Grünbuch Energieeffizienz: Dir richtige Richtung?
Rede und Gegenrede Energieeffizienz: Zweite Säule der Energiewende (von Hubert Beyerle und Dr. Gerd Stadermann) vs. Synergien statt Energieeffizienz (von Klaus Oberzig).
Rede: Energieeffizienz: Zweite Säule der Energiewende
Das Bundeswirtschaftsministerium hat im August ein "Grünbuch Energieeffizienz" vorgelegt, eine Diskussionsvorlage für die Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit. Grundsätzlich ist dieses Grünbuch mit seinen Hauptaussagen begrüßenswert. Mehr Energieeffizienz ist unabdingbar zum Erreichen der Klimaziele und zum Erfolg der Energiewende. Sie ist nach dem Ausstieg aus der Atomenergie und dem Ausbau der Erneuerbaren deren zweite Säule.
Allerdings bleibt Einiges am Grünbuch unklar und mangelhaft. Die Effizienzstrategie weitgehend auf die Verbraucherseite und die Sektorkopplung (zwischen Stromwirtschaft einerseits und Wärmeerzeugung in den Haushalten sowie der Mobilität andererseits) zu konzentrieren, geht zwar in die richtige Richtung, aber nur einen halben Schritt. Die Energiebereitstellung bleibt außen vor - bis auf die Erwähnung, dass bis 2050 eine weitgehende Dekarbonisierung erfolgt sein soll. Dabei sind auch hier hohe Effizienzpotenziale zu heben: Vor allem in der gemeinsamen Erzeugung von Strom und Wärme, der Kraft-Wärme-Koppelung, und in der Entwicklung von Speichern für Windstrom.
Erneuerbare Energien sind effizienter als fossile
Mit einem rascheren Ausbau der Erneuerbaren Energien hätte man das Ziel möglicherweise schneller erreicht: Wenn man den Anteil der Erneuerbaren Energien von heute 14,9 auf 30 % innerhalb der nächsten 15 Jahre verdoppeln würde, hätte man rechnerisch bereits 2030/35 einen Erneuerbaren-Energien-Anteil von 60 Prozent - wenn der Primärenergieeinsatz bis dahin halbiert wäre.
Die Effizienzwende auch im Wärmebereich ist entscheidend für den Erfolg der Energiewende. Dazu heißt es im Grünbuch: "Der Energiebedarf, der aus volkswirtschaftlichen oder anderen Gründen trotz Effizienzmaßnahmen (...) verbleibt, deckt der Strom aus Wind und Sonne." Die nach umfassender Dämmung immer noch erforderliche Wärme soll durch (möglichst erneuerbaren) Strom abgedeckt werden. Das läuft quasi auf eine Festlegung zur Wärmeerzeugung mittels Wärmepumpe hinaus. Aber ist das immer sinnvoll?
Energieeffizienz kann und darf nicht ohne Ressourceneffizienz gedacht werden. Windkraft verbraucht Material und Landschaft und mit Strom den Großteil der gesamten Raum- und Prozesswärme zu erzeugen, ist zumindest energetisch problematisch, wenn nicht illusionär. Auch aus exergetischer Sicht ist es nicht sinnvoll, aus Sonnenwärme zuerst Strom zu erzeugen und ihn dann wieder in Wärme umzuwandeln.
Eine direkte Nutzung der Sonnenwärme ist sehr viel effizienter. Das bedeutet, der Ausbau solarthermischer Anlagen sollte massiv gefördert werden. Das Grünbuch geht auf dieses Thema überhaupt nicht ein. Inzwischen zeigen aber immer mehr Sanierungsprojekte, dass mit intelligenter Kombination von Solar- und Geothermie mit Langzeitspeichern enorme Effekte erzielt werden können. Es besteht ökologisch überhaupt keinen Grund, den Verbrauch solar- und geothermischer Energie zu senken. Hier ist das Ziel völlig falsch formuliert!
Sanierung auch mit Erneuerbaren Energien
Null-Energie-Gebäude kommen ohne externe leitungsgebundene Energiezufuhr aus; sie versorgen sich weitgehend selbst. Damit gilt für den Neubau von Gebäuden, dass die Effizienz-Optionen bei der Gebäudehülle, die zu einer Minderung des Energiebedarfs führen, leider deutlich zurückgesetzt werden gegenüber jeglichen Formen der "Elektrobeheizung und -klimatisierung" aus erneuerbaren Quellen. Das Ziel kann damit nicht das "Null-Energie"-Gebäude sein, sondern das Null-CO2-Gebäude.
Damit ist die Frage aufgeworfen: Was heißt "Efficiency first" konkret? Es kann nicht heißen, zuerst absolut alle theoretisch denkbaren und möglichen Einsparpotenziale auszuschöpfen und erst dann auf Erneuerbare zu setzen. Es muss um eine intelligente Abwägung gehen, die ökologische und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt. Wie soll diese Abwägung stattfinden? Das ist die entscheidende Frage, das Grünbuch liefert keine Antworten. Die bisherige Abwägung nur mittels Primärenergiefaktoren der EnEV (und über die läuft faktisch die gesamte Abwägung im Hauswärmebereich!) hilft nicht wirklich, jedenfalls in der heutigen Form.
Fazit
Energieeffizienz und Erneuerbare Energien sollten mit gleicher Priorität und in strategischer Wechselwirkung gleichzeitig ausgebaut werden. Es können beide, Primärenergie und wirtschaftliche Kosten, rasch und erheblich reduziert werden. Entscheidend ist die Dekarbonisierung der Volkswirtschaft, ob mit Energieeffizienz oder Erneuerbaren Energien, beides ist richtig und notwendig. Für den Weltklimavertrag von Paris, der auch von Deutschland unterzeichnet wurde, wäre es ein guter Beitrag.
Gegenrede: Synergien statt Energieeffizienz
Grünbücher wie auch Weißbücher sind Strategiepapiere. In ihnen wird eine grundsätzliche Linie entwickelt und werden die Ziele der Verfasser vorgestellt und begründet. Allerdings wird dies auch gerne zur Verschschleierung genutzt. In der Großen Koalition wurde der Einsatz von Grün- und Weißbüchern nun zweimal durchexerziert. Im Grünbuch "Ein Strommarkt für die Energiewende" ging es 2014 um die Deckelung des Ausbaus von Wind- und Solarstrom. Begründet wurde dies damit, dass die Energiewende "zu schnell" voranschreite - Kanzlerin Merkel formulierte, die Energiewende bräuchte eine "Atempause" - weil zu viel fluktuierender Ökostrom die Netze gefährde. Dies diene der Versorgungssicherheit. Als Mittel zum Zweck wählte die Bundesregierung, neben anderen Fußangeln, das Instrument der Ausschreibung. Stufenweise wurden diese für PV-Freiflächen, die zudem auf 10 MW begrenzt wurden, und für Windparks eingeführt. Und aktuell nun auch im KWK-Gesetz für Anlagen bis 50 MW Größe.
Kampf um die Deutungshoheit
Dem strategischen Ziel, die Erneuerbaren in der Stromerzeugung abzubremsen, sind die Kohlefreunde im Wirtschaftsministerium einen Schritt näher gekommen. Mancher fragt sich, wozu aber der Aufwand mit langwierigen Debatten, immer komplexer werdenden Gesetzeskonvoluten und einer Regelungsdichte, die mit Marktwirtschaft und Freiheit der Marktakteure nichts mehr zu tun hat und höchstens mit der Vorgehensweise der staatlichen Plankommission in der DDR vergleichbar ist? Sicher, es geht um Kapital, viel Kapital, das in den technischen Anlagen der fossilen Stromerzeuger angelegt ist und nun unrentabel, sprich vom Pleitegeier bedroht ist. Es geht aber auch um die Deutungshoheit dessen, was unter technischem wie wissenschaftlichem Fortschritt zu verstehen ist. Was die Regierung mit Mitteln der Planwirtschaft zu beeinflussen versucht, ist unsere Sichtweise der Technikentwicklung. Sind die Erneuerbaren reif für einen Wechsel des Energiesystems oder braucht das noch eine Generation? Was logischerweise bedeuten würde, die vorhandenen fossilen Technologien als eine Art Zwischenlösung beizubehalten, und effizienter machen zu müssen? Die Freunde der fossilen Verbrennung formulieren diese Frage nicht offen, sondern operieren suggestiv. Kein Zufall, dass seit Jahren die Metapher Energieeffizienz durch die Lande geistert, ohne dass sie klar verortet wird: Effizienz der Fossilen oder der Erneuerbaren? Vor allem, was hat Priorität?
Die Debatte um die ersten Grün- bzw. Weißbücher war auch davon geprägt, dass Solarfreunde die Interessenlage der inzwischen energiewendefreundlichen Strommonopole und der Regierung ausgeblendet und versucht haben, im Kleinklein und in Einzelaspekten doch noch irgendetwas Positives zu finden. Strategisch diskutiert wurde nicht. Stattdessen gab es oft eine nahe an die Selbstaufgabe reichende "Ja, aber..."-Kritik, die mit dazu beitrug, dass die Solarindustrie und die Bürgerenergie-Bewegung in die Defensive gerieten. Strategische Ziele haben es aber an sich, dass man sie nur befürworten oder ablehnen kann. Will man Ökostrom und hält seinen Ausbau für möglich oder eben nicht.
Exit Strategie ohne Zeitrahmen
Anfang August 2016 legte das BMWi sein Grünbuch Energieeffizienz vor, dem ein Weißbuch folgen soll. Spätestens seit den Pariser Klimabeschlüssen steht das Thema Dekarbonisierung im Mittelpunkt der Energiepolitik und damit auch die Frage, wie sich die Koalition verhält. Rainer Baake, Staatssekretär im BMWi, spricht dieses D-Wort nicht gerne aus, ist es doch zu direkt und unmissverständlich. Er redet lieber von Exit-Strategie. Das suggeriert einen guten Willen zum Kompromiss und zum Ausstieg aus der Verbrennung. Was außen vor bleibt, ist die Frage des Zeitpunktes. Dekarbonisierung ohne zeitliche Festlegung provoziert die Frage nach dem "wann", ohne wäre sie reine Verzögerungsstrategie.
Im Grünbuch wird die Dekarbonisierung als Problem der Energieeffizienz, aber auch als Problem des Wirtschaftswachstums ausgegeben. Eine klimapolitische Begründung kommt nicht vor. Einem Ausstieg aus der Verbrennung könne man sich nur stufenweise nähern bis man irgendwann - ohne zeitliche Festlegung heißt das irgendwann - den verbleibenden Energiebedarf regenerativ decken könne. Das Ziel, die Kohlekraftwerke und die fossilen Heizkessel, die in diesem Zusammenhang leicht übersehen werden, noch eine Generation in Betrieb zu halten, wird im Grünbuch selbst nicht explizit formuliert. Aber jeder Gasbrennwertkessel, der heute angeschafft wird, hält nun mal 25 Jahre und bleibt so lange treuer Kunde von Gazprom und Konsorten.
Energieeffizienz oder Energiewende?
Geht man davon aus, dass dem Grünbuch Energieeffizienz und der aufgepoppten Parole "Energy-Efficency first" die unveränderten strategischen Ziele wie bei den vorangegangenen bunten Büchern aus dem Hause Gabriel zu Grunde liegen, stellt sich die Frage, warum nach Positivem im Kleingedruckten suchen. Aber warum um Himmels Willen, muss man, bevor man Einzelpunkte anspricht, das Grünbuch Energieeffizienz erst einmal als "grundsätzlich" und "in seinen Hauptaussagen begrüßenswert" hochloben, wie Hubert Beyerle und Gerd Stadermann das tun? Ist das nur der reflexhafte Kotau, den man sich in der Energiewendebewegung angewöhnt hat? Liest man weiter, sticht die These ins Auge "mehr Energieeffizienz ist unabdingbar zum Erreichen der Klimaziele und zum Erfolg der Energiewende"? Unabdingbar? Klingt wie alternativlos. Woher kommt diese mit scheinbarer Selbstverständlichkeit vorgetragene Aussage? Ist das lediglich die in der Community eingerissene Political Correctness gegenüber den neuen Energiewendefreunden in den Monopoletagen oder ist dies abgesichert? Diese Aussage ist falsch.
Schauen wir auf Wissenschaft und Forschung. Es wird hierzulande zwar viel in Grundlagenforschung investiert. In der angewandten Forschung hingegen - und dazu zählen die Anstrengungen zur Energieeffizienz - liegt seit über einem Jahrzehnt ein wichtiger Schwerpunkt auf dem Verbinden von vorhandenen Technologien hin zu neuen Produkten und Qualitäten. Gleichgültig ob man formuliert, Quantität schlägt um in Qualität oder hybride Techniken bringen etwas Neues hervor, gemeinsam ist diesen F&E Aktivitäten, dass der Treiber immer in der IT zu finden ist. Dies gilt für die Entwicklung wie für den späteren Betrieb. Als Beispiele ließen sich exemplarisch die LED-Technologie genauso gut anführen wie Smartphones. Auch im Energiesektor gibt es längst Hybride der unterschiedlichsten Art, einmal als Verbindung von fossilen mit regenerativen Elementen, aber auch und vor allem in der Verbindung Erneuerbarer Energien untereinander. Wärmepumpe mit PV, PV mit Batteriespeicher, Ökostrom plus Solarwärme plus Biomasse in dänischen Wärmenetzen (smartdistrict heating), Timo Leukefelds energieautarkes Wohnhaus mit PV- und Solarthermie-Dach samt Saisonspeicher, die Idee des "emissionfree lifestyle" von Tesla mit der Kombi von Solardach, Hausspeicher und E-Auto oder das Verbundkraftwerk als ein Weg zur Entlastung der Netze und zur Dezentralisierung; sie alle sind Erneuerbare im Verbund, die durch ein intelligentes Energiemanagement verknüpft bzw. gesteuert werden. Sie alle erreichen Synergieeffekte, der mit der singulären Technologie alleine nicht zu erreichen ist.
Fazit
Gehen wir zurück zur Begriffsebene. Um etwas effizienter zu machen, muss es bereits vorhanden sein. Effizienz fokussiert auf Vorhandenes und strebt keine neuen Lösungen an. Gerade weil dies einen aufs Beharren ausgerichteten Zusammenhang beschreibt, ist es falsch, diese Strategie zur zweiten Säule der Energiewende hochzustilisieren. Verzichtet dies doch darauf, sich dem Neuen zuzuwenden, sondern lediglich das Vorhandene zu verbessern. Unabdingbar zum Erreichen der Energiewende wird es sein, sich neuen Verbundlösungen zuzuwenden. Die Alternative zu Kohleverstromung, Heizkesseln und vor allem der Dezentralisierung liegt nicht in einer Effizienzoffensive. Sie ist kein Rezept für den Ausstieg, sondern die Grundlage für ein Beharren. Sonst könnte es der Energiewende wie Lots Frau in der biblischen Erzählung von Sodom und Gomorra ergehen, die auf die untergehende Stadt zurückblickte und zur Salzsäule erstarrte.
Hubert Beyerle, Dr. Gerd Stadermann, Klaus Oberig