Vom Überfluss zur Knappheit
Teil 2 von 3: Uran ist knapp und Kohle wird teuer: Im zweiten Teil dieser Serie über die Verfügbarkeit von Energieressourcen geben wir einen Überblick über Kohle und Uran: Beide Rohstoffe dienen fast ausschließlich zur Erzeugung von Elektrizität. Dafür ist Kohle bisher der wichtigste Rohstoff und ihre Bedeutung nimmt zur Zeit weltweit zu. Dagegen spielt Uran nur eine kleine Rolle in der Energieversorgung, die zudem seit Jahren schrumpft. In der öffentlichen Diskussion wird die Atomenergie weit überschätzt. Dabei zeigen die Fakten: Der weltweite Atomausstieg ist längst im Gange – ganz ohne politischen Beschluss.
Kohle wird oft dargestellt als Energieträger, der noch für Jahrhunderte im Überfluss verfügbar sei. Angesichts der Anstrengungen zum Klimaschutz eine zwiespältige Aussicht, denn einerseits soll Kohle die Energieversorgung absichern und andererseits ist sie der klimaschädlichste Energieträger. Nach dem Erdöl ist die Kohle weltweit der zweitwichtigste Energieträger, mit einem Anteil von mehr als einem Viertel am Endenergieverbrauch. In der globalen Stromerzeugung ist Kohle mit 37 Prozent sogar der wichtigste Rohstoff. Dabei hat die Förderung und der Verbrauch von Kohle in den letzten Jahren überdurchschnittlich zugenommen. Kein Wunder, dass sich auch die weltweiten Kohlendioxidemissionen überdurchschnittlich entwickelten, denn die Verbrennung von Kohle erzeugt bei gleicher Energiemenge deutlich mehr des Treibhausgases CO2 als Erdöl und Erdgas.
Der Nachfrageboom schlägt sich auch in steigenden Preisen nieder. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) schrieb dazu in einem Bericht: „Die seit Anfang 2006 stetig gestiegenen Spotmarktpreise für Kesselkohle vervierfachten sich nahezu bis zum Sommer 2008 und erreichten mit Preisen von bis zu 210 US$/t (Monatsmittel) ein neues Allzeithoch. (...) Ähnliche Preisschübe waren bei Kokskohle und Koks festzustellen. So war im Jahre 2008 bei Kokskohlen in etwa eine Verdreifachung auf mindestens 300 US$/t gegenüber 2007 zu verzeichnen. Ähnlich verhielt es sich bei Koks, wo sich die Spotmarktpreise bis zum Sommer 2008 gegenüber dem Vorjahr auf über 700 US$/t verdreifachten.“
Zwar sind die Preise zwischenzeitlich aufgrund der Wirtschaftskrise wieder gefallen, aber auf ein deutlich höheres Niveau als früher und das liegt innerhalb des generellen Trends der letzten Jahre. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Kohleförderung nicht mehr schnell genug mit der steigenden Nachfrage der Weltwirtschaft mithält. Erfüllen sich die Hoffnungen auf ein schnelles Ende der Krise, könnte ebenso wie beim Erdöl auch bei der Kohle die Verknappung bald offen zu Tage treten.
Vorräte und Verfügbarkeit werden überschätzt
Zwar mögen diejenigen Recht haben, die vermuten, dass noch mehr Kohle im Boden liegt als bisher gefördert und verbraucht wurde. Doch die Statistiken über die globalen Kohlevorräte sind oft veraltet und vermutlich überhöht. Viele Daten wurden seit Jahren nicht mehr aktualisiert. Wenn doch, wurden die Angaben fast immer nach unten korrigiert, so dass heute die Annahmen über die weltweiten Kohlevorräte nur noch rund halb so hoch sind als noch vor dreißig Jahren. Die verbleibenden Lagerstätten mit großen Vorkommen befinden sich oft abseits jeglicher Zivilisation und Infrastruktur wie in Sibirien oder stehen im Konflikt mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung wie bei großen Kohlelagerstätten der USA.
Entscheidend ist auch bei der Kohle wie beim Erdöl nicht die statisch berechnete Reichweite der theoretischen Reserven, sondern die tatsächliche Verfügbarkeit, also die Frage, welche Menge jeweils aus den Lagerstätten gefördert, verarbeitet und transportiert werden kann.
Die reale Verfügbarkeit der Kohle haben die Wissenschaftler der Energy Watch Group mit ihrer bewährten geologisch-empirischen Analysemethode untersucht. Sie ermitteln dabei, welche Fördermengen mit hoher Wahrscheinlichkeit maximal möglich wären. Das Ergebnis: Der weltweite Kohleabbau lässt sich zwar noch um fast ein Drittel steigern, wird aber schon zwischen 2020 und 2030 seinen Höhepunkt erreichen. Bis dahin prognostiziert jedoch die Internationale Energieagentur einen viel schneller steigenden Bedarf.
Ebenso wie bei den anderen fossilen Energierohstoffen, sind inzwischen die besten Lagerstätten ausgebeutet – das heißt die einfach zu erschließenden Kohlevorkommen mit der besten Qualität. Diese nimmt schon jetzt laufend ab und aus diesem Grund musste beispielsweise Südafrika zeitweise seine eigene Stromversorgung aus Kohlekraftwerken einschränken um die eingegangenen Kohle-Exportverpflichtungen erfüllen zu können.
Der Kohleweltmarkt ist kein Markt
Bei Kohle wird vor allem die Abhängigkeit von wenigen Exportländern unterschätzt. Rund 85 Prozent der verbleibenden Reserven konzentrieren sich in nur sechs Ländern: USA, Russland, Indien, China, Australien und Südafrika. Und nur vier Länder versorgen den Weltmarkt mit vier Fünftel der Nachfrage: Australien (allein 40 Prozent), Indonesien, Südafrika und Kolumbien. Dabei ist der Kohle-Weltmarkt verhältnismäßig klein. Nur ein Siebtel der geförderten Kohle wird exportiert, weil die Förderländer das meiste selbst verbrauchen. Drei der vier größten Förderländer – China, die USA und Indien – verbrauchen ihre gesamte Fördermenge selbst und importieren zusätzlich Kohle.
Stiller Abstieg des Scheinriesen Atomkraft
Im Gegensatz zur Kohle wird die Bedeutung der Atomenergie für die Energieversorgung in der öffentlichen Diskussion weit überschätzt. Mit kaum mehr als zwei Prozent Anteil am weltweiten Endenergieverbrauch ist sie nicht mehr als ein „Scheinriese“: Eine tragende Rolle in der weltweiten Energieversorgung hatte sie nie und könnte sie selbst dann nicht bekommen, wenn es so etwas wie eine „Renaissance“ gäbe. Angesichts dessen ist ein vernünftiges Verhältnis von Aufwand und Risiken zum realen Nutzen kaum zu erkennen.
Die Goldgräberzeit der Atomindustrie liegt mehr als drei Jahrzehnte zurück. Mitte der 1970er-Jahre überschritt die Leistung der jährlich neu in Betrieb genommenen Atommeiler ihren Höhepunkt und sank bis heute auf durchschnittlich ein Zehntel des damaligen Wertes. Das reicht schon nicht mehr aus, um nur den Bestand zu halten und so sinkt seit 2008 auch die Gesamtleistung der Atomkraftwerke weltweit. Auch im letzten Jahr wurde wieder mehr Kraftwerksleistung abgeschaltet als neu in Betrieb genommen. Darüber berichten Medien seltsamerweise kaum, ganz im Gegensatz zu den viel zitierten und selten hinterfragten Absichtserklärungen über Neubauten, die angeblich geplant seien.
Seit 2002, dem bisherigen Höhepunkt, ist die Anzahl der aktiven Kraftwerke sogar von 444 auf derzeit 436 AKW’s gesunken. In der Europäischen Union geht der faktische Atomausstieg noch schneller, denn in den letzten 20 Jahren wurde jeder fünfte Meiler stillgelegt. Der unabhängige Politikberater und Atomindustrie-Experte Mycle Schneider beschreibt in seinem umfangreichen „World Nuclear Industry Status Report“ den absehbaren Niedergang der Atomindustrie. Selbst wenn man von der optimistischen Annahme ausgehe, dass die heutigen Kraftwerke ein durchschnittliches Betriebsalter von 40 Jahren erreichen – der Durchschnitt der bisher stillgelegten Anlagen beträgt 22 Jahre – wird in den nächsten 17 Jahren die Hälfte der bestehenden Anlagen aus Altersgründen abgeschaltet. Und derzeit geschieht nichts, was diesen weltweiten Ausstiegstrend umkehren würde.
Nur wenige Länder betreiben ernsthaft und in nennenswertem Umfang den Neubau von Atomkraftwerken. Investiert wird nur dort, wo staatliche Mittel und Subventionen in erheblichem Umfang fließen, meint Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Das Märchen vom billigen Atomstrom
Eine Studie von Greenpeace untersuchte die Wirtschaftlichkeit am Beispiel von 75 Reaktoren in den USA und der jüngsten Reaktorbau-Erfahrungen in Indien. Im Ergebnis zeigte sich, dass der offizielle Kilowattstundenpreis für Atomstrom nur gut die Hälfte der realen Kosten nennt, weil einerseits bei Neubauten die Kosten häufig um 300 Prozent und mehr überschritten werden und andererseits Atommülltransporte, Abriss und Atommüllentsorgung zu billig kalkuliert werden.
Kostspielig macht die Atomwirtschaft vor allem die hochkomplexe Technologie und die schwierige – Kritiker sagen „unmögliche“ – Trennung der zivilen Nutzung von der militärischen. Wohl auch deshalb war die Atomkraft schon immer eine Nischentechnologie für Luxusverbraucher. In nur sechs Ländern werden drei Viertel des jährlichen Atomstroms erzeugt und verbraucht: USA, Frankreich, Russland, Japan, Deutschland und Südkorea. Ein Anlauf der Bush-Administration, die führende Rolle der USA durch den Neubau von Kraftwerken aufrecht zu erhalten, scheiterte am fehlenden Interesse der Energiewirtschaft. Klimapolitisch begründet versucht dies die Obama-Regierung nun mit zusätzlichen Steuermitteln. In Europa propagieren einzig Frankreich und Großbritannien den Atomkraft-Neubau, wobei Frankreich vor allem das internationale Geschäft seiner Nuklearindustrie politisch befördert und in Großbritannien selbst die Kaufleute der als Investoren geplanten Konzerne E.ON und EdF aus wirtschaftlichen Gründen abraten. Reale und ehrgeizige Ausbauprogramme finden sich weltweit nur in wenigen und meist wenig demokratisch regierten Ländern wie China und Russland.
Atomkraftwerke laufen auf Reserve
Nicht nur Investoren sind rar, sondern auch das Uran ist knapp. Schon seit 1991 verbrauchen die Atomkraftwerke mehr Uran als gefördert wird. Die Differenz – zurzeit etwa ein Drittel des Bedarfs – wird durch Lagerbestände aus der Zeit vor 1990 gedeckt. Der Förderhöhepunkt dieses Rohstoffs wurde bereits Anfang der 1980er Jahre überschritten. Große Mengen Uran gingen damals in die Produktion von Atomwaffen in den USA und in Russland. Seit vielen Jahren wird ein Teil der Waffen rückgebaut, so dass heute statistisch jede zehnte Kilowattstunde Atomstrom mit dem Uran ehemals sowjetischer Atomsprengköpfe produziert wird. Russland verkauft nämlich einen Teil des Waffenurans an die USA, die daraus Kernbrennstoff für Atomkraftwerke herstellen.
Der bald auslaufende Liefervertrag zwischen den beiden Atommächten – der vor zwanzig Jahren geschlossen wurde, als die Uranförderung den Bedarf gerade nicht mehr decken konnte – dürfte nun auf der Basis des kürzlich geschlossenen Abrüstungsabkommens zwischen USA und Russland verlängert werden.
Schon jetzt führt die absehbare Verknappung von Uran zu ähnlichen Preisentwicklungen wie bei Erdöl und Kohle. Damit wird Uran für Kraftwerksbetreiber ebenso zum Kostenfaktor wie andere Brennstoffe. Doch das ist nicht der „Worst Case“. Gelingt es nicht, in den nächsten Jahren den Uranabbau wieder deutlich zu steigern, werden die Lagerbestände in etwa 10 Jahren aufgebraucht sein. Dann könnten die Kraftwerksbetreiber das erleben, was in Indien bereits heute Realität ist: Aus Mangel an Uran werden dort Reaktoren zeitweise abgeschaltet oder nur mit halber Leistung betrieben, weil die eigene Uranförderung nicht ausreicht. Lieferungen aus dem Ausland werden durch politische Hürden erschwert, da Indien den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat.
In der Branche wird die Uranknappheit offen diskutiert. Die Führungsspitze des zweitgrößten Lieferanten für Kernbrennstäbe, James C. Cornell und Jeffrey R. Faul von Nukem Inc., kommentierten auf Uran-Konferenzen in New York und Toronto im Februar 2007 die Situation mit den Worten: „Vergessen Sie die Renaissance der Kerntechnik. (...) Uranpreise werden auch in der vorhersehbaren Zukunft weiter steigen.“
Als Gründe für die steigenden Uranpreise identifizieren Wissenschaftler neben der Abhängigkeit von Lagerbeständen vor allem die Erschöpfung ergiebiger Uranvorkommen. Da die günstigsten Vorkommen zur Neige gehen, bleiben vor allem Minen mit magerem Erzgehalt. Ihre Erschließung wird immer aufwändiger und teurer und der Energieverbrauch für die Urangewinnung steigt. Sinkt der Uranerzgehalt unter 0,02%, wird die Energiebilanz sogar negativ und damit die Uranförderung sinnlos.
Uranabbau auf Kosten der Bevölkerung
Eine Ausweitung des Abbaus findet derzeit vor allem in afrikanischen Staaten wie Namibia, Malawi und Niger statt. Weil Umweltgesetzgebung, Kontrollen und Vorgaben zum Strahlenschutz fehlen, können Unternehmen ohne Rücksicht auf Umwelt und Sicherheit der Menschen Uran abbauen und radioaktive Abfälle an der Oberfläche lagern.
Das senkt die Kosten für die Unternehmen und bedroht Umwelt und die Gesundheit der Menschen in den Uranabbaugebieten. So berichtet Almoustapha Alhacen aus dem Abbaugebiet um Arlit in Niger von 45 Millionen Tonnen radioaktiver Uranabfälle, die unter freiem Himmel lagern. Bertchen Kohrs, Aktivistin von Earthlife Namibia und Hilma Mote stellten erschreckende Ergebnisse einer Gesundheitsstudie über Bergarbeiter und die örtliche Bevölkerung der seit 40 Jahren betriebenen Rössing-Mine in Namibia vor. Viele Arbeiter starben an Krebs, und auch ihre Familien wurden krank. In der Region verseuchen radioaktive Abwässer das Grundwasser. Die „ungeliebten Klimaschützer“ zeigen vor allem beim Brennstoffabbau ihr hässliches, menschenverachtendes Gesicht.
Doch selbst wenn alle bisher geplanten Maßnahmen zur Steigerung des Uranabbaus realisiert werden, könnte die Versorgungslücke der Atomkraftwerke damit nur teilweise geschlossen werden. Um allein den Bedarf der bestehenden Kraftwerke zu decken, müsste die weltweite Förderkapazität kurzfristig um mehr als die Hälfte steigen.
Ein Aufrechterhalten oder gar Ausbau der Atomenergie ist angesichts dessen wenig realistisch. Trotzdem wird ihre Bedeutung noch immer weithin überschätzt. Dabei wurde sie in Deutschland fast unbemerkt längst von den Erneuerbaren Energien überholt. Während im Jahr 2009 die Atomkraft weniger als fünf Prozent zum Endenergieverbrauch beitrug, lieferten alle Erneuerbaren zusammen hierzulande mit über zehn Prozent schon mehr als die doppelte Menge.
Thomas Seltmann