Neue Netzstrukturen für die Energiewende
Kritische Versorgungssituationen durch Export von Kohlestrom / Kohlestromeinspeisung bei Starkwindlagen führt zu überdimensioniertem Netzausbau: Woher kommt eigentlich der bisherige parteienübergreifende Konsens zur Notwendigkeit eines massiven Netzausbaus, der sich z.B. im Bundestag und Bundesrat beim Energieleitungsausbaugesetz 2009 und beim Bundesbedarfsplangesetz 2013 gezeigt hat? Es gibt letztlich einen (stillschweigenden) Kompromiss zwischen Kohlemüllern und Windmüllern, den z.B. der NRW-Wirtschaftsminister Duin bei einer Energietagung in Bochum im Jahr 2013 sehr treffend erläutert hat: Weiterer Ausbau der Erneuerbaren Energien nur, sofern dadurch Bau und Betrieb der NRW-Kohlekraftwerke nicht behindert werden.
Wenn aber auch bei Starkwindlagen die Kohlekraftwerke weitgehend ungemindert weiter betrieben werden dürfen, dann sind dafür in der Tat gewaltige neue Höchstspannungsleitungen erforderlich, um diesen Kohlestrom über große Entfernungen ins Ausland exportieren zu können.
Die Windmüller haben zu Recht Angst vor der starken Kohlelobby und geben sich mit diesem Kompromiss zufrieden, solange sie ihren Strom zu garantierten EEG-Preisen abgenommen bekommen. Teile der Windmüller argumentieren zudem, dass bei weiterem Ausbau der Erneuerbaren Energien immer häufiger enorme Mengen an Überschussstrom anfallen. Dieser Überschussstrom müsse über ein neues riesiges europaweites Stromnetz über große Entfernungen in ganz andere geografische Regionen übertragen werden. Kurz: Jedweder Netzausbau sei gut für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Die resultierenden einzel- und gesamtwirtschaftlichen Kosten des dafür erforderlichen Netzausbaus bleiben dabei unberücksichtigt. Zudem kann bei einem europaweiten Ausbau der Erneuerbaren Energien das Überschussproblem durch einen gewaltigen Netzausbau bestenfalls gemildert, aber nicht gelöst werden, sondern nur durch geeignete Maßnahmen vor Ort (Power to Gas? Nachfrageanpassung?).
Kritische Versorgungssituationen sind NICHT durch Erneuerbare Energien bedingt, sondern durch den Export von Kohlestrom
Kritische Versorgungssituationen entstanden in Deutschland in den letzten Jahren entgegen anderslautenden Pressemeldungen keinesfalls in Zeiten von geringer Erzeugung Erneuerbarer Energien („Dunkelflauten“), sondern in Zeiten maximaler Windenergieeinspeisung, und zwar, weil zeitgleich Kohlestrom exportiert werden sollte. Dies zeigen Untersuchungen der Übertragungsnetzbetreiber und der Bundesnetzagentur.
Gemäß Energieleitungsausbaugesetz von 2009, Netzentwicklungsplan von 2013 und Bundesbedarfsplangesetz von 2013 sollen die Stromnetze für eine Einspeisung von Kohlestrom zeitgleich zu Starkwindeinspeisung ausgebaut werden, auch wenn dieser Kohlestrom zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit nicht erforderlich ist: Der Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien wird damit irrelevant. Leider resultiert wohl aus der geltenden Rechtslage (§ 12 Abs. 3 EnWG) eine Einspeisegarantie für Kohlekraftwerke und dadurch ein Netzausbau für Kohlekraftwerke.
Damit steht der Bau dieser neuen Leitungen im Widerspruch zu den Zielen der Energiewende, nämlich weniger Kohlestrom und mehr Erneuerbare Energien. Warum sollen die dafür benötigten Leitungen die deutschen Stromverbraucher bezahlen? Und warum werden diese Leitungen in der Öffentlichkeit als Energiewende-bedingt dargestellt? Hier besteht dringender Reformbedarf.
Privilegierung von unnötiger Kohlestromproduktion beenden!
Die Energiewende erfordert aber die Abregelung von konventionellen Kraftwerken, soweit ausreichend Erneuerbare Energien zur Verfügung stehen. Die konventionelle Stromerzeugung wird aber, wie gezeigt, keineswegs in nennenswerter Weise an die Stromerzeugung aus Wind und Sonne angepasst. Als Ergebnis werden bei Starkwindlagen von Jahr zu Jahr wachsende Mengen elektrischer Energie exportiert: 2013 hatte Deutschland trotz Stilllegung von Kernkraftwerken einen Rekord-Nettostromexport, der 2014 noch deutlich übertroffen werden wird. Deutsche Kohlekraftwerke ersetzen dadurch die Stromerzeugung in ausländischen Kraftwerken.
Die von uns auf der Basis von Daten der Bundesnetzagentur näher untersuchten geplanten Leitungen von Ostdeutschland nach Bayern, u.a. die im Bau befindliche 380-kV-Höchstspannungsleitung von Erfurt nach Redwitz/Nordbayern und die mittlerweile zurückgezogene HGÜ-Leitung von Bad Lauchstädt bei Halle nach Meitingen nahe KKW Gundremmingen, geben hierzu ein besonders beredtes Beispiel:
Diese Leitungen sind AUSSCHLIESSLICH für den Weiterbetrieb von ostdeutschen Braunkohlekraftwerken zeitgleich zu ostdeutscher Starkwindeinspeisung erforderlich.
Das Bild zeigt beispielhaft die von der Bundesnetzagentur für 2022 projektierte Stromerzeugung in der 50Hertz-Regelzone durch sonstige Kraftwerke; dies sind in der 50Hertz-Regelzone (Ostdeutschland + Hamburg) v.a. Kohlekraftwerke.
Ergebnis: Die konventionelle Stromerzeugung passt sich also gemäß diesen Plandaten der Bundesnetzagentur keineswegs in nennenswerter Weise an die Stromerzeugung aus Wind+Sonne an. Die starken kurzzeitigen Ausschläge nach unten sind durch vorübergehende, technisch bedingte Abschaltungen der konventionellen Kraftwerke bedingt.
Dies gilt insbesondere auch für sehr windstarke Tage, wie für einen sehr windstarken Prognosezeitraum im Frühjahr belegen.
Kosten des Netzausbaus bleiben beim Netzentwicklungsplan unberücksichtigt
Als Eingangsdaten für die Netzplanung gehen nämlich auch im aktuellen Netzentwicklungsplan 2013 nur die variablen Erzeugungskosten der Kraftwerke ein („merit order“), nicht aber die Kosten des für den Einsatz dieser Kraftwerke jeweils erforderlichen Netzausbaus. Zusätzliche Stromnachfrage in Süddeutschland wird deshalb gemäß Netzentwicklungsplan grundsätzlich zuerst durch Kohlekraftwerke abgedeckt, auch wenn sie in Norddeutschland stehen und in Süddeutschland Gaskraftwerke verfügbar wären. Bei einem dadurch resultierenden Übertragungsengpass, z.B. von Hamburg nach Stuttgart, wird in den Netzentwicklungsplan eine neue Leitung eingestellt, ohne die dadurch bedingten Netzausbaukosten dem angeblich kostengünstigeren Kohlekraftwerk zuzurechnen. Dies ist ein schwerer methodischer Fehler, der die gesamte Bedarfsanalyse des Netzentwicklungsplans fragwürdig macht.
Die Kosten für diesen unnötigen Netzausbau bezahlt der deutsche Stromverbraucher, der schon die Mehrkosten für die EEG-Vergütung trägt. Der Öffentlichkeit aber wird erklärt, der erhöhte Netzausbaubedarf werde durch die wachsende Einspeisung Erneuerbarer Energien verursacht.
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Prof. Dr. Lorenz Jarass