Alea iacta est...
McKinsey´s Würfel sind gefallen – Energiewende gescheitert: Die stark zunehmende Anzahl an Studien und Veranstaltungen über die zukünftige Energieversorgung zeigt, wie wichtig dieses elementare Thema für die Politik, für Privatpersonen und vor allem auch für Unternehmen geworden ist. Die „green economy“ ist nicht mehr Wunschdenken einiger Öko-Aktivisten, sondern als große Chance der Industrie erkannt worden. Und so lassen sich Meldungen über hohe Energiepreissteigerungen in den nächsten Jahren natürlich auch optimal ins Marketingkonzept einbinden. In zahlreichen Studien von Forschungseinrichtungen und Unternehmensberatungen können wir nachlesen, wie es um unsere Energieversorgungsicherheit und die Kosten hierfür bestellt ist. Je nach Auftraggeber, politischer Einstellung und Motivation kommen hier allerdings durchaus unterschiedliche Ergebnisse heraus. Nur in einem Punkt sind sich alle einig: die Energiewende gelingt nur, wenn wir deutlich effizienter mit Energie umgehen und es schaffen, Erneuerbare Energien nicht nur zu installieren, sondern auch zu integrieren.
Eine Frage stellt sich dem neutralen Betrachter: Wie verlässlich und aussagekräftig sind solche Studien und Energieszenarien? Überlegungen hierzu finden Sie in diesem Artikel.
McKinsey-Studie: Kosten der Energiewende steigen bis 2020 um 60 Prozent
„Deutschland ist und bleibt weltweit führend beim Thema Treibhausgas-Reduzierung“, sagte Anja Hartmann, McKinsey-Partnerin und Co-Autorin der Studie „Die Energiewende in Deutschland – Anspruch, Wirklichkeit und Perspektiven“ im Rahmen der Vorstellung vor Journalisten. „Energiewende: McKinsey prophezeit Kostenexplosion beim Ökostrom“ titelte daraufhin der Spiegel. Die Kernaussagen der Studie sind:
- Bei heute absehbaren Rahmenbedingungen und einem Wirtschaftswachstum von 1,6% resultiert die Energiewende bis 2020 in einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen in Deutschland um 31% im Vergleich zu 1990 – das Klimaziel der Bundesregierung (40%) wird also nicht erreicht!
- Alle Sektoren tragen zur Reduzierung bei; besonders wichtig sind jedoch das Erreichen der Effizienzpotenziale und der Ausbau von Erneuerbaren Energien – bei einer verringerten Umsetzung der Potenziale würden die Treibhausgasemissionen bis 2020 sogar nur auf dem Niveau des Jahres 2010 verbleiben (–24% im Vergleich zu 1990).
- Die Abhängigkeit Deutschlands von Importen fossiler Brennstoffe sinkt bis 2020 um 21%, die Versorgungssicherheit ist jedoch zunehmend durch das Risiko steigender Brennstoffpreise und durch die Belastung des Stromnetzes gefährdet.
- Die Kosten der Energiewende (Ausbau Erneuerbare und Netze) steigen bis 2020 um 60% gegenüber 2010.
- Ein Großteil dieser Kosten wird über den Strompreis von Haushalten, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen sowie der weniger energieintensiven Industrie getragen.
- Die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie in Deutschland ist bereits heute aufgrund von Nachteilen in der Kostenstruktur unter Druck; die heute absehbaren Auswirkungen der Energiewende auf die energieintensive Industrie sind noch begrenzt; eine Belastung darüber hinaus wäre wirtschaftlich nicht tragbar.
- Weitere Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgasemissionen sollten auf die Umsetzung von Potenzialen mit geringen Vermeidungskosten und hoher lokaler Wertschöpfung abzielen, insbesondere auf Energieeffizienz und den kosteneffizienten Ausbau Erneuerbarer Energien.
- Zum Erreichen der Klimaziele nach 2020 muss sich die Rate der jährlichen Treibhausgasminderung um den Faktor 3 erhöhen – hierfür notwendige Innovationen müssen ohne weitere Verzögerungen auf den Weg gebracht werden.
Grundsätzlich hören sich die Ergebnisse der Studie vernünftig an. Letztes Jahr wurde allerdings bereits über 600.000 Haushalten der Strom abgestellt, und der gemeine Bürger fragt sich jetzt: Kann ich auch in ein paar Jahren meine Strom- und Gasrechnung noch bezahlen? Bekomme ich dann überhaupt noch regelmäßig Strom? Und sind die Erneuerbaren der Grund für die enormen Kostensteigerungen?
Hintergründe und Bewertung der Studie
Bereits 2007 erstellte McKinsey im Auftrag des BDI eine Studie zur Vermeidung von Treibhausgasen. Als erstes Land der Welt verfügte Deutschland damals mit dieser Studie über eine umfassende und objektive, auf einer einheitlichen Methodik basierenden Bewertung von mehreren hundert Einzelmaßnahmen zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen in allen Bereichen der Gesellschaft. Eigentlich war dies eine sehr sinnvolle und gut recherchierte Studie, aber warum eine renommierte Unternehmensberatung als Grundlage einen Ölpreis von im Schnitt rund 60 US$ pro Barrel als Basis ihrer wirtschaftlichen Betrachtungen für die nächsten Jahrzehnte annahm, darüber staunten nicht nur die Experten. Der Ölpreis hatte schon damals gerade die 100 US$-Marke pro Barrel überschritten1).
Eine Kernaussage aus dieser Studie war ebenfalls, dass das CO2-Einparpotential Deutschlands bei 31% unter den in Bild 1 gezeigten makroökonomischen Grundannahmen liegt.
Grundannahme: Ölpreis bei 66 US$ pro Barrel?
Inzwischen sind fünf Jahre vergangen, und die neue McKinsey Studie kommt praktisch zu dem gleichen Ergebnis. Man sieht darin zwar zumindest aktuelle Energiepreise, über zukünftige Preise sagt die Studie im Vergleich zu 2007 allerdings nichts aus. Es sind Ergebnisse unter heute absehbaren Rahmenbedingungen – bei den sektorübergreifenden Grundannahmen 2007 waren dies im Höchstpreisszenario für 2020 66 US$ pro Barrel Öl
Das Öko-Institut sieht das anders. Es hat gerade zusammen mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und dem Chefaufseher der Energiewende, Hans-Joachim Ziesing, für die Bundesregierung sehr detailliert berechnet, dass Deutschland auch auf mindestens 34 Prozent kommen könnte. Stoppt die Politik erfolgreich den Preisverfall im EU-Emissionshandel, und ist man ehrgeiziger beim Energiesparen und im Verkehrssektor, dann sind die 40 Prozent immer noch zu schaffen. Nun sind Ergebnisse von Studien, Prognosen und Szenarien sicher differenziert zu betrachten. Die Empfehlung nicht nur von Professoren „Traue keiner Studie, die du nicht selber gefälscht hast“, kommt den meisten wohl bekannt vor.
Merit Order Effekt nicht berücksichtigt
Leider fehlt ein weiterer Punkt in der McKinsey Studie komplett: Die Diskussion des Merit-Order-Effekts. Dieser besagt, dass die Erneuerbaren Energien an der Börse strompreissenkend wirken. Schließlich speisen zu manchen Zeiten (vor allem in der stromintensiven Mittagszeit) Windräder und Photovoltaikanlagen so viel Ökostrom ein, dass sich zeitweilig sogar negative Strompreise ergeben. Diese nutzen u. a. die Großabnehmer der energieintensiven Industrie, die die Großhandelspreise zahlen. Diese profitieren zudem auch durch Ausnahmeregelungen bei den Netzentgelten und bei der EEG-Umlage2). Vergangenen Herbst bezifferte eine Studie im Auftrag des Bundesumweltministeriums die Einsparung durch den Merit-Order-Effekt auf rechnerische 2,8 Milliarden €. Unter Umständen hat der Merit-Order-Effekt keine großen Auswirkungen, berücksichtigt man den zusätzlichen Verschleiss von konventionellen Gas- und Kohlekraftwerken, die öfter an- und abgeschaltet werden würden. Es steht ausser Frage, dass schnellreagierende Kraftwerke gerade in Zukunft verstärkt gebraucht werden, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Eine Kostenangabe oder wenigstens Erwähnung dieser Problematik gehört allerdings in eine wissenschaftliche Studie.
Auch der Veröffentlichungszeitpunkt gibt Anlass zu Spekulationen. Denkt doch die EU gerade über höhere Ziele beim Klimaschutz nach: Statt 20 Prozent will die EU-Kommission 25, wenn nicht sogar 30 Prozent CO2-Einsparungen bis 2020 erreichen. Staaten mit energieintensiven Branchen, die durch strengere CO2-Ziele betroffen wären, spielt eine solche Studie natürlich wunderbar in die Hände. Interessant ist dabei auch, dass in der McKinsey-Studie aus dem Jahr 2010 für die European Climate Foundation, die berechnete CO2 Ersparnis deutlich anders ausfällt.
Kerninnovation: Elektrifizierung des Gebäudesektors mittels Wärmepumpe
Eine weitere diskussionswürdige Aussage der Studie ist, dass eine Kerninnovation für die Erreichung der 2050 Ziele unter anderem die „Elektrifizierung“ des Gebäudesektors (Wärmepumpe) ist. Diese schafft wiederum wahrscheinlich auch die höchste Wertschöpfung für die Industrie. Nicht immer ist die komplizierteste Lösung auch die beste.
Seit Jahren arbeiten Experten und Politiker im Klimathema mit den so genannten „Marginal Abatement Cost Curves“ des Wirtschaftsberatungsunternehmens. Die Daten von McKinsey stellen zusätzliche Kosten dar, die anfallen, wenn in bestimmten Sektoren Emissionen eingespart werden sollen und bieten damit eine Entscheidungsvorlage für Regierungen. Sie werden von verschiedenen Regierungen in der Klimaverhandlungen als objektive Datenbasis angeführt und tauchen in sehr vielen Präsentationen immer wieder auf. Sie gelten inzwischen sozusagen als gegebener Wissensstand. Hinterfragt haben das viele, aber genauer hingeschaut haben bislang leider nur wenige.
Untersteller: KIT Strompreis-Studie unseriös
Auch das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat mit seiner Studie „Die Weiterentwicklung der Energiewirtschaft in Baden-Württemberg bis 2025 unter Berücksichtigung der Liefer- und Preissicherheit“ für Aufsehen gesorgt. Diese kritisierte der Baden-Württembergische Umweltminister Franz Untersteller als „hochspekulativ“, sie habe „mit Fakten nicht viel zu tun“. Die im Auftrag des Industrie- und Handelskammertages (BWIHK) vom KIT angefertigte Analyse zur Energiewende prognostiziert unter anderem Strompreiserhöhungen von 70 Prozent und mehr im Großhandel bis zum Jahr 2025. Diese Zahlen seien unseriös, so Untersteller am Rande einer Sitzung der Landesregierung. Klar sei, dass Strompreise in den kommenden Jahren moderat steigen würden. Das vom KIT genannte Preisplus bis zum Jahr 2025 um 70 Prozent sei aber völlig aus der Luft gegriffen. Das Orakel von Delphi sei im Vergleich zu diesem Papier eine hochseriöse Veranstaltung, so der Minister weiter.
Dies sind sehr gewagte Vorwürfe an eine weltweit renommierte Forschungsanstalt, die jetzt nun seitens des Umweltministeriums bewiesen werden müssen. Vielleicht spielen hier aber auch die Diskussion über die Fortsetzung des Transmutationsforschungsprogramms („Atomreaktoren der 4. Generation“) oder die Erinnerung an damals falsche Strompreisprognosen zu frühen Zeiten des Schnellen Brüters eine Rolle für die forsche Reaktion des Ministers. Die DGS ist auf die Gegenstudie sehr gespannt.
Prof. Fichtner (KIT): Steigende Brennstoffkosten für Preiserhöhung verantwortlich
Untersteller kritisierte u. a., dass mit Strompreisen vom Basisjahr 2010 aus gerechnet wurde und somit die auf das Zieljahr 2025 von KIT berechnete Preiserhöhung also besonders hoch ausfalle. Zudem ginge die Pressemitteilung der Kammerorganisation nicht auf die Faktoren ein, die zu dem erwarteten Preisanstieg führen. Die stark steigenden Kosten für fossile Brennstoffe – also etwa Uran, Kohle, Öl und Gas- blieben hier unerwähnt. Gerade diese seien es aber, die auch nach Einschätzung des Studienautors, des Karlsruher Energiewirtschaftlers Wolf Fichtner, die Preisentwicklung beim Strom in Zukunft maßgeblich bestimmen würden. Für mögliche Preisanstiege seien diese Faktoren „sehr wichtig“, so Fichtner. Dem Ausbau Erneuerbarer Energien schreibt die Analyse sogar preisdämpfende Wirkung für die Großhandelspreise zu. Dieser Effekt könne jedoch „den erwarteten Anstieg der Preise für fossile Brennstoffe und CO2-Emissionszertifikate nicht kompensieren“, so seine Analyse in den Stuttgarter Nachrichten. Inflationsbereinigt liege die erwartete Preissteigerung ohnehin dann lediglich bei jährlich 3 Prozent.
DIW: Erneuerbare senken Strompreise – nur 11% Erhöhung
Das DIW hingegen prognostiziert eine eher moderate Steigerung der Strompreise. Die Verbraucherpreise für Strom seien bereits in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dies sei zum Teil darauf zurückführen, dass die Umlage gemäß dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) stark angestiegen sei. Derzeit mache die EEG-Umlage einschließlich anteiliger Mehrwertsteuer etwa ein Sechstel der Stromrechnung eines privaten Haushalts aus. Gleichzeitig vermindere aber die zunehmende Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien die Preise an der Strombörse, sodass die Nettobelastung der Verbraucher – soweit der Wettbewerb funktioniert – geringer ist als die Umlage. Nach einer Modellrechnung des DIW Berlin werde sich der Preis an der Strombörse trotz steigender Preise für Brennstoffe und CO2-Zertifikate von 2010 bis 2020 inflationsbereinigt nur um 11 Prozent auf 4,9 Cent pro Kilowattstunde (kWh) erhöhen. Ohne den weiteren Ausbau Erneuerbarer Energien wäre hingegen eine stärkere Verteuerung (um ca. 20 Prozent) zu erwarten, so die DIW-Energieexpertin Prof. Claudia Kemfert.
Fazit
Wir brauchen Wirtschaftswachstum, um unseren Lebensstandard zu halten – und hierzu brauchen wir eine langfristig kostengünstige und sichere Energieversorgung. Wie wir diese erreichen, davon kann sich jeder auch mit Hilfe der zahlreichen Studien sein eigenes Bild machen. Fest steht: im Mai 2012 prophezeien unabhängige Studien steigende Energiepreise und eine realistische steigende Gefährdung der Versorgungssicherheit. Während der Spiegel schrieb „McKinsey prophezeit Kostenexplosion beim Ökostrom“, zitierte das Handelsblatt praktisch zeitgleich zu Pfingsten: „Energiewende und sommerliches Wetter machen es möglich: Sonne liefert in Deutschland so viel Strom wie 20 AKWs“ Und scheinbar nebenbei erklärte die wirtschaftsnahe Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe im Juni 2012, die Förderung von konventionellem Erdöl habe ein Maximum überschritten.
Wenn wir auf Effizienz und Erneuerbare Energien setzen, ist das ein Schwenk weg von den heutigen Ausgaben für Energieimporte hin zu einer heimischen Wertschöpfung.
Weit über 100 Mrd. € überweisen wir inzwischen jährlich für Uran, Kohle, Erdgas und Erdöl ins Ausland. Würden wir davon nur 10 Prozent einsparen, stünden rund 10 Mrd. € für sinnvolle Investitionen, z. B. in energieeffiziente Techniken, zur Verfügung, die dann wiederum dauerhaft die Energiekosten senken würden.
Alle Studien machen berechtigte Hoffnung, dass wir sowohl durch eine Optimierung der Energieeffizienz als auch durch das konsequente Vorantreiben der Speicherung und Integration von Ökostrom sowie der damit verbundenen, überfälligen Netzanpassung die Energiewende gemeinsam schaffen können. Dem „green market-made in Germany“ stehen dann goldene Zeiten bevor.
Fußnoten
1) siehe SONNENENERGIE 6/2007: McKinsey wird Energiesparer
2) siehe SONNENENERGIE 1/2012: Energiekosten – was kommt auf Unternehmen zu
Gunnar Böttger