Alle löschen mit - übermorgen und irgendwie
Kommentar zum Pariser Klimaabkommen: Das Haus steht in Flammen und fast alle Bewohner wollen das Feuer löschen. Das ist ein Erfolg. Denn zuvor hat es zwar auch schon aus dem Dachstuhl gequalmt, aber im Haus war man sich nicht einig, ob das überhaupt ein Feuer sei. Auch ob man denn wohl löschen müsse, und wenn ja, womit, wurde in Ausführlichkeit diskutiert.
Gut, die Frage hat sich inzwischen selbst beantwortet: Flammen auf dem Dach sind nach einhelliger Meinung jetztdoch wahrscheinlich eher keine falsch verstandene weihnachtliche Illumination. Also treffen sich die Bewohner im Erdgeschoss und beraten, was zu tun sei. Alle sind sich einig: Löschen ist jetzt das Gebot der Stunde. Sie rufen dazu auf, rasch Eimer zu holen. Die wollen sie nach oben schleppen und in die Flammen gießen. Allerdings gibt es noch unterschiedliche Vorstellungen, wie groß so ein Eimer sein soll, damit man einerseits das Feuer bekämpfen, ihn aber andererseits auch noch tragen könne. Andere fragen mehr grundsätzlich, wie er denn überhaupt gefüllt werden soll. Während einige ihren Löscheimer so schnell wie möglich füllen und in die Flammen entleeren wollen, plädieren andere dafür, Regenwasser zu verwenden, weil die Nutzung von Leitungswasser teuer und den Bewohnern nicht zuzumuten wäre – es sei denn, man dürfe den Eimer auch mal beim Nachbarn füllen.
Das sehen aber wiederum die angesprochenen Nachbarn wegen der Nebenkostenabrechnung nicht so gern. Und dann gibt es schließlich noch eine kleine Gruppe von Bewohnern, die zwar auch löschen will, aber erst noch diskutieren möchte, ob denn alle ihren Eimer bis zum Rand füllen müssen. Vielleicht, wenn man künftig mehr Wasser für Küche und Bad zur Verfügung habe, könnte man auch den Eimer ein bisschen voller machen. Aber jetzt gleich, ohne Wenn und Aber? Doch weil inzwischen die Flammen aus den Fenstern im Obergeschoss schlagen, sind sich alle einig, dass Handlungsbedarf besteht. Man zählt durch, wer einen Eimer holen kann und kommt schnell zu der Einsicht, dass das wohl nicht reichen dürfte, die weitere Ausbreitung des Feuers zu stoppen. Daraufhin beschließt man, dass jeder erst mal in seine Wohnung zurück geht und überlegt, ob er nicht doch einen größeren Eimer hat, wie er ihn möglichst rasch füllen kann und ob Wasser, Seifenschaum oder ein Gegenfeuer im Treppenhaus die beste Option sei. Allen ist zu diesem Zeitpunkt klar, dass dies Entscheidungen sind, die wohl überlegt sein wollen und die man nicht überhastet fällen sollte.
Man verabredet also, sich in drei Tagen noch einmal zu treffen; dann schreibt jeder auf eine große Tafel, womit er löschen will, wie groß sein Eimer ist, wie oft er ihn füllen will und wie viel Wasser er dabei von seinen Nachbarn haben möchte oder ob er seinen Nachbarn sogar Löschwasser zur Verfügung stellen will. Wenn das erledigt und die benötigte mit der verfügbaren Wassermenge abgeglichen ist, kann in fünf Tagen mit dem Löschen begonnen werden. Und dann, da sind sich alle einig, soll aber wirklich jeder beim Löscheinsatz dabei sein, sonst gäbe es irgendwie Ärger. Anschließend gehen die Bewohner erst einmal nach Hause. (In manchen Wohnungen ist es schon mächtig warm geworden.) Alle sind zufrieden, dass der Streit darüber, ob es wirklich brennt und ob alle beim Löschen dabei sein sollten, endlich beigelegt wurde. Tatsächlich kann sich niemand erinnern, dass sich die Bewohner in einem Punkt jemals so einig waren wie eben jetzt in diesem. Trotzdem beschleicht den einen oder anderen ein leiser Zweifel, ob die Entschlossenheit ausreicht, das Feuer zu löschen. Und so liegen sie in ihren Betten und lauschen auf das Knacken in den Deckenbalken.
Dieser Kommentar erschien bereits im Dezember auf der Internetseite von „Sonne Wind & Wärme“. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Dr. Volker Buddensiek ist Chefredakteur der Fachzeitschrift.
Dr. Volker Buddensiek