Bürgerfreiheit und Dezentralisierung
Das Energiesystem als technische und politische Herausforderung (Teil 2): Im ersten Teil dieses kleinen Fortsetzungswerkes hatten wir das Recht auf freie Energieerzeugung als Bürgerrecht beschrieben, dessen Ausübung allerdings in vielfältiger Art und Weise behindert und eingeschränkt wird. Im Mittelpunkt stand dabei das Stromsystem, das zwar den höchsten Anteil an regenerativer Energieerzeugung vorzuweisen hat, inzwischen aber Regelwerke aufweist, die „nach 15 Jahren Lobbying bekanntermaßen vollkommen aufgebläht und auch für Fachleute nur noch kryptisch auszulegen“ sind (Online Magazin Telepolis). Gleichzeitig hatten wir festgestellt, dass mit diesem aberwitzigen Konvolut das Wachstum regenerativer Stromerzeugung massiv behindert und eingeschränkt wird, um die herrschenden Stromkonzerne mit ihren atomaren und fossilen Großkraftwerken so lange im Erzeugergeschäft zu halten, bis sie ihre entwerteten Geschäftsmodelle durch neue ersetzt hätten. Parallel dazu ist zu beobachten, dass im Bereich der Netze der Versuch unternommen wird, monopolartige Strukturen zu erhalten bzw. zu festigen, um nach dem Verlust eines beträchtlichen Teils der Erzeugung an PV- und Windanlagenbetreiber, nicht auch noch die Systemkontrolle an die Bürgerenergie zu verlieren. Diese Bewegungen, die zeitgleich mit dem Erstarken eines rechten Populismus einhergehen, beschränken sich nicht auf Deutschland. Sie sind in anderen europäischen Ländern zu beobachten, am deutlichsten aber in den USA. In einem jüngst erschienen Buch hat die Ökonomieprofessorin und DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert dies auf die treffende Formel „Das fossile Imperium schlägt zurück“ gebracht.
Auch wenn die Klarheit darüber, dass zwei völlig gegensätzliche Vorstellungen von Energiewende existieren, begrüßenswert ist, muss darüber hinaus ein Bild entwickelt werden, wie ein dezentrales und fossilfreies Energiesystem unter maßgeblicher Systemverantwortung der Bürgerenergie eigentlich aussehen soll. Es ist an der Zeit, die Visionen über eine solche Zukunft nicht länger den Ideologen aus gutbezahlten Denkfabriken zu überlassen, sondern eigene Vorstellungen zu entwickeln.
Wenn zu Recht vom fossilen Imperium gesprochen wird, das noch immer die Energiepolitik der Bundesregierung unter Kontrolle hat, ist nach dem Gegenpol zu fragen, den vielen Bürgern und Bürgergruppen, die für ein anderes Bild der Energielandschaft gesorgt haben. Als erstes fällt dabei auf, dass der inzwischen im allgemeinen Sprachgebrauch angekommene Begriff des „Prosumers“ einer inhaltlichen Erweiterung bedarf. Nach dem heutigen Verständnis werden Bürgerenergie und Prosumer oft für die gleichen Eigentümergruppen von PV- und Windanlagen verwendet; allerdings drückt sich bei letzterem das Dilemma direkt schon im Begriff aus. Der Bürger als Produzent und Konsument entspricht eher dem Bild eines EFH-Besitzers, der mit seiner PV-Dachanlage Strom erzeugt und einen Teil für den Eigenbedarf verbraucht; den Rest gibt er ins Netz ab. Kann und darf er Strom an seine Nachbarn weiterleiten und verkaufen, also Handel betreiben? Der Begriff spiegelt dies nicht. Schon auf der Ebene des individuellen Erzeugers existieren Beschränkungen, welche ihm etwa das Konstrukt des so genannten Öffentlichen Netzes oder die Steuergesetze auferlegen. Will eine Gruppe von Bürgern oder Unternehmer aus der Wohnungswirtschaft im Rahmen einer Quartierslösung Strom verkaufen, stoßen sie auf massive Hürden. Wie diese künstlich erhöht werden, liefert als Beispiel dieser Tage der aktuelle Mieterstrom-Gesetzesentwurf. Nicht nur, dass der Strom nur dann als Mieterstrom anerkannt wird, wenn er vom gleichen Dach stammt, unter dem die Abnehmer wohnen, auch die Anlagengröße ist auf höchstens 100 kW beschränkt. Das ist vollkommen undemokratisch und beschränkt das Recht, mit Erneuerbaren Energien frei wirtschaften zu können. Eine eigentlich billige Lösung wird trickreich verteuert.
Verbraucher-Erzeuger-Gemeinschaften – ein neues Verständnis von Prosuming
„Wer bereits heute Energie-Prosumer ist und seinen Bedarf etwa mit einer genossenschaftlich betriebenen PV-Anlage selbst deckt, ist hoffnungslos gegenüber den Stromkonzernen und Netzbetreibern benachteiligt“, sagt René Mono, Vorstand beim Bündnis Bürgerenergie (BBEn) und plädiert dafür, durch den Abbau aller regulatorischen Hürden den Weg für „Verbraucher-Erzeuger-Gemeinschaften“ frei zu machen. Eine solche lokale Vernetzung zu einem dezentralen und in Bürgerhand befindlichen, erweiterten „Prosuming“ wäre auf der kleinsten Ebene ein Gegenmodell zur zentralen Netzversorgung, wie sie seit 1935 existiert.
Der Ökostrom würde in räumlicher Nähe zu den Verbrauchern erzeugt, Zeiten von Erzeugung und Verbrauch können mit Hilfe von Batteriespeichern gut in Einklang gebracht werden und die notwendigen Leitungswege blieben kurz – eine ökonomische Lösung. Das so genannte Öffentliche Stromnetz würde aus Sicht der „Verbraucher-Erzeuger-Gemeinschaften“ nur noch dem Ausgleich von Mehr- und Minderproduktion (Matthias Braake, Telepolis) dienen. Bedenkt man, dass 54 Prozent der Haushalte in Deutschland Mieterhaushalte sind, die sich meist in Mehrfamilienhäusern befinden, deren Dächer bisher noch kaum mit Solaranlagen bestückt sind, zeigt sich das Potenzial dieses Modells. Bereits damit könnte ein Teil der konventionellen Kohleverstromung ersetzt werden, ohne dass der von der Bundesnetzagentur reklamierte Netzausbau erforderlich wäre. Im Gegenteil, die dezentrale Vor-Ort-Erzeugung würde die vorhandenen Netze entlasten, ihre Dimensionierung reduzieren helfen und damit die Netzgebühren für diejenigen reduzieren, die noch am Netz hängen.
Ein weiterer Aspekt, der sich in diesem Zusammenhang aufdrängt, ist die Sektorkopplung. Wenn „Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften“ eine Verbindung von Gebäudeheizung und Warmwassererzeugung realisieren, müssten Erzeugungsspitzen aus den PV-Dachanlagen nicht ins Netz abgeleitet werden, sondern könnten, als Teil des Geschäftsmodells, der Wärmeerzeugung zur Verfügung stehen. Dies wäre ein Element des Peak Shifting, ein kluger Umgang mit der Fluktuation der Erneuerbaren Energien, der mit der heute vorhandenen Technologie problemlos umzusetzen wäre. Eine „Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft“ könnte eine Teilautonomie inklusive der Binnenverantwortung für das eigene kleine Netz realisieren, welche sie von überflüssigen Netzkosten einerseits freihält und andererseits das im Hintergrund stehende Verteilnetz stabilisieren hilft. Etwa dadurch, dass die Batteriespeicher als eine Art atmender Puffer in beiden Richtungen fungieren könnten. Dagegen steht jedoch die Gesetzeslage, die eine Trennung zwischen Erzeuger und Vertrieb macht. Was 1988 mit dem Anspruch des Unbundling, also der Entflechtung von Marktmacht der alteingesessenen EVUs begann, erweist sich heute als Bremse einer Dezentralisierung.
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Klaus Oberzig