Die CO2-Emissionen der Elektro-Radfahrer
Das Elektrofahrrad entwickelt sich zum Verkaufsschlager, doch die Nutzung von Strom wird weiterhin oft als Nachteil ausgelegt, wenn es um den Klimaschutz geht. doch wie steht es tatsächlich um die CO2-Emissionen im Vergleich zum normalen Fahrrad?
In der großen politischen Debatte um Klimaschutz in der Mobilität ist derzeit eigentlich nur der Elektro-PKW mit vier Rädern von Bedeutung. Hier wird emsig geforscht und gefördert. Ob etwas bei diesen Aktivitäten herauskommt, scheint dabei gar nicht so wichtig zu sein. Hauptsache man zeigt Aktionismus und den Willen zur sauberen „Ökomobilität“. Und während die Bahn mit dem dreckigsten Strom fahren darf, ist man sich auf allen Seiten der politischen Debatte, von den Braunkohlekraftwerksbetreibern bis zu den Ökofundis einig: Elektromobilität auf vier, drei oder zwei Gummirädern ist nur mit Erneuerbaren Energien ein Beitrag zum Klimaschutz. Wer elektrisch fährt, muss „grün tanken“. Womit der Bäcker seine Brötchen bäckt oder der Bauer sein Getreide trocknet, spielt eher keine Rolle.
Radikale Zweirad-Puristen vertreten manchmal die Auffassung, dass elektrische Fahrräder eine Form von Betrug seien, weil man dort für die zügige Fahrt gar keinen durchtrainierten Körper mehr braucht und sich die Kilometer auch nicht mehr „im Schweisse seines Angesichtes“ erarbeiten muss. Nicht ganz so extrem, aber dafür deutlich öfter zu hören, ist der Vorwurf, dass Elektrofahrräder nicht gut für den Klimaschutz wären, weil die ja mit Strom fahren.
Unantastbarer gesellschaftlicher Konsens ist auf jeden Fall, dass das klassische Radfahren die klimafreundlichste, ja die einzige CO2-neutrale Form der Mobilität ist; wenn man vom Laufen absieht. Mythen oder Fakten?
Elektromobilität mit zwei Rädern
Das elektrische Zweirad hat die Welt bereits erobert. Alleine in China soll der Bestand bei über 150 Millionen liegen. Doch auch in Deutschland sind die Verkaufszahlen extrem gestiegen. Für das Verkaufsjahr 2011 liegt die Schätzung der Absatzzahlen bei rund 300.000 Fahrrädern mit elektrischer Unterstützung.
Man unterscheidet hier grob in zwei Kategorien: die mit Motorrad- und die mit Fahrrad-Abstammung. Wir werden in diesem Beitrag nur die elektrisch unterstützten Fahrräder genauer betrachten, von denen es ebenfalls zwei Ausprägungen. gibt.
Beide können bei Bedarf rein über Muskelkraft gefahren werden. Doch ein E-Bike kann man alternativ, ähnlich einem Motorrad, auch rein durch das Betätigen eines Kontrollgriffs beschleunigen. Es verhält sich dann letztlich identisch wie ein Motorrad, nur dass die Konstruktion deutlich leichter gehalten ist.
Auf der anderen Seite gibt es das Pedal-Elektrische-Fahrrad, kurz Pedelec. Dieses wird wie ein Fahrrad gefahren. Man tritt wie gewohnt in die Pedale. Neu ist jedoch, dass eine Elektronik die Bemühungen des Radfahrers beobachtet und je nach Wunsch mit einem gewissen Anteil elektrischer Kraft die Fahrt unterstützt. Das Pedelec ist damit eine Art Hybridfahrzeug, da es den „Biomasse-Muskelantrieb“ mit einem „Batteriestrom-E-Motor“ verbindet.
Beide Varianten sind nicht nur bei Rentnern mit Knieproblemen beliebt. Auch Berufspendler, die schnell und gleichzeitig unverschwitzt zur Arbeit gelangen wollen, als auch Bewohner hügliger Regionen oder Städte, lernen derzeit die Vorteile des „elektrischen Dopings“ zu schätzen.
Moderne Räder bieten Akkus mit bis zu einer Kliowattstunde Speicher und Motoren mit bis zu 500 Watt Leistung. Damit kann auch ein Normalradler ein Durchschnittstempo von 35 km/h erreichen und so selbst bei langen Pendelstrecken leichter auf ein Auto verzichten.
Geschwindigkeit hat Ihren Preis
Auch beim Fahrrad gelten die Gesetze der Physik. Wer schnell von A nach B kommen will muss Kraft aufwenden. Wer über einen steilen Berg will muss sich und sein Fahrrad „hinaufheben“.
In die Berechnungsformeln der Fahrwiderstände geht die Geschwindigkeit im Quadrat ein. Somit ist schnelles Fahren immer besonders anstrengend. Doch auch der Luftwiderstand und die Rollreibung spielen eine wichtige Rolle, was vor allem beim Fahrrad mit seinem Muskelmotor „Mensch“ deutlich zu spüren ist. Eine sehr aufrechte Sitzposition ist zwar ergonomisch und angenehm, geht aber mit hohem Kraftaufwand einher.
Grafik 1 zeigt, warum der normale Radler meist mit rund 20 km/h mobil ist. Diese Geschwindigkeit erreicht man in der Ebene bei Windstille mit einer Muskelleistung von 100 Watt. Will man deutlich schneller fahren, so steigt der Kraftaufwand rapide an. Ein möglicher Trick um dennoch schneller vorwärts zu kommen, liegt in gesteigerter Effizienz und da primär im Wechsel auf das Liegerad. Der deutlich geringere Luftwiderstand erleichtert hier spürbar die Fahrt. So werden 30 km/h bei 100 Watt möglich.
Wer selber die Fahrdynamik von Fahrrädern erforschen will, der kann sich z.B die Webseite kreuzotter.de zur Hilfe nehmen. Dort kann man die Fahrwiderstände eines Fahrrades anhand zahlreicher Parameter durchrechnen lassen.
Elektrische Unterstützung
Wer bequem und schnell mobil sein möchte, muss also auch beim Zweirad zusätzliche Kraft aufwenden. Ein E-Bike oder Pedelec bietet hier die notwendige elektrische Unterstützung.
Der Verein ExtraEnergy, mit Sitz in Tanna (Thüringen), hat nicht nur vor gut 20 Jahren das Wort Pedelec geprägt. ExtraEnergy unterzieht auch seit Jahren alle aktuellen Pedelecs aufwändigen Praxistests und vergibt eigene Prüfsiegel. Bei diesen Tests ist schnell aufgefallen, dass die Hersteller sehr unterschiedliche Betriebsstrategien für den elektrischen Hilfsmotor ersonnen haben. Das ganze wird in dem Unterstützungsfaktor (AF) ausgedrückt.
Wenn der Mensch mit 50 Watt in die Pedale tritt und das Pedelec weitere 50 Watt elektrisch beisteuert, so spricht man von einem AF von 1. Bei 100 Watt Tretleistung ergibt AF 1 dann 100 Watt und AF 5 entsprechend 500 Watt elektrischen Hilfsschub. Zum Vergleich sei angemerkt, dass letzteres der Leistung eines professionellen (gedopten?) Radprofis entspricht.
Rein aus der Fahrphysik ergibt sich also, dass nur bei AF 5 (100 + 500 Watt) ein Pedelec dem Normalbürger das Reisevergnügen mit ca. 35 bis 40 km/h ermöglichen kann. Aus dieser Betrachtung ergibt sich auch automatisch der Stromverbrauch bzw. der Speicherbedarf im Akku. Wer 40 km in einer Stunde zurücklegen will, der muss konstant rund 500 Watt abrufen können. Dazu braucht man eine Batterie mit mindestens 500 Wh Kapazität. Je nach Modell wird man heute am Markt Lösungen in der Bandbreite von 250 bis 1000 Wh finden.
Stromverbrauch in der Praxis
Hohe Geschwindigkeiten sind auf einem Fahrrad jedoch nicht ohne (gefühltes) Risiko. In der Praxis ist es den meisten Pedelec-Nutzern deshalb meist wichtiger, die 25 km/h auch am Berganstieg halten zu können. Und so zeigen die Praxistests von ExtraEnergy, dass der Stromverbrauch für eine Entfernung von 33 km im Schnitt bei ca. 250 Wh liegt.
Wer hierzu einen griffigen Vergleich sucht, der soll sich vor Augen halten, dass man zum Erwärmen von einem Liter Wasser von 10 auf 35 Grad genau 25 Wh benötigt. Wer also verschwitzt nach einer zügigen Radtour eine warme Dusche nehmen will, der sollte nicht mehr als 10 Liter warmes Wasser verbrauchen, wenn er gegenüber einem unverschwitzen Pedelec-Kollegen einen „Energiesparvorteil“ herbeireden will. Denn nach 10 Litern warmem Duschwasser hat man auch 250 Wh Energie verbraucht.
Ohne Zweifel — beim Vergleich von Fahrstrom gegen Warmwasser gibt es natürlich viele Haare, die man jetzt spalten könnte. Primär ging es hierbei erstmal um die Größenordnung und die Erkenntnis, dass der Stromverbrauch eines elektrischen Fahrrades sehr überschaubar ist.
Die CO2-Emissionen für ein Hybridfahrrad (ein Pedelec) sind nicht ganz so einfach zu berechnen. Aber wenn man den 100% elektrischen Betrieb eines E-Bikes betrachtet, so sind die Kennzahlen je nach gewähltem Kraftwerkspark schnell berechnet (siehe Tabelle 2).
Will man nun einen Vergleich mit einem normalen Fahrrad ziehen, so gilt es erstmal zu klären, wie man hier überhaupt CO2-Emissionen ermitteln kann. Gibt es die überhaupt? Es gibt doch den Konsens, dass Radfahren CO2-frei oder zumindest CO2-neutral ist. Oder?
Biotreibstoff „Nahrungsmittel“
Der Mensch ist auch nur eine Maschine: eine Muskelmaschine. Diese verbrennt in ihren Körperzellen Zucker und gewinnt so aus jeder Nahrungskalorie 25% Bewegungsenergie (Muskelkraft) und 75% Körperwärme. Der Zucker wird im „Biochemiereaktor“ Mensch aus den Lebensmittel gewonnen, die wir zu uns nehmen.
Wenn wir mehr essen als „unsere Maschine“ gerade benötigt, so wird die Energie als Fett gespeichert. Dies ist heute bei uns der normale Zustand, sehr zur Freude der Fitness-Center und Autoren von Diät-Kochbüchern. Doch auch der umgekehrte Fall ist auf dieser Welt leider keine Seltenheit. Wer Hunger leidet, kann keine Leistung erbringen (also z.B. auch nicht schnell Rad fahren).
Es ist ein Irrglaube, dass unsere körperlichen Aktivitäten keinen Einfluss auf unser Hungergefühl oder unseren Nahrungskonsum hätten. Wer körperlich viel leistet benötigt auch mehr Energie, also mehr Nahrung als jemand der nur (faul auf einem E-Bike) herumsitzt.
Somit brauchen wir neben der Physik des Fahrrades noch den Emissonsfaktor für die Herstellung des Biotreibstoffes „Nahrungsmittel“. Interessant ist dabei, dass dieser faktisch unbekannt ist. In der hitzigen Diskussion um die CO2-Zahlen der Palmölproduktion oder des Maisanbaus für Biogasanlagen sucht man vergeblich nach Vergleichszahlen für das Butterbrot, das Palmöl-Margarine-Brot oder gar den saftigen Rindergulasch.
Bottom-Up Methode
Die Bestimmung der CO2-Emissionen unserer Ernährung ist ein sehr komplexes Feld und auch wenn man keinen exakten Wert benennen können wird, so kann man doch die Größenordnung auf unterschiedliche Arten eingrenzen.
Zum einen wäre da ein Arbeitspapier vom Öko-Institut mit dem Titel „Treibhausgasemissionen durch Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln“ aus dem Jahr 2007. Dort findet man z.B. folgenden Angaben:
- Bio-Rindfleisch: 11.371 g CO2/kg
- Bio-Milch: 881 g CO2/kg
- Bio-Mischbrot: 648 g CO2/kg
- Bio-Kartoffeln: 136 g CO2/kg
Sicherlich beruhen diese Werte des Öko-Instituts auf einer fundierten Analyse. Dennoch sind sie erstmal wertlos, weil die Bezugsgröße „g CO2 / kg Lebensmittel“ sich nicht direkt für weitere Berechnungen nutzen lässt.
Doch wenn man weitere Quellen zu Ernährungsfragen heranzieht (Tabelle 1) und erst die Umrechnung auf „g CO2 / Kilokalorie“ und dann noch von Kilokalorien auf den gängigeren Energiewert der Kilowattstunde umrechnet, so erhält man diesen Einblick in unser Essen:
- Bio-Rindfleisch: 7.030 g CO2/kWh
- Bio-Milch: 1.100 g CO2/kWh
- Bio-Mischbrot: 290 g CO2/kWh
- Bio-Kartoffeln: 160 g CO2/kWh
Biomilch hat somit den gleichen CO2-Emissionsfaktor wie Braunkohlestrom! Von Fleisch wollen wir in diesem Zusammenhang erst gar nicht reden. Und hierbei handelt es sich sogar um die klimafreundlichen Biolebensmittel. Der dominierende, konventionelle Anbau schneidet noch einmal 10 bis 20% schlechter ab.
Mit diesen Kennzahlen des Öko-Instituts und der Ernährungsstatistik (siehe Tabelle 1) kann man einen Emissionskennwert für die deutsche Ernährung abschätzen.
Top-Down Methode
Ein zweiter möglicher Weg ist, die CO2-Emissionen der deutschen Landwirtschaft auf den Lebensmittelverbrauch herunterzurechnen. Im Jahr 2007 hatte die Bundesregierung dem gesamten Sektor unserer Landwirtschaft eine Emissionsmenge von 133,2 Mio. Tonnen CO2 bescheinigt. Bei 82 Mio. Einwohnern ergeben sich daraus 1,62 t CO2 je Person und Jahr.
Je nach Arbeitsleistung benötigt ein Mensch ca. 2.000 bis 2.500 kcal Nahrung pro Tag. Wir unterstellen in unserer Abschätzung den höheren Wert, weil dann die Emissionen am niedrigsten ausfallen. Doch auch bei wohlwollenden 2.500 kcal pro Tag ergeben sich 1.520 g CO2/kWh.
Dieser Wert ist nicht gerade verwunderlich, weil ja, wie wir bereits gesehen haben, schon die unverarbeitete Biomilch mit 1.100 g CO2/kWh zu Buche schlägt.
Die obere Abschätzung muss aber vermutlich noch als sehr optimistisch betrachtet werden, da hier nicht nur die gesamten Emissionen der großen Menge an importierten Futtermitteln (Soja, Mais, etc.), sondern auch die Emissionen der Lagerung, Verteilung und Lebensmittelzubereitung fehlen.
1.500 g CO2/kWh auf dem Teller
In Anbetracht der verheerenden Emissionen unserer Lebensmittelproduktion ist es nicht verwunderlich, dass sich auch für das Radfahren erschreckende CO2-Emissionen ergeben (Tabelle 2).
Der Mythos von der CO2 freien Fahrradmobilität ist das, was er ist: ein Mythos. Unsere Nahrungsmittelproduktion mit all ihren Verarbeitungsschritten ist nicht nur sehr energieaufwändig, sondern geradezu durchtränkt mit fossilen Energieträgern. Dies gilt sowohl für den konventionellen Anbau als auch die Ökoprodukte. Letztere sind sich des Problems immerhin bewusst und suchen nach Lösungen, während in der konventionellen Landwirtschaft die Endlichkeit dieses Planeten noch kein „Wirtschaftsfaktor“ ist.
Radfahren ist gut
Dieser Artikel hat nicht das Ziel das Fahrradfahren als klimaschädlich anzuprangern. Radfahren ist gut und das nicht nur für Menschen mit Übergewicht.
Man sollte jedoch die Nutzung von elektrischer Energie nicht reflexartig verteufeln. Gerade in der Mobilität bietet sie unglaubliche neue Chancen, selbst wenn man nur zwei Rädern hat.
Gleichzeitig sollten wir beginnen ernsthaft über unsere Nutzung der Biomasse nachdenken. Und ja, dazu gehört auch die unbequeme Frage, ob es nicht sinnvoller wäre auf einem Acker „Biogas“ zu produzieren, anstatt „unsere täglichen 120 g Fleisch“. Die Ernährungsfrage muss ein Teil unserer Energiewende werden.
Tomi Engel