Bürgerfreiheit und Netzverantwortung
Dezentralisierung des Energiesystems als technische und politische Herausforderung, Teil 1: Die Energiewende ist das wichtigste Gemeinschaftswerk der deutschen Nachkriegsgeschichte“, so lautet die zentrale Aussage eines gleichnamigen Buches aus dem Jahr 2014. Im Eifer des Gefechtes um Gesetzesänderungen, Lernkurven, Förderprogramme, Ausschreibung und Zubauraten mag dies manchmal in Vergessenheit geraten. Die Energiewende hat nicht nur technische und ökonomische Seiten, sie ist auch eine Frage der Demokratie. Und genauso war dieser Buchtitel auch gemeint. Selbstbestimmte Energieerzeugung und -verbrauch sind Bürgerrechte im Sinne von Bürgerfreiheiten, die auch heute, gefangen im Dickicht überbordender Regelungsmonster, nicht selbstverständlich sind. Bürgerenergie, gewissermaßen personalisiert im Bild des Prosumers, hat in der deutschen Geschichte unterschiedliche Anerkennung erfahren und ist bis heute umkämpft.
Der Begriff der Energiewende wird gerne undifferenziert, quasi als Zuckerguss gebraucht, ja missbraucht, um ein gemeinsames „Wir“ vorzugaukeln, das gar nicht existiert. Waren in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg vor allem an der Nordseeküste Windräder in bäuerlicher Hand neben der Wasserkraft im Landesinneren die ersten Auftritte freier Prosumer, so änderte sich dies radikal im Jahr 1935 mit dem Energiewirtschaftsgesetz. Es liquidierte die Freiheit der eigenen Energieerzeugung und „übertrug den Energieversorgungsunternehmen (EVU) in sogenannten Demarkationsgebieten das Versorgungsmonopol und legte dabei die Anschlusspflicht unter allgemeinen Bedingungen und Tarifen für alle Anschlussnehmer fest“. Dieser Anschlusszwang überlebte das tausendjährige Reich ebenso wie die westdeutsche Bundesrepublik und fiel erst im Jahr 1998. Was blieb waren die Energie- und Strommonopole, die auch nach dem sogenannten Unbundling, manche nennen es Liberalisierung, ihre starke Stellung nicht wirklich verloren haben. Sie sind mit der Verstromung von Atom, Kohle und Erdgas im Bereich der Erzeugung und des europaweiten Stromhandels nach wie vor Big Players, die ihre Positionen nicht freiwillig räumen wollen und alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, die Ausbreitung der Prosumer in Grenzen zu halten.
Energieerzeugung als demokratisches Grundrecht
Nun sind Erneuerbare Energien ihrem Charakter nach nicht nur klimaverträglich, was sich von fossilen Brennstoffen nicht sagen lässt. Sie sind in ihrer kleinteiligen Verfügbarkeit höchst ökonomisch und bedürfen nicht der großen Kapitalanlagen, wie es die fossilen Brennstoffe erfordern. Sie können dezentral und von jedem Bürger eingesetzt werden. Deshalb sind Sonne, Wind und Co. die natürlichen Technologien, mit denen sich das Bürgerrecht auf eigene Energieerzeugung realisieren lässt. Sie sind ein demokratisches Mittel, um dem Klimawandel entgegen zu wirken. Wir müssen aber auch konstatieren, dass es gegensätzliche Konzepte von Energiewende gibt, die sich genau in diesen Kriterien beißen. Monopolstrom versus Bürger- oder Mieterstrom sind keine Marketing-Erfindung, sondern haben grundsätzlichen unterschiedlichen Charakter. Oder anders ausgedrückt, es ist kein Zufall, dass die gesetzten Klimaziele nicht erreicht werden.
All das sollte man sich ins Gedächtnis rufen, wenn man zu Beginn des Wahljahres 2017 die Energiepolitik der Großen Koalition bilanziert und versucht, eine Orientierung für eine zukünftige, veränderte Energiepolitik zu bestimmen. Schaut man sich den Kern der Politik der jetzigen Koalition an, stößt man auf eine politische Linie der Eindämmung der Erneuerbaren, die bis ins Jahr 2009 zurückreicht, als der Ausgleichsmechanismus der EEG-Umlage zu Ungunsten der Erneuerbaren auf den Kopf gestellt wurde. Heute reklamiert die Große Koalition für sich, einen neuen Strommarkt geschaffen zu haben, der fit sei für die Erneuerbaren Energien. Der alte Strommarkt habe sich vor allem an Atom- und Kohlestrom orientiert. Im neuen seien die Erneuerbaren nun der „stärkste Pfeiler am Strommarkt“.3) Eine erstaunliche Feststellung angesichts der EE-feindlichen Mechanismen, der Deckelung und der Renaissance der Kohleverstromung. Tatsächlich konkurrieren im „neuen Strommarkt“ moderne Windenergie- und Photovoltaikanlagen mit abbezahlten und abgeschriebenen Atomkraft- und Kohlekraftwerken, welche die Stromnetze auf Kosten der Erneuerbaren, Stichwort Abregelungen, verstopfen. Die neue Ordnung im Strommarkt hat mit einem Bündel von Gesetzesmaßnahmen - im letzten Jahr die EEG-Novelle, das Strommarktgesetz und das Digitalisierungsgesetz - zu einem nie erahnten Einbruch bei der Photovoltaik geführt. Vor allem die PV-Freifläche wurde kurz und klein gehauen, nicht nur durch die Ausschreibungen, sondern auch durch die radikale Deckelung auf 10 MW und die verfügte Beschränkung auf Konversions- und Infrastrukturflächen.
Was bleibt nach Gabriels Abgang
Vor allem Bürgerenergieprojekt und Energiegenossenschaften sind ins Hintertreffen geraten. Die von der Koalition offen vertretene Deckelung der Zuwachsraten bei den Erneuerbaren wurde damit begründet, dass der ungezügelte Zuwachs durch ihre Fluktuation zur Gefahr für das Stromsystem geworden sei. So wird der Kahlschlag zur Rettungstat umdeklariert. Bei den nun ins Haus stehenden Ausschreibungen für Windparks steht zu befürchten, dass die Onshore-Windenergie es in Zukunft schwerer haben wird, ebenso wie die Kraft-Wärme-Koppelung bis 50 kW. Und last but not least der Wärmesektor, in dem der Energieeffizienzsteigerung überholter Verbrennungstechnologien bei Gas und Öl der Vorrang eingeräumt wird. Mit den Pariser Klimabeschlüsse ist das so gar nicht mehr in Einklang zu bringen, stattdessen findet eine Existenzverlängerung veralteter, schmutziger Technologien statt. Manche verwechseln dies immer noch mit energieeffizienter Bausubstanz. „Energyefficency first“ anstatt Vorrang der Erneuerbaren ist eine politische Linie, die vorgibt die wahre Energiewende zu sein, tatsächlich aber willfährig gegenüber Konzerninteressen ist. Dies war und ist die Politik aller Koalitionsregierungen nach Rot-Grün gewesen. Konzessionen ließen sich die regierenden Politiker nur unter großem Druck aus der Bürgerenergiebewegung und der Erneuerbaren-Industrie abringen. Jüngste Beispiele sind die zurückgenommene Stromsteuer auf PV-Eigenverbrauch oder die angekündigte Mieterstrom-Verordnung. Aber es ist wenig genug.
Auch wenn heute gerne kolportiert wird, die Energiekonzerne hätten „die Energiewende verschlafen“, ist dies nicht als Erfolg der Energiewendebewegung anzusehen. Dass die Kohlestromer die Dynamik und den Charakter der Erneuerbaren nicht verstanden haben, mag stimmen. Für die Öl- und Gaskonzerne gilt das weniger, denn die haben es, wie auch immer zu verhindern gewusst, dass ihnen gesetzliche Regelungen nach der Art eines EEG in die Quere kommen. Aber auch die Stromkonzerne haben spätestens seit Anfang des Jahrzehnts – manche nennen den Supergau von Fukushima als Fixpunkt – versucht, sich auf die neue Lage einzustellen. Es wäre zu einfach anzunehmen, dass Regierungspolitik und Intentionen z.B. des BDEW deckungsgleich seien. Aber dass die Regierung mit der Dämpfung des EE-Zubaus ein Zeitfenster für die Kohleverstromung bis 2040 zu öffnen versucht, mit der Option, ein weitgehend zentralisiertes Stromsystem mit Einsatz von Gaskraftwerken und Offshore Windparks zu erhalten, ist offensichtlich. Das belegen auch die Netzausbaupläne, die auf die großen Höchstspannungstrassen in Nord-Süd-Richtung ausgelegt sind. Mit Dezentralisierung und Stärkung der Bürgerenergie hat das nichts zu tun. Aber alleine mit dieser Hilfestellung sind die Konzerne noch lange nicht am Ziel ihrer Wünsche.
Big Business und Sektorkoppelung
Wie sind also die strategischen Ziele der alten Stromkonzerne einzuschätzen, die sich mit neuen Töchtern wie Innogy (RWE) und Uniper (Eon) neu auszurichten versuchen? Im Prinzip läuft ihre Überlebensstrategie darauf hinaus, auch bei schrumpfender eigener Stromerzeugung die Systemverantwortung in der Hand zu behalten und den Strommarkt zu beherrschen. Als strategische Partner sollen dafür die vier großen Übertragungsnetz-Betreiber dienen, deren Interessen ähnlich gelagert sind. Stromhandel auf europäischer Ebene und Stromtransport sind lukrative Geschäfte, die z.B. bei Netzgebühren gesetzlich geregelt sind. Entscheidend in ihrem Kalkül dürfte sein, die Dezentralisierung zu verhindern, um quasi ein Monopolstellung in ihren Geschäftsfeldern, auch z.B. gegenüber der Mehrzahl der Stadtwerke, zu behalten. Dabei wird der Blick auf die Sektorkoppelung gerichtet, die in ihren Augen ein großes Geschäft zu werden verspricht, wenn es gelänge, die Wärmeversorgung technisch zur Stromanwendung umzufunktionieren und die E-Mobilität von der Bindung an Ökostrom zu lösen. Dann würde nicht nur einen Riesenmarkt winken, es ließen sich zugleich die verbleibenden EE-Wärmetechnologien, wie die Solarthermie, an den Rand drängen. Einem späteren Kohleausstieg müsste man nicht prinzipiell abschwören, aber diesen Prozess und seine Zeitabläufe unter Kontrolle behalten. Das deshalb, weil der Ausstieg aus der Kohleverstromung in einen nahtlosen Übergang zu Gaskraftwerken münden müsste. Beim Gas als dem zweiten strategischen Standbein neben Offshore Wind befände sich dies im Einklang mit den großen Linien der Politik, gleichgültig ob Erdgas aus Russland oder gefracktes Flüssigerdgas (LNG für liquefied natural gas) aus USA importiert würde. Wenn dies gelänge, und PV wie Wind Onshore demgegenüber eine begrenzte Bedeutung behielte, etwa peu à peu zurückgedrängt oder gar in die Hände der Konzerne gerieten, wäre das Abenteuer Energiewende und sein Protagonist, der Prosumer, ein Auslaufmodell. So zumindest die Monopolträume.
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Klaus Oberzig