Smart Grid
Die Energiewende von unten: Um es vorweg zu nehmen: Die Energiewende findet nicht ausschließlich auf dem Meer statt, sie besteht nicht nur aus Offshore-Windparks, neuen Kohlekraftwerken und Hoch – und Höchstspannungsleitungen, sie beginnt vielmehr von unten im Verteilnetz bei 230/400 Volt in jedem Haushalt.
Früher: Der Strom kommt aus der Steckdose
Seit Jahrzehnten wird dem Tarifkunden, dem einfachen Haushaltsstromnutzer erzählt, dass er zu jeder Zeit beliebig viel Strom zu einem einheitlichen Preis (Tarif) geliefert bekommt.
Ganz nach dem alten Wahlspruch eines großen nordhessischen Regionalstromversorgers: „Strom kommt sowieso ins Haus, nutz das aus“. Es gibt zwar einige Ausnahmen von diesem einheitlichen Tarif (z.B. die Unterscheidung von HT, NT, für Wärmepumpen und Elektrospeicherheizungen etc.) aber der technisch-wirtschaftliche Hintergrund bleibt dem Tarifkunden in der Regel unverständlich.
Das wird in Zukunft anders werden, anders werden müssen, doch der normale Tarifkunde wird nicht so schnell umlernen können: „von der generell verbrauchsabhängigen Erzeugung zum teilweise erzeugungsabhängigen Verbrauch“ 1). Das wird ein langer Weg werden, den jeder zurück zu legen hat. Vor allem eine Herausforderung für die Bürgerinnen und Bürger.
Jetzt: Energie in alle Richtungen
Eine weitere Herausforderung für die Energiewende und somit das Smart Grid 2) ist die Sicherheit. In der Vergangenheit (s.o.) waren die elektrischen Netze vor allem Einbahnstraßen: Die Energie floss vom Kraftwerk zum Nutzer nur in einer Richtung. Jetzt aber haben wir es mit dem Durcheinander eines großen Marktplatzes zu tun: die Energie kann in alle Richtungen fließen. Hier muss nun zweierlei sichergestellt werden:
- die Sicherheit der Anlagen für den Nutzer, d.h. der Ausschluss jeder Gefährdung von Leib und Leben der Nutzer des Smart Grid (siehe Artikel „Guerilla-PV“ in dieses Ausgabe).
- die Sicherheit der Versorgung, da unser modernes Leben essenziell von einer unterbrechungsfreien Stromversorgung abhängig ist.
Welche Einstiege und welche Schritte erscheinen sinnvoll und möglich auf diesem langen Weg von der Einbahnstraße zum Marktplatz?
Auf der Seite der Bereitstellung und Erzeugung von elektrischer Energie ergeben sich die folgenden Stufen:
Erste Stufe
Die Erzeugung und der Eigenverbrauch ohne Einspeisung (Guerilla-PV, Guerilla-Hometrainer, Kleinstwindanlagen, Mikro-Kraftwärmekopplung etc.).
Hier handelt es sich um Kleinstanlagen im Privatbesitz der Nutzer, die mit wenigen 100 Watt Leistung Strom erzeugen, der die Grundlast im Haushalt bedient, also den Bezugszähler langsamer laufen lässt und damit zur Entlastung des Verteilnetzes beiträgt. Diese kleinen Kraftwerke bestehen in der Regel aus einem Generator und einem Wechselrichter, der den erzeugten Strom netzkonform umformt und alle Sicherheitskomponenten enthalten muss, um eine sichere Verbindung mit dem Hausnetz zu gewährleisten.
Zweite Stufe
Die Erzeugung und der Eigenverbrauch mit Einspeisung (Photovoltaik, BHKWs, Batteriespeicher mit Energiemanagement-Systemen etc.).
Hier handelt es sich um PV-Anlagen, die die ganze Dachfläche einnehmen, Anlagen von 1 bis 5 kWP, verbunden mit einem Batteriespeicher im Haus. Der am Tag erzeugte Strom wird entweder, gesteuert durch Energiemanagement-Geräte, direkt genutzt indem einzelne Geräte wie Spül- oder Waschmaschine in Betrieb genommen werden oder auch in Batterien gespeichert, um dann in den Abend- und Nachtstunden die Versorgung im Haushalt zu übernehmen. Erst wenn die Batterien nicht mehr liefern können wird Strom aus dem Verteilnetz bezogen. Tägliche Überschüsse an Strom werden ins Verteilnetz eingespeist. (Bild 1 und 2)
Dritte Stufe
Die Erzeugung in größeren Anlagen zur Nutzung Erneuerbarer Energien aus Sonne, Wind und Wasser, sowie Biomasse, verbunden mit einem regelbaren Ortsnetztransformator.
Der regelbare Ortsnetz-Transformator ersetzt den in der Einbahnstraße üblichen Transformator mit feststehendem Übersetzungsverhältnis. Er kann automatisch das Netz dem Angebot aus Erneuerbaren Energien anpassen, indem er das Übersetzungsverhältnis verändert. Das ist wichtig, damit keine überhöhte Spannung im Verteilnetz die Nutzer gefährdet. Durch diese Anpassung ist es außerdem möglich das 2 bis 3-fache an Erneuerbaren Energien in das normale Verteilnetz einzuspeisen, ohne neue Leitungen zu verlegen.
Vierte Stufe
Die Kombination der Ortsnetzstation mit einer Power-to-Gas Station und einer stationären Batterie.
Die Verbindung von Stromnetz und Gasnetz erfolgt über eine Elektrolyse- bzw. Methanisierungsstation, in der überschüssiger Strom aus Erneuerbaren Energien zu Wasserstoff bzw. Methan umgewandelt und ins Erdgasnetz eingespeist werden. Bei einem Batteriespeicher wird elektrischer Strom in chemischer Form eingelagert und kann als Strom wieder entnommen werden.
Fünfte Stufe
Die Einspeisung von Windparks, PV- Großanlagen etc. in das 20 kV–Netz und damit die Herstellung der Verbindung zur übergeordneten regionalen Spannungsebene.
Mit dieser Stufe verlassen wir das Smart Grid und stellen die Verbindung zur nächsthöheren Netzebene her. In den Haushalten selbst wird der Smart Meter eingebaut werden, ein Zähler der mehr kann als nur die im Haushalt verbrauchten Kilowattstunden zu zählen.
Der Energieverbraucher ist gefordert
Von Seiten der Nutzer werden größte Anstrengungen notwendig werden, um aus weniger Energie mehr Nutzen herauszuholen (Effizienzsteigerung). Dies gilt für alle Bereiche, die privaten Haushalte, Gewerbe, Industrie, Dienstleistung. Die Sanierung der Gebäude im Bestand nimmt dabei eine herausragende Stellung ein. Es ist anzunehmen, dass Gewerbe und Industrie versuchen wird, die Energieversorgung zunehmend in die eigenen Hände zu nehmen und ihre Produktionsprozesse klima- und CO2-neutral zu gestalten.
Folgende Grundsätze werden dabei an Bedeutung gewinnen:
1. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss so effizient wie möglich dort vorgenommen werden, wo die Energie benötigt wird. Es muss vermieden werden Energie mittels großer Hochspannungsleitungen über weite Entfernungen zu übertragen.
2. Der Ausbau der Netze muss auf den verschiedenen Ebenen besser mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien abgestimmt werden. Die Erneuerbaren Energien mit dem Netzausbau abstimmen, hieße sie zu deckeln und zu verhindern.
3. Kraftwerke und Industrie als Erzeuger und Verbraucher von Energie werden sich zunehmend am gleichen Standort ansiedeln, um teure Leitungen zu vermeiden.
Fußnoten
1) Prof. Dr. Gerd Hauser vom Fraunhofer IBP am 09.03.2012 in Kassel
2) Der Begriff Smart Grid steht für ein intelligentes Stromnetz mit kommunikativer Vernetzung und Steuerung von Stromerzeugern, Speichern, elektrischen Verbrauchern und Netzbetriebsmitteln.
Harals Wersich