Die Strompreiskampagne
Tarnen und Täuschen im Kampf um die Energiewende: Glaubt man der aufgeregten Berichterstattung in den Medien, dann hat die Energiewende zu einem explosionsartigen Anstieg der Strompreise geführt. Angeblich schwinde deshalb sogar die politische Unterstützung der Bevölkerung für die Fortsetzung der Energiewende hin zu den Erneuerbaren Energien. Doch beide Annahmen halten einer näheren Prüfung nicht stand und werfen die Frage auf, wie es zur Darstellung eines solchen Zerrbildes kommen konnte.
Kosten für Haushaltsstrom werden überschätzt
Besonders empfänglich für das Schreckgespenst vom steigenden Strompreis macht Verbraucher die Fehleinschätzung über den eigenen Energieverbrauch. Nach einer Umfrage der Deutschen Energie-Agentur (dena) sind 38 Prozent der Befragten der Ansicht, dass die meiste Energie im Haushalt für den Betrieb von Elektrogeräten benötigt wird. Dagegen verursachen Elektrogeräte jedoch nur durchschnittlich neun Prozent des Energieverbrauchs in privaten Haushalten. Der Löwenanteil von 57 Prozent geht auf das Konto von Heizung und Warmwasserbereitung. Übersehen werden meist die 34 Prozent für Mobilität.
Auch bei den Kosten steht der Strombezug meist an dritter Stelle, nach Heizung und Mobilität. Dabei sind die Kosten für Öl, Gas und Benzin in den letzten Jahren sogar deutlich stärker gestiegen als für Elektrizität, trotz Anstieg der EEG-Umlage. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat errechnet, dass der Anteil für Stromkosten am gesamten Konsumbudget der Privathaushalte mit rund 2,5 Prozent heute kaum höher ist als schon Mitte der 1980’er Jahre. Nur bei den einkommensschwächeren Haushalten wirken sich die Strompreissteigerungen höher aus. Die zehn Prozent der einkommensschwächsten Haushalte geben 4,5 Prozent für Strom aus.
Leichtfertiger Umgang mit Energie
Gerade diese Haushalte werden oft als Kronzeugen für angeblich unzumutbare Belastungen der Verbraucher herangezogen. Tatsächlich gibt es immer mehr Haushalte, denen der Anschluss gesperrt wird, weil sie ihre Stromschulden nicht begleichen können. Aber in der Schuldner- und Energieberatung von Wohlfahrts- und Umweltverbänden stellt sich immer wieder heraus, dass der Grund dafür nicht die allgemein steigenden Strompreise sind. Sehr oft fehlt in den Haushalten technisches Verständnis für den effizienten Einsatz von Strom und ein Bewusstsein für Preisunterschiede verschiedener Energieträger.
So wird bei Krankheit schon mal wochen- oder monatelang von Holz- und Kohlefeuerung auf Elektroheizgeräte umgestellt und damit der Verbrauch vervielfacht. Erst die jährliche Abrechnung zeigt das kostspielige Ergebnis und horrende Nachforderungen für den längst verbrauchten Strom. Oft sind gerade in alten Mietwohnungen von Geringverdienern wenig effiziente elektrische Warmwassergeräte installiert. Intensive Nutzung und leichtfertiges Verbrauchsverhalten macht die Geräte für Mieter zu einem teuren Vergnügen.
Haushalten mit niedrigem Einkommen und hohen Stromschulden hilft es nichts, wenn die EEG-Umlage nicht mehr steigt. Sie benötigen effiziente Haushaltsgeräte und Unterstützung beim Nutzerverhalten im Umgang mit Strom. Auch das DIW schlägt vor, die Hartz-IV-Sätze entsprechend zu erhöhen, einen Grundfreibetrag bei der Stromsteuer einzuführen und ein Beratungs- und Förderprogramm für die Verbesserung der Energieeffizienz in privaten Haushalten einzuführen. Kosten würden diese Maßnahmen laut DIW in etwa so viel wie die zusätzlichen Einnahmen bei der Mehrwertsteuer durch die EEG-Umlage.
EEG-Umlage dient als Sündenbock
Doch lässt sich auch fragen, ob die Strompreiserhöhungen der letzten Jahre wirklich durch den Ausbau der Erneuerbaren verursacht wurden, wie das gebetsmühlenartig behauptet wird. Daran zweifeln unter anderem die Hamburger Rechtsanwälte Günther in einem Gutachten für Greenpeace. So seien die Vertriebskosten und Margen der Versorger allein von 2009 bis 2013 um 70 bis 80 Prozent mehr gestiegen als die Inflationsrate. Das Gutachten leitet daraus ab, dass die Verbraucher für jede Kilowattstunde 1 Cent zu viel zahlen.
Dabei kaufen die Versorger den Strom auch immer günstiger ein, weil die Vermarktung des EEG-Stroms an der Börse die Preise senkt. So ist der Strompreis auf dem Terminmarkt (ein Jahr im Voraus) von 2007 bis 2013 von bis zu 6 Cent auf unter 4 Cent gesunken.
Der Energieexperte Gunnar Harms hat daraus in einem anderen Gutachten sogar eine ungerechtfertigte Mehrbelastung von 2 Cent pro Kilowattstunde ermittelt. In den letzten fünf Jahren zeige sich, so Harms, dass gestiegene Einkaufspreise stets unverzüglich weitergegeben wurden, Preissenkungen hingegen zumindest nicht an das Kundensegment der Haushaltskunden. Die Stromrechnung der privaten Haushalte sei damit in diesem Jahr um etwa 3 Milliarden Euro zu hoch. Harms: „Der Wettbewerb bei Industriekunden funktioniert dagegen besser. Die privaten Kunden werden genutzt, um höhere Gewinne zu realisieren. Gleichzeitig werden die Kosten der Energiewende durch den Gesetzgeber hauptsächlich bei den privaten Endkunden abgeladen. Damit geraten die Privathaushalte von zwei Seiten unter Druck. Wesentliche Erhöhungen der Strompreise durch die Förderung der Erneuerbaren Energien hätten vermieden werden können, wenn gesunkene Einkaufspreise korrekt an die Endkunden weitergereicht worden wären.“
Gewinne der Konzerne auf Kosten der Allgemeinheit
So lässt sich auch erklären, warum die vier Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall und Enbw ihre Gewinne (EBIT) im Jahr 2012 gegenüber dem Vorjahr noch einmal um drei Milliarden Euro, auf knapp 18 Milliarden Euro (Quelle: IWR) steigern konnten. Dagegen sei die EEG-Umlage, sagt Harms, für weniger als der Hälfte der Preiserhöhungen seit 2007 verantwortlich.
Leidtragende sind vor allem die 40 Prozent aller Haushaltskunden, die in Tarifen der Grundversorgung bleiben. Das sind Personen, die aus unterschiedlichsten Gründen einen Anbieterwechsel scheuen, oder aufgrund mangelnder Bonität keine Möglichkeit zum Wechsel haben, wie beispielsweise auch Hartz-IV-Haushalte und Geringverdiener. Dabei könnten die deutschen Stromkunden durch den Vertragswechsel über 7 Milliarden Euro pro Jahr sparen, hat des Vergleichsportal Verivox kürzlich errechnet. Bei einem Haushalt mit 4.000 Kilowattstunden sind es allein 400 Euro und damit fast der doppelte Betrag der gesamten EEG-Umlage dieses Haushalts.
Prof. Uwe Leprich vom Institut für Zukunftsenergiesysteme (IZES) rückt dagegen vor allem die Einsparung in den Vordergrund: „Die Stromrechnung kann nur durch einen effizienten Umgang mit Strom stabilisiert werden, da die Strompreise wie alle anderen Energiepreise auch weiter steigen werden.“ Er sieht in stabilen oder sinkenden Strompreisen sogar ein falsches Signal an die Verbraucher. Immerhin kann ein Privathaushalt heute ohne Komforteinbußen mit modernen Geräten und einigen guten Ideen konsequent umgesetzt die Hälfte der durchschnittlichen Verbrauchsmenge einsparen. Pro Person reichen dann etwa 500 statt der heute üblichen rund 1.000 Kilowattstunden.
Wirtschaft leidet nicht unter den Strompreisen
Die Deutsche Umwelthilfe hat sich in einer im August 2013 veröffentlichten Studie neben den Haushalten auch mit der gesamtwirtschaftlichen Strompreissituation beschäftigt. Die Behauptung, der Wirtschaftsstandort Deutschland sei infolge der Energiewende bedroht stehe demnach in einem unauflösbaren Widerspruch zu den aktuellen volkswirtschaftlichen Realitäten. Deutschland, so die DUH, gehöre zu den wenigen Ländern, deren Wirtschaft trotz der anhaltenden internationalen Wirtschaftskrise wächst. 2012 erreichte der deutsche Außenhandelsüberschuss mit 188 Mrd. Euro den zweithöchsten Wert seit Einführung der Statistik im Jahr 1950.
„Die Behauptung explodierende Strompreise, bedrohen akut die Wohlstand und Wirtschaftskraft in Deutschland, hält einer Überprüfung nicht stand. Die aggregierte Stromrechnung sämtlicher privater und gewerblicher Stromverbraucher in Deutschland hatte 1991 einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,6 Prozent. Zwanzig Jahre später waren es 2,5 Prozent. Der monatlich veröffentlichte VIK-Strompreisindex – er gilt als maßgeblicher Indikator für die allgemeine Strompreisentwicklung in der Wirtschaft – sinkt seit den Energiewendebeschlüssen des Jahres 2011 kontinuierlich, er liegt aktuell auf dem Niveau des Jahres 2005 und weit unter seinem Maximalwert im Jahr 2008, drei Jahre vor den Energiewende-Beschlüssen“. Und für fast neun von zehn Betrieben schlügen sich selbst massive Strompreissteigerungen in den Bilanzen allenfalls im Promillebereich nieder. Und der Rest sei durch Privilegien größtenteils von Abgaben befreit oder profitiere von sinkenden Börsenstrompreisen. „Die auf die Stromkosten bezogene Wettbewerbssituation der deutschen energieintensiven Unternehmen hat sich gegenüber vergleichbaren Unternehmen in fast allen EU-Ländern in den vergangenen Jahren sogar verbessert“, so die DUH-Studie.
Es geht um etwas anderes
Wenn also weder die Preisentwicklung noch die volkswirtschaftlichen Fakten den Alarmismus um die Strom-Energiewende stützen, worum, geht es dann in der Debatte wirklich? Eine Vermutung liegt nahe: Die Verdrängung der konventionellen Stromerzeugung durch Erneuerbare Energien, immerhin bereits zu einem Viertel gelungen, bedroht das Geschäft und die Geschäftsmodelle der Energiekonzerne. Der Kampf um die Vorherrschaft auf dem lukrativen Strommarkt mit seinen monopolistischen Strukturen ist in vollem Gang. Die Stromwirtschaft nutzt all ihren politischen Einfluss und ihre ökonomische Macht – nicht zuletzt in den Medien – um ihre wirtschaftlichen Interessen zu verteidigen. Die Strompreiskampagne in Medien und Politik ist ein aktuelles, beschämendes Beispiel dafür, wie viel Unabhängigkeit der Journalismus der klassischen Massenmedien als „vierte Gewalt“ im Staat inzwischen eingebüßt hat. Umso wichtiger ist Transparenz und der direkte Zugang zu Daten und Fakten.
Thomas Seltmann