Das Haus als Energieerzeuger
Das globale Solarpotential unterschiedlicher Gebäudehüllen, Unsere Häuser verbrauchen viel Energie: Allein in Deutschland liegt der Anteil am Gesamtenergieverbrauch für private Haushalte bei etwa 30%. Die bisher allgemeingültige Strategie sich dieser horrenden Energieverschwendung entgegenzustellen lautet Energieeinsparung. Die Energieeinsparverordnung (EnEV), und ihre Vorgänger reduziert Schritt für Schritt die zulässigen Werte für den Primärenergiebedarf eines Gebäudes und setzt höhere Anforderungen an den Dämmstandard. Doch selbst ein Passivhaus, einer der aufwändigsten Gebäudestandards, verbraucht noch konventionelle Energie für Heizung, Trinkwarmwasserbereitung und die Lüftungsanlage. Der Primärenergieverbrauch liegt auch hier noch bei 20 bis 40 kWh/m2 im Jahr.
These: Wenn wir die 100% regenerative Vollversorgung wirklich erreichen wollen, müssen unsere Häuser sich vom Energieverbraucher zum Energieerzeuger wandeln.
Sonnenenergie sollte nicht nur passiv genutzt werden, wie beispielsweise über solaren Eintrag der Fenster, sondern es muss ein Umdenken zur aktiven solaren Energieerzeugung erfolgen. Das Haus muss zum Kraftwerk werden. Die Gebäudehülle stellt den aktiven Teil, der mittels Solartechnik mehr Energie erzeugt als das gesamte Haus braucht. Überschüsse werden für Elektromobilität bzw. Einspeisung in regionale Stromnetze verwendet.
Häuser, die ihre Gebäudehülle aktiv nutzen um solare Energie gewinnen und ihren Heizwärmebedarf zu 100% regenerativ decken gibt es schon mehrfach: Beispielsweise das Sonnenhaus, dass seinen Wärmebedarf zu 50%–100% aus der Sonne deckt. Ein großer saisonaler Speicher und eine mindestens 40 m2 große Kollektorfläche machen dies möglich. Die fehlende Restwärme wird über einen Scheitholz- oder Pelletofen gedeckt. Allerdings wird der Strombedarf für Haushalt und Pumpen meist noch nicht regenerativ erzeugt.
Es gibt Weiterentwicklungen dieses Konzeptes, die auch die Stromseite regenerativ über Photovoltaik decken. Ein Beispiel ist das Energie-Autarke-Haus, dass die Stromversorgung über PV sogar netzautark mit Akku-Laderegel integriert hat (siehe SONNENENERGIE 3/2011). Die Sonne liefert bis zu 65% der Wärme, der Rest wird über Biomasse gedeckt. Strom für Haushalt und Elektromobilität liefern PV-Module.
So genannte Plusenergiehäuser1) beweisen schon längst, dass Gebäude sich als Energieerzeuger eignen und über ihren Bedarf hinaus noch Überschüsse erzielen. Rolf Disch, Solararchitekt und Pionier aus Freiburg, hat mehrere Plusenergiehäuser und teilweise auch Wohnkomplexe gebaut. Mit sehr einfachem Prinzip: Ein großes, nach Süden ausgerichtetes Dach, belegt mit Photovoltaik und Solarthermie, Dämmstandard nach Passivhausqualität, Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Die Solarstromanlagen auf den von ihm realisierten Gebäude erzeugt im Durchschnitt einen Überschuss von 36 kWh im Jahr.
Die meisten der bisherigen Konzepte zum Solaraktivhaus behalten konventionelle Bauformen bei: Nach Süden ausgerichtete Pult- und Satteldächer dominieren. Allenfalls wird noch das asymmetrische Satteldach gewählt: die steilere Dachseite optimiert die Solarerträge eines Sonnenhauses während der Herbst – und Wintermonate. Nur sehr vereinzelt wagen Entwurfsverfasser ungewöhnlichere Formen wie beispielsweise das Heliotrop oder das Nurdachhaus.
Frage: Welche Baukörperformen schöpfen das solare Potential der Gebäudehülle am besten aus?
Dr.-Ing.Christina Rullan Lemke ist unter anderem dieser Frage bei ihrer globalen Formenstudie „ArchitekturForm & SolarEnergie zur Untersuchung des Einflusses der Gebäudegeometrie auf Potentiale solarer Energieversorgung über die Gebäudehülle“ nachgegangen. Mit Hilfe von computergestützten Simulationsberechnungen verglich sie 64 verschieden geformte Baukörper in Bezug auf Jahresenergiebilanz und Einstrahlungsdichte miteinander.
Baukörper, Standort und Dämmstandart
Die ausgewählten Formen beinhalten ganz konventionelle Baukörper, wie sie in Grundzügen auch weltweit üblich sind: Würfel, Quader, Halle, Turm. Neben den weit verbreiteten Dachformen: Sattel-, Pult-, Bogentonnen- oder Mansarddach wurden auch etwas ausgefallene Formen wie Prisma (Nurdachhaus), Parabeltonne, geneigte Tonne und Halbkegelschnitt betrachtet. Bei all diesen Formen wurden die Berechnungen in verschiedene Höhen, Länge- und Breitenverhältnisse variiert. Zusätzlich wurde noch eine Formengruppe aus völlig ungewöhnlichen, unkonventionellen Formen entwickelt: regelmäßige- und unregelmäßige Polygone, die jeweils in unterschiedlichen Höhenschritten ausgeformt sind.
Für die geometrischen Formen wurden Strahlungsbedingungen für 42 Standorte aus verschiedenen Breitengraden und Klimaregionen simuliert. Die Berechnungen wurden in Stundenschritten, für ein Jahr 8.760 Stunden, und in unterschiedlicher Orientierung Richtung Sonne in 5° Schritten ausgeführt.
Einen weiteren Einfluss auf die Berechnung haben Dämmstandard, Belegungsgrad und Wirkungsgrad. Dabei wurde auch berücksichtigt, dass sich jetzt momentan übliche Werte in Zukunft ändern können, beispielsweise durch Verbesserung des Dämmstandards oder auch Erhöhung des Wirkungsgrades.
Für den Dämmstandard wurden folgende Abstufungen festgelegt:
- niedrig (1,0 W/m2K/Jahr), entsprechend einem Altbau
- mittel (0,5 W/ m2K/Jahr), entsprechend dem momentanen Neubaustandard
- hoch (0,1 W/ m2K/Jahr), entsprechend dem Passivhausstandard
Der Wirkungsgrad der solaren Technologie variiert ebenso in drei Stufen: 5%, 10% und 20%. Die eingesetzte Technologie lehnt sich an der Photovoltaik an und beinhaltet den Gesamtwirkungsgrad des Systems, dem tatsächlich zur Nutzung zur Verfügung stehenden Stroms.
Der Belegungsgrad beschreibt den Anteil der solar genutzten Oberfläche, unter 25% ist er für diese Berechnung nicht relevant. 25% bedeutet, dass beispielsweise eine Dachfläche komplett mit Solartechnik belegt ist, was heute bereits durchaus üblich ist.
Ergebnisse
Die Berechnungen erzeugen eine hohe Zahl an Einzelergebnisse. Dieser Artikel zeigt einzelne Tendenzen und Entwicklungen. Die Einzelergebnisse der Jahresbilanzen jeder Form wurden in einer Art Rangliste sortiert, so dass erkenntlich ist wie groß der Überschuss bzw. die Negativbilanz der Formen nach Abzug der thermischen Verluste (auch Kühlung) der Gebäudehülle bleibt. Dämmstandard, Wirkungsgrad und A/V-Verhältnis2) haben je nach Standort einen entscheidenden Einfluss.
Je besser der Dämmstandard und Wirkungsgrad bzw. je höher der Belegungsgrad, desto mehr rücken Formen mit großem A/V-Verhältnis bzw. großer Oberfläche im Formenranking nach vorn. Bei Standorten in Äquatornähe geschieht dies bereits bei geringfügiger Veränderung der Parameter. Für unsere Breiten ist das erst bei einer Belegungsdichte um 50% mit 0,5 Dämmstandard (heutiger Neubaustandard) und 10% Wirkungsgrad (heutiger Wirkungsgrad von PV) der Fall. Bei 50% Belegung, mittleren Parametern (0,5 und 10%) liegen für alle Standorte südlich des 60° Breitengrades unkonventionelle Formen im vorderen Formenranking.
Die Einzelergebnisse der Einstrahlungsdichte3) einer Form sind dagegen unabhängig von diesen Parametern. Die Energiedichte3) beschreibt die Einstrahlung von Sonnenenergie pro m2 solar genutzter Gebäudehülle, unabhängig von Dämmstandard und solarem Wirkungsgrad. Sie wird mit standortspezifischen Werten auf die Horizontale verglichen. Daraus lässt sich ablesen, ob eine Gebäudeform die Effizienz der Solartechnik an diesem Standort erhöht. In der Studie erzielten bei einem 25%igen Belegungsgrad (heute schon üblich bei Nutzung ganzer Dachflächen) Formen mit großen und kleinen A/V-Verhältnis hohe Energiedichten.
Erhöht man den Belegungsgrad auf 50%, dann liegen Formen mit großem A/V-Verhältnis deutlich vorn: Sie weisen eine höhere Einstrahlungsdichte auf.
Fasst man die Ergebnisse in Hinblick Jahresenergiebilanz und Einstrahlungsdichte zusammen, ergeben sich folgende Entwurfsempfehlungen: unkonventionelle Baukörperformen mit großen Oberflächen, großes A/V-Verhältnis, flache Formen, leicht asymmetrisch, stark segmentiert.
Für jeden Standort gibt es einen anderen „Break-Even-Point, den Punkt mit bestimmten Parametern (Dämmstandard, Belegungsgrad, Wirkungsgrad) an dem die Gewinnmaximierungsstrategie im Vergleich zur Verlustsminimierungsstrategie in den Vordergrund tritt. Das bedeutet, dass die Strategie der EnEV Verluste einzudämmen auf lange Sicht hin unzureichend ist, um das solare Potential der Gebäudehülle richtig aus zuschöpfen.
Würden diese neuen Formen konsequent umgesetzt werden, könnten immerhin schon bei 25% Belegungsgrad, 10% Wirkungsgrad und mittlerem Dämmstandard, 77,7% aller Gebäude weltweit aus eigener Kraft eine Vollversorgung ihrer thermischen Verluste (Wärme/Kälte) erzielen. Bei Verbesserung der Parameter sind auch 100% drin. Die Überschüsse könnten nach der Nutzung für Warmwasser, Lüftung, Haushaltsgeräte auch in die Bereiche Elektromobilität und Industrie verwendet werden.
Fazit
Es handelt sich bei der Studie um theoretische Betrachtungen. Unabhängig davon gibt es einen Gebäudebestand, der weder entfernt werden kann noch sollte. Allerdings zeigt sie deutlich auf, dass im Bereich des Neubaus konsequent solaraktive Formen angewendet werden sollten. Das Potential dafür ist nicht nur in Mitteleuropa, sondern auch gerade in vielen Entwicklungsländern vorhanden. Gerade in Äquatornähe besitzen die Standorte einen wesentlich besseren solaren Fingerabdruck (Verhältnis thermischer Verluste / möglichen Sonneneinstrahlung).
Ein Aspekt der hier nicht untersucht wurde, ist die Einbeziehung von Solarwärme: die direkte Nutzung der Sonnenwärme fürs Gebäude: Warmwassererzeugung, Solare Heizung und Kühlung könnte das solare Potential der Gebäudehülle noch deutlich verbessern.
Fußnoten
- „Plusenergiehaus“ ist eine geschützte Marke des Architekten Rolf Disch. Dabei handelt es sich um ein Gebäude auf hohem Passivhaus-Standard, das rein rechnerisch mehr Energie gewinnt als es verbraucht.
- Das A/V-Verhältnis (Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnis) ist der Quotient aus der Oberfläche A und dem Volumen V eines geometrischen Körpers.
- die hier verwendeten Begriffe Einstrahlungsdichte und Energiedichte sind gleichwertig
Anna Bedal