Effizienzhaus mit Plus?
Erste Ergebnisse des Modellvorhabens Effizienzhaus Plus: Gebäude, die mithilfe von regenerativen Techniken mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen. Dieses Konzept existiert bereits seit längerem und wurde auch schon mehrfach in die Praxis umgesetzt. Nun hat sie auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, kurz BMVBS in seinem Förderprogramm Modellvorhaben im Effizienzhaus Plus Standard formuliert. Das Ziel: Den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen im Gebäude- und Verkehrssektor deutlich zu reduzieren. Deutschlandweit sind bisher über 10 solcher Wohngebäude im Effizienzhaus Plus Standard gebaut worden.
Das Effizienzhaus Plus in Berlin, wurde 2011 errichtet, es ist 2010 aus einem öffentlich ausgelobten Architektur- und Hochschulwettbewerb hervorgegangen. Es soll Vorbildcharakter haben und zeigen, dass Klima- und Umweltschutz nicht Verzicht bedeuten, sondern energieeffizientes Wohnen und umweltfreundliches Fahren mit gehobenem Lebensstandard vereinbar sind. Nach Ansicht des Bauherren, Minister Peter Ramsauer, wird dieses Projekt aktuellen Zukunftsvisionen im Bau- und Verkehrsbereich zum Durchbruch verhelfen.
Auf der Internetseite des BMVBS 1) gibt es einen Einblick über das Energiekonzept und die technische Ausstattung. Ein online Monitoring zeigt alle relevanten Daten. Ministerialrat Hans-Dieter Hegner ist von dieser Transparenz hellauf begeistert: „Hier können Sie alles verfolgen, auch wenn wir scheitern“ 2). Anhand der dort vorliegenden Daten untersucht dieser Artikel die tatsächlichen Energiegewinne und die daraus resultierende Energieeffizienz. Soweit möglich werden Rückschlüsse auf die Zukunftsfähigkeit und Praxistauglichkeit des Konzepts gezogen. Welchen konkreten Nutzen hat das Projekt für private Bauherren und die Energiewende?
Liefert die PV Stromüberschuss?
Die Photovoltaikanlage soll mehr Energie erzeugen als das Haus verbraucht. Der jährliche Stromüberschuss, der laut Berechnungen 9.933 kWh beträgt, stünde für die private Elektromobilität zur Verfügung. Nach den aktuellen Daten wurden von März 2012 bis Januar 2013 ca. 13.100 kWh produziert. Die Überschüsse belaufen sich somit auf ca. 1.800 kWh und können den Hausverbrauch inkl. Batterieverluste für Heizung, Warmwasser, Hilfsenergien für Anlagentechnik, Elektrogeräte und Beleuchtung von ca. 11.300 kWh rein rechnerisch noch decken (siehe Bild 2–4). Jedoch werden die Überschüsse, nach Ende des ersten Jahreszyklus, wohl noch deutlich schwinden. Vom erwarteten Jahresertrag, den 16.625 kWh, ist man aktuell noch weit entfernt. Der gesamte PV-Ertrag könnte ca. 13.300 kWh erreichen. Der Energiebedarf wird im gleichen Zeitraum ebenso noch zunehmen. Geht man von 1.500 kWh aus, pendelt sich dieser dann bei 12.800 kWh ein.
Verschwundener Hausverbrauch
Das sieht schon besser aus, denn bis November 2011 war mit einem Energieplus nicht zu rechnen, zu hoch waren die Verbräuche im Gebäude. Der Kniff: Im Zuge der letzten Aktualisierungen wurden die Bemessungsdaten im Internet ohne nähere Erläuterung stark überarbeitet. Mit der Einspielung der Dezember- und Januardaten wurde die Grafik „Außenbeleuchtung/Infoquelle“ in „Projektspezifisch“ umbenannt. Gleichzeitig wurden die Werte für den Hausverbrauch herabgesetzt (rot-schraffierte Flächen in Bild 3). Würde man die ca. 4.200 kWh aus den projektspezifischen Verbrauch, der leider nicht näher erklärt wird, noch zum Hausverbrauch rechnen, läge dieser bei ca. 17.000 kWh. Das Haus hätte dann eine negative Bilanz in der Höhe von knapp 4.000 kWh.
Auch andere Modellprojekte aus dem Effizienzhaus Plus Förderprogramm, wie das SchwörerHaus und Bien-Zenker, können vorrausichtlich keine Stromüberschüsse erzeugen. Lediglich das Haus in Leonberg wird wohl ein sehr deutliches Plus von mehr als 5.000 kWh erzielen. Die Betrachtung der Stromüberschüsse ist allerdings nur rein bilanzielle und hat nichts mit der tatsächlichen zeitlichen Übereinstimmung von Sonnenstromangebot und Strombedarf zu tun. Im Hinblick auf die Energiewende tragen jedoch nur die selbst erzeugten Energiemengen, welche im Haus direkt genutzt werden, zur Entlastung der Stromnetze und so zu wirklichen Einsparungen bei.
Eigenverbrauchsanteil des selbstproduzierten PV-Stroms
Um eine hohe Eigenverbrauchsquoten zu erreichen, betreiben die Effizienzhäuser einen erheblichen technischen Aufwand. Elektronische Bussysteme haben dabei die Aufgabe, durch Lastverschiebungen, die Betriebszeiten von elektrischen Verbrauchern dem Angebot des Sonnenstroms anzupassen. Der selbst erzeugte Strom wird in Akkus zwischengespeichert. Zusätzlich können Elektrofahrzeuge die Stromüberschüsse nutzen. Das Effizienzhaus Berlin verfügt beispielsweise über zwei Elektrofahrzeuge und ein E-Bike. Das Regelungssystem berücksichtigt dabei auch Witterungsprognosen, um optimale Ladestrategien für die 40 kWh Lithium-Ionen Batterie, die den selbst erzeugten Strom zwischenspeichert, zu entwickeln. Dadurch wird eine jährliche Eigenverbrauchsquote von 50?% erreicht. Die anderen Modellvorhaben liegen deutlich darunter: In Leonberg beträgt der Eigenverbrauch etwa 33?%, in Bien-Zenker 30?%. Das SchwörerHaus hat mit 28?% die niedrigste Quote. Damit sind die Effizienzhäuser, trotz hohem technischen Aufwands, noch weitgehend abhängig vom Stromnetz und sorgen vor allem in der kalten Jahreszeit für zusätzliche Lasten. Ein durchschnittliches Einfamilienhaus kommt auch ohne technische Extras, abhängig vom Nutzerverhalten und der Photovoltaikanlagengröße auf eine Eigenverbrauchsquote zwischen 15 und 30?%.
Solarer Deckungsanteil des Gesamtstrombedarfs
Das Berliner Effizienzhaus Plus kommt auf einen solaren Deckungsgrad von ca. 31?%, benötigt dafu?r dafu?r allerdings 21 kWp Photovoltaik. Die Module belegen dabei 98 m2 der Dachfläche und 73 m2 der Fassade. Die solare Deckung der übrigen Effizienzhäuser, welche über ähnliche technische Ausstattung verfügen, erreichen solare Deckungsraten um 30?%, lediglich das Haus in Leonberg ragt mit 49?% hervor.
Zum Vergleich: Um einen solaren Deckungsanteil von 30?% (Wärmeversorgung) in gut gedämmten Gebäuden ähnlicher Größenordnung zu erreichen, sind lediglich 15 bis 20 m2 Kollektorfläche und ca. 2.000 Liter Pufferspeichervolumen nötig. Mit ca. 20.000?€ (ohne Akku und Energiemanagement) sind die Investitionskosten knapp ein drittel niedriger als die der Photovoltaik des Effizienzhaus Plus Berlin.
Hoher Jahresstrombedarf sorgt für hohen Primärenergiebedarf
Die Gebäudehülle des Effizienzhaus Plus wurde auf Passivhausniveau gedämmt, zudem wurde in die Zwischenräume der Holztafelbauweise bis zu 74?cm Zellulosedämmung eingeblasen. Der Jahresstrombedarf des Berliner Hauses liegt dennoch bei ca. 12.800 kWh. Bei einer solaren Deckung von 31?%, verbleiben etwa 9.000 kWh, die aus dem Netz bezogen werden müssen. Zum Vergleich: Ein Passivhaus hat einen Endenergiebedarf von etwa 3.500 kWh, ein Sonnenhaus liegt bei etwa 5.000 kWh 3).
Da die komplette Energieversorgung des Gebäudes auf Strom basiert, selbst Heizung und Warmwasser werden über eine 5,8 kW Luft-Wasserwärmepumpe mit 288 l Warmwasserspeicher und Kompaktlüftungsgerät gedeckt, ist der Primärenergiebedarf sehr hoch: Bei einem Primärenergiefaktor für Strom von 2,6, ergibt sich ein jährlicher Primärenergieverbrauch von ca. 23.000 kWh. Die Effizienzhäuser Leonberg und Schwörerhaus haben zwar deutlich geringere Endenergieverbräuche, der Primärenergieverbrauch liegt aufgrund der strombasierten Heizsysteme und Warmwasserbereitung mit knapp 14.000 kWh ebenfalls sehr hoch.
Zum Vergleich: Ein gedämmter Altbau, bewohnt von drei Personen mit 175 m2 beheizter Fläche, ausgestattet mit einer Pelletsheizung und einer 16 m2 großen Solarthermieanlage, benötigt jährlich ca. 15.000 kWhth für Heizung und Trinkwarmwasserbereitung und ca. 3.500 kWhel 4). Daraus ergibt sich ein Primärenergieverbrauch von 12.100 kWh (3.000 kWh für die Pelletsheizung mit Primärenergiefaktor von 0,3 und 9.100 kWh für den Strom).
Sinkende Einspeisevergütung – steigende Stromkosten
Ist die Inbetriebnahme der Photovoltaikanlage des Effizienzhaus Plus Berlin noch im Dezember 2011 erfolgt, wird eine Einspeisevergütung in Höhe von 28,74 ct/kWh fällig. Bei einer prognostizierten Rückspeisung in Höhe von ca. 6.700 kWh ergibt sich ein Plus von 1.926 €. Der „günstige“ Wärmepumpentarif bei Vattenfall Berlin beträgt 22,51 ct/kWh 5), die Kosten für 8.900 kWh Endenergiebezug betragen somit 2.003 €. Somit können die Erlöse aus der Einspeisevergütung die Kosten für den Energieverbrauch bei weitem nicht decken. Die Schere wird in Zukunft sogar noch weiter auseinander gehen: Je später die Inbetriebnahme erfolgt, desto geringer sind die Erlöse aus der Einspeisevergütung. Auch die Strombezugskosten werden sicherlich nicht auf dem heutigen Niveau bleiben.
Schnittstelle Mensch – Technik
Seit März 2012 wird das Haus von einer 4-köpfigen Familie für 15 Monate auf Alltagstauglichkeit getestet. Die Familie Welke-Wiechers wird von einem sozialwissenschaftlichen Monitoring, das vom Berliner Institut für Sozialforschung GmbH (BIS GmbH) durchgeführt wird, begleitet. Es soll u.a. herausgefunden werden, wie die moderne Technologie genutzt und akzeptiert wird. Die meisten Effizienzhäuser sind mit einer Art Bedienungsanlage fürs Haus ausgestattet: via Touchscreen und Smartphone lassen sich viele alltägliche Funktionen wie Licht, Rollos, Türen und die Belüftung steuern.
Ein erster Rückblick am 23.11.2012 1) zeigt, dass sich die Familie sehr wohl fühlt im Haus und den Komfort genießt ohne ein schlechtes Gewissen zu haben wegen ihrer Energieverbräuche die Umwelt und das Klima zu schädigen. Die Umstellung auf die moderne Haustechnik ist kein Problem. Außer der Lüftungsanlage, die im Sommer warme Luft nach innen in die Wohnräume transportiert hat, ist das Energiemanagement zwischen Photovoltaik und Wärmepumpe gut abgestimmt und die Bewohner müssen sich nicht darum kümmern. Allerdings findet Herr Welke (Telefonat im Januar 2013), dass das viele automatisierte Bedienen oft nur dem Komfort unterstützt und weniger oder nur sehr beiläufig das Energiesparen. Er selber würde, wenn er ein Haus baut, auf die Techniken für den Komfort verzichten und lediglich reine Energiespartechniken auswählen. Das senkt den Energieverbrauch und vermindert die Fehleranfälligkeit.
Effizienzhaus Plus – erweitertes Energiekonzept nötig
Fasst man die Erkenntnisse aus den bisherigen Bemessungsdaten zusammen, erzielen die Effizienzhäuser weder ein tatsächliches Plus noch sind sie besonders effizient. Die Kombination Wärmepumpe und Photovoltaikanlage bildet bei den meisten Effizienzhäusern die Grundlage des Energiekonzepts. Der rein bilanzielle Überschuss wird dabei als Plus betrachtet. Dabei bleibt immer noch ein hoher Jahresstromverbrauch, der aus dem Netz gedeckt werden muss. Da auch die Wärme fürs Heizen und zur Warmwasserbereitung mit Strom erzeugt wird und somit ein hoher Primärenergieeinsatz nötig ist, ist das Effizienzhaus Plus in doppeltem Maße ineffizient: Es bietet weder wirtschaftlich noch ökologisch gesehen eine sinnvolle Zukunftsvision. Im Hinblick auf die Energiewende könnte es sich sogar als kontraproduktiv erweisen: Im Winter sorgen Wärmepumpen für zusätzliche Lasten im Stromnetz, bei einer Forcierung könnte auch der Bau von weiteren Kraftwerken erforderlich werden. Im Sommer bereiten die großzügig ausgelegten Photovoltaikanlagen dem Stromnetz Lastspitzen, die es verkraften muss.
Eine Erweiterung dieses Energiekonzepts ist daher dringend nötig: Anstatt den kompletten Energieverbrauch rein bilanziell über PV decken zu wollen, kann Solarthermie dies viel effizienter für den Wärmeenergiebedarf übernehmen. Hier gibt es längst genügend gebaute Beispiele, die zeigen dass Deckungsraten zwischen 50–100?% mit vertretbarem technischem und finanziellem Aufwand erreicht werden können. Der Energieverbrauch der strombasierten Anwendung kann dann über eine bedarfsgerecht ausgelegte PV-Anlage reduziert werden. Zudem ist der Einsatz von Luftwärmepumpen nicht unproblematisch, da sie in den kalten Wintermonaten nur sehr geringe Arbeitszahlen erreichen und zeitweise als reine Stromdirektheizungen fungieren. Abschließend ist zu abzuwägen, wie weit wir unser Wohnen in Zukunft mit Technik überfrachten möchten. Ein gezielter Verzicht auf den ein oder anderen technischen Komfort kann für Umwelt und Mensch durchaus sehr wertvoll sein.
Fußnoten
1) www.bmvbs.de/DE/EffizienzhausPlus/Haus/effizienzhaus-plus-haus_node.html
2) Auf dem Werkstattdiskurs Effizienzhaus Plus am 16. Januar 2013 in München
3) www.sonnenhaus-institut.de/sonnenhaus_passivhaus.html
4) Eigenes Wohnhaus
5) www.vattenfall.de/de/privatkunden-berlin-waermepumpe-natur.htm
Anna Bedal