Zweitausenddreizehn Thesen
Meine These: Die Energiewende geht nur mit einer anderen Gesellschaft. Weihnachten ohne Atom war wieder herrlich. Ich lese im Heimaturlaub zwischen den Jahren immer den Stromzähler meiner Photovoltaikanlage ab, was eine wunderbare Aufgabe ist. Noch schöner ist jetzt der Januar 2013, seit wir unseren eigenen Windstrom in Maastricht zuhause verbrauchen können, womit ich neulich mal so richtig angegeben hatte. Angeben ist bekanntlich eine eher unerfreuliche Charaktereigenschaft, allerdings in der produktfixierten Konsumgesellschaft schlicht systemimmanent. Deshalb auch in Sachen Nachhaltigkeit erste Bürgerpflicht.
Ohne die unglaubliche Aufdringlichkeit der Smartphone Angeber wäre beispielsweise die Verbreitung dieses Spielzeugs nicht so toll gelaufen (und ich hätte wohl keines gekauft). Deshalb gebe ich auch ständig auf Familienfeiern oder bei meinen Nachbarn mit meinem Eigenstrom an. Ich behaupte, Eigenstrom wird der große Trend 2013 in ganz Europa, und wer immer noch keinen hat, ist völlig uncool. Ich werde sogar von meiner niederländischen Windradgenossenschaft einen App kriegen, der mir die aktuelle Produktion auf meinem Smartphone anzeigt. Diese Kombination ist natürlich die Krönung des Angebertums. Damit zeige ich dann meinen Freunden, dass Strom von Energiekonzernen so sexy ist wie Windows 95.
Nachdem ich den Strom an Weihnachten abgelesen hatte, blieb Zeit ein paar Studien zu lesen. Empfehlen kann ich die 12 Thesen zur Energiewende der Initiative Agora. Thesen find ich immer gut, klingt nach ganz lange nachgedacht. „Grundlastkraftwerke gibt es nicht mehr. Gas und Kohle gehen in Teilzeit.“ Ist beispielsweise These Nummer 2. Das widerspricht der landläufigen Meinung der Energiewendegegner, es bräuchte noch längerfristig sogenannte Grundlastkraftwerke. Bei dem ganzen Durcheinander in den deutschen Medien in Sachen Kosten, Solar-Bashing, Leitungen und Speicher sind die Thesen erhellend.
Auch Agora meint im Wesentlichen übernähmen Solar und Wind die deutsche Stromversorgung (These 1), weil sie die günstigsten seien, eben auch mit Blick auf Kohle und Gas. Das Potenzial anderer Erneuerbarer (Wasser, Biomasse, Geothermie) sei eher beschränkt. Dabei ist für eine breite Öffentlichkeit immer noch überraschend, dass die Photovoltaik im sonnenarmen Deutschland eine so wichtige Rolle spielt.
Agora hat berechnet, dass bereits 2015 Onshore-Wind und PV Vollkosten von 7-10 Cent erreichen. Mit sogenannten Back-up Kapazitäten sei das nicht teurer als neue Gas und Kohlekraftwerke. Weitere Thesen beschäftigen sich mit Netzen und Speichern (These 5), wobei insbesondere kurz und mittelfristig nicht Speicher, sondern der Austausch mit Nachbarländern betont wird. Auch gegen den bisherigen Medienmainstream: das Importieren von Strom bei Wind und Sonnenflaute ist nicht etwa Versagen, sondern wichtiger Bestandteil des gewaltigen Ausbaus der Erneuerbaren.
So sei es kurzfristig auch viel sinnvoller, diesen bei Überschuss zu exportieren, als zu Speichern. Das ist spannend, denn ich finde dagegen heute schon Batteriesysteme im Eigenheim genial. Wegen Eigenstromemotionen. Und da sind wir auch bei einem großen Problem der bisherigen Energiewendedebatte. Auch die Agora Thesen sind fast ausschließlich technisch-ökonomischer Natur. Die gesellschaftlichen und emotionalen Voraussetzungen werden nicht diskutiert. Überhaupt wird so getan, als sei der Umbau beim Strom eine Energiewende.
Nein, mein Vorsatz für 2013: ich werde selbst an 12 Thesen zur Energiewende arbeiten.
These 1 hab ich schon: Die Stromwende ist Pipifax im Vergleich mit der Verkehrs-, Ernährungs- und Heizungswende, weil es mehr um technische Innovationen und weniger um Verhalten geht.
These 2: Wesentliche Blockaden der umfassenden Energie- und Nachhaltigkeitswende sind nicht technischer und ökonomischer Natur, sondern kultureller und emotionaler.
Beispiel: Die deutsche Gesellschaft könnte in wenigen Jahren locker 50% weniger Benzin und Diesel verbraten im privaten Autoverkehr. Das wäre technisch machbar (mit Kleinwagen!) und sogar finanziell sehr attraktiv.
These 3: Für die Energiewende müssen wir uns deshalb eine andere Gesellschaft suchen.
Das war jetzt Spaß, denn man muss natürlich nehmen, was da ist!
Martin Unfried