In acht Jahren eine Million Hektar!
Der Anbau von Energiepflanzen steigt weiterhin an: Der NawaRo-Bonus hat in Deutschland einen Boom des Energiepflanzen-Anbaus für die Biogasnutzung ausgelöst. Mais ist dabei die alles dominierende Kulturart. Das ist nicht nur ökologisch fragwürdig, sondern auch gefährlich. Eine größere Vielfalt auf dem Acker ist sowohl ein nationales als auch europäisches Ziel. Mit dem EU-Vorschlag des „Greenings“ könnte den Mais-Alternativen der Weg geebnet werden.
Durch den Biogassektor hat der Anbau von Energiepflanzen in Deutschland 2011 weiter zugenommen: Auf fast zwei Millionen Hektar (ha) bauten Landwirte nicht Nahrungs- oder Futtermittel, sondern Biomasse für Strom, Wärme oder Kraftstoffe an, berichtete die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR). Das entspricht einem Anteil von 16 Prozent an der deutschen Ackerfläche. Raps für Biodiesel und Pflanzenöl-Kraftstoff ist mit 910.000 ha zwar noch die dominierende Kultur, befindet sich seit 2007 aber schon wieder auf dem Rückzug. Der Anbau von Pflanzen zur Biogasgewinnung hat laut der FNR eine Marke von 800.000 ha erreicht!
Das Deutsche Biomasseforschungs-Zentrum (DBFZ) in Leipzig kommt sogar auf noch höhere Zahlen: „Belastbare statistische Angaben zur Flächennutzung für die Biogaserzeugung liegen nicht vor“, sagt Jaqueline Daniel-Gromke vom DBFZ, das sich deshalb auf eine Betreiberumfrage im Rahmen des EEG-Monitorings stütze. Die Hochrechnung der Daten ergebe eine Fläche von fast 1,2 Mio. ha. Wie groß ist die „Biogasfläche Deutschlands“ nun wirklich? Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte, also bei rund einer Million Hektar liegen. Blickt man auf 2004 zurück, als der NawaRo-Bonus eingeführt wurde und die Fläche für Biogas und Bioethanol zusammen gerade mal 100.000 ha groß war, kann das explosionsartige Wachstum nachempfunden werden.
Auf Dauer ist das natürlich nicht gesund, weshalb sich die Frage stellt, wann das Ende der Fahnenstange erreicht ist? Eine Studie zur Stoffstromanalyse des Biomassepotenzials in Deutschland kam 2004 zum Ergebnis, dass der Anbau von Energiepflanzen bis 2030 ohne Beeinträchtigung von Nahrungsmittelversorgung und Naturschutz auf 4,4 Mio. ha ausgedehnt werden könnte. Die Welt war damals aber noch eine andere: Zur Verhinderung von Überproduktion wurden Flächen stillgelegt, heute sind landwirtschaftliche Flächen ein knappes Gut. Damals herrschte in der Landwirtschaft Tristesse, heute Euphorie!
Biogas kurbelte Maisanbau an
Während Betriebe in Veredlungsregionen, wo hohe Viehbestände zu versorgen sind und meist auch viele Biogasanlagen stehen, Verdrängungstendenzen beklagen, finden Großanlagen auch in der Bevölkerung immer weniger Akzeptanz: Vor allem die „Vermaisung“ und „Mais-Wüsten“ werden beklagt. Auch beim Reizthema Maisanbau kommen die Statistiker auf verschiedene Werte: Die FNR schätzt den Maisanteil an der Biogasfläche auf 85 Prozent, was 680.000 ha entspricht. Beim DBFZ liegt der Anteil mit 66 Prozent etwas niedriger, absolut gesehen jedoch höher bei 778.000 ha. Auf die gleiche Flächenzahl kommt auch eine Schätzung der Kleffmann-Group, gemäß der die gesamte Maisanbaufläche inklusive Körnermais und Silomais als Futterpflanze rund 2,5 Mio. ha groß ist. Auf 21 Prozent der deutschen Ackerfläche wächst also Mais, der im Jahr 2002 nur 1,5 Mio. ha beanspruchte. Der Rinderbestand ist seitdem sogar um 6 Prozent gesunken, weshalb die Zunahme hauptsächlich auf die Biogas-Nachfrage zurückzuführen sein dürfte.
„Die Verträglichkeit von Mais mit sich selbst führt dazu, dass sein wirtschaftlicher Erfolg als Biogassubstrat mancherorts die gute landwirtschaftliche Praxis in den Hintergrund drängt. Dort wird er dann über mehrere Jahre auf derselben Fläche angebaut, Fruchtfolgen werden nicht mehr eingehalten und damit Boden- und andere ökologische Probleme ausgelöst“, informiert die FNR anlässlich ihrer Kampagne „Energie pflanzen“. Die Politik hat darauf reagiert und mit dem EEG 2012 den Anteil von Mais und Getreidekorn auf 60 Masseprozent begrenzt („Maisdeckel“).
Mit der Kampagne „Energie pflanzen“ möchte die FNR auf die Vielzahl möglicher Energiepflanzen aufmerksam machen. „Die bisherige Emotionalisierung des Themas ist kontraproduktiv“, meint Dr. Andreas Schütte von der FNR. Allerdings bringen nicht nur leidenschaftliche Naturschützer, sondern auch Landwirte Emotionen ins Spiel: Sie empfinden sachliche Kritik am zunehmenden Maisanbau als persönlichen Angriff, woraufhin regelrechte Symphonien aus Rechtfertigungen und Relativierungen angestimmt werden. Gerne wird dabei das Bild des Kritikers als wirtschafts- und fortschrittfeindlicher Öko-Fundi bemüht.
Der Eine-Milliarde-Dollar-Käfer
Maisgegner mit Strickpulli und Birkenstock-Sandalen gehören aber noch zur harmloseren Sorte. Die wahren Feinde im Maisanbau sind zwar kleiner von Gestalt, aber tausendmal gefährlicher: Sie heißen Ostrinia nubilalis und Diabrotica virgifera. Ersterer breitet sich unter dem Pseudonym Maiszünsler in Richtung Norden aus und hat mittlerweile die Ostseeküste erreicht. Die gefräßigen Raupen des Schmetterlings verursachen jährlich Schäden von 11 bis 12 Millionen Euro. Während der Maiszünsler aus Europa stammt, kommt der Maiswurzelbohrer aus den USA. Dort gilt er als der größte Schädling im Maisanbau. Gegen ihn werden weltweit die meisten Insektizide ausgebracht. Die Kosten dafür und die Schäden, die er verursacht, summieren sich jährlich auf etwa eine Milliarde Dollar. 2007 wurde er auch in Deutschland erstmals gesichtet. Obwohl er hier als Quarantäne-Art gilt, gegen die strengste amtliche Maßnahmen ergriffen werden, hat er sich in Ostbayern und am Oberrhein, dort sogar stark, verbreiten können. Landwirte, die Mais auf Mais anbauen, leisten der Verbreitung der Kulturschädlinge natürlich Vorschub. Je größer die Schäden, desto lauter werden die Rufe nach Gen-Mais werden und dann droht erst der Super-GAU einer öffentlichen Auseinandersetzung zwischen Landwirten und Gentechnik-Gegnern.
Ob nun 66 oder 85 Prozent Mais - im Wesentlichen baut die gesamte Biogasgewinnung auf nur einer Kulturpflanze auf, was Zweifel an der Nachhaltigkeit aufwirft. Bereits 2005 hat das Bundeslandwirtschaftsministerium die Chancen für mehr Vielfalt erkannt und den Forschungsverbund „Entwicklung und Vergleich von standortangepassten Anbausystemen für Energiepflanzen“, kurz „EVA“ ins Leben gerufen. An diesem Mammutprojekt sind deutschlandweit 14 Forschungsinstitute und Landesanstalten beteiligt. Neben „Maisalternativen“ werden auch Zweikultur- und Mischfruchtsysteme sowie Fruchtfolgen erforscht.
„Ein Ziel des EVA-Verbundprojektes ist, die Wünsche nach mehr Vielfalt im Energiepflanzen-Anbau mit einer realistischen Einschätzung für die Praktiker zu verknüpfen“, sagt Christoph Strauß von der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft TLL. Werde die Einzelkultur nur aus dem Blickwinkel des Deckungsbeitrags betrachtet, sei Silomais die Nummer eins. Entscheidungszusammenhänge in der Praxis seien aber nicht eindimensional und der Rückstand potenzieller Maisverdränger gar nicht mal so groß: „Unter den richtigen Bedingungen kann Getreide als Ganzpflanzensilage (GPS) bereits ökonomisch sinnvoll sein“, erläutert Strauß. Das gelte zum Beispiel in der Thüringer Ackerebene. Trotz hoher Trockenmasseerträge sieht er für die Sorghum-Arten Futter- und Zuckerhirse sowie Sudangras noch zwei Probleme: den hohen Wärmebedarf (Abreife) und vergleichsweise geringe Gasausbeuten der aktuell verfügbaren Sorten.
Neue Anreize durchs EEG 2012?
In anderen Regionen ist mehrschnittiges Ackerfutter, wie Luzerne-, Kleegras- oder Weidelgrasmischungen, der Getreide-GPS überlegen. Allerdings sei Strauß zufolge dieses Ackerfutter nur als Zwischenfrucht in der höheren Vergütungsklasse II des neuen EEG enthalten. Nicht enthalten seien dagegen die praxistauglicheren Zwischenfrüchte Grünroggen, Weidelgras oder Landsberger Gemenge, bedauert er. Das EVA-Verbundprojekt habe aufgezeigt, dass die Winterbegrünung zum Mais auf vielen Standorten höhere Methanhektarerträge bringt. Die Mehrerträge reichten aber nicht aus, um die Mehrkosten abzudecken. In einigen Fällen, wie zum Beispiel bei akuter Flächenknappheit, könne das wieder anders aussehen. Außerdem appelliert Strauß, die Argumente Humus und Bodenfruchtbarkeit nicht außen vor zu lassen.
Höchst attraktiv als Maisersatz sind auch Zucker- und Futterrüben. Die Änderung der EU-Zuckermarktordnung mit verminderten Anbaukontingenten lässt die Rüben als Rohstoff zur Biogasgewinnung interessant werden. Saatgutfirmen und die Zuckerindustrie, zum Beispiel die Nordzucker AG, treiben seit zwei Jahren Züchtung und Technik voran, damit aus „Überschussrüben“ „Energierüben“ werden können. Schätzungen über den Flächenanteil zur Biogaserzeugung reichen von 3.800 bis 35.000 ha in 2011.
Zucker- und Futterrüben fordern viel Arbeit und eine hohe Bodenqualität, doch dafür geben sie auch viel. Die Frischmasse-Erträge sind höher als die von Silomais. Der Methanertrag kommt jedoch nicht ganz auf Maisniveau. Das Kernproblem der Rübe liegt in der Logistik und damit in den Kosten: Zum einen werden spezielle, teure Vollerntemaschinen gebraucht. Zum anderen sind die Erdanhaftungen im Biogasfermenter unerwünscht, vor allem Sand und Steine verursachen hohen Verschleiß. Landtechnik-Unternehmen entwickeln daher zurzeit eine auf Biogas abgestimmte Logistikkette „ab Feldrand“.
Öko-Plus durch Mehrjährige und Mischkulturen
„Viele ökologische Effekte lassen sich mit mehrjährigen Kulturen erzielen“, sagt Strauß. Die Durchwachsene Silphie etwa kann über zehn Jahre lang geerntet werden. Durch ihre Blattform speichert die „Becherpflanze“ Wasser. Ihr Nachteil ist, dass zur Bestandsgründung aufwendig Setzlinge gepflanzt werden müssen. Michael Conrad von der TLL, die an keimfähigem Saatgut arbeitet, schätzt, dass die deutschlandweite Anbaufläche sich 2012 auf etwa 250 ha verdoppeln wird. „Die Aufbruchstimmung ist unverkennbar“, meint er.
Weitere mehrjährige Kulturen, die zunehmend als Biogaspflanzen Interesse finden, sind Topinambur, Bokhara-Klee, das ungarische Szarvasi-Gras (auch Hirschgras oder Riesen-Weizengras genannt), das Malvengewächs Sida, Rumex als Ampfer- und Igniscum als Knöterichgewächs sowie Wildpflanzen-Mischungen. Igniscum und bedingt auch Topinambur gelten als „invasive Pflanzenarten“, was ein zweischneidiges Schwert bedeutet: Die Züchter machen sich hier die außerordentlichen Wuchs- und Verbreitungsleistungen zunutze. Landschaftsökologen warnen aber vor den Gefahren für die heimische Wildflora.
Herausragende Bedeutung haben die Blüheigenschaften mancher Kulturen: Neben Wildpflanzen und Leguminosen warten auch die gelb blühenden Silphien und Topinambur mit attraktiven Blüten auf. Interessierte Landwirte können hier dicke Bonuspunkte sammeln – vor allem bei den Imkern der Gegend. Letztere sind durch die intensivere Landbewirtschaftung der letzten Jahren massiv an blühenden Äckern interessiert.
Die Tendenz zur Intensivierung hat die Europäische Kommission dazu veranlasst, die gemeinsame Agrarpolitik ökologisch zu reformieren. Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos möchte unter dem Stichwort „Greening“ ab 2014 gesellschaftliches Geld an ökologische Leistungen knüpfen. Das heißt, dass es Direktzahlungen pro Hektar nur dann in voller Höhe geben soll, wenn sieben Prozent ökologische Vorrangflächen sowie Fruchtfolgen und Grünlandschutz nachgewiesen werden. Ob und inwieweit der Aufwuchs aus den Ökoflächen in Biogasanlagen genutzt werden kann, müsste erst noch verhandelt werden. Gerade artenreichen Wildpflanzen-Mischungen würden sich dabei gute Perspektiven bieten. Allerdings lehnt der Deutsche Bauernverband die Ökoflächen, die er als „Zwangsstilllegung“ brandmarkt, komplett ab. Mittlerweile wehrt sich auch die Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner gegen den Reformvorschlag. Wird das Greening-Modell jedoch eingeführt, kann der Monotonie auf dem Acker von zwei Seiten entgegengewirkt werden: durch die Gemeinsame Agrarpolitik und die Anreize des EEG 2012.
Neue Broschüren „Energiepflanzen für Biogasanlagen“
Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe veröffentlicht Ergebnisse des achtjährigen Großprojektes „Entwicklung und Vergleich von standortangepassten Anbausystemen für Energiepflanzen“ in insgesamt zehn, regional bezogenen Broschüren. Landwirte finden darin Empfehlungen zu Anbausystemen für nachhaltige Energiefruchtfolgen. Die kostenlosen Broschüren „Energiepflanzen für Biogasanlagen“ können über die Mediathek der FNR angefordert oder heruntergeladen werden: http://mediathek.fnr.de
Christian Dany