Premiere am Nilufer
Vor 100 Jahren ging das erste Parabolrinnenkraftwerk in Betrieb: Es muss ein herrlicher Frühsommertag gewesen sein, der 11. Juli 1913: Ein Sonderzug hielt im 25 km südlich von Kairo gelegenen Maadi, nahe des Nilufers, damit die Festgäste dem historischen Moment beiwohnen konnten: Gegen die Mittagszeit nahm der US-amerikanische Erfinder Frank Shuman (1862–1918) das erste Solarkraftwerk der Geschichte in Betrieb. Es gilt bei den CSP-Experten als Ursprung der heutigen Parabolrinnen-Technologie.
„Das Maadi-Projekt kann durchaus als Vorreiter der heutigen CSP Projekte gesehen werden“, bewertet Klaus-Jürgen Riffelmann vom Spiegelhersteller Flabeg in Köln, das damalige Ereignis. Robert Pitz-Paal, Co-Direktor des Institutes für Solarforschung am Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln-Porz, pflichtet ihm bei: „Aus meiner Sicht stellt das Maadi-Projekt trotz einiger Vorläufer wirklich die Geburtsstunde der Parabolrinnenkraftwerke dar. Es war eine erste Systemlösung und enthielt schon sehr viele Elemente, die in der heutigen Technik noch ähnlich sind.“
Anlage zur Bewässerung
Das Grundprinzip ist heute bekannt: direktes Sonnenlicht wird auf eine Fokallinie gebündelt und erhitzt dort ein Medium, das in einem schwarzen Absorberrohr fließt. Damit die konzentrierte Strahlung auf das Rohr trifft werden die Parabolspiegel dem Tagesgang der Sonne nachgeführt.
Das Werk Frank Shumans funktionierte bereits nach diesem Prinzip – und pumpte nach einigen Versuchen im Vorfeld einige Zeit zuverlässig Nilwasser in die höher gelegenen Baumwollplantagen. Die „Egyptian Gazette“ berichtete am Tag nach der Inbetriebnahme in einem begeisterten Artikel über das Ereignis: Die angereisten Festgäste, darunter viele Damen, hätten die Maschine auf Hochtouren laufen gesehen und es habe beim Solarfeld „ein exzellent arrangiertes Buffet“ gegeben. Die New York Times brachte im Jahr 1916 einen ganzseitigen Beitrag über die Wunderanlage am Nil.
Anlagendaten
Die Anlage in Maadi bestand aus fünf nord-süd-ausgerichteten Kollektorreihen mit einer Länge von jeweils 62 m und einer bereits beachtlichen Aperturweite von 4 m. Ihre Kollektorfläche von 1.250 m2 ermöglichte eine Leistung von bis zu 56 kW und einen Spitzenwirkungsgrad von etwa 5 %.
Pitz-Paal erklärt, damit sei eine – verglichen mit heutigen Anlagen – relativ geringe Konzentration von 4,6 erreicht worden: „Das lag unter anderem daran, dass die Spiegel damals nicht wie heute gebogen waren, sondern die Parabelform aus flachen Elementen zusammengesetzt wurde. Ursprünglich war geplant, einen mit Cellophan umspannten Zinkabsorber einzusetzen, welcher der Hitze jedoch nicht standhielt. Zum Einsatz kam eine unisolierte Stahlkonstruktion.“ Heute habe jeder m2 Kollektor eine etwa fünf Mal höhere Ausbeute ohne dass dafür mehr Material erforderlich ist.
Eine intelligente Temperatursensorregelung, die auf Beschattung durch das Absorberrohr reagierte, habe schon damals für die automatische Nachführung des Kollektors gesorgt. Das System sei mit Direktdampferzeugung betrieben worden – anders als heute, wo synthetische Öle als Wärmeträger dienen, die höhere Temperaturen ermöglichen. Die Kraftwerkstechnik war noch einfach, worauf Klaus-Jürgen Riffelmann hinweist: „An Stelle des Dampfmotors werden heute Turbinen mit höherem Wirkungsgrad eingesetzt.“
Technologie wird bewundert
Genau wie die beiden anderen Experten zollt auch Nikolaus Benz, Geschäftsführer der Schott Solar CSP GmbH in Mitterteich, für das Weltmarktführer-Unternehmen für Solarreceiver, den damaligen Pionieren Respekt: „Ein Schlüssel war sicher der von Shuman entwickelte Dampfmotor, der Wasser als Wärmeträger für den Solarkreislauf zuließ, aber auch seine Ideen zum Absorber. Es zeigt, dass es bereits mit dem bescheidenen technologischen Stand von 1913 möglich war, ein Parabolrinnenfeld zu betreiben, auch wenn es nicht zur hocheffizienten Stromerzeugung genutzt wurde.“
Die Spiegel vor 100 Jahren
Betrachtet man eine einzelne Komponente genauer, so zeigt sich, wie kenntnisreich man einst schon war: „Als Flabeg-Mitarbeiter liegt es nahe, die verwendeten Spiegel genauer zu betrachten. Da muss ich sagen: es ist eine vor nunmehr 100 Jahren beachtliche Leistung gewesen, die Spiegel mit der nötigen Formgenauigkeit herzustellen, dass die Sonnenstrahlung ausreichend genau auf das Absorberrohr fokussiert wird“, so Riffelmann. Und weiter: „Zwar liegen mir keine aufgeschlüsselten Angaben zur Reflektivität, Haltbarkeit und Formgenauigkeit der Anlage in Maadi vor, doch die Anlage hat funktioniert und – wenn man Feldgröße und Leistung ins Verhältnis setzt – durchaus mit einem passablen Wirkungsgrad.“
Was wollte dieser Shuman?
Der Amerikaner Shuman war Erfinder und Geschäftsmann in einem: Seine Erfindung war 1913 schon einige Jahre alt, zuvor hatte er eine „First Practical Solar Engine“, eine mit solar erhitztem Äther betriebene Dampfmaschine im Modellmaßstab vorgestellt. 1908 gründete er die „Sun Power Company“ und plante, Anlagen in größerem Stil zu bauen. Zusammen mit dem englischen Physikprofessor Charles Vernon Boys entwickelte er die Parabolrinne.
Nach der Inbetriebnahme in Maadi war offensichtlich international das Interesse an diesem Mann immens: Noch im selben Jahr hielt der Selfmademan vor dem Reichstag in Berlin im Rahmen einer eigens für ihn einberufenen Sondersitzung einen Vortrag über sein Projekt und soll einen Film dazu gezeigt haben. Die Volksvertreter sahen mit ihm eine Chance, um in der Kolonie Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Namibia, eine Energieversorgung zu realisieren und bewilligten Shuman 200.000 Reichsmark für ein erstes Projekt.
Doch dann kam alles ganz anders: Kurz darauf, brach 1914 der Erste Weltkrieg aus. Die Anlage in Maadi war nur ein oder zwei Jahre in Betrieb – wohl gab es technische Probleme, vor allem aber weil die Ölproduktion im Iran im großen Stil losging und der billige Brennstoff die Sonnenenergie als entbehrlich erschienen ließ. Shuman starb 1918 in der Nähe von Philadelphia. Dann herrschte lange Zeit Stille um seine Technologie – bis in die späten siebziger Jahre und den Beginn der Ölkrisen. Und erst 2010 ging in Ägypten das 25-MW-Kraftwerk Kuryamat südlich von Kairo in Betrieb.
Biennale: Faszination bis heute
Dass das Werk Shumans nach diesem „verlorenen Jahrhundert“ in der heutigen Zeit wieder ins öffentliche Bewusstsein gelangte, ist vor allem der Verdienst zweier Künstler aus der Schweiz: Christina Hemauer und Roman Keller aus Zürich. Im Rahmen der 11. Internationalen Kunstbiennale in Kairo im Jahr 2008 präsentierten sie mit diesem zukunftsträchtigen Thema den offiziellen Gastbeitrag ihres Heimatlandes Schweiz.
Die beiden, die sich schon länger mit Energiethemen beschäftigen, waren über ein altes Buch auf das vergessene Projekt aufmerksam geworden und entschlossen sich, an historischer Stelle Recherche zu betreiben und ihre Ergebnisse zu präsentieren: Wo einst im Wüstensand die futuristische Anlage stand, ist im Laufe des vergangenen Jahrhunderts Maadi, eine Vorstadt Kairos, gewachsen. Mit Gründerzeithäusern begann es, in der Neuzeit wuchern riesige Hochhäuser entlang des Nils den Süden der nahen Mega-Metropole zu.
Hemauer und Keller fanden mit Hilfe des Lokalhistorikers Samir Raafat die Stelle heraus, wo Shuman einst den ersten Spatenstich in den Sand gesetzt haben muss. Die Anschrift lautet: „101 Street, No. 6“ – ein letztes unbebautes Grundstück an einem größeren Platz, inmitten aller Bebauung mit einer Tankstelle auf dem Nachbargrundstück. Die Künstler vermuteten, dass hier einst der Dampfmotor gestanden haben musste.
Christina Hemauer erinnert sich an ihre Aktion: „Vor der Parzelle in Maadi hatten wir zwei Wochen lang einen sogenannten Kiosk mit Informationen zu dem Projekt im Jahr 1913. Über ein Gästebuch hatten wir gehofft, dass sich Leute eintragen, deren Großvater vielleicht noch Fotos oder Erinnerungsstücke von der Anlage aufgehoben haben. Aber leider kam dadurch nichts Konkretes zusammen.“
Teilstück für Biennale nachgebaut
Um die Ausmaße der damaligen Parabolrinnen zu verdeutlichen, ließen die beiden Schweizer in Originalgröße zwei Segmente aus 400 Spiegeln nachbauen. Hemauer: „Diese große Skulptur stand zwei Monate auf der Zamalek-Insel im Nil gegenüber der Oper von Kairo. Dort war das Zentrum der Biennale.“ Mit einer eigens eingerichteten Webseite „sun1913.info“, die noch immer in Betrieb ist, ergänzten sie ihre Aktion und bekommen bis heute viel Resonanz aus allen Teilen der Welt.
Noch heute begeistern sich die Schweizer Künstler für die Geschichte des Maadi-Projektes und möchten so bald wie möglich den Faden wieder aufgreifen: Zunächst würden sie gerne ein von ihnen zur Biennale verfasstes Büchlein wieder auflegen, das die Bauarbeiten Shumans in Form einer Doku-Fiction erzählt. Der Nachbau der Spiegelsegmente ist auch noch da, wie Roman Keller bestätigt: „Die Anlage ist in Port Suez gelagert. Wir kennen den Zustand nicht, aber wir würden uns freuen, wenn sie einmal wieder gezeigt würde.“
Und dann wäre da noch die Frage nach der originalen Anlage aus 1913... Wo ist sie verblieben, was befindet sich womöglich unter der Erde an ihrem alten Standort? Hemauer und Keller sitzen da sprichwörtlich auf gepackten Koffern: „Vor Ort in Maadi gibt es immer noch diese Baulücke. Irgendwann wird da sicherlich einmal gebaut“, so Hemauer. „Das wäre dann die Möglichkeit für eine Notgrabung. Heute noch Teile der Original-Solaranlage zu finden, das wäre der beste Abschluss für unser Projekt.“
Martin Frey