Große Wasserkraft und alles andere auch
Uruguay will Vorreiter bei den Erneuerbaren Energien für ganz Südamerika sein. Der derzeitige wirtschaftliche Erfolg gibt auch dem Umbau der Energiewirtschaft einen Schub und wird damit zum Labor für Lateinamerika.
Es ist 4.45 Uhr. Das Mobiltelefon klingelt. Wer ruft zu dieser unchristlichen Zeit an? Tatsächlich, es ist Tabare Pagliano Baserga, Präsident der SoWiTec Uruguay SA. Tabaré entschuldigt sich höflichst, aber es sei ein Unwetter aufgezogen. „Es hat soviel geregnet, dass die Flüsse über die Ufer gestiegen sind und wir mit dem Auto gar nicht hinkommen“, sagt er in amerikanisch akzentuiertem Englisch.
Ein neues Standbein: die Windkraft
Trotzdem brechen wir auf. Gen Osten, zum zehn Megawatt Vorzeigewindpark namens Caracoles II im windreichen Mittelgebirgszug Sierra de Carapé. Pausenlos schwenkt der Scheibenwischer hin und her. Tabaré erzählt, dass er in Atlanta Ingenieurwissenschaften studiert hat und sich seit 2006 voll der Windenergie widmet. Damit gehört er nördlich des Rio de la Plata zu den Windgesichtern der ersten Stunde. Nur wenige kennen den uruguayischen Windenergie-Mikrokosmos so gut wie er. Nach langen Jahren des Planens, Messens und auch Wartens fiebert er jetzt dem baldigen Bau der ersten von ihm entwickelten Windparks entgegen. Hat sich doch die uruguayische Regierung erst vor Kurzem zum mittelfristigen Umbau der Energiewirtschaft – hin zu den Erneuerbaren Energien – bekannt: Bis 2015 soll die Hälfte des Primärenergieverbrauchs aus Wind, Wasser, Biomasse und Sonne stammen. Bei diesem Ziel kommt den Uruguayern sicherlich zugute, dass sie auf eine traditionsreiche Große Wasserkraft zurückgreifen können. Ein Großes Kraftwerk befindet sich nördlich der Stadt Salto am Fluss Uruguay, drei weitere liegen am Rio Negro: Rincon des Palmar, Rincon de Baygorria und Gabriel Terra. Insgesamt zählt man über 1.500 Megawatt installierter Leistung. Obschon einige Staubecken vorhanden sind, gibt es jedoch in Phasen lang anhaltender Dürre und entsprechend niedrigen Pegelständen hohe Fluktuationen in der Einspeiseleistung und damit Probleme seitens des Stromnetzes.
Uruguay: Ein Labor für ganz Lateinamerika
Dennoch: Die uruguayische Energiepolitik sorgt mit ihrem klaren Bekenntnis für eine grüne Energieerzeugung in ganz Lateinamerika für große Aufmerksamkeit. Atomkraft war nie Thema – und wird es nie werden. Gebannt gucken deshalb die Nachbarländer, vor allem Argentinien und Paraguay, auf die energiepolitischen Aktivitäten des kleinen Landes, in dem rund 3,5 Millionen Menschen leben. Wie schafft es Uruguay, dessen Wirtschaft derzeit erstaunliche Wachstumsraten von mehr als acht Prozent hinlegt, dieses Vorhaben infrastrukturell und wirtschaftlich bei einer eigenen Kraftwerksleistung von aktuell insgesamt 2.415 Megawatt zu realisieren?
Tabare berichtet, dass die uruguayische Politik eine Windkraftleistung von mindestens 500 Megawatt bis 2015 anpeilt. In der ersten Jahreshälfte ist der 10-Megawatt-Park Kentilux, ein Investment der Schlachthaus-Gruppe Fernández, westlich von Montevideo in unmittelbarer Nähe eines 300 Megawatt großen Dieselkraftwerks der UTE unter Hochdruck ans Netz angeschlossen. Zwischen Sonnenblumenfeldern und Weiden erzeugen fünf Vestas V80 grünen Strom, der über eine Überlandleitung eingespeist wird. Mit Kentilux am Netz, sind in Uruguay landesweit rund 40 Megawatt installiert.
Das ist nicht viel, verglichen mit beispielsweise Deutschland. Und doch nimmt die Windenergie im kleinen Land jetzt Fahrt auf. Im vergangenen Jahr ist vom staatlichen Energieunternehmen UTE eine erste Bieterrunde eröffnet worden, in der eine Tranche von 150 Megawatt ausgeschrieben wurde. Es bewarben sich 22 Unternehmen mit insgesamt rund 945 Megawatt. Unter Anbietern aus Frankreich, Argentinien, Spanien und Uruguay befanden sich auch deutsche Akteure: Juwi Wind/Ferrostaal, Enercon, EnbW und SoWiTec, die zwei Parks mit 42 und 50 Megawatt ins Rennen brachten. Im März 2011 hat die UTE schließlich den Auftrag von drei Windparks à 50 Megawatt bei Tarifen von 8,1 bis 8,6 Dollarcent über einen Zeitraum von 20 Jahren an spanische und argentinische Investoren vergeben. Darunter auch an den argentinischen Mischkonzern Impsa, der sich mit seiner Windtochter bereits seit einigen Jahren als Windenergieanlagenhersteller versucht und im brasilianischen Recife die 1,5 Megawatt Anlage von Vensys in Lizenz produziert. Die Argentinier griffen im Fall der uruguayischen Bieterrunde auf eine Typenzertifizierung der indischen Firma ReGen Powertech zurück, weil sie für die eigenen Zulieferer noch fehlt. Diese Weitergabe sorgte beim nordamerikanischen Vertrieb der chinesischen Firmenmutter von Vensys, Goldwind, für großen Unmut. „Hinzu kommt, dass Impsa sich mit Anlagen beworben hat, deren Zertifizierung scheinbar nicht mit den Ausschreibungsbedingungen übereinstimmt“, sagt Tabare kopfschüttelnd. „Das ist nicht nur fragwürdig, sondern gegenüber den anderen Bietern, die sich strikt an die Konditionen gehalten haben, nicht korrekt.“ Theo Peters von Vensys widerspricht: „Impsa kann als Mitglied der Vensys-Lizenzfamilie durchaus auf Typzertifikate von ReGen Powertech zurückgreifen. Ich sehe im Verhalten des argentinischen Herstellers daher keinen Vertragsbruch.“
Ununterbrochen regnet es weiter. Die Hügel der Sierra de Carapé sind von dicken Wolken eingehüllt. Fünf Vestas V80 sind nur schemenhaft zu erkennen. Tabare dreht um, fährt stattdessen zu seinem Projektstandort Minas I. Es geht über schmale Sandpisten durch leicht hügeliges, steiniges Gelände. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Nur Schafe und wenige Rinder. Die Straßensenken sind allerdings nicht überflutet, wie Tabare am frühen Morgen in Montevideo noch befürchtete. Nach 15 Kilometern ungeteerter Strecke ist er da. Der Wind pfeift Tabare kräftig durch Hemd und Haare, als er ein Gatter öffnet und erzählt, dass hier das 2.600 Hektar große Planungsgebiet liegt, auf dem am Ende Windmühlen mit insgesamt 62 Megawatt Leistung installiert werden sollen. Die Pachtverträge sind längst unter Dach und Fach. Dabei liegt der Standort, rund 110 Kilometer von Montevideo entfernt, auf einer Höhe von 130 bis 160 Metern; die Windbedingungen sind mit durchschnittlich mehr als neun Meter pro Sekunde geradezu ideal.
Die UTE hält indessen den Ausbau der Windenergie bis zu 1.000 Megawatt für „netztechnisch problemlos“. Zumal eine geplante Hochspannungsleitung zwischen Brasilien und Uruguay ganz neue Perspektiven im transnationalen Netzmanagement bietet. Durchaus denkbar ist auch, dass Uruguay in Zukunft Strom aus Erneuerbaren Energien an seine großen Nachbarn Argentinien und Brasilien verkauft. Die UTE will neben ihren Dieselkraftwerken und den bereits bestehenden Parks Caracoles und Nuevo Manantial, wo neun Secondhand-Anlagen von Ned Wind (450 kW) und vier 1-MW-Anlagen stehen, selbst weiter in Windenergie investieren. Ihre Absicht ist, so Direktor Gonzalo Casaravilla, neben weiteren ausgeschriebenen 150 Megawatt einen eigenen Anteil von mindestens 200 Megawatt selbst zu planen und zu betreiben. Diese positive Haltung eines staatlichen Energieversorgers gegenüber der Windkraft wird in allen Ländern des südamerikanischen Wirtschaftsverbundes Mercosur erstaunt wahrgenommen. „Hier wird nicht nur palavert, hier passiert tatsächlich was“, unterstreicht Tobias Winter. Kräftiger Wind weht dem Chef der Deutsch-Uruguayischen Industrie und Handelskammer auf dem Plaza de Independencia um die Ohren. Kein Wunder, herrschen doch in der uruguayischen Hauptstadt ähnliche Windkonditionen wie auf der Nordseeinsel Helgoland. Für Tobias Winter besteht kein Zweifel, dass Uruguay ein Labor für ganz Lateinamerika ist. „Wenn wir hier den zügigen Ausbau von Wind, Sonne, Biomasse umsetzen, dann wird das ein Vorbild für viele andere Länder auf dem Kontinent sein“, ist sich Winter sicher. Er betrachtet Uruguay mit seinem Zentrum Montevideo als eine ideale Basis für Akteure der Erneuerbaren Energien, um von dort aus den lateinamerikanischen Markt zu erobern. Beflügelt wird diese Idee sicherlich durch den rasanten ökonomischen Aufschwung in der neuen „Perle des Westens“ wie sogar das Handelsblatt unlängst titelte. Vor allem der Export von Agrarrohstoffen wie Soja, Reis, Fleisch, Früchte, Wolle, Leder und Holz floriert bei anhaltend hohen Preisen. Nicht zuletzt deshalb investieren ausländische Unternehmen massiv in den Agrar- bzw. Forstbereich, zumal sich Uruguay in den letzten Jahren als ein zuverlässiger Partner erwiesen hat, der eine hohe rechtliche und finanzielle Sicherheit bietet. Weiterhin entwickelt sich der Hafen von Montevideo mehr und mehr zum Logistikzentrum für die Mar de la Plata Region. Sicherlich sind all diese Aspekte ein Grund dafür, dass sich um die relativ kleine Ausschreibung von 150 Megawatt so viele ausländische Bieter gerangelt haben.
Zusätzlich: Solarstrom und Biomasse
Unabhängig irgendwelcher internationalen Strategien von Planern oder Herstellern wird die Einspeisung aus Kleinanlagen bis zu einer Erzeugungskapazität von 150 kW in Uruguay eine große Rolle spielen. Die uruguayischen Energiestrategen trauen diesem Bereich zu, dass er in nicht allzu ferner Zukunft einen Drittel des Strombedarfs decken kann. Dabei ist der uruguayische Stromversorger UTE von der Politik verpflichtet worden, den Strom von diesen Kleinanlagen vorrangig abzunehmen – falls der Strom nicht für den Eigenverbrauch verwertet wird. Als Hintergrund ist dabei zu erwähnen, dass es in Uruguay eine lange Tradition von kleinen Windenergieanlagen gibt. Die mehrflügeligen Anlagen waren früher für die Förderung von Wasser an vielen Orten auf dem weiten Land im Einsatz. Zudem winken für Unternehmen hohe steuerliche Vergünstigungen. Erste Erfolge dieser Mikroerzeugungs-Strategie sind derweil schon im Stadtbild von Montevideo zu sehen. Auf mehreren Gewerbegebäuden drehen sich schon Kleinwindenergieanlagen. Zugleich kommt auch die Photovoltaik langsam in Schwung. Ein gutes Beispiel ist die Installation von 8 kWP auf dem Dach von Bayer Uruguay. „Wir können die Investition bis zu 57 Prozent steuerlich gutschreiben lassen, so dass die Anlage sich sehr zügig amortisiert“, zeigt sich Mario Kaupmann, Leiter der Bayer-Niederlassung, zufrieden.
Auch im Segment der Kleinwasserkraft stehen viele Projekte in den Startlöchern. Da der Anbau von gentechnisch unbehandelten Reis im großen Stil ausgeweitet wird, gibt es eine Reihe von Stauseen, die zur Wasserversorgung der Felder angelegt worden sind. „Hier gibt es eine Fallhöhe von 30 Metern“, sagt Raúl Uruga Berrutti am Deich eines großen Staubeckens in der Provinz Trenta y Tres. Berrutti ist landwirtschaftlicher Berater der Reismühle Saman, dem größten Verarbeiter von uruguayischem Reis. „Wir sind sehr daran interessiert, dieses energetische Potential in Zukunft zu nutzen.“ Aber nicht nur im Bereich der Wasserenergie ist die Reisbranche aktiv. So hat sich Saman auch für die bioenergetische Verwertung der in den Reismühlen anfallenden Reisspelzen entschieden. Seit letztem Jahr ist an ihrem Mühlenstandort in Villa Sera mit Hilfe eines CDM-Projektes das Biomassekraftwerk Galofer mit einer Leistung von 14 MW elektrisch in Betrieb gegangen, das rund 60 Prozent der landesweiten Reisabfälle in Strom verwandelt. Ein Manko ist allerdings noch, dass der weitaus größte Teil der erzeugten Wärme bislang noch nicht verwertet wird. „Noch ist das Interesse an der bioenergetischen Nutzung von Agrarabfällen leider relativ gering“, räumt Ramón Mendez, Leiter der Nationalen Energiebehörde ein. Mendez hofft aber, dass durch die seit Dezember 2010 gesetzlich garantierte Einspeisetarife von 91 US-Dollar auf die Megawattstunde für alle Biomasseprojekte bis 20 Megawatt Leistung eine baldige Investitionswelle auslösen werden.
Keine Agrarflächen für die Mobilität
Längst in Betrieb ist hingegen das Biomassekraftwerk auf dem Werksgelände der Zellulosefabrik Botnia des finnischen Konzerns UPM in Fray Bentos. Rund 6.500 Tonnen Holzreste aus der Zellulosefabrik – eine der größten der Welt – wandern jeden Tag in die Brennkammern des Kraftwerks, die zwei Siemens-Turbinen mit einer elektrischen Leistung von 50 und 70 Megawatt antreiben. Während ein knappes Drittel des Stroms ins Netz der UTE eingespeist wird, fließt der größere Teil zusammen mit der erzeugten Wärme zurück in die Fabrik. Das Holz für die Zellulose kommt aus jungen Eukalyptusforsten, die im großen Stil auf früherem Weideland gepflanzt wurden.
Es muss also nicht zwangsläufig alles auf Tank hinauslaufen, wenn Agrarflächen schrumpfen oder umgewandelt werden. Zumal Uruguay, wie nur noch wenige Länder auf der Erde, über ein großes noch nicht aktiviertes Potential an natürlichen Ressourcen verfügt und damit eine nachhaltige Bewirtschaftung trotz Intensivierung möglich zu sein scheint. Wenn die Weltmärkte aber weiterhin so heftig nach Rohstoffen gieren, dann müssen auch die Uruguayer aufpassen, damit sie ihre natürlichen Schätze langfristig bewahren. Trotzdem sind 100 Prozent Erneuerbare Energien in Uruguay bis 2050 eine realistische Perspektive. Tabaré, Winter und Co. arbeiten heute schon emsig für dieses Ziel.
Dierk Jensen