Modernisierungsstau
Zahnloser Tiger BImSchV, wenig Kontrolle und politische Stagnation, Warum im Heizungskeller nichts passiert: Immer mehr bundesdeutsche Heizkessel sind völlig überaltert. Ein Grund: Die letzte Verschärfung der Bundes-Immissionsschutzverordnungen (BImSchV), der Rechtsverordnung zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverschmutzung und Lärm, ist überholt und inzwischen nahezu ohne Wirkung. Das bundesdeutsche Kesselalter steigt permanent, besonders im Bereich 50 bis 100 KW, vor allem bei Ölheizungen.
Jährlich grüßt das Murmeltier: Der Modernisierungsstau
Blättert man zurück ins Jahr 2007, kann man folgendes, veröffentlicht anlässlich der Fachmesse ISH, lesen (Auszug): Die klassischen Öl- und Gasheizkessel mit Niedertemperaturtechnik sind weiter auf dem Rückzug ... die Branche hofft auf ein Anziehen des Modernisierungsmarktes. In zehn bis fünfzehn Jahren werden Solarenergie, Biomasse und Geothermie über die Hälfte des heutigen Wärmebedarfs in Deutschland abdecken können. Mindestens zwei Mio. Heizungsanlagen in Deutschland sind technisch veraltet und müssten dringend durch moderne, energiesparende Wärmetechnik ersetzt werden. Es sollte schon mit dem Teufel zugehen, wenn der Modernisierungsstau in den deutschen Heizungskellern nicht aufzulösen sei ...
Vier Jahre später, heißt es dann (Auszug): Der Modernisierungsstau in deutschen Heizkellern bleibt weiter bestehen: 2011 wurden 16 Prozent weniger energiesparende Heizungen eingebaut als noch 2006. 78 Prozent der Heizanlagen in Deutschland sind weiterhin nicht auf dem aktuellen Stand der Technik und verbrauchen zu viel Energie. Gleichzeitig ist in Deutschland weiterhin viel zu häufig veraltete Heiztechnik in Betrieb. Statt die Fahrt in Richtung Energiewende zu beschleunigen, sind wir mit angezogener Bremse unterwegs. Der Klima- und Ressourcenschutz benötigt eine Verdopplung des Modernisierungstempos ...
Offensichtlich hat sich in Sachen Modernisierung über die letzten Jahre nichts getan. Die Anzahl der dringend zu sanierenden Heizungsanlagen erhöht sich weiter. Analysiert man die jährlichen „Erhebungen des Schornsteinfegerhandwerks“ für die Jahre 2006 bis 2011 wird dies deutlich (siehe Tabelle 1, Bild 1). Die ganze Misere ist auch der Politik bekannt. Alljährlich werden sie schließlich gemäß BImSchV vom Schornsteinfegerhandwerk den jeweiligen für den Immissionsschutz zuständigen obersten Landesbehörden, sowie dem Bundesumweltministerium vorgelegt. Neben den Messungen und Statistiken bezüglich der Mängel an Feuerungs- und Lüftungsanlagen ist in den Erhebungen eine detaillierte Erfassung der Altersstruktur von Feuerungsanlagen enthalten.
Das Problem: Ältere Heizkessel sind häufig überdimensioniert. Eine solche Überdimensionierung war zu Zeiten geringer Energiekosten – also vor der 1. Ölpreiskrise 1973/74 und vor der 2. Ölpreiskrise 1979/80 – aber zum Teil auch noch in den achtziger Jahren üblich. Bei alten Kesseln führt sie zusammen mit einer konstant hohen Kesselwassertemperatur, einer mangelhaften Regelungstechnik und der nach heutigen Maßstäben unzureichenden Wärmedämmung der Heizkessel zu erheblichen Verlusten.
(Hinter) Gründe
Die Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – kurz 1. BImSchV, auch Kleinfeuerungsanlagenverordnung genannt, gilt für kleine und mittlere Feuerungsanlagen. Das sind alle Heizungen im häuslichen Bereich und mittlere Heizungsanlagen bis 1 MW Leistung. Die novellierte BImSchV gilt seit dem 22. März 2010. Der Fokus der Novelle lag vor allem den Emissionsgrenzwerten für Heizungen mit festen Brennstoffen wie Holz und Pellets.
Das fatale: Für Öl- und Gasheizungen gelten großzügige Überprüfungsfristen. Durch diese muss kein Ofen oder Kessel kurzfristig stillgelegt oder ausgetauscht werden. Selbst Anlagen, die vor dem 31. Dezember 1994 errichtet wurden, können bis Ende 2020 unverändert weiter betrieben werden. Anlagen, die zwischen dem 31. Dezember 2005 und 22. März 2010 errichtet wurden, dürfen sogar bis zum 1. Januar 2025 weiterlaufen. Erfüllen sie die Stufe-1-Grenzwerte, können sie auch darüber hinaus weiter betrieben werden. Weitere Ausnahmeregelungen erlauben es beispielsweise gar Einzelfeuerstätten oder eingemauerte Feuerstätten mit Baujahr vor 1950 uneingeschränkt weiter laufen zu lassen.
Was kommt von Seiten der Politik
Leider fordern die Vorschriften bei weitem nicht den Stand der Technik. Es ist müßig darüber zu spekulieren aufgrund welcher Interessen diese Stagnation entstanden ist. Sowohl Hausbesitzerverbände, aber auch die Heizungsbranche arbeiten gegen eine zu „rasche“ Veränderung an. Es sind womöglich weniger die laxen Bestimmungen, die den Fortschritt im Wärmesektor behindern. Die Gesetze spiegeln nur das verkrüppelte Bewusstsein des Konsumenten wider. Statisch auf allen Ebenen. Feind jeglicher Optimierung und Veränderung. Letztendlich profitiert lediglich die Mineralölwirtschaft von dieser Situation.
Die aktuell geplanten Änderungen des BImSchG (nicht der 1. BImSchV) sowie einiger Verordnungen sind ein guter Anlass, das Thema Verschärfung der Abgasgrenzwerte aufzugreifen und somit zu einer Beschleunigung der Heizungsmodernisierung zu kommen. Ein umfassendes Konzept wäre zwar grundsätzlich sinnvoller, jedoch sind die Interessen verschiedener Lobbyverbände offensichtlich nicht unter einen Hut zu bekommen. Die politischen Mühlen mahlen sehr langsam, die private Wärmeversorgung steht auf der Berliner Agenda ganz offensichtlich weit hinten. Es gäbe einige Werkzeuge, die in diesem Zusammenhang hilfreich sein könnten:
- Energiewärmegesetz: EEWärmeG
Über die Wirksamkeit des EEWärmeG lässt sich trefflich streiten. Der Erfahrungsbericht zum Wärmegesetz ist mehr als überfällig, eine Novelle in weiter Ferne. Der Wechsel an der Spitze des BMU hat das parlamentarische Verfahren zudem ausgebremst. - Steuerabschreibung bei Modernisierungsmaßnahmen
Diese, durchaus auch für die öffentlichen Haushalte lukrative Möglichkeit, kommt nicht voran. Bund und Länder streiten sich, wer die möglichen Steuerausfälle trägt. Dass durch zusätzliche Investitionen ein Vielfaches der Steuerförderung wieder in die Kassen gespült wird, scheint leider nicht verstanden zu werden. - Energieeinsparverordnung: EnEV 2012
Bei der aktuellen Novelle der EnEV gibt es keinerlei Verschärfung der Vorgaben für den Bestand. - Marktanreizprogramm Erneuerbare Energien: MAP
Die Fördersätze wurden Mitte August leicht angehoben, neue Marktsegmente mit aufgenommen. Das MAP wäre somit das einzige Instrument,eine Steuerung und Lenkung herbeizuführen: Ehrgeizige Ziele sehen anders aus.
Der Vergleich mit dem Auto
Abschließend ein paar Gedanken als Anregung: Steht das Auto in der Werteordnung immer noch ganz weit oben, ist der Heizungskessel an Attraktivität kaum zu unterbieten. Ein „Gespräch unter Männern“ wird sich wohl auf absehbare Zeit nur sehr selten über den neuen Brenner drehen. Das hat sicherlich viele Gründe, interessant ist jedoch auch, mit welcher Akribie sich die technische Überwachung und staatliche Lenkung hier unterscheidet.
- Fahrzeuge werden gemäß Ihrer Umweltauswirkung (Alter, Hubraum, Schadensklasse) besteuert. Eine entsprechende Klassierung mit Konsequenzen bei Ölkesseln: Fehlanzeige. Zudem wird alten Rostlauben zunehmend die Einfahrt in die Innenstädte verwehrt. Schädliche Luftschadstoffe wie Stickoxide oder Partikelemissionen sind aufgrund verschärfter Euro-Abgasnormen bei modernen Autos um ein Vielfaches besser als bei alten. Für alte Einzelfeuerstätten gibt es kaum Einschränkungen.
- Einen verrosteten Kessel darf beliebig oft zusammenschweißt werden, beim Auto ist da schnell Schluss. Durch die vorgeschriebene Untersuchung beim TÜV erhält der Fahrzeugbesitzer seine Betriebserlaubnis. Diese ist bei älteren Fahrzeugen bekanntlich immer schwieriger zu bekommen. Zudem verspricht man sich als Fahrzeughalter über eine richtige „Einstellung“ des Motors einen optimierten Verbrauch. Im Heizungsbereich existiert das überhaupt nicht. Die Strengen Regelungen bei der ASU sind mit denen der Messungen durch den Kaminkehrer nicht zu vergleichen. Interessant: Beides mal gilt dabei die BImSchV.
- Das Durchschnittsalter der Autos in Deutschland liegt bei gut acht Jahren, Fahrzeuge erreichen damit nur selten ihre mögliche Lebensdauer. Heizkessel übertreffen diese jedoch sehr häufig. Nach 15 bis 20 Jahren ist noch lange nicht Schluss. Der durchschnittliche Listenpreis eines in Deutschland verkauften Neu-Pkw liegt, Stand 2012, bei 25.893 Euro. Die Anschaffung einer Pelletheizung, (Listenpreis, inklusive Steuerung/Regelung) liegt bei 12 bis 16.000 Euro. Grob überschlagen liegen die jährlichen Kosten für ein Auto (ohne Versicherung, Steuer) somit bei gut 3.000 Euro, für einen Heizkessel (inkl. 3.000 Euro für Montage) bei weniger als 1.000 Euro pro Jahr.
Fazit
Möglicherweise ist die Heizungsbranche mittlerweile Opfer ihres eigenen Auftretens geworden. Oftmals gibt es für die Kesselbesitzer als Wartung und Kontrolle das Rundum-Sorglos-Paket. Meist wird der Betrieb der alten Anlage bedenkenfrei bis auf weiteres freigegeben. So lange der Brenner funktioniert, gibt es auch von Seiten der Kaminkehrer nur selten ein Veto. Somit kann man sich als Kunde in Sicherheit wähnen. Stimmen die Abgaswerte muss der Kessel ja noch gut, das wird zumindest unbewusst vermittelt. Die Folge: Die Verbraucher reizen die Möglichkeiten aus, erst der Totalschaden der Heizungsanlage führt letztendlich zu Konsequenzen. Wie unwirtschaftlich die Wärmeversorgung im Endeffekt ist, darüber lassen Fachbetriebe und Schornsteinfeger ihre Kunden leider viel zu oft im Unklaren. Der Energieverbrauch, sprich die Performance der Anlage, spielt absolut keine Rolle. Die Anlage muss laufen und die Werte einhalten, also funktionieren, dann ist sie gut.
Matthias Hüttmann