Energiewende von unten (Teil 2)
Teil 2: Das Strom-Wärme-System als Plattform für Bürgerenergie. In Teil 1 der Artikelserie haben wir die Bürgerenergiebewegung als treibende Kraft beschrieben und nachgezeichnet, wie aus den Eigentumsverhältnissen bei den Erneuerbaren Energien das Kraftzentrum der Energiewende wurde. Die Partizipation der Bürger ist in eine Phase eingetreten, in der sie mehr denn je zu einer Bedingung für die Zukunft der Energiewende wird. Dafür brauchen die Akteure eine Weiterentwicklung der sozialen und politischen Rahmenbedingungen, um sich engagieren zu können und die Demokratisierung der Energieversorgung weiter voranzutreiben. Doch genau diese Entwicklung soll offensichtlich blockiert werden.
Sigmar Gabriels EEG-Novelle versucht ein Rollback zu organisieren, indem sie die Energieträger Sonne und Wind an Land deckelt und das Grünstromprivileg streicht. Der Strom aller Produzenten soll direkt vermarktet werden. Bis 2017 sollen die Erneuerbaren in die Zwangsjacke eines Auktionierungsmodells gepresst werden. Wer EEG-Strom selbst nutzt, soll zwischen 50 und 100 Prozent der EEG-Umlage zahlen müssen, analog gilt dies auch für KWK-Anlagen. Das wird dezentral erzeugten Sonnen- und Windstrom unter Druck bringen und kleine Marktteilnehmer abblocken. Bot das Grünstromprivileg eine ökonomische Möglichkeit, regenerativen Strom direkt an Kunden zu liefern, sollen sich die Anlagenbetreiber künftig auf einem großen und undurchschaubaren Markt behaupten oder aber das Know-how der Händler teuer einkaufen müssen. Die Umlage auf erneuerbaren Eigenstromverbrauch wirkt da wie eine zusätzliche Absicherung, damit möglichst viele dezentrale Nutzungsmöglichkeiten auch wirklich vom Markt verschwinden.
Lokaler und regionaler Vertrieb von grünem Strom mit all seinen positiven Begleiteffekten ist im angestrebten Marktsystem aber schwerer möglich. Stattdessen würde noch mehr Strom durch billige Braunkohle erzeugt, so die Marktlogik. Dezentraler und bürgerschaftlich erzeugter Strom soll keinen angemessenen Preis mehr erwirtschaften oder, solange solche Anlagen noch stehen, nach Bedarf der großen Player abgeregelt werden können. Das soll das Bürgerengagement herunter fahren. Das ganze Geschäft soll wieder zurück zu den großen Kapitalgesellschaften wandern, dort können die Bürger ja ihr Geld in Aktien anlegen, so die Logik der Großen Koalition.
Ist damit das Schicksal der Energiewende besiegelt oder gibt es Gegenbewegungen, welche die Pläne der Regierung konterkarieren? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die geplanten Veränderungen lediglich die Stromeinspeisung nach dem EEG bzw. dem KWK-Gesetz betreffen. Wer seinen Strom jenseits dieser Regelwerke erzeugt, nicht ins sogenannte öffentliche Netz einspeist und keine Einspeisevergütung beansprucht, kann durch Gabriels EEG-Novelle nicht belastet werden. Die Kritiker der Regierungspolitik sollten daher nicht auf das EEG wie das Kaninchen auf die Schlange starren. Das EEG und Strom sind nicht gleichzusetzen mit der Energiewende und das Bürgerengagement ist weder auf Strom beschränkt noch auf eine Perpetuierung des EEG angewiesen. Die Techniken der Erneuerbaren sind damit ja nicht weg vom Fenster. Im Gegenteil, sie werden beständig weiterentwickelt.
Neue Hybridsysteme für Strom und Wärme
In der Energietechnik erleben wir gegenwärtig ein stürmisches Zusammenwachsen von Strom- und Wärmesektor. Das gilt nicht nur für Kraft-Wärme-Koppelung, die sich mit Mini-BHKW (Strom erzeugende Heizung) bis in den Einfamilienhaus-Bereich vorgeschoben hat. Es stehen vor allem die Kombinationsmöglichkeiten von PV, Solarthermie, Biomasse und Umweltwärme bzw. Wärmepumpe auf der Tagesordnung, also Hybridlösungen ausschließlich mit Erneuerbaren, welche die bisherige Trennung von Strom- und Wärmesektor im Gebäude auszuhebeln beginnen. Auch bei den Stromnetzen bietet die Technik dezentrale Lösungen, um die Lastregelung von der Übertragungsnetzebene auf die Verteilnetzebene zu verlagern, aber auch neue Konzepte, um überschüssigen Solar- oder Windstrom in Wärme umzuwandeln und speicherfähig zu machen. Dazu gehört z.B. auch Organic-Rankine-Cycle (ORC), eine Technologie, mit der Wärme in Strom rückverwandelt werden kann – in Deutschland vielfach als unrentabel gescholten, in Dänemark als integraler Bestandteil von Hybridlösungen wie dem Smart District Heating eingesetzt. Bei allem spielt als Technologietreiber die IT-Technik eine zentrale Rolle. Der Begriff der Power-Electronic ersetzt zunehmend den der Steuer- und Regelungstechnik. Und das ist beileibe keine Frage der Semantik, wie regelbare Ortsnetztrafos oder Solarwechselrichter mit Transformator und Batteriemanagement – alles Serienprodukte – belegen.
Obwohl die Kohle-, Öl- und Gasversorgung ebenfalls über monopolistische Strukturen verläuft, besteht im Wärmemarkt für Investoren eine breitere Auswahlmöglichkeit, nicht nur zwischen unterschiedlichen Fabrikaten bei der Haustechnik, sondern auch zwischen unterschiedlichen Brennstoffen. Die neu hinzugekommene Solar- und Umweltwärme haben diese Freiheiten der Verbraucher vergrößert. Auch wenn Hybridsysteme, die Solar- und Umweltenergie mit fossilen Komponenten verbinden, noch weitgehend auf den Einfamilienhaus-Sektor beschränkt sind, zeigt der Verkauf von Wärmepumpen, dass der Markt erneut in Bewegung gekommen ist. Gleichzeitig sind diese Technologien auf dem Sprung in den Geschoßwohnungsbau.
All dies bleibt ausgeblendet, wenn man die Energiewende nur als Frage des Stroms denkt. So wird die Nutzung von PV-Strom für Wärmepumpen oft eindimensional als interessanter Stromverbraucher im Gebäude betrachtet und nicht als energetischer Synergieeffekt verstanden. Das Schlagwort vom Heizen mit Strom findet seine Berechtigung auch nicht in einem Revival der betagten Nachstromspeicherheizungen. Die Sinnhaftigkeit, exergetisch höherwertigen Strom zu Heizzwecken einzusetzen, liegt in der Verzahnung von regenerativer Stromerzeugung und Wärmetechnik zu integrierten Systemlösungen, inklusive elektrischen oder thermischen Speichern, gelenkt von einem intelligenten Energiemanagement. Nur daraus entsteht eine neue Qualität der Energieeffizienz, die letztlich in die vielbeschworene 100-Prozent-EE-Versorgung mündet.
Neue Chancen für die Wohnungswirtschaft
Die neuen Lösungen werden nicht mehr als Geldanlage daher kommen. Sie werden als Energieeinsparlösungen ökonomisch und ökologisch der fossilen Haustechnik überlegen sein müssen. Erst dann werden sie Käufer bzw. Betreiber finden und in die Phalanx der fossil fokussierten Player einbrechen. Daraus ergibt sich die Frage, wer in Zukunft bei den sich abzeichnenden dezentralen Strukturen als neue Akteure auftreten wird. Gegenwärtig sind drei Gruppen auszumachen, die das Banner der Bürgerenergiebewegung weiterhin tragen können:
- Einfamilienhausbesitzer, die Hybridsysteme mit Sonnenstrom für den Eigenbedarf nutzen
- Unternehmen der Wohnungswirtschaft, die sich durch Erzeugung und Verkauf von Energie ein zweites Standbein zulegen wollen, von dem auch Mieter profitieren können
- Energie- und Wohnungsgenossenschaften, die die Verknüpfung von Strom- und Wärmeerzeugung organisatorisch und kapitalmäßig stemmen und ihren Mitgliedern günstige Energiepreise bieten wollen.
Wenn die technische Entwicklung Gebäude zu dezentralen Kraftwerken heranwachsen lässt, gerät neben den Häuslebauern naturgemäß die Wohnungswirtschaft ins Blickfeld. Wurde bisher das Produkt „Wohnen“ als Summe von Quadratmetern Wohnfläche verkauft, und spielte bei diesem Geschäftsmodell der Energieverkauf keine Rolle, so eröffnet sich die Chance, Strom im Haus, auf dem Dach und an den Fassaden zu erzeugen, an die Mieter zu verkaufen und damit kombiniert, die Wärmeerzeugung kostengünstiger zu gestalten. Einem derartigen Geschäftsmodell stehen allerdings noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen wie z.B. das Gewerbesteuerprivileg, entgegen. Die Unternehmen sind bislang auf komplizierte Konstruktionen oder externe Partner beim Stromverkauf angewiesen, wenn sie ihre Ressourcen direkt vermarkten wollen. Der Streit um das EEG wird, nach anfänglichen Irritationen, die Wohnungswirtschaft nicht abhalten, neue Lösungen ohne Einspeisevergütung anzupacken. Denkbar ist, dass in einem auf regenerativer Technik basierendem Geschäftsmodell nur noch Energie in Kilowattstunden abrechnet wird, ohne auf die Form der End- bzw. Nutzenergie zu rekurrieren.
Dänische Genossenschaften machen es vor
In den letzten Jahren sind hunderte von neuen Energiegenossenschaften gegründet worden. Befördert durch das EEG konzentrierten sich viele auf die Stromerzeugung. Bereits jetzt, so der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. (DGRV), befassten sich aber rund 150 der Energiegenossenschaften auch mit Wärmeerzeugung und -verkauf an ihre Mitglieder. Nach dem dänischen Vorbild des genossenschaftlichen Smart District Heating sollen, so der DGRV, vermehrt Wärmenetze aufgebaut werden. Sie sollen als Kombination von BHKW mit Sonnenwärme, Wärmepumpen gekoppelt mit leistungsfähigen thermischen Speichern und dem temporären Einsatz von PV- oder Windstrom nicht nur günstige Strom, sondern vor allem niedrige Wärmepreise garantieren. In Dänemark liegen die Preise aus genossenschaftlicher Wärme in der Regel um 5 Cent/kWh. In den Genossenschaften, die schon immer vom Selbsthilfegedanken geprägt waren, wachsen unternehmerische Initiativen heran, welche die Wohnungs- und die Energiegenossenschaften näher zusammenführen. Man könnte auch sagen, beide Genossenschaftstypen entdecken, wie sie sich in idealer Weise ergänzen können, um wirtschaftlich attraktiver und erfolgreicher zu sein.
Die ersten Seiten dieses neuen Kapitels der Energiewende sind aufgeschlagen, auch wenn das noch nicht von allen Protagonisten zur Kenntnis genommen wird. Da die Lebenszeit eines EEG eh terminiert ist, müssen sich Energiewendefreunde und Investoren bereits heute nach Geschäftsmodellen umschauen, mit denen sie sich langfristig am Energiemarkt halten können. Das dänische Erfolgsmodell zeigt, dass man das Zusammenwachsen von Strom und Wärme erfolgreich als ein flexibles Geschäft organisieren kann, und als ein in der Kommune verankerter Wärmeversorger sogar an einem dynamischen Strom- und Regelenergiemarkt teilnehmen kann.
Klaus Oberzig/ Dr. Gerd Stadermann