Grundlagen und Konzepte von Strom(Tank)stellen
Die Netzintegration von Elektrofahrzeugen, Teil 4: In den bereits erschienenen Teilen dieser Serie haben wir aufgezeigt, welche technischen Möglichkeiten es gibt, um Strom in ein Elektroauto zu übertragen. Wir haben ferner erläutert, warum wir die Auffassung vertreten, dass in der Anfangsphase die Stromübertragung mit einem Kabel erfolgen wird, und warum sich der dafür erforderliche Anschluss vorne am Auto befinden soll. Auch die unterschiedlichen Lösungen für die zur Diskussion stehenden Steckverbindungen wurden bereits vorgestellt.
Die entscheidenden Fragen der Infrastruktur sind aber noch lange nicht geklärt. Wie soll die Infrastruktur im öffentlichen Straßenraum aussehen? Muss das Laden der Fahrzeuge technisch gesteuert werden und wenn ja, wie?
Unterschiedliche Dienstleistungen
Technische Lösungen, die das Verhalten und die Wünsche der Menschen nicht berücksichtigen, haben keine großen Erfolgschancen. Wenn dann auch noch die betriebswirtschaftliche Seite nicht gewinnbringend ist, so ist ein Geschäftsmodell langfristig nicht tragbar.
Im Zusammenhang mit dem Elektro–auto und seinem Zusammenspiel mit dem Erneuerbaren Energiesystem (siehe Grafik 1) kann man grob drei Arten von Dienstleistungen definieren:
- kWh — ein Elektroauto braucht Strom um zu fahren. Es ist also naheliegend elektrische Energie in Form von Kilowattstunden (kWh) an den Autobesitzer zu verkaufen.
- km — im Normalfall will ein Autobesitzer nur günstig und schnell von „A nach B“ kommen. Anstelle von Energie könnte man ihm also auch Wegstrecke, also gefahrene Kilometer in Rechnung stellen.
- kW — aus der Sicht des Stromnetzes kann ein modernes Elektroauto auch sinnvolle Dienstleistungen zur Netzstützung erbringen. Hier zählt oft bereits die bereitgestellte Leistung, also das Kilowatt (kW).
Eine etwas andere Form der Charakterisierung dieser Dienstleistungen könnte mit folgenden Anglizismen erfolgen. Hier liegt der Fokus eher auf der technischen Komponente:
- Smart Charging — ist der Vorgang des intelligenten Ladens. Man versucht hierbei den für die Mobilität erforderlichen Strom möglichst zum optimalen Zeitpunkt an das Auto zu übertragen. Hierbei spielen viele Aspekte des Stromnetzes eine Rolle als auch die Bedürfnisse der Autobesitzer.
- Smart Billing — beschreibt neue Formen der Bezahlung von Dienstleistungen. Anders als beim Tanken von „Benzin“ kann man im Fall des Elektroautos ganz unterschiedliche Formen der Abrechnung finden, da man alle Dienstleistungen (also kWh, km und kW) verrechnen kann. Dies kann bis zu Mobilitätstarifen mit monatlichen Festpreisen reichen.
- Smart Grid Services — sind Dienstleistungen, die ein Elektroauto im Stromnetz erbringen kann. Die meisten Autobesitzer werden den Nutzen dieser Dienstleistungen nicht erkennen, doch sie haben aus Sicht der Stromwirtschaft einen beachtlichen ökonomischen Wert.
Wir werden auf die obigen drei Bereiche im nächsten Teil dieser Serie ausführlich eingehen. Jedoch kann man die Geschäftsmodelle nicht von der Bauart und Funktionsweise der Stromtankstellen trennen.
Stromstelle oder Stromtankstelle?
Es ist naheliegend, Strom – also kWh – zu verkaufen. So wie man bisher Benzin tankt, könnte man in Zukunft natürlich auch Strom tanken. Aus dieser Denkrichtung kommt auch der Begriff der Stromtankstelle. Doch die Idee ist schon im Ansatz ein Schritt in die falsche Richtung. Wir sollten versuchen, den Begriff des „Tankens“ zu vergessen. Wir müssen weg von der Stromtankstelle und hin zur Stromstelle.
Das Konzept des „Tankens“ beschreibt einen Vorgang, bei dem der Autobesitzer feststellt, dass der Tank des Autos leer wird. Man fährt dann gezielt zu einer Tankstelle mit dem vorrangigen Ziel, den Tank aufzufüllen. Dies ist eine Konsequenz der Tatsache, dass Benzin nur an vergleichsweise wenigen Orten (den Tankstellen) zur Verfügung steht. Da das Umfüllen des flüssigen Benzins sehr schnell geht, dauert der Vorgang des Tankens meist weniger als fünf Minuten. Diese Zeit ist der Autobesitzer gerne bereit zu warten, da man dann wieder für einige Tage oder Wochen mobil ist.
Das Elektroauto ist vollkommen anders. Das Stromnetz ist faktisch überall. Technisch gesehen ist jede Steckdose eine potentielle „Tankstelle“, denn aufgrund des geringen Energieverbrauches eines Elektrofahrzeuges kann man den Fahrstrom in 95% aller Fälle ohne Probleme auch mit einer langsamen Normalladung übertragen. Doch aufgrund der physikalischen Beschränkungen dauert dieser Vorgang meist deutlich länger als die fünf Minuten des heutigen „Tankens“. Da der Stromanschluss jedoch faktisch an jedem Parkplatz sein kann, ist dies kein Problem. Der Vorgang des „Parkens“ dauert in der Regel mehrere Stunden. Wir haben diesen Aspekt bereits im Teil 2 unserer Serie erörtert, da er auch Auswirkungen auf die Fahrzeugseite hat.
„Netzintegration“ vs. „Strom tanken“
Es gibt unterschiedliche Arten von Parkplätzen (siehe Grafik 2), die sich nicht nur in der Zahl der Stellplätze unterscheiden, sondern auch unterschiedliche Eigentumsverhältnisse und Nutzungsmuster aufweisen. Für alle drei Fälle braucht man eine Lösung für die Bereitstellung von Fahrstrom.
Es gibt auch drei unterschiedliche Ausprägungen der Batterieladung (siehe Grafik 3). Die langsame Normalladung erfordert meist nur dünne Kabel und geringe Leistungen. Sie kann an normalen Haushaltssteckdosen erfolgen und der Vorgang läuft in der Regel ohne Aufsicht ab. Aus Gründen der Ergonomie sollte man das Kabel hierfür an einem festem Platz vorne im Auto mitführen. In der IEC-Matrix (Grafik 4) wären dies der Fall A und die Modi 1 bis 3. Dies bezeichnen wir als Netzintegration.
Das „Strom tanken“ entspricht eher der Schnellladung oder dem Batteriewechsel. Das Laden des Akkus mit sehr hohen Strömen (bis über 50 kW) ist technisch möglich und wird beispielsweise in Japan bereits angeboten. Auch wenn Studien (z.B. die der Stadtwerke von Tokyo) zeigen, dass die Nutzer davon in der Praxis nur sehr selten Gebrauch machen, sind Systeme für das „Strom tanken“ durchaus wichtig. Der Nutzen ist jedoch eher psychologischer Natur, da Elektroautofahrer primär die Angst vor einem leeren Akku verlieren, denn sie haben das gute Gefühl, zu jeder Zeit an eine Stromtankstelle fahren zu können, um dort schnell die Energie für die restliche Wegstrecke nachtanken zu können. Neben der Schnellladung und dem Batteriewechsel wäre die dritte Lösung ein im Fahrzeug fest eingebauter kleiner Notstromgenerator, so wie er bei Plug-in-Hybriden vorhanden ist.
Generell gilt es jedoch festzuhalten, dass in der Masse vor allem billige Stromstellen gebraucht werden. Wenn diese flächendeckend an den Parkplätzen vorhanden sind, gibt es keinen Bedarf für Stromtankstellen.
Unterschiedliche Ansätze
Die als Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge angebotenen Lösungen kann man grob in folgende sechs Kategorien einteilen:
- Steckdosen — handelsübliche Steckdosen können bei entsprechender Absicherung und ausreichenden Kabelquerschnitten bei den Zuleitungen als Ladeinfrastruktur dienen. Als Zugangskontrolle und Abrechnungssystem fungiert hier in der Regel der „Faktor Mensch“. In Skandinavien gibt es öffentliche Steckdosen bereits nahezu flächendeckend, da man dort mit ihrer Hilfe im Winter die Benzinmotoren warm hält. Alleine Schweden hat bereits 500.000 öffentliche Steckdosen.
- Abschließbare Steckdosen — hier werden Steckdosen in robuste Gehäuse verpackt. Der Zugang erfolgt in der Regel mit einem normalen Schlüssel und die Bezahlung erfolgt wenn, dann pauschal. Das momentan in Europa am weitesten verbreitete System ist das „Park und Charge“ Netzwerk.
- Stromstellen — dies sind öffentliche Steckdosen mit klar definiertem Verhalten. Eine Stromstelle ist der Netzanschlusspunkt für „Häuser mit Rädern“, deren Freischaltung automatisch und nach einem bundes- oder europaweit einheitlichen Verfahren erfolgt. Lademanagement, in der Form von Bandbreitenmanagement, sollte hier Standard sein (mehr dazu erfahren Sie im nächsten Teil dieser Serie).
- Stromautomaten — ähnlich einem Kaugummiautomaten geben Geräte dieser Kategorie gegen Bezahlung Strom an den Kunden ab. Man könnte auch sagen, dass dies eine um ein Bezahlsystem erweiterte abschließbare Steckdose ist.
- Stromtankstellen — wie bei einer normalen Tankstelle kann man hier gegen Bezahlung sehr hohe elektrische Ladeleistungen abrufen und so tatsächlich „Strom tanken“. Der Vorgang erfolgt in der Regel unter Aufsicht. Im Unterschied zum Stromautomaten ist bei Stromtankstellen das Kabel fester Bestandteil der Infrastruktur. Die Energie kann, je nach Bauart, auch in Form von Gleichstrom übertragen werden.
- Batteriewechselstationen — die schnellste Form des „Strom tankens“ ist der Wechsel des ganzen Akkus. Das Aufladen der Batterie kann hier vom eigentlichen Tankvorgang zeitlich und räumlich entkoppelt werden. Das System verlangt als Konsequenz aber auch eine Trennung des Eigentums von Fahrzeug und Akku, denn niemand wird seinen persönlichen Akku gegen den einer fremden Person eintauschen wollen. In der Praxis müssen Batterien hier also von einem Dienstleister gemietet werden.
Die ersten drei Ansätze fallen in die Kategorie der Stromstellen für Netzintegration mit jeweils unterschiedlichem Nutzerkreis. Die letzten drei sind vom Konzept her Stromtankstellen. Die Tabelle auf diesen Seiten beinhaltet eine Zusammenstellung der typischen Unterscheidungsmerkmale und zeigt jeweils ein exemplarisches Beispiel für jedes System. Auf den Internetseiten der DGS gibt es zudem eine detaillierte Übersicht aller uns aktuell bekannten Infrastrukturlösungen.
Probleme und Wechselwirkungen
Doch warum sind Stromtankstellen schlecht und Stromstellen gut? Warum ist dieser kleine Unterschied so entscheidend?
Das Stromnetz hat ein Problem. Die Erzeugung von Strom und dessen Verbrauch müssen aus physikalischen Gründen immer exakt zeitgleich erfolgen. Gelingt dies nicht, gerät das Netz aus dem Takt und bricht im schlimmsten Fall zusammen. „Strom tanken“ erzeugt kurzfristige Leistungsspitzen, die man zudem zeitlich nicht verlagern kann. Stromtankstellen leisten somit keinen Beitrag zur Netzstützung.
Die Erneuerbaren Energien haben ein Problem. Der solare Energieverbund (Grafik 1) wird in Zukunft von Windstrom und Solarstrom dominiert. Deren Energieangebot folgt dem Wetter. Die einzigen Formen regel- oder speicherbarer Energie sind die Biomasse und die Wasserkraft. Konnte man in einem fossilen System bisher sehr einfach das Stromangebot regeln, so wird man in der solaren Zukunft verstärkt auf der Seite des Stromverbrauches regeln müssen (Stichwort: Smart Charging).
Elektroautos haben ein Problem. Sie können mühelos dem Stromnetz extrem große Leistungen abverlangen. „Dumme“ Elektroautos, die beim Anstecken an das Stromnetz beginnen, plump mit voller Leistung zu laden, verursachen im Netz eher Probleme und tragen nichts zur Stabilisierung der Netze bei. Mit derartiger Technik sind weder Smart Charging noch Smart Grid Services möglich.
Tankstellen machen Probleme. Wer etwas bezahlt, der will es auch bekommen. Wenn man nun also versucht, an einer Stromtankstelle Fahrstrom zu verkaufen, dann will der Kunde diesen Strom auch erhalten; nach Möglichkeit so schnell es geht. Eine intelligente Verlagerung dieses Fahrstromverbrauches ist praktisch nicht mehr möglich, da sie dem Kunden (Autobesitzer) nur schwer zu vermitteln sein wird. Die Grundidee einer Stromtankstelle steht im Widerspruch zum Konzept des intelligenten Ladens.
Steckdosen haben ein Problem. Sie sind zu teuer. Elektroautos verbrauchen zu wenig Energie. Bereits in Teil 1 dieser Serie haben wir aufgezeigt, dass der tägliche Umsatz je E-Auto und Parkplatz nur bei rund einem Euro liegt. Unterstellt man einen Gewinn von rund 10%, so könnte ein Betreiber je Parkplatz maximal 30 Euro pro Jahr verdienen. Damit lässt sich eine Stromtankstelle nicht bezahlen und selbst bei einer ganz einfachen Stromstelle ist das Verkaufen von Strom (kWh) kein realistisches Geschäftsmodell. Die Kosten für ein Abrechnungssystem übersteigen den möglichen Gewinn. Dies zwingt zu neuen Abrechnungssystemen und Geschäftsmodellen (Stichwort: Smart Billing).
Solare Mobilität braucht Stromstellen
Der reine Verkauf von Strom („kWh“) und der Aufbau von Stromtankstellen erschwert nicht nur die Ausschöpfung sämtlicher technischer Potentiale der Elektromobilität für die Stabilisierung der Netze („kW“), sondern steht auch im Konflikt mit den neuen Geschäftsmodellen („km“) für nachhaltige Mobilitätskonzepte. Aus Sicht der Solaren Mobilität sind daher Stromstellen den Stromtankstellen vorzuziehen.
Stromstellen müssen Bestandteil der öffentlichen Stromnetze werden und diskriminierungsfrei allen Teilnehmern des Fahrstrommarktes zu den gleichen Bedingungen bereitgestellt werden.
Der nächste Teil unserer Serie wird detaillierter aufzeigen, warum und wie ein System aus Stromstellen die vielen hier aufgeführten Probleme lösen kann.
Tomi Engel