DGS eine Einspeisevergütung für Biogasstrom, die Effizienz- und Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt. Was die DGS in einem Positionspapier bereits im April 2006 gefordert hat, wird jetzt teilweise im neuen EEG 2012 umgesetzt.
Was für Biogas gilt, muss auch für Pflanzenöl, egal ob von Raps oder von der Ölpalme, gelten. Langfristig ist Pflanzenöl zu teuer, um damit eine Tonne Blech zu bewegen. Die DGS, mit Tomi Engel, dem Vorsitzenden des Fachausschuss Solare Mobilität, hat detailliert nachgewiesen, dass Strom für Fahrzeuge die bessere und vernünftigere Energie darstellt. Auch hier ist die Biomasse Pflanzenöl lediglich eine Übergangstechnologie.
Wenn wir Biomasse im großen Maßstab verheizen, um es zuhause im Winter warm zu haben, werden wir uns diese nicht mehr lange leisten können. So wird es immer günstiger zu dämmen, als diesen Energiebedarf mit Biomasse zu decken. Hackschnitzel kosteten im Winter 2010/2011 im Raum Bad-Tölz 8) bereits bis zu 200 €/to atro. 9) Damit waren die „billigen“ Hackschnitzel teilweise teurer als das „teure“ Heizöl. Ein großer Industriebetrieb in Oberbayern ist daraufhin wieder von Hackschnitzel auf Heizöl umgestiegen. Biomasse als Brennstoff wird also auch knapper und teurer. Die DGS hat schon lange darauf hingewiesen, dass Solarthermie der Königsweg zum Heizen ist. Dieser Weg wird eingeschlagen werden, wenn der Brennstoff teurer wird.
Günstiges Öl, billige Lebensmittel
Lebensmittel werden heute überwiegend aus Erdöl und Erdgas erzeugt. Das geht indirekt so: Fossile Energie wird genutzt, um synthetischen Stickstoffdünger herzustellen. Im industriellen Verfahren benötigt man einen Kubikmeter Erdgas, um 1?kg Stickstoff aus dem Luftstickstoff zu gewinnen. Ist Erdöl preiswert, dann ist auch Erdgas günstig und somit auch der Stickstoffdünger. Ist Stickstoffdünger billig, wirkt sich das auch auf die Nahrungsmittelproduktion 10) aus. Dabei kann Stickstoff auch ganz natürlich von Leguminosen über Knöllchenbakterien im Boden aus der Luft synthetisiert werden. Biobauern machen das seit Jahrzehnten. Sie bauen Zwischenfrüchte an, die den Boden mit Stickstoff anreichern, sie erreichen damit eine Verbesserung der Getreideernte. Das ist natürlich im Vergleich etwas teurer, solange das Erdöl noch so billig ist. Wenn das Erdöl aber 180 €/Barrel kostet und der Erdgaspreis gleichzeitig ansteigt, dann wird die Produktion von Bioprodukten im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft günstiger. Wir werden uns dann nicht mehr entscheiden müssen, ob wir die „teuren“ Bioprodukte oder die billigen konventionellen Produkte kaufen wollen. Nein, die Entscheidung wird sein, ob wir Fleisch essen wollen oder ob wir nach Mallorca fliegen wollen. Beides können wir uns nicht mehr leisten.
Die Chemieindustrie weiß schon lange, dass das Erdöl zur Neige geht. Eine große asiatische Ingenieursgesellschaft mit 9.000 Mitarbeitern, welche Raffinerien baut, ist aktuell auf Einkaufstour und kauft Technologien ein, um Biogas zu erzeugen. Biogas wird ein Grundstoff der Chemieindustrie werden, wie es heute Erdöl und Erdgas sind. Die Zukaufsstrategien von Konzernen sagen heute mehr über die Entwicklung der Energie- und Rohstoffsituation in der Zukunft, als alle Meldungen in Zeitungen und Internet, aus Biomasse wird der Rohstoff der Chemieindustrie in der Zukunft sein. Damit ist ein Spieler mehr auf dem Feld und will seinen Anteil vom Kuchen.
Die Menge der Biomasse bleibt gleich oder wird möglicherweise noch etwas durch intelligente, biologische Anbauverfahren gesteigert werden können. Die Nutzer werden dramatisch mehr – von 7 Milliarden Menschen auf 9 Milliarden Menschen in wenigen Jahrzehnten. Das bedeutet, dass wir der Verschwendung und Ineffizienz ein Ende bereiten müssen. Oder aber wir lassen einige Milliarden Menschen verhungern, damit wir unseren Lebensstil beibehalten können.
Positive Aussichten
Die Analyse ist ziemlich düster. Aber jeder Tunnel hat ein Licht am Ende.
Die Italiener essen 50% weniger Fleisch als wir Deutschen 11). Leben Sie weniger gut? Wenn wir Teilzeit-Vegetarier 12) werden, dann haben wir unseren Energieverbrauch drastisch 13) gesenkt. Damit ist unsere Lebensmittelversorgung gesichert.
Mit E-Bikes und Elektroautos kommen wir überall hin, wo wir heute schon hin kommen. In Kombination mit Bahn und weniger Flügen wird das kein Problem. Leider fällt Wochenend-Shopping in London für 19 €/Flug aus.
Andere Problem und Engpässe werden wir auch lösen und auflösen. Da wir immer mehr Menschen auf dem Planten werden und die Produktion von verwertbarer Biomasse wegen den biologischen Grenzen nicht ins Unendliche gesteigert werden kann, müssen wir uns neue Strategien überlegen. Diese Strategien werden keine technischen Lösungen sein. Wir werden uns fragen müssen, ob wir nicht mal das Motto der französischen Revolution lokal und global ernst nehmen. Mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit reicht die Biomasse wirklich für alle auf der Erde.
Fußnoten
- Eigene Berechnungen basierend auf Daten aus „Heimtierbedarf, Katzenforum, Ernährung Hund, Fleischverzehr“, Daten Statistisches Bundesamt
- Eigene Berechnungen basierend auf Daten aus „Heimtierbedarf, Katzenforum, Ernährung Hund, Fleischverzehr,“ Daten Statistisches Bundesamt
- WWF Pressemitteilung vom 21.01.2011 zur Grünen Woche
- Stark übergewichtig mit krankhaften Auswirkungen: http://de.wikipedia.org/wiki/Adipositas
- Bewusst kochen, herzhaft essen. 60 Rezepte für eine begrenzte Welt. Zürich, 1993
- Veranstaltung, Tank – Teller – Trog, an der Landvolkhochschule Niederalteich am 13. März 2011
- Gerippe von Hähnchen, Enten oder Puten mit Restfleisch. Es wurden vorher nur die Schenkel und die Brust entfernt, weil der europäische Verbraucher nur die Edelteile will
- Information von Thomas Dudek, Versorgungsingenieur, Waakirchen
- Atro – absolut trocken
- Der Autor unterscheidet hier absichtlich zwischen Nahrungsmittel und Lebensmittel.
- Prof. Scheffer, Vortrag 2006
- Teilzeit-Vegetarier – nur 2–3 mal in der Woche Fleisch essen und dann auch weniger auf dem Teller
- Siehe auch SONNENENERGIE, 3-2011, S. 17, „Radelnder Fleischfresser versus autofahrender Vegetarier“ von Gunnar Böttger
Walter Danner