Urbanes Biogas
Strom und Wärme aus Biotonnen in Berlin und Hamburg: Grüne Städte stehen hoch im Kurs – Metropolen, die sich wenigstens zu einem gewissen Grad selbst mit Energie, Rohstoffen, Wasser und Nahrungsmitteln versorgen. Schlagwörter wie Urban Mining und Urban Farming machen die Runde. In diese Reihe passt auch die Inbetriebnahme einer großen Biogasanlage der Hamburger Stadtreinigung, die aus Bioabfällen der Hamburger zukünftig Energie gewinnt.
Nicht nur Kompostierung„Bioabfall ist mehr, kann mehr“, unterstrich Rüdiger Siechau, Chef der Stadtreinigung Hamburg, bei der Eröffnung der Trockenfermentationsanlage in Bützberg am nordöstlichen Stadtrand von Hamburg. „Mit der rund 14 Millionen teuren Pionier-Investition in Bützberg gelingt es, den Ressourcen-Kreislauf zu schließen. Mehr geht nicht“, fügte Siechau im Beisein des Ersten Bürgermeisters, Olaf Scholz, sichtlich zufrieden hinzu. Dabei ist die Vergärungsanlage in eine bereits seit über zehn Jahre bestehende Kompostierungsanlage integriert worden. Das erzeugte Biogas wird nicht in an Ort und Stelle verstromt, sondern von Vattenfall mit einer Aminwaschanlage in Erdgasqualität aufbereitet und anschließend ins Gasnetz von E.on gespeist.
Die räumlichen Ausmaße der Gesamtanlage sind beeindruckend. Kernstück sind sicherlich die 21 neben einander liegenden garagenartigen Gärbehälter mit (jeweils 24 Meter lang, fünf Meter breit, 4,50 Meter hoch), in denen bei voller Auslastung jährlich bis zu 70.000 Tonnen Inputstoffe vergärt werden sollen. Und zwar Bioabfälle aus rund 100.000 Hamburger Biotonnen, die mit Strukturmaterialien aus Grünschnitt und Gartengrün vermischt und stapelbar in die Gärgaragen gefahren werden. Die bei der anaeroben Biogasproduktion anfallenden Gärsäfte werden dabei am Boden aufgefangen und je nach Bedarf über das zu vergärende Substrat gesprüht. Die Verweildauer der Inputstoffe im Gärbehälter liegt bei einer Betriebstemperatur von 41 Grad Celsius bei exakt 21 Tagen, erklärt zuständige Projektleiter Michael Harms vom Hersteller Eggersmann aus Bad Oeynhausen. „Nach drei weiteren Tagen der Belüftung und dem Abzug des restlichen Biogases, wird der Gärrest dann in Kompostierung gefahren.“ Voll ausgelastet soll die Trockenfermentations-Anlage in Bützberg stündlich 600 Kubikmeter Rohbiogas erzeugen, was in etwa einer Kraftwerksleistung von ca. 3,5 Megawatt entspricht.
Mit der Inbetriebnahme der Vergärungsstufe, vorgeschaltet der Kompostierung, beginnt für die Hamburger Abfallentsorgung eine neue Ära. Ab jetzt wird aus dem Inhalt der Biotonnen nicht nur Kompost produziert, sondern darüber hinaus auch Strom und Wärme. Während nun die gewonnene Energiemenge umgerechnet dem Strombedarf von rund 10.000 Zwei-Personen-Haushalten entspricht, gewinnen die Hamburger aus dem Gärrest rund 35.000 Kubikmeter Qualitätskompost. Dabei ist die Nachfrage nach diesem wertvollen und mit einem Gütesiegel versehenen Erdenprodukt konstant hoch: Sowohl Landwirte als auch Garten- und Landschaftsbauer interessieren sich für das Humus aufbauende Substrat.
Erste Betriebsphase erfolgreich
„Unsere Anlage bringt in den ersten Betriebsmonaten recht gute Gaserträge“, zeigt sich Dr. Anke Boisch, Leiterin Ressourcenwirtschaft und Technik bei der Stadtreinigung Hamburg, mit der Startphase durchaus zufrieden. Zwar werde man den Betrieb im laufenden Jahr noch nicht auf Volllast fahren, dennoch erwartet Boisch für das erste Jahr eine Auslastung von 80 Prozent. Dies entspricht einer Bioabfallmenge von rund 50.000 Tonnen, womit das Hamburger Bioabfallpotenzial von 70.000 Tonnen nicht voll ausgeschöpft ist. Das hat seinen Grund: Bisher nutzen nicht alle 890.000 Hamburger Haushalte eine Biotonne; besonders Vermieter stellen ihren Mietern sie nur zögerlich zur Verfügung. So landet energiereiche Biomasse oftmals immer noch in der grauen Restmülltonne – wahrlich nicht vorbildlich für die von der EU als Europäische Umwelthauptstadt 2011 titulierte Hansestadt.
Das von der Stadtreinigung Hamburg angewandte Verfahren einer Trockenfermentation hat im Gegensatz zur sonst gängigen Nassfermentation den Vorteil, so Boisch, dass sie am Besten mit den saisonal stark schwankenden Zusammensetzungen des Bioabfalls aus Privathaushalten am besten klarkommt. „Unser Verfahren ist zudem ausgereift“, wirft Projektleiter Harms selbstbewusst ein. Der Bau-Ingenieur geht deshalb davon aus, dass in Zukunft noch weitere Bioabfall- bzw. Kompostierbetriebe eine Trockenfermentation vorschalten werden. Neben Großanlagen hat seine Firma, die seit vielen Jahren im Bau von Kompostanlagen aktiv ist, eine Kleinanlage entwickelt, die ohne großen Aufwand modular zusammengefügt werden kann. Das Modell mit dem Namen Smartferm soll laut Hersteller auf einer ein Fläche 18,5 x 15 Metern nach 20 Bautagen betriebsbereit sein. Erste Aufträge aus den USA liegen bereits vor.
Dagegen beschäftigt sich bei Eggersmann nicht mit dem so genannten Pfropfenstromverfahren. Dies ist ein Vergärungsverfahren, das die feste Fraktion von der flüssigen trennt. Zwar verspricht dieses Verfahren höhere Gaserträge, doch ist es verfahrenstechnisch aufwändiger und fand in Bützberg keine Anwendung, weil es nicht, so Anke Boisch, zur bereits existierenden Kompostanlage passte.
Berlin erzeugt Biogas
Dass an anderen Standorten durchaus andere Entscheidungen getroffen werden können, beweist die Berliner Stadtreinigung (BSR). Sie wendet für ihre im Stadtteil Ruhleben derzeit in Bau befindliche Biogasanlage. So baut die BSR im Stadtteil Ruhleben eine Biogasanlage, bei dem das Inputmaterial aufgemaischt und nach kontinuierlicher Vergärung in eine flüssige und in eine feste Fraktion zerlegt wird. Auf diese Weise will man rund 60.000 Tonnen Bioabfälle vergären. Das Biogas soll vor Ort aufbereitet ins Erdgasnetz eingespeist werden. Die jährliche Energiemenge von 34 Millionen Kilowattstunden reicht aus, um 150 mit Gasmotoren ausgestattete Müllfahrzeuge über zwölf Monate anzutreiben bzw. 2,5 Millionen Liter Diesel zu sparen.
Wenn die Testphase beendet ist, wird das am Hamburger Stadtrand erzeugte Biogas nicht vor Ort verstromt, sondern in einer ca. 3,5 Mio. teuren Aufbereitungsanlage der Vattenfall Europe New Energy GmbH in Erdgasqualität umgeformt und ins Gasnetz von Eon eingeleitet. Vattenfall, das mit der Stadtreinigung Hamburg einen langfristigen Liefervertrag vereinbart hat, beabsichtigt das grüne Gas in innerstädtischen dezentralen Blockheizkraftwerken (BHKW) in Strom und Wärme – nah am Verbrauch – umzuwandeln. Schon im Sommer soll das erste BHKW an den Start gehen. Wie Vattenfalls Pressesprecher Stefan Kleinmeier unterstreicht, könne sich der Energieversorger durchaus vorstellen, auch andernorts vergleichbare Projekte und Kooperationen mit Entsorgungsunternehmen anzugehen. Unabhängig davon gibt es überdies Überlegungen, die bei der Biogaswäsche anfallenden Kohlendioxidmengen zu separieren und an eine nahegelegene Biogärtnerei (Gut Wulksfelde) zu liefern. Urban Biogas ist eben richtig grün.
Dierk Jensen