Bausteine die zählen
Trotz digitaler Technik verharren die Stromzähler in überalterten Systemkonzepten. Wir schlagen für die zukünftige Entwicklung einen neuen Anglizismus vor: Trusted Modular Energy Meter.
Im Zusammenhang mit der geplanten Installation von digitalen Stromzählern („Smart Metern“) haben wir im Rahmen unserer Artikelserie zur Dezentralität bereits die Aspekte der dezentralen Strommärkte und entsprechender Ansätze für Stromzähler skizziert (siehe SONNENENERGIE 2015-02, 03 und 05). Bei der Technik geht es um die Fragen:
- Wie kann man die Stromzähler kleiner und billiger machen?
- Wie kann man den Aspekt des Datenschutzes verbessern?
- Wie kann man die Angreifbarkeit des Stromnetzes reduzieren?
- Wie kann man neue Anwendungsmöglichkeiten schaffen?
Wir versuchen im weiteren Verlauf einige Ideen für ein neuartiges, modulares Stromzählerkonzept zu skizzieren, das helfen könnte auf einige der obigen Fragen auch ein paar Antworten geben zu können.
Fortschritt bringt Rückschritt
Man sagt, die Digitalisierung macht alles kleiner, besser, billiger und sparsamer. Was bei Mobiltelefonen oder Fernsehgeräten offenbar zutrifft, scheint beim Stromzähler einfach nicht umsetzbar zu sein. Die digitalen Stromzähler sind weiterhin genauso klobig und schwer wie die alten (siehe Bild unten). Anstelle eines Zählers braucht man bald noch zusätzliche Gateways, Router und Adapter, was in Summe noch mehr Platz in Anspruch nimmt und den Stromverbrauch der banalen Stromzählung spürbar nach oben treiben wird. Gleichzeitig wird alles so komplex und unüberschaubar, dass ohne Not neue, echte Gefahren für das Stromnetz entstehen (siehe SONNENENERGIE 2015-05). Wie sind wir nur hier gelandet?
Analog ist jetzt Digital
In der Umgangssprache wurde der unförmige Kasten im Keller, den man für die Stromabrechnung ablesen muss, schon immer als Stromzähler bezeichnet. Durch elektromagnetische Kräfte werden die Ziffern eines mehrstelligen Zählwerkes fortlaufend in einer mechanischen Kaskade weitergedreht. Der Zählerstand steht in einem direkten Verhältnis zu der durch den Stromzähler geleiteten Energiemenge (kWh). Beim Umspringen des letzten Zahlenrädchens konnte man zusätzlich einen Schalter schliessen lassen und so einen Stromimpuls erzeugen. Diese Form der „Fernauslesung“ nennt sich S-Null-Schnittstelle.
Im Zuge der Digitalisierung wurden Schritt für Schritt alle Funktionen auf digitale Computertechnik umgestellt. Die Stromsensoren arbeiten heute mit Analog-Digital-Wandlern. Die Zahlenrädchen wurden durch digitale LCD-Anzeigen ersetzt. Der banale, analoge S0-Ausgang wurde durch eine digitale Messwertauslesung auf Basis des DLSM/COSEM Standards ersetzt. Prima!
Jetzt ist zwar alles digital, aber wir haben uns nie die Zeit genommen, das ganze System zu hinterfragen.
Messen oder Zählen
Im Kern gibt es immer folgende vier Aufgaben zu lösen:
- M: Messung … von Strom und Spannung in geeichter Form und mit hoher Auflösung
- G: Gehäuse … zur Befestigung und zum Schutz der Bauteile
- Z: Zählung … der kWh (Bildung des Integrals) auf Basis der Messungen
- A: Anzeige … und Kommunikation der Zählerstände und Messwerte
Der von uns zur Diskussion gestellte modulare Stromzähler (siehe auch Kasten nächste Seite) versucht die Baugruppen so zu trennen, dass sie nur eine der Funktionen erfüllen und möglichst unabhängig von den anderen Elementen geändert werden können. Um hier nur ein paar Aspekte anzureissen, seien folgende Überlegungen zu nennen:
- (M) und (G) müssen bei 230 Volt ganz anders ausgeführt werden als bei 10.000 Volt. (Z) und (A) könnten jedoch in beiden Fällen gleich bleiben.
- (M) und (G) verlangen nach geschulten Fachleuten. (Z) und (A) sollten auch von Laien gehandhabt werden können.
- (M) kann in beliebigen (G)s verbaut werden und mit beliebigen (Z)s zur Abrechnung gebracht werden.
- (M) versteht die internationale Physik. (Z) versteht das Geld und den nationalen Rechtsrahmen.
- (M) und (G) sind eher langlebig. (Z) und (A) potentiell sehr kurzlebig.
- (M) steht für „richtig messen“ und das ist schwierig. (Z) steht für „richtig zählen“ und das ist einfach.
Digitale Sensoren
Gehäuse und Anzeige sind keine besonders spannenden Baugruppen. Die digitalen, geeichten Messsensoren sind jedoch bei weitem noch keine Selbstverständlichkeit. Heute werden analoge Messwandler verwendet und ihre Signale über teils lange Kabel bis zum eigentlichen Messchip geführt. Dabei entstehen nicht nur zusätzliche Störungen der Signale, sondern auch Abhängigkeiten zwischen Wandler und Messchip. Denn die zur Kalibrierung notwendigen Korrekturfaktoren können erst im Messchip angewendet werden, was jedoch eine harte Kopplung beider Bauteile erzwingt.
Wenn der Analog-Digital-Wandler direkt Teil des Wandlers ist, so können sofort alle notwendigen Korrekturen am Ort der Messung erfolgen. Zur Kommunikation der Rohdaten für den Kurvenverlauf von Spannung und Strom zur Abrechnungseinheit (Z) reicht ein normaler CAN-Bus mit 1 Mbit Datenrate. In exotischen Anwendungen werden derartige Produkte bereits eingesetzt. Wir glauben, geeichte digitale Strom- und Spannungssensoren sollten in Zukunft handelsübliche Massenware werden.
Der Stromzähler als SIM-Karte
Die Abbildung der gemessenen Rohdaten in Energiemengen (kWh) und dann in eine Stromrechnung (Euro) ist eine primitive Rechenaufgabe, die heute jeder 5-Euro-Computer erbringen kann.
Das Komplexe daran sind die sich ständig und kurzfristig ändernden äußeren Rahmenbedingungen: ein neues Gesetz zur Transparenz der Abrechnung, neue Tarife oder Vergütungssätze, neue Kommunikationsstandards für die Gebäudeautomatisierung, neue Anforderungen an die Sicherheit von Verschlüsselungstechnik usw.
Aus all diesen Gründen sind wir der Meinung, dass man diese Funktionen in eine Art moderne „SIM-Karte zur Stromzählung“ packen sollte. Bei Mobiltelefonen ist die SIM-Karte schon lange Alltag. Warum nicht die kritischen und kurzlebigen Aspekte des Stromzählers in ein handliches, austauschbares Modul auslagern?
Kostenreduktion und mehr
Ein derart modularer Ansatz sollte zu Kostenreduktionen führen, da man in der Regel nur den billigen, kurzlebigen Teil auf den neusten Stand der Technik bringen muss. Weniger Aufwand, weniger Müll, einfachere Handhabung.
Es wäre sogar denkbar, den Stromzähler direkt in die Wechselrichter von PV-Anlagen oder Elektroautos zu integrieren. Das Zählermodul könnte dabei direkt auf die geeichten Stromsensoren des Umrichters zurückgreifen. Sollte eine Zählung der Energiemengen zwingend notwendig werden, so reicht in Zukunft die Nachrüstung der „Stromzählerkarte“.
Hase und Igel
Der Kerngedanke ist die konsequente Trennung der Baugruppen entlang der unterschiedlichen Lebens- bzw. Innovationszyklen. Dass in der Praxis auch unter optimalen Bedingungen vermutlich Jahrzehnte ins Land gehen werden bis sich die europäische Industrie im Rahmen der Normung auf technische Details einigt, sollte uns nicht davon abhalten neue Konzepte aufzuzeigen. Die neue Idee kann sagen: „Bin schon da!“
Drei Bausteine eines „Trusted Modular Energy Meters“
Z: Die Abrechnungseinheit sollte sehr einfach austauschbar sein und alle Computerbauteile enthalten, die einem sehr kurzen Innovationszyklus unterworfen sind. Das Beispielbild zeigt die Innen- und Außenansicht eines heutigen Produktes aus dem Bereich der SD-Speicherkarten. Dort ist auf der Fläche von ca. 2 x 3 cm neben einem sehr großen Datenspeicher ein kompletter „Linux“-Computer verbaut, der auch digitale Funkschnittstellen (WLAN) anbietet. Ein Versand derartiger Bausteine mit einem Postbrief ist problemlos. Der Einbau bzw. Austausch durch Laien ist möglich.
G: Das Gehäuse bietet definierte Einbauplätze für die Messsensoren und einen Einschubschacht für die austauschbare Abrechnungseinheit. Zusätzlich stellt es die notwendigen (robusten) Anschlussklemmen und eine interne Stromversorgung bereit. Dieses Bauteil ist eher klobig und schwer, vollkommen „dumm“, aber dafür auch sehr langlebig. Das Gehäuse dient dem mechanischen Schutz. Der Einbau muss durch geschulte Fachleute erfolgen.
M: Die Erfassung der physikalischen Messgrößen (Strom und Spannung) erfolgt über kalibrierte Sensoren. Diese übermitteln die Rohdaten der Messwerte in digitaler Form an die installierte Abrechnungseinheit. Das Bild zeigt ein bereits heute käufliches Produkt, das für Anwendungen bei hohen Stromstärken (z.B. in Elektroautos) angeboten wird.
Tomi Engel