Sozialverträgliche Energiewende?
Die Transformation umweltfreundlich, wirtschaftlich und sozialverträglich gestalten durch eine gerechte Verteilung der Einkommen und Lasten. Eine Übersicht und Bilanz der in den Jahren 2011 und 2012 geführten Auseinandersetzungen. Teil 1: Energiewende und Erneuerbare-Energien-Gesetz
Die Energiewende
Die Energiewende 2011 bedeutet eine Abkehr von Bisherigem, aber nicht nur von der Atomenergie, sondern auch von zentralisierten Versorgungsstrukturen und bisherigem Verbraucherverhalten. Neben technischen Änderungen ist aber auch eine Bewusstseinswende notwendig. Der Verbraucher soll zum Mitwirkenden werden, durch Energieeinsparung, Kauf energieeffizienter Geräte und die Nutzung Erneuerbarer Energien. Ohne eine Verhaltenswende gibt es auch keine Energiewende.
Das Erneuerbaren Energien-Gesetz und die Umlage
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat das erklärte Ziel, regenerative Energien zu fördern, um aus der fossilen und atomaren Energiewirtschaft auszusteigen. Dahinter stehen ökologische Einsichten und eine neue Risikobewertung der Atomenergie. Das EEG ist seit 12 Jahren erfolgreich, kopiert in über 50 Ländern der Erde, in Deutschland ist es jedoch zu erfolgreich.
Die Energieversorger und die Regierung haben nicht mit einem so großen Engagement umweltbewusster Menschen und innovativer Industrieunternehmer gerechnet. Der Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch in Deutschland ist mit 25% inzwischen größer als der der Atomenergie und Steinkohle mit je 19%.
Finanziert wird die Förderung der Erneuerbaren Energien mit einer Umlage unter den Stromkunden (keine staatliche Subvention). Das ist vergleichbar mit der Autoversicherung (Bonus/Malus-System). Sie beträgt im Jahr 2013 5,3 ct/kWh. Das sind 20% des Haushaltsstrompreises in Höhe von 26 ct/kWh. Aber nur 43% davon sind – wie im Folgenden gezeigt wird – den Erneuerbaren Energien zuzurechnen. Es verbleiben also lediglich 2,3 ct/kWh. Bei einem Dreipersonen-Haushalt mit jährlich 2.500 kWh sind dies gerade einmal 4,80 Euro pro Monat für die Umwelt. Die Handykosten eines solchen Haushalts liegen um das Zehnfache höher!
Das EEG und die Folgen: Gerechtigkeit sieht anders aus
Während immer mehr Länder mit Neid und Anerkennung auf das deutsche Modell zur Förderung der Erneuerbaren schauen, macht sich die deutsche Regierung daran, diese Erfolgsgeschichte auszubremsen. Die Bundesumwelt- und -wirtschaftsminister warnen unisono und populistisch vor den sozialen Folgen steigender Strompreise. Sie befinden sich in guter Gesellschaft mit den großen Energieversorgern, die jahrelang den Ausbau der Erneuerbaren ignoriert hatten.
Dabei geht es nur vordergründig um die Frage der Stromkosten. In Wirklichkeit geht es um die Art der Energieversorgung in der Zukunft: Zentral wie bisher oder dezentral und in Bürgerhand. „Der Streit um die EEG-Umlage zwischen Befürwortern und Gegnern der Energiewende ist also ein Machtkampf zwischen den alten und neuen Stromanbietern“ (Zitat: DIE ZEIT).
Die Schuldigen des Kostenanstiegs sind schnell ausgemacht. Nachdem es im Jahre 2011 nach dem Abschalten von acht Atomkraftwerken keine Stromlücke gab, mussten im Jahre 2012 die Kosten der Erneuerbaren herhalten. Deren Ausbau müsse man begrenzen, obwohl sie an den Strompreissteigerungen in den letzten zehn Jahren nur einen kleinen Anteil hatten, wie später noch gezeigt wird. Dabei nimmt ausgerechnet der Bundesumweltminister eine erstaunliche Position ein: Er ist der erste Minister, der sich „darüber grämt, dass die Ausbauziele der Erneuerbaren schneller erreicht werden als vorgesehen.“ (Zitat: Jürgen Trittin)
Ehrlich gemeinter Klimaschutz sieht anders aus. Der Ruf Deutschlands als stabiler Wirtschaftsstandort wird durch einen fehlenden Masterplan, Planungsunsicherheiten und durch die immer hektischer werdenden Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen beschädigt.
Folglich kommt es von einer ursprünglich positiven Aufbruchstimmung bei der im Jahre 2011 eingeleiteten Energiewende zu einer weitverbreiteten Jammerei. Bedauerlich: Die ungerechtfertigten Angriffe eines Teils der Energieversorger, Politiker und Medien, verbunden mit Halbwahrheiten wegen der vermeintlich hohen Kosten der Erneuerbaren, zeigen inzwischen in der Bevölkerung Wirkung. Mangelnde Sorgfaltspflicht bei den Recherchen oder einfach nur gut gemachte Kampagnenarbeit? Warum soll die Energiewende unsozial sein? Unsozial sind doch nur die prekären Beschäftigungsverhältnisse und die Verteilung der Lasten auf immer weniger Schultern. Die Gründe: Bei den Einkommen erfolgt eine Umverteilung von unten nach oben und bei der Stromprivilegierung der Großverbraucher von oben nach unten (siehe Teil 2 in der nächsten SONNENENERGIE). Immer mehr Marktteilnehmer entziehen sich dem Solidarprinzip.
Es gilt deshalb, gegen die Ursachen dieser ungerechten Umverteilungen vorzugehen und nicht die Energiewende mit all ihren Chancen und Möglichkeiten in Frage zu stellen. Warum fragt denn keiner danach, was es uns kostet, wenn wir keine Energiewende einleiten? Die Energie nicht rationell nutzen und Erneuerbare außen vor lassen? Warum wird die Energiewende so schlecht geredet?
Die Gründe dafür: Es gibt nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer bei diesem Poker, und letztere kommen ein Jahr nach Fukushima wieder aus der Deckung. Die Regierung sollte dabei aber weniger die Interessen der Energiekonzerne im Auge haben, sondern mehr die positiven Aspekte der Energiewende herausstellen (siehe folgendes Kapitel). Nicht gerechtfertigte Warnungen vor Stromknappheit (2011) und unbezahlbarer elektrischer Energie (2012) sind da nicht hilfreich – Hinweise auf die hohen Subventionen der konventionellen Energieträger und deren Umweltzerstörung dagegen schon (siehe Abschnitt „Kosten der konventionellen Energien“ unten).
Erforderliche Maßnahmen
Die Energiewende kostet erst einmal etwas, sie eröffnet aber auch neue Chancen und bringt einen Nutzen, den es gilt, mehr als bisher herauszustellen. Das haben jüngst mehrere Forschungsinstitute im Auftrag des Bundesumweltministeriums getan. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass im Jahre 2011 der Nutzen der Erneuerbaren Energien durch vermiedene Umweltschäden und positive wirtschaftliche Effekte mit 21 Mrd. Euro deutlich höher ist als deren Kosten von 14 Mrd. Euro. Weiterhin schlagen bei den Energieeffizienzerhöhungen und Erneuerbaren positiv zu Buche:
- Verringerte fossile und atomare Energieimporte im Wert von 6 Mrd. Euro (BMU)
- Geringe Betriebskosten, keine Folgekosten (Atommüll)
- Preisdämpfender und stabilisierender Einfluss an der Strombörse
- 380.000 Arbeitsplätze, Wertschöpfung in der Region
- Klimaschutz und Nachhaltigkeit.
Die Energiewende ist ein ehrgeiziges Vorhaben über Jahrzehnte. Die Anstrengungen werden sich aber nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch rechnen. Gespannt und voller Achtung schauen immer mehr ausländische Regierungen auf das deutsche Experiment, etliche davon schütteln aber auch nur den Kopf, wie verbissen die Deutschen die Auseinandersetzungen führen: So kann man sich auch um eine einmalige Chance bringen. Unsere Kinder und Enkel werden einmal über uns richten, ob wir die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, die „Schöpfung zu bewahren“.
Es gibt im Wesentlichen drei Maßnahmen, um das Jammern über steigende Preise zu begrenzen, den Stromverbrauch und damit die Kosten zu senken und um die Energiewende zu bewältigen:
1. Energieeinsparung
- Anreize für sparsamen Umgang mit der Energie schaffen: Gestufte Strompreise mit einer Grundversorgung zu einem sehr günstigen Preis; darüber hinaus wird es stufenweise teurer; bei sehr hohen Verbräuchen sogar deutlich teurer als heute.
- Stromspar-Check für einkommensschwache Haushalte: Beratung und Sensibilisierung für Stromverbräuche, Aufklärung über die Prioritäten
- Einfache und günstige Sofortmaßnahmen: Schaltbare Steckdosenleisten, LED-Leuchten, kein unnötiger Betrieb (TV/Computer/ Drucker/ Router), Bereitschaftsstrom, Verzicht auf unnötige elektrische Verbraucher (Zahnbürste, Brotschneidemaschine, Laubbläser, ...)
2. Energieeffizienz
- Austausch von mehr als 15 Jahre alter „weißer Ware“ durch solche mit höherem Wirkungsgrad; der Nutzen ist größer als die Kosten (Energieagentur Freiburg)
- Bereitschaftsstrom (Stand-By, Good-Bye): Verringerung der Leerlaufverluste von elektrischen Geräten; Nachfragen beim Neukauf, denn „AUS ist nicht AUS“.
- Austausch ungeregelter Heizungs-Umwälzpumpen gegen Hocheffizienz-Pumpen.
Steigende Energieeffizienz kann den Strompreisanstieg deutlich abmildern. Das Bundeswirtschaftsministerium hat jedoch gerade der EU-Energieeffizienz-Richtlinie nach längerer Blockade nur stark „verwässert“ zugestimmt.
3. Erneuerbare Energien
Die Erneuerbaren Energien haben Dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes eine beispiellose Erfolgsgeschichte hinter sich. Ihr Anteil an der deutschen Stromversorgung ist inzwischen auf 25% angewachsen. Knapp die Hälfte davon deckt die Windenergie an Land ab; sie ist mit 9 ct/kWh die preiswerteste unter den Erneuerbaren.
Windkraft in der Nord- und Ostsee spielt noch keine erwähnenswerte Rolle, sie kostet aber etwa doppelt so viel wie die Windkraftnutzung an Land. Trotzdem fördert die Bundesregierung diese Technik, vermutlich, weil die hohen Kosten nur die großen Energieversorger stemmen können.
Die Photovoltaik hat einen Anteil von 4% an der deutschen Stromversorgung und ist mit 18 ct/kWh so teuer wie die Windkraftnutzung auf See. Obwohl beide Techniken preislich vergleichbar sind, jammert die Energiewirtschaft nur über die Kosten der Solarstromerzeugung. Dabei haben sich deren Preise seit 2007 schon halbiert. Inzwischen ist der Solarstrom deutlich billiger zu haben als der Strom aus der Steckdose mit 26 ct/kWh.
Kosten der konventionellen Energien
Bei der ganzen Diskussion um die Kosten der Erneuerbaren Energien wird gerne vergessen, dass auch die bisherige Energieversorgung teuer war und ist. Es gibt immer noch enorme Subventionen für Kohle und Atomkraft. Berücksichtigte man auch noch deren externe Kosten, wie z.B. die Luftverschmutzung, das Abwälzen von Risiken auf die Stromverbraucher und Steuerzahler und die noch fehlende Endlagerung des Atommülls, dann müsste der Strompreis um 10 ct/kWh höher als heute liegen. Bei einer ehrlichen Debatte gehören diese Kosten als „Fossil-nukleare Energie-Umlage“ aber mit auf die Stromrechnung und müssten transparent kommuniziert werden.
Die Energieversorger erhielten von 1970 bis 2012 staatliche Förderungen in Höhe von 311 Mrd. Euro für die Steinkohle, 213 Mrd. Euro für die Atomkraft und 87 Mrd. Euro für die Braunkohle, also mehr als 600 Mrd. Euro für die Konventionellen. Die staatlichen Ausgaben für die Erneuerbaren beliefen sich dagegen auf nur 67 Mrd. Euro, also nur rund 10% der Gesamtförderung.
Irreführungen
Die Mär von den Stromlücken
Nach dem Abschalten von acht der siebzehn Atomkraftwerke im Jahre 2011 schürten die großen Energieversorger Angst vor einem Kollaps der Stromversorgung. Das ist nicht neu: Schon vor 35 Jahren warnte ein Ministerpräsident in Baden-Württemberg: „Wenn das Atomkraftwerk in Wyhl am Oberrhein nicht gebaut wird, dann gehen die Lichter aus.“
Doch nichts von alledem ist wahr, auch wenn es wiederholt wird, immer begleitet von hoher medialer Präsenz. So auch nach Fukushima im Jahre 2011: „Ein beschleunigter Ausstieg aus der Atomenergienutzung gefährdet die Zukunft.“ Man müsse Strom aus Frankreich und Tschechien zukaufen. Doch das Gegenteil war der Fall. Trotz einer Halbierung der Anzahl der Atomkraftwerke exportiert Deutschland per Saldo nach wie vor Strom ins Ausland, und zwar in einer Menge, die zwei Atomkraftwerken entspricht (ISE). Die Konzerne haben also das Abschalten von acht nuklearen Meilern dank des wachsenden Anteils der Erneuerbaren Energien locker weggesteckt.
Die Mär von den hohen Strompreisen
Nachdem sich das Schüren von Angst vor einer Stromknappheit nicht bewahrheitete, kommt die nächste Angst. Energiekonzerne, Wirtschaftsverbände, einflussreiche Teile der Regierung und schlecht recherchierende Medien erwecken jetzt den Eindruck, die Energiewende sei unbezahlbar. Ja, sie entdecken auf einmal ihr soziales Mitgefühl für einkommensschwache Haushalte. Besonders heftig legen sich die Leute ins Zeug, die Kapitalrenditen von 20% für normal erachten.
Sie agieren dabei mit Halbwahrheiten durchaus erfolgreich. Wann klären die Verbände Solar, Wind und Energieverbraucher mehr als bisher über die tatsächlichen Verhältnisse auf? Wann fordern sie mehr Transparenz bei der Strompreisgestaltung und den externen Kosten der konventionellen Energieerzeugung?
Fakt ist doch, dass die konventionellen Energien begrenzt, umweltschädlich und risikoreich sind und immer teurer werden. Die Erneuerbaren Energien lassen sich dagegen nach menschlichem Ermessen ewig nutzen und wirken bereits mittelfristig stabilisierend auf die Strompreise ein. Die EEG-Umlage stieg von 2000 bis 2012 nur um 3,3 ct/kWh an, der Strompreis für die Haushalte dagegen um 10 ct/kWh (ISE). Zweidrittel der Verteuerung in den letzten zwölf Jahren fand also unbeeinflusst von der EEG-Umlage statt! Diesen Umstand nehmen die Regierung und die Energieversorger gerne nicht wahr.
Der Teil 2 des Beitrages im nächsten Heft zeigt, dass den Erneuerbaren Energien noch Kosten zugerechnet werden, die mit ihnen nichts zu tun haben. Krasse Beispiele dazu sind die Befreiung stromintensiver Betriebe von Steuern und Abgaben und die Abwälzung von unternehmerischen Risiken auf die Kleinverbraucher.
Dr. Falk Auer