Strom und Demokratie
Es gibt ein Bürgerrecht auf Stromerzeugung: Die DGS vertritt schon seit dem Jahr 2000 die Interessen der Verbraucher bei Normungsprozessen der netzgekoppelten Photovoltaik. Ganz aktuell, seit gut einem Jahr, arbeitet sie auch daran, die technischen Voraussetzungen für einen normgerechten Betrieb von photovoltaischen Balkonkraftwerken zu klären und darüber die Öffentlichkeit in Kenntnis zu setzen. Zuletzt ging es um die Norm DIN VDE 0100-551. Die Erstellung von Normen ist eigentlich ein banaler Vorgang, der immer dann anläuft, wenn neue Technologien und die darauf aufbauenden Produkte Marktrelevanz erreichen. Sie werden erstellt, um für Hersteller wie Verbraucher die technischen Bedingungen transparent und sicher zu machen. In Ausnahme zu dieser normalen Prozedur tauchten beim Balkonkraftwerk, das die DGS SolarRebell nennt, ungewöhnliche Probleme auf. Mit unsichtbarer Hand nutzen die Netzbetreiber die Normierung um Hürden für den Anschluss von dezentralen Erzeugungseinheiten aufzubauen. Darüber hinaus lancieren sie in den Medien die Behauptung: diese auch als Steckergeräte bezeichneten Kleinsterzeuger seien problematisch und ihre Rechtmäßigkeit zweifelhaft. Die DGS hat die Sicherheitsfrage inzwischen mit der Untersuchung der Beeinflussung der Schutzkonzepte von Stromkreisen durch Stecker-Solar-Geräte beantwortet und dafür gesorgt das Norm DIN VDE 0100-551 den Anschluss durch den Laien in jedem Stromkreis vorsieht. Als letzte Blockadeidee wird nun von den Gegnern der Balkonkraftwerke behauptet, der handelsübliche Schukostecker sei ungeeignet, obwohl europaweit 250.000 Geräte das Gegenteil belegen.
Das Mobbing mit der angeblich mangelhaften Legitimität läuft nicht als frontaler Angriff, sondern eher hinter vorgehaltener Hand. Aber laut und penetrant genug, sodass die Presse die geäußerten Behauptungen teilweise aufnahm und verbreitete. Selbst Tageszeitungen wie die Frankfurter Rundschau schrieben, Balkonkraftwerke seien halblegal, ein Begriff der in der Juristerei gar nicht existiert. Andere meinten, die Geräte bewegten sich in einer rechtlichen Grauzone. Das behaupteten sogar bekannte Anwälte. Doch dazu später. Eine nachvollziehbare Antwort, warum ein technisch einwandfrei angeschlossenes Solarmodul von rd. 300 Watt Leistung, das als Balkonkraftwerk in einen bestehenden Stromkreis einer Wohnung einspeist, ein juristisches Problem darstellen würde, gaben sie nicht. Wir lassen hier für einen Moment die Physik beiseite, die davon ausgeht, dass Energie nicht erzeugt, sondern nur umgewandelt wird; für die rechtliche Betrachtung scheint das eher nebensächlich.
Allgemeine Handlungsfreiheit
Beginnen wir erst einmal mit einem Ausflug in einen anderen Bereich der Solartechnik und betrachten folgende Analogie. Wird eine solarthermische Anlage auf dem Dach eines Einfamilienhauses installiert und in die Hydraulik des Gebäudes integriert um Wärme zu erzeugen, scheint kein rechtliches Problem zu existieren. Der Bürger kauft, hält die technischen Spielregeln ein und installiert. Ganz einfach. Er betrachtet es als sein gutes Recht, Solarenergie zum Heizen zu erzeugen und einzusetzen. In der Regel lässt er sich bei der Installation vom Handwerker seines Vertrauens bedienen. Auch das ist sein gutes Recht. Damit ist ein wichtiges Stichwort gefallen. Das Recht des Bürgers auf eigenständige Erzeugung von Energie und dem Betrieb der dafür vorhandenen Anlagen, wohlgemerkt nicht nur der Solarenergie. Es beruht letztlich auf den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes und wird als allgemeine Handlungsfreiheit verstanden. Der freie Bürger darf in eigener Entscheidung alle Handlungen durchführen, sofern sie nicht die Rechte anderer verletzen, so die positive Vermutung der Verfassung. Der Bürger lebt in unserem Beispiel seine demokratischen Freiheiten und Rechte bei der Beheizung seines Hauses aus, auch wenn er vielleicht nicht immer an die Grundrechte denkt.
Bei der Behinderung von Balkonkraftwerken haben deren Gegner ja nicht die Nagelprobe gemacht, und sind gerichtlich dagegen vorgegangen. Das hätte zu einer Niederlage geführt und die wollten sie vermeiden. Die Argumentation mit der rechtlichen Grauzone, also der Kampf auf einer propagandistischen Ebene, bediente sich im Übrigen eines Tricks. Es wird der Eindruck erweckt, als ob solche Geräte generell die Rechte Dritter verletzen würden. Gemeint ist u.a. das Faktum, dass in der Wohnung des Betreibers eingespeister Strom, der nicht verbraucht wird, sich seinen Weg zum nächsten Verbraucher, sprich Nachbarn, suchen würde. Es wird darauf angespielt, dass in einem solchen Fall der Stromzähler rückwärts laufen und damit den Stromversorger schädigen könnte. Damit war einerseits ein Drohpotenzial aufgebaut, das Wirkung zeigte. Zum anderen wurde kaum der Versuch unternommen, diese neuen technischen Möglichkeiten als positives Recht darzustellen, für das eben technische Leitplanken erforderlich seien. In vielen Fällen machten sogar Anwälte, die auf Energierecht spezialisiert sind, den Fehler, es bei einer rechtspositivistischen Betrachtung zu belassen. Sie haben sich nur am vorgegebenen Gesetz orientiert und außerrechtliche Fakten, die neue Technologien mit sich bringen, nicht in Betracht gezogen.
Feudale Allüren der Konzerne
Bei der Erzeugung von Ökostrom in größerem Maßstab wird das Recht des einzelnen Bürgers auf Erzeugung nirgends explizit in Frage gestellt. Gesetze wie das EEG gehen scheinbar wie selbstverständlich davon aus, dass einzelne Bürger oder Gruppen von Bürgern wie auch Unternehmen dieses Recht ausüben. Betrachtet man die Regelungsdichte und deren Richtung, die inzwischen wie ein Festungswall um die Erneuerbaren Energien aufgebaut worden ist, muss man aber nachdenklich werden. Die angestammten Stromerzeuger und Netzbetreiber verhalten sich faktisch so, als ob die Bürger ihre Rechte, vor allem ihre uneingeschränkte Marktmacht, beeinträchtigen würden. Mit ihrem unbestritten starken Einfluss auf die Politik gelingt es ihnen, die Bürgerenergie immer weiter auszuhebeln und in die Ecke zu drängen. Wir wollen hier nicht in die Details der Novellierungen des EEG, des Energiewirtschaftsgesetzes, der Stromnetzzugangsverordnung oder der Stromnetzentgeltverordnung u. ä. eingehen. Wir haben in der SONNENENERGIE und auch in den DGS-News über derlei Themen vielfach und eingehend berichtet. Wir wollen aber auf die feudalen Allüren der Konzerne und auch der Merkel-Regierungen hinweisen, die die Bürgerrechte ohne Hemmungen ausmanövrieren.
Die Wurzeln der Stromerzeugung reichen bis weit in vordemokratische Zeiten zurück. Wasserräder betreiben oder Kohle aus der Erde holen zu dürfen, beruhte im Feudalismus des 17. und 18. Jahrhunderts auf der privilegierten Beziehung zu einem Herrscher. Was heute als Konzession bezeichnet wird, war früher ein Privileg. Entlang dieser Linie, die keine allgemeinen und für alle geltenden Rechte kannte, entwickelten sich Betreiber von Kohlegruben zu Stahlkochern und später, als die Elektrizität in die Welt kam, zu Kraftwerksbetreibern. Damit war nicht nur das Zeitalter der Kohleverstromung angebrochen, es entstanden aus diesen privilegierten Rechten die Strommonopole. Daran änderte sich erst etwas in der Weimarer Republik. Vor allem an der Nordseeküste standen rund 20.000 Windräder, die in der Regel von Landwirten betrieben wurden. Sie basierten auf dem Recht der freien, individuellen Stromerzeugung. Im Energiewirtschaftsgesetz von 1935 schleiften die Nationalsozialisten dieses Recht wieder und erfanden das öffentliche Versorgungsnetz, an das sich alle Bürger per Anschlusszwang anzuschließen hatten. Das war der eigentliche Durchbruch für die Strommonopole, wie wir sie bis in die jüngste Vergangenheit kannten. Die Windräder wurden mit Polizeigewalt gelegt, Photovoltaik gab es damals noch nicht.
Vom Prosumer zu den Erzeuger- und Verbrauchergemeinschaften
Das Energiewirtschaftsgesetz hat als einziges Gesetz die Nazizeit unbeschadet überstanden1). Für sich genommen ein erstaunlicher Tatbestand. Mit der sogenannten Liberalisierung des Energiesystems gegen Ende der 1990er Jahre gab es zwar ein Unbundling, also die Trennung von Stromerzeugung und Netzen, aber der Gesetzgeber hatte bei allen vorgenommenen Veränderungen eines nicht im Sinn: das individuelle Recht des Bürgers zur Stromerzeugung zu stärken. Man mag einwenden, dass die Erneuerbaren zu dieser Zeit erst in den Kinderschuhen steckten. Aber an dieser einseitigen Ausrichtung des Energiesystems hat sich bislang trotz Photovoltaik und Windstrom wenig Grundlegendes verändert. Das Credo lautet, gerade in den Zeiten des Neoliberalismus, nach wie vor, die Industrie habe in einem freiheitlichen Rechtstaat das alleinige Recht, zu produzieren, was sie will, und der Markt regelt den Erfolg oder die Ablehnung der Produkte. Der Bürgerkonsument hat das Recht, alles zu erwerben, was sein Herz begehrt oder der Geldbeutel hergibt. Bürgerenergie hat es dagegen schwer, zu bestehen.
Die Erneuerbaren Energien sind heute eng verbunden mit der Bürgerenergie. Genossenschaften und Bürgergesellschaften betreiben von der PV-Dachanlage bis zum Windpark ein breites Portfolio der Strom- und Energieerzeugung. Das Bewusstsein vom Prosumer entwickelt sich und wird auf einer höheren Ebene zu Erzeuger- und Verbrauchergemeinschaften. Hier ist auch das Balkonkraftwerk einzuordnen, das die Rechtsausübung selbst des finanziell wenig potenten Bürgers ermöglicht. Die neue Technologie macht's möglich. Diese breite Front von der PV-Kleinstanlage bis zum Verbundkraftwerk darf nicht auseinander gerissen werden, basiert sie doch auf den gleichen demokratischen Rechten. Wir hatten in der letzten Ausgabe der SONNENENERGIE provozierend vom solaren Ungehorsam geschrieben. Das ist angesichts des Powerplay der nach wie vor mächtigen Energiekonzerne und deren Abneigung gegen eine Solarisierung berechtigt. Dem ist hinzuzufügen, wir sollten vor allem das Bewusstsein entwickeln, dass die Transformation des Energiesystems auch ein Kampf um die Durchsetzung demokratischer Rechte ist.
Klaus Oberzig