Kartoffel-Energiepolitik in Bayern, in Berlin und anderswo
„Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“: Aus dem Militär-Befehlsbuch des 19. Jahrhunderts stammt dieses Sprichwort. Zuerst Flurschäden produzieren, und wenn sich der Gegner ergibt, wieder aus dem zerstörten Kartoffelacker zurückziehen. Heute steht der Begriff für sich widersprechende, sich gegenseitig aufhebende Anordnungen. Weshalb man das, was viele „wichtige“ PolitikerInnen in Bundes- und Landesregierungen zurzeit zum Thema Energie von sich geben, nur als sogenannte Politik bezeichnen kann. Oder eben: Als Kartoffel-Energiepolitik!
Beispiel Berlin. Da bemüht sich vor allem der Energieminister Sigmar Gabriel (SPD), den Erneuerbaren Energien ein tiefes Loch zu graben. Dass er selbst daran glaubt, eine heutige Ausbaubremse für Wind- oder Sonnenstrom ließe sich in ein paar Jahren wieder lösen, ist stark zu bezweifeln. Und doch tut er so, als ob Biogasanlagenhersteller per Knopfdruck die Produktion wieder starten können, wenn es ihm oder einem anderen Bundesenergieminister gefällt. Aber gleichzeitig „Biogas als Stromspeicher“ zu fordern, das ist ein untauglicher, Pippi-Langstrumpf-mäßig Versuch. Schon Gabriels Ex-SPD-Generalsekretärin und jetziger Familienministerin Andrea Nahles gelang es vor einem halben Jahr nicht, „ich mach mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt“ im Bundestag zu intonieren. Damit wollte sie CSU-Bundeskanzlerin Angela Merkel der Sprunghaftigkeit bezichtigen. Doch das war in Vor-GroKo-Zeiten. Da war die „Bundes-Mutti“ für die SPD-Opposition noch das Sinnbild einer Wendehälsin. Und die Kanzlerin hatte mit ihrem Atomauseinundausstieg nach dem multiplen Fukushima-Kernkraft-GAU 2011 ja auch wirklich einen Meilenstein der Kartoffelpolitik gesetzt.
Heute will die neue Bundesministerin Nahles an ihre Sangesübungen am Reichstagsmikrofon möglichst nicht mehr erinnert werden. Und in der Sprunghaftigkeit sind die „Roten“ der „Schwarzen“ Merkel inzwischen ganz eng auf den Fersen. An der Spitze: Der SPD-Chef Gabriel, immerhin zu Zeiten der letzten Schwarz-Rot-Regierung Anfang des Jahrtausends Umweltminister. Und damals ebenfalls schon ein bisschen für die Energiezukunft verantwortlich.
Bayern wie der Bund
Zweites Beispiel Bayern. Auch hier hatte die Staatsregierung vor gerade mal gut zwei Jahren selbst eine Energiewende ausgerufen. Da war in Bayern eine Koalitionsregierung aus CSU und der heute nicht mehr im Parlament vertretenen FDP am Werk. Vorher gab es kaum Windräder. Doch dann brachte das schwarz-gelbe Kabinett einen Windkrafterlass auf den Weg. Der damals selbst ernannte „Lebensminister“ Markus Söder stellte fest – aus welchen Gründen auch immer: 1.500 Windräder sind notwendig für die Weiß-Blaue Stromwende. Die „Vorteile der Biomassenutzung“ wurden im Energieatlas Bayern ebenfalls gelobt.
Doch jetzt, kaum ist die Alleinherrschaft der CSU wieder da, kommt der Rückwärtsumfaller der Staatsregierung. Vor allem das Beharren auf 10-Mal-Höhen-Abstand von Windrädern zu Wohnhäusern, von Ministerpräsident Horst Seehofer ins Spiel gebracht und von Neu-„Heimatminister“ Söder vehement verteidigt, gefährdet die zuvor einmütig gefassten Stromwendepläne.
Auch wenn ein halbherziges Kartoffelmanöver – Seehofer: „Wenn alle einverstanden sind, darf auch näher gebaut werden!“ – die bayerische Lebensart „leben und leben lassen“ zitiert: Im Endeffekt bedeutet „10H“ das Aus für die Windkraft in Bayern. Doch wie soll ohne die von Seehofer genauso momentan abgelehnte „Gleichstromtrasse Süd-Ost“ der Wind- oder Kohlestrom für die südbayerische Industrie in den Freistaat kommen? Das sagt der heimliche Bayern-König nicht.
Hat die „Konservativen“ ihr Mut zur Zukunftsenergie schon wieder verlassen? Oder war der Mut ebenso wie das von „Wende-Horst“ Seehofer kurz nach dem Wahlsieg verkündete Demutsgelübde nur geheuchelt? Eine „Energiewende“, die schon am Umbau der Stromerzeugung scheitert, ist das jedenfalls nicht.
Fakt ist aber: Die unberechenbare Energiepolitik von Bund und Ländern ist fatal für fast die gesamte Energiewirtschaft, ob Stadtwerk oder Energiegenossenschaft. Denn Strom- wie Wärmeversorgung sind langfristig angelegt, Investitionen rechnen sich auf 30, 40 Jahre. Weshalb im Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG Vergütungen über zwei Jahrzehnte festgeschrieben sind. Doch diese Langfrist-Sicherheit ist nur noch Makulatur, wenn alle paar Monate irgendeine Stellschraube um 180 Grad gedreht wird: Kartoffel-Energiepolitik halt.
Energie braucht Zeit
Denn bevor ein Nahwärmenetz oder Kraftwerk – egal ob konventionell oder öko – in Betrieb gehen kann, müssen finanzielle Vorleistungen oft in Millionenhöhe erbracht, Planungen aufwändig genehmigt und nicht selten vor Gerichten durchgesetzt werden.
Deshalb schaden sich Bayern und der Bund selbst, die bislang das Energiedreieck „Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit, Umweltverträglichkeit“ betont haben. Denn wenn Unternehmen nicht sicher sein können, ob ihre Pläne am nächsten Tag noch umsetzbar sind, dann ist die Versorgungssicherheit nicht mehr gegeben.
Und daran trägt nicht die oft zitierte Unplanbarkeit von Wind- oder Sonnenstrom Schuld. Verantwortlich sind alleine der Regierenden in Bund und Ländern und ihre Kartoffel-Energiepolitik.
Heinz Wraneschitz