Freie Energie für freie Bürger
Das geht uns alle an: Der Umbau der Energiewirtschaft ist eine Herkulesaufgabe. Nicht nur das Ausmaß ist gewaltig, der Wandel muss auch zügig und gleichzeitig bedacht erfolgen, gerade jetzt gilt es nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Viele Kraftwerke sind gebrechlich und müssen ersetzt werden. Eine Möglichkeit: Die Kombination von Erneuerbare Energien und „klimaschonenden“ Gaskraftwerken. Bei einer anderen Variante konzentriert man sich auf regional spezifische Energieerzeugung. All das betrifft vor allem die Versorgung mit Elektrizität, verknüpft mit einem Stromtransport quer durch die Republik. Eine andere Alternative stellt der radikale Umbau der Energieerzeugung hin zu einer dezentralen, „volkseigenen“ Versorgung dar. Das Wesentliche an allen Überlegungen: Egal wie man sich entscheidet, man betoniert zum großen Teil die Zukunft, Kraftwerke und Trassen, die Gestalt einer Energieversorgung, alles bleibt danach für lange Zeit bestehen. Da unsere Epoche ganz offensichtlich über keinen Herkules verfügt, muss diese Aufgabe gemeinschaftlich gestemmt werden.
Katze aus dem Sack
Deshalb wird in Energiedialogen auch mit den Bürgern gesprochen, man hört sich die Ängste und Nöte an. Mitreden: Ja, mitentscheiden aber besser nicht. Denn so langsam wird deutlich, dass der Weg vorgegeben ist, das zeigt auch das Beispiel TTIP. Auch hier darf über Inhalte diskutiert werden, zumindest über die in die Öffentlichkeit gestreuten Bereiche. Über die Angelegenheit selbst natürlich nicht. Das ist Sache der Großen. Längst hat die Politik vor der Wirtschaft kapituliert. Politiker sind zu reinen Moderatoren verkommen, sie sind lediglich Schnittstelle zwischen Industrie und Konsument. Der Staat schafft sich bezüglich seiner gestaltenden Aufgabe ab, Verantwortung wird nicht wahrgenommen. Das muss die Freiheit sein, die uns immer wieder als Paradies verkauft wird. Eine Freiheit, die längst an die Shareholder veräußert wurde. Dieses System kennt keine Moral: Stimmt die Rendite, ist alles recht. Was sich hinter dem steigenden DAX versteckt ist nicht wesentlich.
Die Legislative hält sich bedeckt und gibt sich neutral. Wie sagte es Frau Dorothee Mühl vom BMWi auf Kloster Banz so schön: Politik hat keine unternehmerische Verantwortung, die tragen allein die Unternehmen. Wenn die Politik dann an den Stellschrauben dreht, welche die unternehmerischen Risiken der mittelständischen Energiewende über alles Maß erhöhen, ist das verantwortungslos. Es stellt sich somit durchaus die Frage ob wir gegenwärtig unter einer schlechte Regierungsführung (engl. bad governance) leiden, oder ob vielmehr bereits Strategen am Ruder sitzen, die alles andere als unfähig sind. Die Folgen dieses Handelns sind dramatisch, denn stirbt der Mittelstand der Energiewende, so stirbt mit ihm auch die Gestaltungsfreiheit der Bürger. Inkompetente Politik erkennt das entweder nicht oder denkt womöglich, diese epochalen Entscheidungen für kurzfristige parlamentarische Mehrheitsverhältnisse ausnützen zu können. Jetzt, da man gestalten könnte wird kleinkariert gestritten. Statt über den Tellerrand zu schauen, bleibt man provinziell, ohne zu merken wer wirklich die Fäden zieht. Oder: Man arbeitet gezielt daran, sich sein warmes Plätzchen zu sichern.
Kaum schien sich der Bürger energetisch zu emanzipieren, springt ihm die Politik in den Rücken bzw. der darbenden Energiewirtschaft zur Seite. Ganz nach dem Motto, lass da mal die ran, die das können. Sie sollten es zumindest können, schließlich haben sie noch nie etwas anderes gemacht, im wahrsten Sinn des Wortes. Sie haben schon immer Energieversorgung zu ihrem Vorteil, weniger im Sinn einer gesellschaftlichen Verantwortung betrieben. So ist es kein Zufall dass man den Eindruck bekommen muss, als ob alles bisherige nur ein Vorgeplänkel war, jetzt wo das Feld bereitet ist dürfen unsere „unverschuldet“ in die Not geratenen Energiekonzerne übernehmen.
Entscheidungsträger
Das Hochtechnologieland Japan macht es deutlich. Aufgrund der Stimmungslage nach dem Atomgau ist die Tür zurück in eine strahlende Energieversorgung eigentlich längst verschlossen, da sind sich 80% der Bevölkerung einig. Das hindert die angesehene Regierung jedoch nicht daran anders zu handeln. Die abgeschalteten Meiler sollen wieder in Betrieb gehen. Fukushima wird wohl ein Intermezzo bleiben, es geht wieder zurück auf Los.
Bevor man sich jedoch allzu sehr darüber echauffiert, sollte man sich vor Augen führen, dass auch bei uns im kleinen Maßstab oft kurzfristig gedacht wird. Kaum fallen die Ölpreise, verdrängt so mancher die Fakten, die noch zuvor offensichtlich schienen. Die Ursachen eines temporären Preiseinbruchs werden verkannt, man freut sich einfach und legt sich beruhigt zurück in die Hängematte der Selbstzufriedenheit. Die Statistik des BDH verblüfft: Bei Heizkesseln stagnierten letztes Jahr alle Feuerungsarten, ausgenommen der Ölkessel, er feiert eine kleine Renaissance. Dumm nur, dass jeder dieser neuen Kesselfossilien 20 Jahre und länger betrieben werden wird, eine kurzfristig motivierte Entscheidung wird da schnell zum Bumerang.
Energierevolution
Aber es muss nicht soweit kommen. Nach der industriellen Revolution ist ein Wandel überfällig. Durch eine nachhaltige, erneuerbare Energieversorgung wären grundlegende gesellschaftliche Veränderungen und ungeahnte Freiheiten erreichbar. So müssten sich Staaten nicht um Energieressourcen prügeln, Verbraucher aller Couleur könnten unabhängig von Energielieferanten werden. Letztendlich würde der schwindende Kaufkraftverlust dank sinkender Energieimporte vieles ermöglichen. Für die meisten von uns sollten das durchaus Ziele sein, für die es sich zu kämpfen lohnt. Und vom Umbau unserer Energieversorgung verstehen wir Bürger genauso viel wie so mancher Entscheider. Oder sogar mehr, da unsere Entscheidungen auf längerfristigen Überlegungen beruhen, Wahlperioden (für Mandate oder Aufsichtsratsposten) sind für uns keine relevante Zeitschiene. Auch partizipieren die wenigsten unter uns an Unternehmensgewinnen. Es ist überfällig etwas zu verändern.
Matthias Hüttmann