Erdgas: Sackgasse statt Brückentechnologie
Bundeswirtschaftsminister Altmaier war vom 13. bis 15. Mai in Kiew und Moskau. Im Mittelpunkt stand dabei die „Vermittlung“ im Streit um die zweite Gaspipeline in der Ostsee, die Nord Stream II, wie sein Ministerium verlauten ließ. Denn über das Projekt, das der russische Energiekonzern Gazprom zusammen mit europäische Unternehmen, darunter Uniper/Eon und Wintershall (BASF), bis Ende 2019 abgeschlossen haben will, gibt es Streit. Nicht nur den Amerikanern missfällt die „größere Abhängigkeit von Russland“, so US-Botschafter Richard Grenell - sie wollen endlich gefracktes LNG, also verflüssigtes Gas nach Europa verkaufen. Vor allem die Ukraine ist in Sorge, als Transitland für russisches Erdgas an Bedeutung wie an Einnahmen zu verlieren. Altmaier will der ukrainischen Regierung klar machen, dass das ukrainische Transitnetz weiterhin benötigt werde, weil der Importbedarf in der EU weiterhin steige und Nord Stream II noch längst nicht mit voller Kapazität zur Verfügung stehe. Auf welche Durchleitungsmengen sich beide Seiten geeinigt haben bzw. einigen werden, ist bislang nicht bekannt. Das ist große Politik und hat mit dem Kräfteverhältnis der Großmächte zu tun.
Zuwachs an fossilen Brennstoffen wird als Klimaschutz verkauft
Die Rede vom steigenden Importbedarf lässt natürlich aufhorchen. Dahinter stecken mehrere Industriebranchen von Importeuren, Gashändlern, Anlagenbauern bis hin zu Wohnungsunternehmen, die als wachstumsstarke Branchen auftreten. Verkoppelte Sektoren eben. Spricht Altmaier vor einem anderen Publikum über Klimaschutz und Energiewende, bedient er sich einer anderen Terminologie. Dann wird der Import von Erdgas zur Brückentechnologie. Es war genau derselbe Altmaier, der sein „Ja“ zur Energiewende als Umweltminister mit bestimmten Vorbehalten verbunden hatte. Eine war, die Energiewende würde zu lange dauern und deshalb bräuchte man eine Brückentechnologie. Dies sei Erdgas. Es sei klimafreundlicher, weil mit geringerem Schadstoffausstoß verbunden. Womit nicht behauptet werden soll, der CDU-Politiker selbst sei der Urheber dieser Theorie; da stecken ganz andere dahinter. Die Metapher ist inzwischen geläufig und salonfähig. Viele verstehen das als eine Art Schuhlöffel, der es erleichtern würde, in 100 Prozent Erneuerbare bis 2040 hineinzuschlüpfen.
Dafür haben vor allem nach den letzten beiden Klimakonferenzen u.a. Dena und Agora gesorgt, die Erdgas in Form der Brennwerttechnologie als eine Art kleineres Übel darstellen. Aber auch der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) strickt unermüdlich an der Legende vom natürlichen Partner der Erneuerbaren. Er setzt dabei weniger auf die geringeren CO2-Emissionen als auf das vorhandene Erdgasnetz. Dies könne zukünftig auch für Power-to-Gas-Technologien benutzt werden und würde auch einen Ausbau der Stromautobahnen begrenzen, lockt er. Erdgas hat so in relativ kurzer Zeit ein positives Image verpasst bekommen. Nämlich das des Helfers, der den Klimawandel bekämpft und der Energiewende in die Spur verhilft. Ohne diesen Helfer wären die Erneuerbaren dazu nicht in der Lage, so das Narrativ. Das haben Hunderttausende von Hausbesitzern im Kopf, wenn sie Erdgasbrennwert-Kessel in den Keller holen. Auch Energieberater und Planer denken vielfach so und verlassen sich dabei darauf, dass die Hochglanzbroschüren von Bundesregierung, KfW-Bank und Heizungsindustrie ja nicht lügen können. Zudem wird der Kesseltausch nach wie vor bezuschusst. Geld hat schon immer Argumente unterfüttert. Allen diesen Argumenten gemeinsam ist, dass sie suggerieren, der Einsatz von Erdgas sei ein temporärer.
Solarisierung der Wärme kein Ziel
Betrachten wir erst einmal den Wärmemarkt. Erdgasbrennwert gilt unangefochten als Spitzenreiter. Alle Anbieter der Heizungsindustrie verdienen kräftig Geld mit diesen relativ simplen Produkten. Um das grüne Image des Erdgases perfekt zu machen, bieten alle Anbieter die Kombination mit Solarthermie an, für die Warmwassererzeugung wie für die Heizung. Wie sieht hier die angebliche Brücke aus? Gehen wir davon aus, dass ein Gasbrennwertkessel rund 20 Jahre hält, dann haben die Gasimporteure und Gashändler sich bis 2038 einen Kunden gesichert. Davor bleibt das Thema regenerative Wärme obsolet. Betrachten wir die Anzahl der Gasheizungen in deutschen Kellern, lässt sich unschwer sagen, dass deren nach wie vor steigende Anzahl eine Wende in den Kellern nicht erleichtert, sondern verschiebt. Bezogen auf die Auswirkungen des CO2-Haushalts bedeutet dies zwar, dass der Ausstoß auf einem niedrigeren Niveau stattfindet, dafür aber viel zu lange festgeschrieben bleibt.
Geht man davon aus, dass nach einem Kesseltausch ein Teil der jeweiligen Gebäudehüllen unverändert bleiben, wird noch deutlicher, dass diese Brückentechnologie einen Rückschritt und keinen Fortschritt für die Klimasituation bedeutet. Da hilft auch die Argumentation von der Technologieoffenheit und der Energieeffizienz erdgasbasierter Technologien wenig. Das ist pure Ideologie. Natürlich kann jeder Hausbesitzer frei entscheiden, in welche Technologie er investieren will. Aber die Regeln, allen voran die EnEV, aber auch die KfW-Förderprogramme, bilden Leitplanken, an denen sich die Verantwortlichen so oder so orientieren. Ein ordnungsrechtlicher Rahmen, der sich an den Pariser Klimaschutzzielen orientiert, existiert eben nicht. Und wie steht es um die Aussichten, dass nach Gasbrennwert die Erneuerbaren doch noch zum Zuge kommen? Die Statistiken erzählen vom Rückgang, allen Beschwörungen einer Wärmewende zum Trotz. Diese Entwicklung offenbart vielmehr, wie Monopole erfolgreich agieren. Das ist selbst vielen Klima- und Solaraktivisten nicht gegenwärtig. Neben den großen Gasförderern und Importeuren, die zusammen ein umfassendes Netz von Pipelines und Gasspeichern bzw. Kavernen in Deutschland aufgebaut haben, gesellen sich die großen Heizungsbauer. Sie bilden eine reale Sektorenkopplung, die so leicht nicht auf zu brechen sein dürfte. Man bemerke, der Begriff der Sektorenkopplung, der manche in den Zustand des Deliriums versetzt, ist ein alter Hut.
Konglomerat fossiler Interessen
Im Gegensatz zu den Stromriesen RWE oder Eon werden die Heizungsbauer kaum als Monopolisten wahrgenommen. Sie scheinen vielen Bürgern eher als Mittelständler. Tatsächlich sind die Viessmänner, Boschs, Weishäupter und wie sie alle heißen, weltweite Branchenführer, das handwerkliche Image ist eine Schimäre. Im Verbund mit den Brennstoffkonzernen sind sie echte Weltmarktplayer. Genauso wie die Bündnisse von Mineralölindustrie und Automobilindustrie sind dies symbiotische Verhältnisse, auch wenn die Heizungsbauer in den letzten Jahrzehnten in Sachen Brennstoffwechsel ein gewisses Maß an Flexibilität an den Tag legen mussten. Aber Kohle, Öl und Erdgas sind fossile Geschwister und so sind es die Companies auch, verschwistert und verschwägert und vor allem, vom gleichen fossilen Geiste. Es sind rohstoffbassierte Industrien, deren Existenz in dem Moment gefährdet ist, indem neue Technologien sich durchsetzen, die ohne fossile Brennstoffe auskommen. Oder wie ein neuer Begriff diesen Gegensatz adressiert, rohstoffbassierte Industrien stehen gegen bit-bassierte. Hinter der scheinbar eingängigen Formel von der Brückentechnologie verbergen sich also handfeste Widersprüche wie auch Wachstumsinteressen, die sich nicht per Schlagwort beiseite wischen lassen.
Strom: das gleiche Bild
Im Stromsektor kommt die Brückentechnologie in Form von Gaskraftwerken (GUD) daher. Die Unterschiede zum Wärmebereich sind nur scheinbare. Die Erneuerbaren Energien von PV und Wind sind wesentlich weiter in das fossile Geschäft der traditionellen Stromerzeuger vorgedrungen. Und trotzdem entstand auch hier die Theorie, dass sich mit Gaskraftwerken sofort ein Viertel der CO2-Emissionen beseitigen ließe. So das Ergebnis einer Studie von Öko-Institut und Greenpeace Energy gegen Ende des Jahres 2016. Dahinter steht das Bild einer ökologischen Einsatzreihenfolge, welche nach den schon vorhandenen Erneuerbaren Energien die nächst saubere Technologie, das Gas, präferiert. Wenn man auf einen „ökologischen Merit Order“ umstelle, erspare dies neben dem CO2-Ausstoss auch volkswirtschaftliche Kosten von rund 10 Euro je vermiedener Tonne CO2-Emission. Zudem seien flexible GUD besser geeignet, im Zusammenhang mit PV- und Windparks zu arbeiten. Ihre Flexibilität – im Unterschied zu Atom- oder Kohlekraftwerken – würde die Anzahl der Abregelungen von PV und Wind vermindern.
Transformation wird bewusst verzögert
Damit ist das Thema Fluktuationsausgleich gemeint, das unausgesprochen den Erneuerbaren Energien als grundsätzliche Fähigkeit abgesprochen wird. Abgesehen davon, dass dies nicht stimmt und ein Fluktuationsausgleich mit Erneuerbaren auf der Erzeugerebene sehr wohl möglich ist, leuchtet es nicht ein, dass viele GUD, so sie einmal gebaut wären, leicht aus dem Stromsystem wieder eliminiert werden könnten. Im Gegenteil. Je mehr GUD laufen und in dieses System eingebunden sind – und diese Dinger laufen mindestens 40 bis 50 Jahre – desto schwieriger würde es für Erneuerbare, sich zu behaupten. Erdgas ist eben keine Brückentechnologie, sondern aus Konzernsicht die Konzernalternative für die Zukunft. Natürlich gibt es auch Investitionen in PV und Wind bei einigen großen Playern. Aber aus dem Gasgeschäft haben sie sich deswegen nicht zurückgezogen. Sie machen das, womit zum jeweiligen Zeitpunkt Geld zu verdienen ist, aber bei der Systembeherrschung und -verantwortung verstehen sie keinen Spaß. Die wollen sie auf alle Fälle in ihren Händen behalten. Denn auf Basis von Gaskraftwerken soll die neue große digitale Dienstleistung angeboten werden, mit der sie Geschäfte im 21. Jahrhundert machen wollen.
Auch wenn klar ist, dass Erdgas weder im Wärme- noch im Strombereich eine Brückentechnologie ist, die den Erneuerbaren helfen könnte, bleibt die Frage nach den eigenen Alternativen. Zu dieser nüchternen Feststellung gehört auch die Erkenntnis, dass weder eine postulierte Wärmewende noch die angeblich EE-imanente Dezentralisierung im Strombereich vom Himmel fallen. Dazu bedarf es weiterer Technologieentwicklung und Geschäftsmodelle. Diese müssen bewusst als Gestaltung der Zeit nach einem EEG angegangen werden. Vorschnell auf die Rezepte der sektorengekoppelten Fossilen einzuflippen – gewissermaßen wie der Hund, der nach der Wurst springt – kann nicht die Lösung sein. Für die Organisationen und Industrien der Erneuerbaren bedeutet dies, sich auf lange und mühselige Entwicklungsarbeiten einzustellen. Diese können und müssen in Richtung der erneuerbaren Verbundlösungen gesucht und realisiert werden. Brückentechnologie Erdgas zum Gesundbeten hilft nicht.
Klaus Oberzig