Ressourceneffizienz
Teil 4: Nahrungsmittelverschwendung. Mit Ausgabe unserer aktuellen Sonnenenergie ist es voraussichtlich soweit: Erstmals werden mehr als sieben Milliarden Menschen auf der Erde leben. Um die rasant wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, muss die Landwirtschaft effizienter werden, lautet ein oft geäußertes Credo. Viel wäre jedoch auch schon gewonnen, wenn vorhandene Lebensmittel effizienter genutzt würden, statt sie vergammeln zu lassen. Der letzte Teil der Serie Ressourceneffizienz beschäftigt sich mit unserer Lebensgrundlage und zeigt wie eine nachhaltigere Nahrungsmittelversorgung auch in den nächsten Jahrzehnten aussehen könnte.
Verlust von 1/3 der globalen Jahresproduktion
Weltweit gehen rund 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel verloren. Das entspricht etwa einem Drittel der globalen Jahresproduktion, schätzt die Welternährungsorganisation FAO. Gleichzeitig hungern eine Milliarde Menschen. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass der größte Teil in den wohlhabenden Staaten beim Verbraucher verdirbt: Amerikaner und Europäer werfen pro Person im Schnitt rund 100 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg. Allerdings ist der Schwund auch in den Entwicklungsländern beträchtlich. Dort kommen bis zu 40 Prozent der Ernte erst gar nicht bei den Menschen an. Falsche Lagerung, Transportschäden und fehlende Verpackungen bringen die bäuerlichen Kleinbetriebe um ihr Einkommen.
Unser Ernährungssystem versagt an den Bedürfnissen der Armen, kritisiert das Worldwatch Institute in der US-Hauptstadt Washington. Es hat deshalb eine Initiative zur besseren Nutzung von Lebensmitteln gestartet und die Gründe für die große Verschwendung untersucht.
Da ist zum einen eine „verschwenderische Nachlässigkeit gegenüber Nahrungsmitteln“, wie Tristram Stuart beklagt, einer der Autoren des diesjährigen Worldwatch-Berichts zum Zustand des Planeten („State of the World 2011“). Als Beispiele zählt er auf: „Kosmetisch ‚mangelhafte‘ Agrarprodukte wegzuschmeißen, essbare Fische als Beifang auf See zu entsorgen, übervolle Lager in Supermärkten und zu viel Essen für daheim zu kaufen oder zuzubereiten“.
In den Industrienationen bestehen demnach 40 Prozent der Nahrungsmittelverluste aus völlig genießbaren Lebensmitteln, die von Händlern oder Verbrauchern aus verschiedenen Gründen in die Tonne geworfen werden – etwa weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist oder die Lagerkapazitäten erschöpft sind. Zudem werden tonnenweise Lebensmittel wegen angeblicher Schönheitsfehler oder erschöpfter Quoten nicht vermarktet. So pflügen etwa Farmer in den USA rund 20 Prozent der Melonenernte unter, weil die Früchte „Makel“ an der Oberfläche oder in der Form haben. Auch in Deutschland werden u.a. Kartoffeln die nicht der Norm im Supermarkt entsprechen einfach wieder untergepflügt. Als Paradebeispiel für den Wahnsinn in der Lebensmittelproduktion ist den meisten von uns aber vermutlich die Diskussion über das normisierte Gurkendesign wohl noch im Gedächtnis.
Die Industriestaaten verschwenden so jedes Jahr rund 220 Millionen Tonnen gut essbarer Lebensmittel – das entspricht in etwa der kompletten Nahrungsmittelproduktion aller afrikanischen Länder südlich der Sahara (230 Millionen Tonnen), unterstreicht das Worldwatch Institute.
Ursachen unterschiedlich
Doch die Ursachen der Verschwendung sind in den Industrie- und Entwicklungsländern ganz unterschiedlich: Wie oben erwähnt entstehen in armen Ländern 40 Prozent der Verluste nach der Ernte bereits auf dem Weg zum Verbraucher – etwa durch mangelhafte Lagerung oder Transport, aber auch bei der Verarbeitung und Verpackung. So gehen laut Stuart jährlich allein 150 Millionen Tonnen Getreide in den Entwicklungsländern verloren – das Sechsfache dessen, was nötig wäre, um alle hungernden Menschen in den armen Ländern zu versorgen.
„Der Umfang des Verlusts ist schockierend“, fasst die Direktorin des Worldwatch-Projekts „Nourishing the Planet“ („Den Planeten ernähren“), Danielle Nierenberg, zusammen. Die Vereinten Nationen erwarten, dass die Weltbevölkerung bis 2050 von derzeit sieben auf etwa neun Milliarden Menschen anwachsen wird. Viele Experten schätzen, dass die Welt ihre Nahrungsmittelproduktion im nächsten halben Jahrhundert verdoppeln muss, da immer mehr Menschen Fleisch und auch immer bessere Nahrung essen. „Die Menschheit nähert sich den Grenzen des verfügbaren Farmlandes und der für die Landwirtschaft nutzbaren Wasserversorgung – und hat sie mancherorts schon überschritten“, schränkt jedoch Worldwatch-Institutsdirektor Robert Engelman ein.
Nierenberg meint daher: „Es wäre sehr sinnvoll, in eine bessere Ausnutzung der bestehende Produktion zu investieren.“ Ihr Projekt hat dafür billige, effiziente Strategien zusammengetragen. So sollte überschüssiges Essen zu denen gelangen, die es brauchen. Als Beispiel führt Nierenberg die „Tafeln” an, die für den Müll bestimmte, aber völlig essbare Nahrungsmittel einsammeln und an Bedürftige verteilen. Die Organisation City Harvest etwa sammele in New York pro Jahr fast 13.000 Tonnen überschüssiges Essen ein und versorge damit fast 600 Lebensmittelprogramme in der Stadt.
Zudem müsse das Verbraucherbewusstsein für den Wert von Lebensmitteln gestärkt werden. Das lasse sich etwa mit einer vorgeschriebenen Mülltrennung von Kompost- und Recyclingabfällen fördern, glaubt die Worldwatch-Expertin.
Im Jahre 2050 dürften neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Um alle satt zu bekommen, müssten die Ernteerträge drastisch steigen, sagt Robert van Otterdijk. Er ist der Landwirtschaftsexperte der FAO. Land, Wasser und Energie seien aber nicht beliebig vermehrbar. „Daher ist es effizienter, in der gesamten Wertschöpfungskette Verluste zu reduzieren, als mehr zu produzieren“, sagt er. Klingt einleuchtend. Aber wie könnte das gehen?
Auswege oft kostengünstig und einfach möglich
Die Produktivität muss in den weniger entwickelten Ländern steigen, heißt es unumstritten. Sind mehr genetisch veränderte Lebensmittel, Maschinen und Hochleistungsdünger also die Lösung? Nach der Erfahrung des britischen Öko-Aktivisten Tristram Stuart spielt Hightech nicht die wichtigste Rolle. Manchmal reichten schon einfache und kostengünstige Verbesserungen, um gute Effekte zu erzielen, schreibt der Historiker und Nahrungsmittelaktivist in seinem Beitrag für den Report „Hunger im Überfluss“, der unter anderem vom US-Umweltinstitut Worldwatch herausgegeben wurde. Stuart: „Viel wäre beispielsweise schon gewonnen, wenn die Farmer wüssten, wann der beste Zeitpunkt zur Ernte gekommen ist.“
Wenn anschließend das Obst und Gemüse lose aufgetürmt auf Eselskarren in Entwicklungländern entlang holpriger Wege oft tagelang zum nächsten Markt gekarrt wird, bleibt ebenfalls einiges davon auf der Strecke. Erfahrungen zeigen, dass schon der simple Einsatz von Körben und Kisten den Verlust spürbar reduziert. Manchmal sind es aber auch kleine Erfindungen, die Erfolg versprechen. So propagiert das International Rice Research Institute beispielsweise einen neuartigen Sack aus speziellem Material, der die Haltbarkeit der Ware um etliche Monate verlängert.
In Pakistan haben die Vereinten Nationen etwa rund neun Prozent der Bauern mit Metallcontainern als Ersatz für die herkömmlichen Jutesäcke und Lehmkonstruktionen zum Lagern von Getreide versorgt. Die Bauern hätten dadurch bis zu 70 Prozent weniger Verluste gehabt.
Ausweg Sonnenenergie: Durch Trocknen konservieren
Ein anderes Projekt nutzt Sonnenenergie zum Trocknen von Mangos in Westafrika. Dort vergammelten bisher rund 100.000 Tonnen dieser Früchte, bevor sie auf den Markt kämen.
Darüber hinaus möchte das Worldwatch Institute die Kleinbauern in Entwicklungsländern besser vernetzen. So helfe etwa die Organisation Technoserve in Uganda kleinen Bananenzüchtern, sich zu Gesellschaften zusammenzuschließen, um ihre Früchte gemeinsam zu vermarkten. Das habe bereits die Kosten für die Farmer gesenkt, sie konkurrenzfähiger gegenüber großen Agrarunternehmen gemacht und zu einem stabileren Markt beigetragen. Rund 20.000 Bauern würden bereits an dem Programm teilnehmen. Sie profitierten auch vom Informationsaustausch.
In diesem Punkt sieht das Institut große Möglichkeiten durch die immer weiter verbreitete Kommunikationstechnik. Weltweit seien bereits rund fünf Milliarden Mobiltelefone im Einsatz, und es sei sinnvoll, diese über die persönliche Kommunikation hinaus zu nutzen. So seien etwa in Niger Marktpreise für bestimmte Agrarprodukte per Handy abrufbar. Dieses Projekt habe die Schwankungen von Getreidepreisen um 20 Prozent reduziert und helfe damit, faire Preise für Erzeuger und Verbraucher zu sichern.
„Wenn Gruppen von Kleinbauern ihre Produktionsmethoden besser organisieren – ob das nun heißt, die richtigen Dinge zur rechten Zeit zu bestellen, oder ihre Produkte direkt an den Kunden zu verkaufen –, macht sie das widerstandsfähiger gegen Schwankungen der globalen Nahrungsmittelpreise, während sie zugleich ihre Dörfer besser versorgen“, betont Worldwatch-Institutsdirektor Engelman.
Ausweg Nutzen von traditionellem Wissen
Die meisten Experten stimmen darin überein, dass die Idee von der technisierten Agrarproduktion möglichst schnell aufgegeben werden sollte. Für die Mehrheit der armen Bauern seien oft schon die Düngemittel zu teuer oder einfach nicht verfügbar, heißt es in dem Report von Worldwatch: Kleinbauern müssten durch einfache Innovationen gestärkt werden, die traditionelles Wissen einbeziehen.
Einige Handelsketten haben das Problem erkannt. So schult beispielsweise die Metro-Gruppe bereits seit 2002 Lieferanten aus Entwicklungs- und Schwellenländern, Hygienestandards einzuhalten sowie Transport und Logistik zu optimieren. „Die Verluste, die nach der Ernte entstehen, konnten in der Regel um 40 Prozent reduziert werden“, sagt Jürgen Mattern. Er ist bei der Metro Leiter des Bereichs Nachhaltigkeit und Qualitätsmanagement. Manchmal helfe es schon, darauf aufmerksam zu machen, dass der Esel nicht neben dem Berg von Gemüse geparkt werden sollte. Die Metro arbeitet weltweit mit lokalen Mitarbeitern zusammen, die mit den landestypischen Besonderheiten vertraut sind. Das Projekt wird inzwischen von der Unido, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, unterstützt.
Allerdings ist damit ist die Geschichte von der großen Verschwendung noch nicht zu Ende.
Problem EU-Vermarktungsordnung
Der eigentlich skandalöse Teil spielt in den gut versorgten und wohlgenährten Industriestaaten. Viele Lebensmittel schaffen es dort allein aus optischen Gründen nicht in die Regale der Supermärkte. Sie werden aussortiert, weil sie der EU-Vermarktungsverordnung nicht genügen. Prominentes Beispiel war lange Zeit die Gurke, die einen gewissen Krümmungsgrad nicht überschreiten durfte: Erlaubt waren zehn Millimeter auf zehn Zentimeter Länge. Was krummer war, hatte keine Chance. Seit 2009 ist damit zwar Schluss. Aber nicht bei allen Gemüse- und Obstsorten. Äpfel, Salate, Paprika und Tomaten unterliegen noch immer einem strikten Regime, bei dem es nicht um Gesundheit, sondern lediglich um die Form und ums Aussehen geht. So muss ein Apfel einen Durchmesser von mindestens sechs Zentimetern haben.
Der Handel selbst legt nach wie großen Wert auf die sogenannten Handelsklassen, die er bilateral mit den Lieferanten vereinbart. Die sind nichts anderes als eine Art Beauty Contest für Obst und Gemüse. In der besten Klasse landen nur jene Kartoffeln, die dick, rund und makellos sind.
Kuchen, Brot und Brötchen ergeht es aus anderen Gründen nicht viel besser. Weil etliche Backshops in den Supermärkten bis zum Ladenschluss das gesamte Sortiment vorhalten müssen, bleibt dort besonders viel übrig: Gut zehn Prozent aller Backwaren sind Überschuss. Der wird unter anderem an Tiere verfüttert – oder verbrannt. Brot hat nahezu den selben Heizwert wie Holz.
Zur automatisierten Verschwendung kommt es in der Nahrungsmittelindustrie. So hat Tristram Stuart, der in seinen Büchern bereits seit Jahren die Verschwendung geißelt, unter anderem eine Sandwich-Fabrik besucht. Stuart berichtet, dass sie jeden Tag 13.000 Scheiben frisches Brot entsorgt. Nicht, weil sie schlecht plant, sondern weil sie von jedem Laib die ersten und letzten beiden Scheiben nicht nutzt.
Problem automatisierte Verschwendung
Aber verhungern deswegen Menschen? „Ja“, behauptet Stuart. „Denn die Millionen Tonnen Weizen und Mais, die wir wegwerfen, kaufen wir auf demselben Markt wie die Menschen in Pakistan oder Afrika. Wenn wir die Nachfrage unnötig in die Höhe treiben, drängt der Preisdruck diese Menschen aus dem Markt.“
Laut der Welternährungsorganisation FAO sind die Weltmarktpreise für Getreide seit 2000 um satte 200 Prozent gestiegen.
Die Konsumgesellschaft verlangt nach Vielfalt und prall gefüllten Regalen – und das zu jeder Zeit, sagt der Handel. Über Schwund aber schweigt man sich dort aus. Lebensmittelverluste in Supermärkten sind – bislang jedenfalls – ein gut gehütetes Geheimnis. Selbst das EHI Retail Institute, das für die Branche forscht, verfügt über keinerlei exakte Zahlen. Das soll sich ändern. Eine Studie läuft.
Der Handel als Verführer
In ersten Schätzungen der Studie wurde die Wegwerfquote auf etwa fünf Prozent taxiert. Ein Missverständnis, heißt es inzwischen. Erste Auswertungen der Umfragen hätten gezeigt, dass diese Quote nicht mehr als 1,6 Prozent betrage, sagt Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI und des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels. Doch selbst das bedeutet, dass die Händler Nahrungsmittel im Wert von fast zwei Milliarden Euro jährlich entsorgen. Das Sortiment zu reduzieren, um den Schwund zu minimieren, hält Gerling für problematisch. Das verbiete der scharfe Wettbewerb, sagt er: „Die Kunden wandern ab, wenn es etwa nur noch eine Sorte Kartoffeln gibt.“
Zur großen Verschwendung trägt ein kleiner Stempel bei: das Mindesthaltbarkeitsdatum. Es ist den Deutschen sehr wichtig, zeigen Umfragen. Und wird oft missverstanden. Das Mindesthaltbarkeitsdatum zeigt nämlich nicht an, bis wann ein Lebensmittel haltbar ist, sondern bis wann es seine ursprünglichen Eigenschaften bewahrt. Verdorben ist es danach noch nicht. Umrühren beim Joghurt reicht beispielsweise, um ihn wieder cremig werden zu lassen. Man sollte sich mehr auf seinen Geschmack und seine Nase verlassen, raten Verbraucherschützer. Den Hinweis darauf, wann ein Lebensmittel tatsächlich entsorgt werden muss, gibt der Vermerk „haltbar bis“ oder „zu verbrauchen bis“. Er ist zum Beispiel bei Hackfleisch vorgeschrieben.
Dass so viele Nahrungsmittel vernichtet werden, findet wohl nicht nur die deutsche Verbraucherministerin Ilse Aigner als Gast bei Günter Jauch zum Thema „Essen für die Tonne – Wie stoppen wir den Wegwerf-Wahnsinn?“ „erschütternd“. Die 20 Millionen Tonnen, die laut Filmemacher Thurn (Taste the waste) angeblich in Deutschland auf dem Müll landen, beruhen nur auf Schätzungen. In LKW verladen ergäbe dies einen Konvoi rund um den gesamten Äquator! Hier hätte der aufmerksame Zuschauer sich gewünscht zu erfahren, warum es in einem statistikverliebten Land wie Deutschland über solch ein elementares Verbraucherverhalten keine Statistik oder umfassende Untersuchungen gibt.
Immerhin will die Verbraucherschutzministerin jetzt doch mal damit anfangen, sich das Verhalten der Verbraucher anzusehen. Die CSU-Politikerin hat allerdings eine Studie in Auftrag gegeben, die sie direkt nach dem Konsumfest Weihnachten zum Anfang nächsten Jahres veröffentlichen will.
25 MRD Euro landen in Deutschland auf dem Müll
Der Folienspezialist Cofresco, der zur Melitta-Gruppe gehört, kann im Gegensatz zum Verbraucherschutzministerium stattdessen mit konkreten Zahlen aufwarten, wenn es um private Haushalte geht. Laut seiner Studie werfen sie allein in Deutschland jährlich Lebensmittel im Wert von 25 Milliarden Euro in den Müll, die eigentlich sinnvoll konsumiert oder investiert werden könnten. Andere Umfragen liefern die Begründung: Sie haben schlicht zu viel gekauft. Jeder Vierte wirft Nahrungsmittel deshalb weg, weil die Packungen einfach zu groß sind. Kein Wunder, wenn 500 Gramm Toastbrot 1,09 Euro kosten – und die Hälfte nur 10 Cent weniger.
„Die Kunden der Biobranche gehen sorgsamer mit Lebensmitteln um“, sagt Joyce Moewius vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Zwar gibt es auch hier keine genauen Zahlen. Aber die Kunden akzeptierten beispielsweise leere Regale, vor allem, wenn es um Backwaren geht; oder schrumpeliges Obst und Gemüse. Es würden auch noch Waren kurz vor dem Verfallsdatum gekauft, so die Beobachtung von Ökohändlern. Außerdem könnten sie wegen der Nähe zu ihren Lieferanten flexibler planen und ordern.
Taste the Waste
Thurn hat den viel diskutierten Film „Taste the Waste“ gemacht, in dem er den Weg von der Lebensmittelproduktion über den Handel bis zum Verbraucher als ein einziges Wegwerfen hochwertiger Lebensmittel schildert.
„Wir werfen genauso viel weg, wie wir essen“, sagt Thurn in Günter Jauchs Sendung. Ein Satz, über den es nachzudenken lohnt. Bedeutet er doch, dass auf jedes gegessene Brot ein weggeworfenes kommt. Vom gesunden Menschenverstand her erscheint das kaum realistisch. Doch auf genaue Nachfragen, wie der Filmemacher zu seiner Aussage kommt, verzichtete Jauch. Insgesamt, so sagt Thurn, läppert sich die Menge der weggeworfenen, noch essbaren Lebensmittel in Deutschland auf 20 Millionen Tonnen. Jeder Deutsche werfe 315 Euro im Jahr einfach weg.
Nachdem Thurn mit dieser These seit Tagen für einiges Aufsehen sorgt, gab ihm bei Günter Jauchs Sendung immerhin Stefan Genth Widerworte. Der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbands HDE sagte, „die Zahlen sind utopisch, keiner kann sie nachvollziehen.“ Der Verband habe im Handel nachgefragt – auf ungefähr 310.000 Tonnen Lebensmittel-Müll kommen die Supermärkte. 15 Euro pro Kopf seien es. Dies zeigt auch wieder das grundsätzliche Problem: Es gibt keine belegbaren Zahlen! Jeder kann sich mit dem gesunden Menschenverstand allerdings überlegen wieviel er selbst an Wert im Jahr vernichtet, dieses auf die Bevölkerung umrechnen und sich dann vorstellen, dass dies nur ein Bruchteil dessen ist, was beim Handel tagtäglich im Müll landet.
Was im Grunde bekannt ist, wird in Taste the Waste krass bebildert: Immer wieder sieht man riesige Abfallberge aus Lebensmitteln und Containerladungen voller – noch bestens essbarer – Milchprodukte. 500 bis 600 Tonnen Abfall soll so ein einziger großer Supermarkt im Jahr produzieren. Warum? Weil die Regale immer randvoll gefüllt sein müssen mit frischen Lebensmitteln. Weil Joghurts und Milchkartons schon sechs Tage vor dem Verfallsdatum aussortiert und weggeschmissen werden. Weil die Kunden auch samstags um 18.30 Uhr noch das volle Brotsortiment zur Auswahl haben sollen.
Problem Einkaufsverhalten und Mindesthaltbarkeitsdatum
Aber selbst, wenn es am Ende „nur“ sechs Millionen Tonnen Nahrungsmittelabfall sind, müsste doch eigentlich ein Aufschrei über dieses Ausmaß der Dekadenz her. Oder im Falle Aigners eine Idee, an welchen Stellschrauben die Politik drehen könnte, um den unnötigen Müll zu reduzieren. Doch dazu hatte die CSU-Politikerin Jauch erstaunlich wenig Konkretes im Angebot. Sie warb dafür, dass die Menschen bewusster einkaufen sollen. Dass sie doch auch krumm gewachsene Möhren kaufen oder schrumpelige Äpfel, damit die Bauern diese auch beim Handel anbieten können.
Ganz schön schaurige Fakten, aber: Sind wir als VerbraucherInnen nicht selbst mit dran schuld? Wer greift schon zu dem Joghurt, der übermorgen abläuft (und noch wesentlich länger bedenkenlos genießbar wäre)? Wer will schon für einen Apfel mit Druckstelle bezahlen? Wen nervt es nicht, wenn die Kartoffeln im Netz unterschiedlich groß sind? Im Umkehrschluss bedeutet das aber dann eben, dass die Hälfte der Kartoffeln gleich auf dem Acker liegen bleiben, weil die Natur sich nicht an die Norm-Größen hält, die von den Supermärkten verlangt werden.
Wenn Thurn Recht hat, gibt es zumindest einen konkreten Hebel, um das Verbraucherverhalten anzupassen: das Mindesthaltbarkeitsdatum. „Verarscht“ fühle er sich durch dieses Datum, das viele Menschen als den Zeitpunkt ansehen, Lebensmittel wegzuwerfen.
Auch die Händler hätten großes Interesse daran, ab Erreichen dieses Datums die Waren zu entsorgen. Denn ab dann sei der Handel haftbar, falls sich ein Kunde etwa den Magen verdirbt – vorher ist es der Hersteller.
Ausweg: Optimierung von Handel und Tafel
Die Bevölkerung ist inzwischen auch durch die Öffentlichkeitsarbeit sensibilisiert und es kommt Bewegung in den Markt. So nutzen auch große Supermarktketten als Marketing, mit den Tafeln in Deutschland zusammenzuarbeiten. Davon gibt es in Deutschland rund 900. Sie reichen aussortierte, aber unverdorbene Lebensmittel an Bedürftige weiter. Es sind die Umverteilungsmaschinen einer unbedacht konsumierenden Gesellschaft, die immer aus dem Vollen schöpfen will. Allein die Berliner Tafel verteilt pro Monat bis zu 650 Tonnen noch verwertbarer Lebensmittel, die sonst auf dem Müll gelandet wären.
Ausweg: Energiegewinnung durch Biogas
Doch nicht immer klappt das Zusammenspiel. Dann landet der Überschuss eben in Betrieben wie dem Hamburger Biowerk. Dort sorgt eine Separationshammermühle dafür, dass aus den Lebensmitteln alles aussortiert wird, was später den Prozess im Bioreaktor stören könnte; etwa Verpackungen. Danach gehen Bakterien an die Arbeit. Bei 38°C sorgen sie für die Umwandlung des Biobreis in Gas. Das wiederum treibt den Verbrennungsmotor eines Blockheizkraftwerkes an und ermöglicht so die Erzeugung von Strom und Fernwärme. 2.500 Hamburger Haushalte decken so ihren Energiebedarf.
Das Biowerk der Stadt Hamburg zählt noch zu den Kleinen in der wachsenden Branche. Im deutschen Geschäft mit Essensresten ist die Firma ReFood die Größte: Satte 1200 Tonnen Küchen- und Speiseabfall, Brot und Backwaren, Obst, Gemüse sowie Fleischreste sammelte das Unternehmen im vergangenen Jahr ein. Am Tag.
Klimaschutz durch effizientere Nutzung
Eine effizientere Nutzung von Lebensmitteln ist jedoch nicht nur für die Welternährung elementar, sondern hilft auch dem Klima, wie Stuart in seinem Buch „Für die Tonne” betont. So sei allein der globale Viehsektor nach einer FAO-Erhebung von 2006 für rund 18 Prozent sämtlicher menschengemachter Treibhausgasemissionen verantwortlich. „Fleisch und Milchprodukte erzeugen ein unverhältnismäßig hohes Maß an Emissionen, obwohl sie nur einen relativ kleinen Teil zur Gesamtkalorienaufnahme leisten (global weniger als 20 Prozent)“, kritisiert Stuart.
Das ist auch gefährlich für die globale Nahrungsmittelproduktion selbst, wie Stuart ausführt: Die Ausweitung von Anbau- und Weideflächen vernichte immer mehr Wald, was in einen Teufelskreis führen könne. So stehe etwa die Amazonasregion heute gefährlich nahe davor auszutrocknen, wodurch der Regenwald absterben und sich in Grasland verwandeln würde. Ein solcher Waldverlust würde den Klimawandel weiter anheizen und damit die landwirtschaftlichen Erträge mindern. Das könne nach Befürchtungen des UN-Umweltprogramms UNEP sogar bis zu einer globalen Missernte führen. Eine Ausweitung der Agrarfläche drohe auf diese Weise das Gegenteil des Beabsichtigten zu bewirken, warnt Stuart.
In der Europäischen Union (EU) könnten die Menschen bis 2030 rund ein Viertel der Treibhausgase aus der Nahrungsmittelproduktion einsparen, wenn sie das unnötige Wegwerfen von Essen vermeiden und sich fleischarm sowie vorzugsweise mit Bio-Lebensmitteln ernähren würden. Zu diesem Schluss kommt das EU-Projekt EUPOPP, das den nachhaltigen Konsum in Europa untersucht hat.
Einsparpotenzial: 110 Millionen Tonnen Treibhausgase
„Heute werden circa 38 Millionen Tonnen Lebensmittel aus den europäischen Einkaufsregalen verbannt und weggeworfen, die zwar schon abgelaufen, aber durchaus noch essbar sind“, kritisiert die EUPOPP-Projektleiterin am Darmstädter Öko-Institut, Bettina Brohmann. „Unsere Studie zeigt außerdem, dass mehr als 110 Millionen Tonnen Treibhausgase eingespart werden könnten, wenn wir zusätzlich unsere Ernährungsgewohnheiten in moderatem Maße ändern. Das sind mehr als 16 Prozent der Treibhausgasemissionen des Ernährungssektors der EU.“
Das Öko-Institut schlägt unter anderem vor, die Haltbarkeitsdaten zu verlängern, die heute eher zu kurz bemessen seien, bereits in den Schulen über nachhaltigen Konsum aufzuklären und die Mehrwertsteuer auf umwelt- und klimaschädliche Produkte zu erhöhen. Darüber hinaus empfiehlt das Institut einen „Veggie-Day” pro Woche, an dem in öffentlichen Kantinen und Schulen ausschließlich vegetarisches Essen ausgegeben werden soll. Das hätte direkte Klimawirkung und wäre Vorbild für die Bürger. Zusammen mit der generellen Verwendung biologisch erzeugter Zutaten könne allein der „Veggie-Day“ EU-weit rund 29 Millionen Tonnen Treibhausgase pro Jahr einsparen.
Im Hinblick auf die Welternährung appelliert Worldwatch-Chef Engelman: „Wir werden bereits mit Lebensmittelpreisanstiegen und den ersten Folgen des menschengemachten Klimawandels auf die Nahrungsmittelproduktion konfrontiert. Wir können es uns nicht leisten, über einfache, billige Mittel zum Reduzieren der Lebensmittelverschwendung hinwegzusehen.“
Verschwendung gefährdet Wirtschaftswachstum
Neben den ökologischen, ethischen und sozialen Aspekten, die einen sorgsamen, respektvollen Umgang mit Nahrungsmittel eigentlich vorraussetzen sollten, dient dieser rein egositisch betrachtet aber auch der Sicherung unserer eigenen Lebensqualität. Konsum ist zwar per se der Wirtschaftsmotor und daher scheint es zunächst paradox, dass Verschwendung letztendlich das Wirtschaftswachstum schwächen kann. Bei genauerer Betrachtung ist es allerdings logisch, da Werte und damit Kapital vernichtet werden. Bei der Nahrungsmittelproduktion sind dies vorallem: fruchtbares Land, Trinkwasser und Öl; zudem verschärfen wir den Klimawandel mit all seinen Folgen. Wir zerstören so auf der einen Seite unsere Lebensgrundlage und entrauben uns gleichzeitig auch der Chance die oben erwähnten 25 Mrd. Euro für Nahrungsmittel, die die Deutschen jedes Jahr in den Müll werfen, sinnvoll zu investieren.
Bevölkerungsexplosion, Klimawandel und exzessiver Ressourcenverbrauch bringen die Erde an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit. Die einzige Lösung und der entscheidende Schritt ist ein grünes Wirtschaftsmodell, welches nachhaltige Produktion, intelligentes Design, Effizienz, vielfältige Nutzung und Recyling berücksichtigt.
Die DGS Serie Ressourceneffizienz hat Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt, wie Wirtschaftswachstum und Umweltschutz keine Gegensätze sein müssen, sondern in der logischen Konsequenz das Miteinander sogar die einzige Möglichkeit ist, unsere Lebesqualität langfristig zu sichern. Jeder einzelne kann seinen Beitrag durch den respektvollen Umgang mit Ressourcen und mit seinem Konsumverhalten hierzu leisten.
„Die Erde hat genug für die Bedürfnisse eines jeden Menschen, aber nicht für seine Gier“: Mahatma Gandhi, indischer Politiker und Vertreter des gewaltlosen
Widerstandes (1869–1948)
Gunnar Böttger