Der neue Ölrausch – Kater garantiert!
Seit vergangenem Jahr wird über die Medien verbreitet, dass die Welt vor einer Öl- und Gasschwemme stehe, die Versorgungsprobleme weit in die Zukunft verschiebe. Begründet werden diese Berichte vor allem mit den Aussagen des aktuellen World Energy Outlook der Internationalen Energieagentur vom November 2012.
Neue Fördermethoden würden die Erschließung unkonventioneller Öl- und Gasvorkommen ermöglichen, die USA würden schon bald von Energieimporten unabhängig. Auch Europa könne davon profitieren. Zudem werde Energie dadurch billig werden. Wer sich diesem Trend verschließe, der müsse die Verantwortung dafür tragen, wenn die Industrie in Staaten mit billiger Energieversorgung abwandere.
Nimmt der Energieverbrauch ab?
Diese verkürzte und in Teilen falsche Interpretation des World Energy Outlook sorgte für eine große Verunsicherung. In den Medien wurde jedoch kaum wahrgenommen – und das ist die eigentliche Botschaft –, dass der fossile Energieverbrauch in den USA und anderen Industriestaaten in den kommenden Jahrzehnten drastisch zurückgehen werde. Und das bedeutet eine Verabschiedung vom energieintensiven „American way of life“. Dies jedoch so explizit zu benennen, getraut sich heute niemand.
Und so können wir die übertriebene Fixierung auf eine künftig zu erwartende Öl- und Gasschwemme vor allem als Indikator für heute bereits sehr große Probleme identifizieren.
Eigentlich ist es banal, seit langem erkennbar, fast nicht mehr zu leugnen, und im Grunde eine gute Nachricht: Die fossilen Energieträger sind soweit aufgebraucht, dass sie nicht mehr Grundlage künftigen Wirtschaftswachstums sein können. Und das ist der eigentliche Punkt, vor dem Politik, Industrie und auch die Öffentlichkeit die Augen verschließen – es ist an der Zeit, unseren Lebensstil und unsere wirtschaftlichen Strukturen den neuen Verhältnissen anzupassen. Erst dann werden wir eine Chance haben, die gegenwärtigen und absehbar zu erwartenden Krisen zu überwinden.
Wachstum ohne Ressourcenverbrauch
Nicht nur der amerikanische, auch der europäische Lebensstil ist sehr eng an Wirtschaftswachstum gekoppelt, das wiederum vor allem durch steigenden Ressourcenverbrauch getrieben wurde. Wir alle kennen spätestens seit den 1970er Jahren die exponentiellen Wachstumskurven, die einerseits Politiker, Industrie und Ökonomen jubeln lassen, andererseits aber stetig dem Zeitpunkt entgegenstreben, von dem an es kein Wachstum mehr geben kann – weil die Ressourcenbasis geplündert wurde.
Das übliche Lied der Ökonomie ist, Wachstums ist notwendig, um Entwicklung und Vollbeschäftigung zu garantieren. Endlichkeitsprobleme werden beharrlich ausgeblendet. Steigende Preise würden den Innovationsdruck erhöhen und zu nahtlosem Einphasen neuer Technologien führen. Ausgeblendet wird dabei, dass erstens in der Vergangenheit sehr wohl Katastrophen eintraten, die durch falsche Reaktion auf Ressourcenverknappungen ausgelöst wurden, und zweitens, dass Partikularinteressen einem zeitgerechten harmonischen Übergang entgegenstehen.
Epochale Veränderungen
Ich denke, die Behauptung ist nicht übertrieben, dass wir am Beginn eines epochalen Strukturwandels stehen, der in der Dimension dem Übergang zum Ende des Mittelalters in die Neuzeit vergleichbar ist. Dieser Wandel wird getrieben durch die Erschöpfung der endlichen Ressourcen. Er wird fast alle Lebensbereiche betreffen. Die steigende Verteilungskonkurrenz führt zu steigenden Beschaffungskosten. Diese Gelder wiederum fehlen an anderer Stelle. Nur dadurch, dass man Spielräume und „Puffer“ ausschöpfte, konnte noch Wachstum generiert werden: Das Bankenwesen verlegte sich zunehmend auf virtuelle Interaktionen unter Reduktion von Dämpfungsgliedern – jeder naturwissenschaftlich Geprägte weiß, dass ein System ohne Dämpfungselemente sich bis zum Zusammenbruch aufschaukelt. Das Wirtschaftswachstum wurde zunehmend durch Verlagerung auf „virtuelle“ Produkte erreicht. Firmengewinne der vergangenen Jahre konnten vor allem durch Verzicht bei den Löhnen erreicht werden.
Je länger wir diese Indizien ignorieren und beharrlich den alten Kurs halten, desto größer werden uns die kommenden Probleme treffen. Auch das wissen wir: In der Energieversorgung kann eine Lösung des Problems nur über Verzicht (das können wir teilweise auch Energieeffizienz benennen) und den Übergang auf sich regenerierende Energieträger erfolgen. Doch wir wissen auch, dass dieser Übergang, umso stärker mit Verwerfungen verbunden sein wird, je stärker er verzögert wird. Mit jeder neuen Investition in die alten Strukturen erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit für Verwerfungen. Es liegt an uns als Gesellschaft, den Übergang aktiv zu gestalten. Wenn wir das Versäumen, werden wir in der Tat Verwerfungen erleben, die dann auf ihre Weise für die Reduktion der Treibhausgase sorgen werden.
Dr. Werner Zittel